Zusatzkapitel

August 1840, Linnville

Mukwooru tauchte Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand in die schwarze Farbe. Eine weitere Siedlung der verhassten Eindringlinge lag einen kurzen Ritt entfernt. Er sah hoch zum Himmel, noch dunkel von der schwindenden Nacht. Schon bald würde die Morgenröte über das Land hereinbrechen, so wie die Krieger über die hellhäutigen Siedler. Er spuckte vor sich auf den Boden. Diese widerwärtigen von Gier getriebenen Menschen, die sich einbildeten, dass alles ihnen gehörte, sowie sie einen Fuß darauf setzten. Ohne Respekt für Pflanzen, Tiere oder die Mitglieder der verschiedenen Stämme.

Eine Friedensdelegation hatten sie getötet, die zu ihnen in das große Dorf San Antonio gekommen war. In ihrer Mitte eine Gefangene, die sie den Siedlern zurückbrachten. Doch statt Verhandlungen gab es Tod und Hass. Selbst vor dem Töten von Frauen und Kindern waren sie nicht zurückgeschreckt. Es war an der Zeit, dass man sie vertrieb.

„Reiche Beute wartet auf uns." Ein Krieger, dessen Ehefrau und Söhne sie auf dem Raubzug begleiteten, trat zu ihm. Mukwooru setzte die Finger mit der Farbe an der Schläfe an, führte sie über seine Augenpartie zur anderen Seite, wie er es bei seiner Visionssuche gesehen hatte. Er seufzte innerlich. Die Waren der Eindringlinge begehrte sein Herz nicht. Es verlangte nur nach ihrem Tod, für die Krankheiten, die sie über sein Volk brachten.

„Die Späher berichteten, dass sie eine große Herde Pferde besitzen", fügte ein anderer Krieger hinzu. „Vielleicht erwischen wir auch ein paar von ihren Frauen. Dann nehmen wir Rache für das, was sie Frauen unseres Volkes angetan haben."

„Das mag sein. Ich ziehe es dennoch vor, die weißen Frauen zu töten, statt mich mit ihnen zu vergnügen. Wer weiß schon, was sie noch für Krankheiten anschleppen." Ein schneller Tod war obendrein barmherziger für sie. Nie im Leben würde er eine Frau zwingen. So wie die widerwärtigen Siedler oder seine Stammesbrüder, um ihre Rachegelüste zu befriedigen. Das war in seinen Augen der falsche Weg. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Eindringlinge zu verjagen. Je mehr starben, desto eher würden sie dorthin zurückkehren, woher sie kamen. Mukwooru atmete tief durch. Er war bereit, so viele Feinde wie möglich zu töten. Nur keine Kinder. Deren Blut würde niemals an seiner Lanze oder seinem Beil kleben.

Missmutig sah er sich um. Der Kriegsschrei seiner Brüder hatte die Weißen aus ihrem Heim vertrieben. Ihm wäre ein leiser, verstohlener Angriff lieber, um sie zu überraschen. Ihre Schreie gaben dem Feind Zeit, zu fliehen, sich zu verstecken und dann aus dem Hinterhalt anzugreifen. Sie stellten sich nicht dem Kampf wie die Krieger der Prärie, sondern stießen ohne Vorwarnung zu wie der Skorpion. Mukwooru lehnte sich an das Holz, schaute dabei zu, wie einer der Männer die Waffe des Siedlers vom Tisch packte. Der feige Hund hatte sie zurückgelassen, in seiner Eile vergessen. Weit gekommen war er nicht. Sie hätten die Flucht bemerkt. Wo hielt er sich auf?

„Kommt, hier gibt es nichts zu holen." Sein Freund packte das sparsam brennende Licht, das harmlos in seiner Hülle aus Metall und einem durchsichtigen Material flackerte, und warf es in der Mitte der Bleibe auf den Holzboden. Es zersprang. Kleine Flammen stoben wie aus einer Falle befreit umher, fraßen sich durch das Holz wie gierige, stetig wachsende Käfer. Mukwooru folgte der Gruppe nach draußen. Die Krieger sprangen auf ihre Ponys, eilten zu dem großen Dorf weiter. Er blieb zurück, suchte mit Blicken die Umgebung ab. Ein dichter Strauch, ein geeignetes Versteck. Bewegte sich dort etwas? Er kniff die Augen zusammen, wartete ab. Eine schlanke Person mit langen Haaren, die wie die Blütenblätter einer Prärieblume in der Morgensonne leuchteten, kroch aus dem Gestrüpp heraus. Kein Kleid, wie die Frauen seines Stammes, sondern diese seltsamen Beinkleider der weißen Männer. Ein Jüngling womöglich. Noch hatte dieser ihn nicht entdeckt. Mukwooru schnaubte. Hatten dessen Vater ihn nicht gelehrt, wie man sich vor Feinden versteckte? Wie man dafür Sorge trug, dass man unentdeckt blieb?

Der Junge wandte sich ihm langsam zu, verharrte einen Moment regungslos. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er sprang auf und flüchtete Richtung Fluss. Womöglich hoffte er, sich dort vor ihm zu verstecken. Mukwooru stieß seinen Kriegsschrei aus und trieb sein Pony hinterher. Der Skalp des Jünglings gehörte ihm. Der Fliehende warf einen Blick zurück über die Schulter. Der Krieger grinste. Seinem Gegner war die Ausweglosigkeit in dieser Situation bewusst. Der Feind bremste ab, drehte sich um und wartete auf ihn. Zumindest kein Feigling. Mukwooru schwang seine Streitaxt. Sein Widersacher duckte sich im letzten Moment, packte ihn am Arm und riss ihn vom Pferd.

Der Krieger blieb einen Augenblick benommen liegen. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Kopf, als ob er auf einem Stein gelandet war. Nur verschwommen nahm er den Jüngling wahr, der mit erhobenem Arm auf ihm hockte. Mukwooru atmete tief durch, seine Sinne klärten sich. Er musterte seinen Gegner. Sanfte Gesichtszüge über ihm. Eine Frau! Eine hübsche junge Frau. Die ein Messer in der Hand hielt. Seine Miene verfinsterte sich. Die Weiße zögerte und schaute kurz zur Seite. Sie schien zwischen der Entschlossenheit, ihn zu töten, und dem Drang, wegzulaufen, zu schwanken. Wieso wirkte sie wie erstarrt?

Ein Rasseln drang an seine Ohren. Eine Warnung, sich nicht hastig zu bewegen. Eine Klapperschlange. Wenigstens war die Weiße so vernünftig, sich nicht zu rühren. Es wäre ein Leichtes für ihn, sie zur Schlange zu stoßen und zuzuschauen, wie das Gift sie langsam tötete. Doch es entsprach nicht dem, was er gelernt hatte.

Die Stimme eines Mannes drang zu ihm durch. Wörter in einer fremden Sprache. Er redete, wie es schien, beruhigend auf sie ein. Mukwooru wunderte sich nicht darüber, dass der Weiße ihn nicht angriff. Verstorbene konnten nichts in der Welt der Lebenden ausrichten. Was ihn mehr erstaunte, war, dass die Frau den Alten sah. Wieso hatte sie seine Gabe? War es ein Zeichen der Geister?

Die Klapperschlange drohte erneut. Gleichzeitig sahen sie auf das Reptil. Der Weiße verschwand. Die junge Frau schaute schwer schluckend zu Mukwooru. Sie fürchtete ihn, doch dafür gab es keinen Grund mehr. Er war überzeugt, dass sie einander nicht grundlos begegnet waren. Das würde sie noch begreifen. Er legte eine Hand auf ihren Oberschenkel, führte sie weiter zu ihrem Rücken. Wie verdeutlichte er ihr, dass sie sich kleinmachen sollte, damit die Schlange sich beruhigte? Mit den Fingerspitzen fuhr er die unebene Haut nach. Narben, von einer großflächigen Verletzung. Woher stammten sie? Nachdenklich betrachtete er die Frau. Die Lippen aufeinandergepresst und die Augen zusammengekniffen sah sie ihn finster an. Sie warf abermals einen Blick auf das Reptil neben ihnen. Mukwooru übte mit der Hand leichten Druck auf ihren Rücken aus. Verstand sie die stumme Aufforderung oder würde sie ihrer beider Leben riskieren, indem sie aufsprang?

Die Frau gehorchte, beugte sich immer weiter vor, bis ihr Oberkörper seinen berührte. Erleichtert atmete er aus, packte sie am Nacken und presste sie an sich. Ihr Atem streichelte sanft seinen Hals. Sie hatte sich aus freiem Willen für ihn entschieden. Ab diesem Moment gehörte sie ihm. Er würde sie schützen, nähren und als ein neues Stammesmitglied heimbringen.

Amüsiert beobachtete er, wie seine Freunde das Dorf der Weißen plünderten. Eine wertvollere Beute als die seine würden sie nicht finden. Die Frau gefiel ihm. Sie weinte nicht, schrie nicht, schlug nicht um sich. Als ob sie spürte, dass sie einander ähnlich waren.

Mit Verachtung bemerkte er, dass Krieger die Rinder der Feinde quälten. Eine sinnlose Tat. Die Weiße presste die Hände auf ihre Ohren, um das Schreien der Tiere nicht zu hören. Mukwooru legte den Arm um sie, zog sie sanft an seine Brust, um ihr zu zeigen, dass er sie beschützte. Doch als sie sah, wie ein Mann getötet wurde, schnappte sie angsterfüllt nach Luft, ihr Körper zitterte. Er hatte keine andere Wahl, musste sie zur Ruhe zwingen. Vorsichtig drückte er ihren Hals, damit sie sich nur auf ihre Atmung konzentrierte, den Kampf um sich herum vergaß. Sie bohrte die Fingernägel in seine Hand, kratzte ihn, kämpfte gegen den Griff an, doch er hielt sie mit Nachdruck fest.

Die Frau lehnte sich an, ihr Brustkorb hob sich langsamer, nicht mehr so ruckartig wie zuvor. Sie begriff, dass er ihr half. Er lächelte versonnen, schlang seinen Arm erneut um ihren schlanken Körper, der bald unter ihm auf den Fellen liegen würde. Sie gehörte ihm. Er würde sie vor allem schützen.

Sein Hengst führte sie zu einem großen Gewässer. Das andere Ufer war zu weit entfernt, außerhalb der Sicht des Kriegers. Verwirrt atmete er die würzige Luft ein. Was war das? Umfangreicher als der größte See, den er je gesehen hatte. Eine Wildheit verströmend wie nur weniges, das er kannte. Die Frau vor ihm entspannte sich, schien den Anblick zu genießen. Mukwoorus Herz stolperte aus dem Takt. Sie holten im Gleichklang Luft. Er lehnte seine Schläfe an ihre. Sie waren einander ähnlich, deswegen hatten die Geister sie zusammengeführt.

Schreie lenkten ihn ab. Ein alter Weißer, dessen Haare wie bei einem Baumstachler von seinem Kopf abstanden, watete durch das seichte Wasser auf einige Krieger zu, wild schreiend. War der Mann verrückt? Bewegungslos sah er zu, wie ein Comanche auf den Feind zuritt, sich einen Coup holte, bevor er zurück in das Dorf der Siedler preschte, seine Freunde ihm folgend. Mukwooru entschied sich, diesen Ort zu verlassen.

Wohlwollend stellte er fest, wie viele Holzbauten der verhassten Fremden bereits brannten. Es sollte sich für sie nicht lohnen, das Dorf aus Holz wieder aufzubauen. Sein Anteil an der Vernichtung war erschreckend gering, hatte er sich nur auf die Frau in seinen Armen konzentriert. Er ritt weiter, weg von dem Durcheinander. Sein Herz sehnte sich nicht mehr danach, Tod und Zerstörung zu bringen. Bei einer Fläche hielt er sein Pferd an. Krieger rissen Gebilde aus Holz aus der Erde, warfen sie achtlos zur Seite. Mukwooru knurrte leise. Die Männer störten die Ruhe der Toten.

„Sagtest du nicht, dass du die weißen Frauen lieber tötest, als dich mit ihnen zu vergnügen?" Der Freund grinste spöttisch, streckte den Arm aus, um die Haare der Frau zu berühren. „Sie ist ansehnlich für eine Fremde. Teilst du sie mit uns?"

„Nein, sie wird lernen, sich wie eine Frau unseres Volkes zu verhalten. Sie ist klug und mutig." In dem Moment schlug sie dem neugierigen Krieger auf die Hand. Mukwooru lachte laut auf, unterstrich sie mit der Geste seine Worte.

„Diese wird dir mehr Arbeit machen, als sie wert ist", brummte der Freund. Er sah zu einer Gruppe, die sich ihnen näherte, dann zurück zu ihr. „Es wundert mich nur, wie ruhig sie bleibt. Sie ist besonnener als die anderen fremden Frauen. Du solltest sie fesseln, sonst wird sie versuchen zu fliehen." Er folgte einigen Kriegern, die zum Lager aufbrachen. Mukwooru schüttelte den Kopf. Die Weiße würde schnell begreifen, dass eine Flucht unmöglich war. Er wendete seinen Rappen, erlaubte der Frau einen letzten Blick auf die Zerstörung, an der er keinen Anteil hatte. Ihretwegen.

Es war der Wunsch der Geister, dass sie in ihm einen Mann fand, der für sie sorgte. Er ließ seine Finger über ihren Bauch gleiten. In nur wenigen Monaten würde sich dieser runden, als Zeichen, dass sie den gemeinsamen Sohn unter ihrem Herzen trug. Wie lange konnte es schon dauern, bis sie verstand, dass sie zueinander gehörten?

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Tja, wie lange konnte das schon dauern? Zu diesem Zeitpunkt hat der Gute noch nicht mit ihrem Dickkopf gerechnet.

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