Kapitel drei
Dunkler Rauch stieg in den Himmel des Winterplaneten Tolorans, ausgehend von dem Schiff, das im Schnee lag. Ein Loch klaffte in dessen Seite und dadurch zwängte sich auf allen Vieren eine Gestalt, ein Mädchen. Seine weißen Haare hingen ihm in das blasse, blutverkrustete Gesicht. Bei jeder Bewegung durchzuckte seine Seite ein stechender Schmerz und nicht selten entwich ihm ein leises Stöhnen. Wenn das Mädchen es richtig einschätzen konnte, hatte es sich bei dem Absturz eine oder mehrere Rippen gebrochen. Es wäre nicht das erste Mal.
Langsam richtete Vaylin sich auf - ein Fehler, wie sich schnell herausstellte. Alles drehte sich, ihr Schädel pochte und ehe sie sich's versah, übergab sie sich in den blendend weißen Schnee. Eine Weile blieb sie vornübergebeugt stehen, falls noch etwas nachkam, was nicht so abwegig war, denn bei dem Anblick ihres eigenen Erbrochenen wurde ihr gleich wieder schlecht - oder vielmehr wurde die Übelkeit noch schlimmer.
Sie sah weg, entfernte sich wankend von dem Wrack hinter ihr und tastete dabei nach ihrem Lichtschwert. Es hing nach wie vor sicher an ihrer Hüfte, obwohl sie beinahe erwartet hatte, dass es irgendwo in dem zerstörten Schiff oder im Schnee lag. Sie schloss ihre Hand um das kühle Metall und sogleich gab es ihr ein eigenartiges Gefühl von Ruhe, beinahe Sicherheit. Doch sie war nicht in Sicherheit. Sie war auf einem verfluchten Winterplaneten abgestürzt, einem beliebten Urlaubsziel wie Pantolomin zwar, aber dennoch. Sie war irgendwo in den schneebedeckten Bergen, nur Schnee um sie herum und sonst nichts. Der Wind wehte heftig und es war eisig kalt. Sie schlang die Arme um sich. Für dieses Wetter war sie definitiv nicht richtig angezogen. Ihre schwarze Kleidung wärmte nicht sonderlich, nur ihr Umhang fing etwas von der Kälte ab. Sie zog ihn sogleich enger um sich, lief dann in die Macht wusste, welche Richtung. Ihre Sicht war stark eingeschränkt wegen des aufkommenden Schneesturms; sie konnte gerade ein paar Meter weit sehen. Sie fluchte laut und unschön - hier konnte sie sowieso niemand hören - und kämpfte sich weiter durch den tiefen Schnee, in den sie bei jedem Schritt einsank. Sie kam unglaublich langsam voran. Zu langsam für ihren Geschmack. Ihre Gedanken flackerten zu den drei oder vier Kopfgeldjägern, die ihr sicher noch auf den Fersen waren. Kurz flammte die Hoffnung auf, dass sie womöglich dachten, sie wäre bei dem Absturz gestorben, doch darauf konnte sie sich nicht verlassen. Sie kämpfte sich also weiter voran, wissend, dass sie tot war, wenn sie stehenblieb. So würde sie nicht sterben. Hier würde sie nicht sterben. Dieser Entschluss trieb sie an, half dabei, all ihre Schmerzen auszublenden. Sie würde hier rauskommen und zwar lebend.
Vaylin irrte seit einer gefühlten Ewigkeit durch diese elenden Berge und allmählich begann sie, Schnee zu hassen. Ihr war bitterkalt, ihre Hände waren taub und sie spürte ihre Beine nicht mehr wirklich, sodass sie bei jedem Schritt stolperte und jedes Mal beinahe kopfüber im Schnee landete. Sie tastete nach der Macht, die ihr immer und immer wieder durch die Finger glitt, bis sie sie zu fassen bekam, und suchte nach der Präsenz einer Person, eines Tieres, irgendetwas. Sie fand nichts, bis sie dann doch auf einmal etwas spürte. Direkt vor ihr war… etwas. Was, konnte sie nicht sagen, doch es war ihr auch egal. Sie rannte trotz ihrer tauben Glieder los, auf das zu, was auch immer da war. Und plötzlich fiel die Kante vor ihr steil ab und sie gleich mit ihr. Sie stürzte ein bis zwei Meter in die Tiefe, genau konnte sie es nicht sagen, und sie wollte schreien, doch der Aufprall presste ihr jegliche Luft aus den Lungen. Schmerz explodierte in ihren geschundenen Rippen - nein, in ihrem ganzen Körper - ; beinahe verlor sie wieder das Bewusstsein.
Eine Weile lag sie reglos da, rollte sich dann auf die Seite, stemmte sich hoch und blickte geradewegs in vier Gesichter und auf eine Ansammlung von Ferienunterkünften hinter diesen. Ihre Sicht war verschwommen, ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt und da war es ihr auch egal, dass die Leute vor ihr Waffen trugen. Sie versuchte, sich mit unsicheren Schritten an ihnen vorbeizudrücken, doch eine der Gestalten packte sie an der Schulter und hielt sie fest. Vaylin hatte nicht genug Kraft, sich zu befreien, und sank bei dem Versuch nur gegen die rote Twi'lek. Diese war erst merklich überrascht, warf ihren drei Begleitern - dem Vernarbten, dem Dunkelhaarigen und einer blauen, auf einem Auge blinden Togruta - aber schließlich ein Grinsen zu. “Das war überraschend leicht”, sagte sie und sah dann auf die Holoscheibe in ihrer Hand, um das Mädchen neben ihr mit dem auf dem Holobild abzugleichen. “Sie ist es.” Der Vernarbte nickte. “Dann lasst uns gehen und das Kopfgeld für sie einkassieren. Bist ein ganz schönes Sümmchen wert, Kleine.” Letzteres sagte er an Vaylin gewandt.
Langsam realisierte die Schülerin, wen sie da vor sich hatte. Es waren die Kopfgeldjäger von Pantolomin; die beiden Männer und der Scharfschütze, der eine Scharfschützin war, wie sich nun herausstellte. Die Togruta hatte ein Scharfschützengewehr über der Schulter. Nur die Twi'lek kannte Vaylin nicht, doch sie vermutete, dass sie diejenige war, die ihren Absturz verursacht und dementsprechend in der Atmosphäre Pantolomins auf sie gewartet hatte.
Vaylin musterte ihre Verfolger eingehend, dabei entging ihr nicht, wie der Vernarbte sich die Seite hielt und dabei an dem Dunkelhaarigen lehnte, dessen Arm um die Hüfte seines Kollegen geschlungen war, um ihn auf den Beinen zu halten, obwohl er ebenfalls nur halb so stabil wie sicher sonst stand. Damit hatte Vaylin den endgültigen Beweis, dass sie den beiden Männern bereits gegenübergestanden hatte. Ihr entwich ein hysterisches Lachen und sie startete erneut einen Versuch, sich zu befreien, doch der Griff der Twi'lek war stark und sie selbst nicht bei ihrer vollen Stärke. “Ihr solltet mich besser gehen lassen”, drohte oder eher lallte sie. Dem Vernarbten entwich ein Schnauben. “Und warum sollten wir das tun? Du bringst uns eine hübsche Summe Geld ein. Wir wären schön blöd, uns die entgehen zu lassen.”
Ohne Vorwarnung fing Vaylin an zu schreien. “Hilfe, die wollen mich entführen! Helft mir doch!” Sie sah sich hoffnungsvoll nach irgendwelchen Touristen um und schrie immer weiter. “Ihr tut mir weh”, jammerte sie mit weinerlicher Stimme, ließ das Kind raushängen, das sie nie hatte sein dürfen und doch tief in ihr drin war. Die Twi'lek sah sie ungläubig an, spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sie so außer Gefecht zu setzen, dass sie den Mund hielt, und Vaylin grinste breit und beinahe boshaft, ehe sie wieder ihre Maske der Angst aufsetzte.
Schließlich erregte sie mit ihrem Geschrei tatsächlich die Aufmerksamkeit einiger Passanten, die ihr zu Hilfe kamen. Mit einer Hand versteckte sie ihr Lichtschwert unter ihrem Umhang und startete einen weiteren, wenn auch kläglichen Versuch, sich aus dem Griff der roten Twi'lek zu befreien.
“Nun lasst das Mädchen doch los”, sagte ein Tourist empört, sobald er mit seiner Begleitung die Gruppe erreicht hatte. Für ihn musste es so aussehen, als wäre Vaylin ein normales Mädchen, das widerrechtlich von den vier Kopfgeldjägern hier festgehalten wurde. Sie hoffte einfach darauf, dass ihr Bild nur an die einzelnen Kopfgeldjägergilden und nicht an die gesamte Galaxis weitergegeben wurde. Ihr Meister wollte sicher nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Und anscheinend war ihre Hoffnung berechtigt. Sie warf der Twi'lek einen Blick zu, der vermeintlich verängstigt war, in dessen Inneren jedoch etwas anderes, Bedrohliches schimmerte und verdrückte dann doch tatsächlich ein paar Tränen, um das Mitleid des Touristenpaars zu erregen. “Dieses Mädchen wird steckbrieflich gesucht. Vom Obersten Anführer der Ersten Ordnung”, sagte der vernarbte Kopfgeldjäger. “Und jetzt geht aus dem Weg.” Sein Tonfall wurde drohend und seine rechte Hand wanderte zu seinem Blaster.
Vaylin erkannte den exakten Moment, in dem der Mann und seine Begleitung bereit waren, umzudrehen und sie ihrem Schicksal zu überlassen, und Wut kochte in ihr hoch. Wut und Angst, echte Angst. Sie würde nicht zurückgehen. In ihrem jetzigen Zustand, in dem sie keinen Zugriff auf ihre Verbindung zur Macht hatte, konnte sie sich nicht gegen vier Kopfgeldjäger gleichzeitig wehren. “Nein, bitte”, wimmerte sie und sank auf die Knie, zwang die rote Twi'lek damit dazu, ihren Arm loszulassen. “Sie lügen! Ich habe nur Hunger und habe ihnen etwas Essen gestohlen. Meine Eltern… Sie haben mich einfach hier zurückgelassen. Sie wollten mich nicht.” Zumindest das war nicht gelogen. Ihre Mutter hatte sie zu sehr gefürchtet, um sie zu lieben.
Einer der Kopfgeldjäger hinter ihr schnaubte abfällig - er glaubte ihr kein Wort -, doch die Touristen taten es. “Lasst das Mädchen gehen”, sagte der zweite Mann, ein hochgewachsener Zabrak, der bisher nicht gesprochen hatte. “Wir können auch die Sicherheitsleute rufen und sehen, was die zu dem ganzen Theater hier sagen.” Er baute sich vor den vier Jägern auf, seine muskulösen Arme in die Hüften gestemmt. Um die Gruppe herum hatte sich bereits eine Ansammlung von Schaulustigen gebildet und die Einkaufsstraße hinunter liefen einige der besagten Sicherheitsleute.
Die rote Twi'lek stieß genervt die Luft aus und wollte protestieren, wurde jedoch von der blauen Togruta mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen gebracht. Diese zog Vaylin auf die Füße, ihr Griff glich Schraubstöcken, und sah dann in die Runde. “Na schön. Die Kleine ist den Ärger nicht wert. Aber sollten wir sie noch einmal beim Stehlen erwischen…” Sie ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und Vaylin verstand die Drohung dahinter. Diesmal war sie davongekommen, doch beim nächsten Mal würden sie sie ausliefern. Beim nächsten Mal wäre Vaylin jedoch nicht so schwach wie in diesem Moment. Sie nickte und sah die Togruta mit glänzenden Augen an. Die Umstehenden dachten sicher, es wäre wegen der Tränen, doch die Kopfgeldjägerin wusste es besser. Sie sah den puren Hass, die Herausforderung in diesen violetten Iriden. Sie stieß Vaylin von sich weg, sodass sie, entkräftet, wie sie war, auf die Knie fiel, und bedeutete den drei anderen dann, ihr zu folgen.
Erst, als sie weg waren, wagte Vaylin es, sich schwankend auf die Füße zu stemmen und hielt sich an einem ihrer Retter fest. Ihr Schädel und ihre Seite pochten, ihr war schwindlig, und die Schusswunden in ihrem Arm und ihrem Bein schmerzten noch stärker als zuvor. Sie musste sich ausruhen. Sie musste diesen verfluchten Planeten verlassen.
Sie machte einen Schritt, taumelte, und wurde sogleich von einer jungen Frau aufgefangen. “Na na, nicht so schnell. Du bist verletzt. Komm, ich bring dich zu meiner Unterkunft. Dort kannst du dich ausruhen.” Vaylin wollte protestieren - sie wollte einfach nur weg -, brachte aber keinen Ton heraus. Schwäche kroch in ihre Glieder, benebelte ihr Gehirn und sie sank in sich zusammen, gegen die junge Frau. Die Schmerzen waren inzwischen so stark, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte, und nicht mitbekam, wohin ihre Retterin sie brachte. Sie hörte nur wie durch Watte ihre Schritte im Schnee, sah eine ekelhaft grüne Tür und ein Sofa, auf das sie vorsichtig gesetzt wurde und auf dem sie sogleich kollabierte. Erneut umfing die Dunkelheit sie und wieder ließ sie es, entgegen der Alarmglocken, die in ihrem Kopf schrillten, zu. Sie wollte einfach nur schlafen.
Vaylin schreckte aus dem Schlaf auf. Ihre Glieder fühlten sich merkwürdig schwer an, ihr Körper war taub und ihr Gehirn seltsam unsortiert. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, wo sie war. Auf einem Sofa in einer ihr fremden Unterkunft. Die Geschehnisse vom Vortag prasselten auf sie ein und schnell versuchte sie, sich aufzusetzen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Erst schob sie es auf ihre Verletzungen. Dieser Gedanke zerplatzte jedoch, als sie merkte, dass sie keine Schmerzen spürte. Sie spürte gar nichts. Es war, als hätte sie keine Kontrolle über ihren Körper mehr. Panik kroch in ihr hoch und ein leises Wimmern entwich ihr. Erneut startete sie einen Versuch, sich zu rühren, und diesmal zuckte ihr kleiner Finger. Dabei blieb es jedoch auch. Ihre Beine bewegten sich keinen Zentimeter, ihre Zunge fühlte sich wie ein Stein an, den sie versehentlich verschluckt hatte, und noch immer war ihre Verbindung zur Macht tot. Vor… - wie lange war sie eigentlich schon hier? Vor einiger Zeit noch hätte sie das auf ihre zahlreichen Verletzungen geschoben. Die Schusswunden, ihre gebrochenen Rippen und ihren pochenden Schädel. Doch nun hatte es einen anderen Auslöser, das spürte sie. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag in die Magengrube und sie keuchte, was auch schon das einzige war, wozu sie fähig war. Sie war sediert und so weit unschädlich gemacht worden, dass sie keine Bedrohung darstellte. Zumindest vorerst. Wut kochte in ihr hoch, glühend heiß, und sie nahm sie nur allzu gerne an. Sie fühlte sich wie nichts zuvor so vertraut an, nach zu Hause an.
„Na na, kein Grund zur Aufregung”, erklang schließlich eine Stimme und hätte sie gekonnt, hätte Vaylin den Kopf gedreht. Doch eigentlich war es nicht nötig. Sie wusste, wer es war, die da sprach. Die junge Frau, die ihr geholfen und sie hergebracht hatte und die auch sogleich in das Blickfeld der Schülerin trat. Ein selbstgefälliges Grinsen lag auf ihren Lippen und wenn Vaylin könnte, würde sie ihr die Luft abdrücken und dabei zusehen, wie ihr jede Spur Arroganz vom Gesicht wich. Und sie würde es genießen.
Inzwischen hatte sich die Wut glühend heiß in ihrem Bauch festgesetzt, windete sich dort wie ein lebendes Wesen, das nur darauf wartete, auszubrechen. Ihr entwich ein Knurren und schließlich brachte sie doch ein paar Worte heraus: „Das war ein Fehler.” Noch war ihre Stimme leise, heiser, aber immerhin hatte sie wieder die Kontrolle über ihre Gesichtsmuskeln und ihren Mund. Die Frau schien davon nicht beeindruckt zu sein. „Ein Fehler? Das glaube ich nicht. Du bringst mir eine hübsche Summe Geld ein.” Genau, als sie das sagte, traten vier Gestalten aus einem Nebenraum. Die Kopfgeldjäger von vorhin. Vaylin spannte sich an und schluckte. Die Wut wurde durch Angst ersetzt, eiskalte Angst, die sich wie eine Faust um ihr Herz krallte und zudrückte. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu, wie die blaue Togruta der Frau einen Beutel Credits überreichte, der sofort in ihrer Tasche verschwand. Die Frau ging, ließ Vaylin mit den vier Kopfgeldjägerin zurück. Erst geschah nichts, dann zog die rote Twi’lek sie vom Sofa hoch. Beinahe knickten ihr die Beine weg, doch ein starker Arm hielt sie aufrecht und manövrierte sie zur Tür. Sie wollte die Füße in den Boden stemmen, sie wollte schreien, doch heraus kam nur ein erstickter Laut und ihre Glieder gehorchten ihr nicht.
„Ich gehe nicht zur Ordnung zurück”, sagte sie mit rauer, aber dennoch fester Stimme, sobald sie mit den vier Kopfgeldjägern auf die inzwischen leere Straße trat. Furcht triefte aus jeder ihrer Poren, ihrer Stimme und die blaue Togruta schüttelte den Kopf, während sie zu der Schülerin und der roten Twi’lek aufholte. Da lag etwas in ihrem blauen Auge, das Vaylin nicht ganz benennen konnte. Es sah beinahe aus wie… Verständnis? Nein. Sie musste sich irren. Ihr Gehirn war vermutlich einfach noch zu benebelt, um klar denken zu können. Wie sollte eine Person wie diese auch nur annähernd verstehen, wie sehr sie nicht zurückkehren konnte, ja, zurückkehren wollte? „Wir bringen dich nicht zur Ersten Ordnung”, entgegnete schließlich einer der Männer. „Es gibt noch andere, die an dir interessiert sind.” Erst flutete Erleichterung die Adern der jungen Vahla, wurde jedoch schließlich von Misstrauen abgelöst. Erst Misstrauen und dann wieder diese Angst, die in den letzten Tagen zu einem steten Begleiter geworden war. Sie schien sie nicht abschütteln zu können, genauso wenig wie die Wut. “Wer sollte denn noch Interesse an mir haben?” Ihre Frage verklang unbeantwortet zwischen den Häuserreihen und ihr entwich ein frustriertes Schnauben. Sie könnte diese Leute töten, nahezu mühelos, doch gab es da nur einen Haken oder eher zwei: Sollte sie ihr Lichtschwert auch nur anrühren, wäre sie vermutlich sofort tot. Und der zweite Haken war die Tatsache, dass ihre Verbindung zur Macht nach wie vor wie verstummt war. Was auch immer dieses Sedativum gewesen war, es war genau für Leute wie sie gemacht und vermutlich hatte die Frau, die ihr eigentlich hatte helfen sollen, von Anfang an gewusst, wer sie war.
Vaylin biss die Zähne aufeinander und griff nach ihrem Lichtschwert - war sie nunmal zu dem Entschluss gekommen, dass die Kopfgeldjäger sicher den Auftrag hatten, sie lebend zu übergeben und sie somit nicht töten würden. Es war noch da, beinahe wie durch ein Wunder, und sie atmete kaum hörbar, aber erleichtert ein. Sie schlang die Finger um den kühlen Griff, wollte es gerade vom Gürtel lösen, als sich die blaue Togruta zu ihr umdrehte. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, es war fast, als hätte sie die Gefahr gespürt, die von Vaylin ausging. Eilig ließ die Schülerin ihre Waffe los und zog den Umhang darüber, erwiderte den stechenden Blick der Kopfgeldjägerin und fragte, um von der Tatsache abzulenken, dass sie kurz davor gewesen war, ihre Waffe zu ziehen: “Also, wo bringt ihr mich hin? Wer bezahlt euch so viel, dass ihr die der Ersten Ordnung vorzieht?” Wieder erhielt sie keine Antwort.
Der Rest des Weges verlief schweigend. Vaylin hatte es aufgegeben, Fragen zu stellen, die ihr so oder so nicht beantwortet wurden, und nestelte stattdessen an ihrem Umhang herum oder kickte gelegentlich kleine Steine beiseite. Dabei traf sie nicht selten den Vernarbten am Bein, der inzwischen reichlich genervt aussah. “Wenn sie das weiterhin macht, bringe ich sie eigenhändig um”, knurrte er und fing sich damit einen warnenden Blick von seinem Kollegen ein. Beinahe sofort hob der vernarbte Mann die Hände, um zu signalisieren, dass er ja schon aufhörte, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher. Vaylin beobachtete die beiden eine Weile und ging dann dazu über, jedem von ihnen abwechselnd einen Stein gegen die Schuhe zu schießen. Ihr war langweilig, außerdem machte es Spaß, die Jäger zu ärgern. Sie waren noch immer nicht an ihrem Ziel angekommen und niemand sprach mit ihr - da musste sie sich ja irgendwie beschäftigen. Zudem wusste sie, dass der Vernarbte sie nicht töten würde. Sie war zu wertvoll. Und das fühlte sich ausnahmsweise mal gut an. Sie trat also erneut nach einem Stein, hielt jedoch inne, als sie geradewegs in den Lauf eines Blasters blickte. Vor ihr stand der Dunkelhaarige und neben ihm der Vernarbte. „Wir haben zwar den Auftrag, dich lebend zu übergeben, aber das heißt nicht, dass du auch unversehrt sein sollst”, drohte ersterer und in seinen Augen las sie, wie genervt er war. Dabei war er ihr immer wie der Ruhigere der beiden Männer erschienen, wie der ruhende Pol zu seinem vernarbten Kollegen. Da hatte sie sich wohl geirrt oder es war ihr schlichtweg gelungen, seinen Geduldsfaden reißen zu lassen.
Ein abfälliges und zugleich herausforderndes Grinsen legte sich auf ihre Lippen. „Na komm, versuch es doch.” Sie sah den Mann abwartend an, ihm entwich ein Knurren, doch bevor er auch nur irgendetwas tun oder sagen konnte, durchschnitt eine Stimme scharf wie eine Vibroklinge die Luft: „Kelvan, Seo, hört auf mit dem Kindergarten!” Es war die blaue Togruta. Sie war die ganze Zeit schweigend neben Vaylin und der roten Twi’lek hergelaufen, aber nun mischte sie sich ein. Ihr blaues Auge funkelte warnend. Das schien die Männer - Kelvan und Seo, wie Vaylin nun wusste - erst nicht weiter zu beeindrucken und der Vernarbte setzte zu einer Antwort an: „Aber sie hat…” „Kelvan…” Ein Wort, mehr brauchte es nicht und er verstummte. Ein Wort, in dem nun ganz klar eine Warnung mitschwang. Kelvan und Seo traten zurück, letzterer steckte seinen Blaster weg, und beide murmelten eine Entschuldigung. Vaylin sah zu der Togruta und dann zu der Twi’lek, die sie noch immer festhielt. Wenn sie sich nicht irrte, musste diese ein Grinsen unterdrücken. Sie sagte jedoch nichts. Wie es schien, wollte sie den Zorn der Scharfschützin nicht auch noch auf sich ziehen. Die Schülerin vermutete, dass das so besser war, denn sie spürte etwas in der Togruta, nun, da ihre Verbindung zur Macht langsam wieder zurückkehrte, bekam dieses Etwas jedoch nicht zu fassen.
Bis sie einen schlecht einsehbaren Hangar erreichten, ruhte ihr Blick also auf der einen Kopfgeldjägerin, wurde dann aber auf etwas anderes gezogen. In der Hangarbucht standen drei Schiffe. Ein Transporter, ein Z-95 Kopfjäger und ein Shuttle. Letzteres fesselte Vaylins Aufmerksamkeit. Auf dessen Seite prangte ein Emblem, das sie kannte. Es gehörte zur neuen Republik. Dem Widerstand. Sofort spannte sie sich an und spürte, wie der Griff der Twi’lek daraufhin nur fester wurde, als hätte sie Angst, Vaylin wagte eine Flucht. Doch sie war vielmehr wie erstarrt. Diese Kopfgeldjäger lieferten sie an die aus, von denen sie wusste, dass sie ihre Feinde waren. Das war ihr jahrelang eingetrichtert worden. Der Widerstand war nichts außer ein Haufen Verbrecher, der verhindern wollte, dass eine neue Ordnung in der Galaxis aufgebaut wurde und das, obwohl die Republik nach der Zerstörung von Hosnian Prime gefallen war. Sie hielten noch immer an diesem Vorhaben fest. Sie hatten hohe Verluste erlitten, waren auf Crait beinahe ausgelöscht worden und dennoch gaben sie nicht auf. Dumm, leichtsinnig, hoffnungslos. So hatten die Offiziere den Widerstand oder vielmehr das, was davon noch übrig war, und sein Unterfangen genannt. Und sie hatte es geglaubt, glaubte es immer noch. Wie sollte eine Gruppe ohne Unterstützung, ohne finanzielle Mittel eine Chance gegen die Erste Ordnung haben? Irgendwann hatte Vaylin angenommen, dass der Widerstand nicht mehr existierte, aber das tat er. Schließlich stand sie hier vor einem Schiff des Feindes. Sie verspürte den Drang, wegzulaufen. Weit weg. Ihr Meister wäre so enttäuscht, wüsste er… Bevor sie den Gedanken zu Ende führen konnte, wurde sie einfach mitgezogen. Diesmal jedoch nicht mehr von der roten Twi’lek, sondern von dem Dunkelhaarigen - Seo. Neben ihm lief der Vernarbte, vor ihm die Togruta und die Twi’lek blieb zurück, ging zu dem Z-95 Kopfjäger. Für einen Moment sah Vaylin ihr nach. Vielleicht machte sie ihr Schiff schon startklar oder sie ging dem Gespräch aus dem Weg. Vielleicht auch jemandem. Möglicherweise war sie auch nicht gut in Diplomatie und überließ das Reden lieber anderen.
Nun nur noch zu viert, kamen sie schließlich vor dem Shuttle zum Stehen, das langsam die Rampe herunterließ. Heraus trat eine Frau. Sie war menschlich mit heller Haut, Sommersprossen und grünen Augen, eher mittelgroß und komplett in schwarz gekleidet. Ihre Haare waren weiß, mussten aber mal rot gewesen sein und Vaylin schätzte sie auf ungefähr siebzig ein. Sie trug eine Pilotenbrille, die sie jedoch noch nicht vor ihre Augen gezogen hatte. Langsam kam sie näher. „Das ist sie?”, fragte sie und musterte Vaylin, ehe ihr ein „Sie ist ja noch ein Kind” entwich. Ihre ruhige Professionalität bröckelte, aber sie sammelte sich sogleich wieder und wandte sich den drei Kopfgeldjägern zu, die bisher nichts gesagt hatten. Nur einer der Männer hatte eine Augenbraue hochgezogen und die Togruta die Lippen aufeinandergepresst. Keiner von ihnen kommentierte die Aussage jedoch, obwohl sie vermutlich das Gleiche dachten. Vaylin war noch ein Kind, zumindest vom Alter her. Die Unschuld eines Kindes hingegen hatte sie längst verloren.
„Die Bezahlung wurde bereits überwiesen”, sagte die Pilotin und tauschte kurz Formalitäten mit den drei Jägern aus. Soweit Vaylin das mitbekam, fiel in keinem Satz, dass die “wertvolle Gefangene” machtsensitiv war oder ein Lichtschwert hatte. Dabei hatten die Togruta und die Männer beides mit eigenen Augen gesehen. Entweder vergaßen sie, dieses Detail zu erwähnen oder sie taten es absichtlich nicht. Wenn letzteres der Fall war, konnte Vaylin sich den Grund jedoch nicht erklären. Sie selbst schwieg, auch, als Seo sie losließ und ihr mit einem Stoß in den Rücken, der sie beinahe zu Boden schickte, aber allemal stolpern ließ, bedeutete, dass sie zu der Pilotin gehen sollte. Diese blieb noch einen Moment stehen. „Mir wurde gesagt, ihr kämet zu viert.” Die Kopfgeldjäger warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe der der Togruta zu dem Z-95 Kopfjäger wanderte, bei dem die Twi’lek vor wenigen Minuten noch gestanden hatte. Nun war sie verschwunden. Vaylin vermutete, dass sie bereits in ihrem Schiff wartete. Vielleicht ging sie der Pilotin aus dem Weg. „Der Plan hat sich geändert”, entgegnete Kelvan ruhig. „Nun solltet Ihr aber aufbrechen. Ihr wollt Eure Auftraggeber doch nicht warten lassen, Rapid.” „Natürlich nicht.” Die Pilotin wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen und da Vaylin sowieso keine Wahl hatte, folgte sie ihr ins Shuttle und weiter in eine Kabine. Sie sah sich um, drehte der Fremden den Rücken zu und war so nicht schnell genug, um den Betäubungsschuss abzuwehren oder ihm auszuweichen, der sie in den Rücken traf. Kurz darauf brach sie auch schon zusammen, spürte nur das protestierende Ächzen ihrer Rippen, ehe sie das Bewusstsein verlor.
Als sie wieder erwachte, befand sie sich in einer leeren Kabine, die nicht mehr beinhaltete als ein Bett, auf dem sie jedoch nicht lag. Sie lag auf dem Boden. Vermutlich hatte die Pilotin sich nicht die Mühe gemacht, sie auf das Bett zu legen. Oder es war ihr mit ihren siebzig Jahren einfach nicht gelungen. Kurz lachte sie bitter, doch das reichte aus, um einen stechenden Schmerz durch ihren Kopf zu schicken.
Ihr Schädel brummte, aber immerhin konnte sie sich problemlos aufsetzen - wenn sie das Stechen in ihrer Seite ignorierte. Eilig tastete sie sich ab und ihr Lichtschwert war noch da, unter ihrem Umhang verborgen. Der Macht sei dank.
Sie stand auf und ein leises Stöhnen entwich ihr, als sie einen Fuß vor den anderen setzte, um an das kleine, runde Fenster zu treten, an dem die blauen Streifen des Hyperraums vorbeizogen. Es war wunderschön. Für einen Moment vergaß sie tatsächlich, wie sehr ihr ganzer Körper schmerzte und wohin sie unterwegs war. Letzteres holte sie jedoch schnell wieder ein, war wie ein Schlag in die Magengrube. Sie war auf dem Weg zum Widerstand, zum Feind. Und sie konnte den Gedanken nicht unterdrücken, dass sie ihren Meister damit enttäuschte. So wie immer schon.
Hey,
Hier ist nach Ewigkeiten das dritte Kapitel. Ich hatte mal wieder eine Schreibblockade.
Anyway, ich hoffe, das Kapitel gefällt euch.
LG,
Cherriecookie14
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