Kapitel 25
Spätsommer 1840, Comanchería, Texas
„Kuutsu! Kuutsu!" Zwei junge Krieger preschten auf ihren Ponys an ihnen vorbei. Während Jette den Männern stirnrunzelnd hinterher sah, packte Ebi freudestrahlend ihre Sachen zusammen. Die Comanchefrau signalisierte mit Handzeichen, ihr zu folgen. Die Menschen im Dorf eilten alle zum Zelt des Häuptlings. Was bedeutete das Wort? Es musste etwas Wichtiges sein. Angreifer schloss sie aus, dafür waren sie zu aufgeregt, im positiven Sinne. Überall strahlende Gesichter. Angestrengt lauschte sie den Gesprächen um sich herum. Stand eine große Jagd an? Das würde die Aufregung erklären. Ihre Augen weiteten sich. Es ging garantiert um eine Büffeljagd. Das Fleisch der Tiere und ihre Felle, selbst ihre Knochen und Sehnen wurden genutzt und halfen den Comanchen beim Überleben. Brachten die Krieger an anderen Tagen eine Gabelbockantilope mit, würde eine Bisonjagd jeder Familie eine Vielzahl an erlegten Tieren bescheren.
Einige Zeit später herrschte ein aufgeregtes Treiben im Dorf. Frauen bauten Travois zusammen und banden diese an Packpferde. Die Männer und eine Handvoll älterer Jungen bereiteten sich auf die Jagd vor. Sorgfältig kontrollierten sie die Jagdbogen und Pfeile, die sie benötigten. Aus der Pferdeherde holten die meisten nicht ihre Tiere, die Jette während des Kriegszugs gesehen hatte, sondern andere. Sie vermutete, dass diese besser für die Bisonjagd geeignet waren. Kriegspferde wurden bei den Sioux anders genutzt als Jagdpferde, hatte sie mal gehört. Womöglich traf das ebenso auf die Comanchen zu, die als die besten Reiter der Prärie galten.
Erstaunt schaute Jette zu Mukwooru und dem Pony, das er am Zügel führte. Eine robuste Fuchsstute mit einer zotteligen Mähne und einem Stern auf der Stirn. Das Mädchen verkniff sich ein Grinsen, als sie den Schweif sah. Dieser war voller Kletten und getrocknetem Schlamm. Sie kannte diese Art Pferd. Nicht nur, dass sie sich gern in Dreck wälzten, nein, sie hatten meist ein feuriges Temperament. Es gefiel ihr, dass der Comanche ihr diese Stute anvertraute. Er vertraute auf ihre Reitkünste und darauf, dass sie keinen Fluchtversuch unternahm. Eine andere Erklärung für sein Verhalten gab es nicht.
Mukwooru hob sie auf den Pferderücken. Jette schnaubte empört. Sie hätte locker selbst aufspringen können. Mittlerweile sollte er wirklich wissen, dass sie reiten konnte. Mit hoch erhobenem Kopf sah sie ihn an, erntete dafür nur ein Schmunzeln. Es war warm an ihrem Oberschenkel. Sie schaute hin und runzelte die Stirn. Wie lange lag seine Hand bereits da? Die vergangenen Tage hatte er sie nicht berührt, seitdem er sie davon abgehalten hatte, sich selbst zu verletzen. Mit Unterstützung seiner Großmutter. Manchmal sah sie die beiden miteinander reden, doch ansonsten schien die alte Frau zu keinem Dorfbewohner Kontakt zu pflegen. Sie konnte nicht den Finger drauflegen, aber etwas war an der Sache seltsam.
Ihre Überlegungen wurden von Ebi unterbrochen, die auf einem Pony reitend mit zwei Packpferden neben ihr auftauchte. Tabukina saß vor ihrer Mutter und hatte die Hände in der Pferdemähne vergraben. Das kleine Mädchen genoss die Aufregung um sie herum. Ihre Augen funkelten vor Freude und ihre Wangen glühten ein wenig. Trotz ihrer dunklen Hautfarbe erkannte Jette die Rötung.
Die Krieger trieben ihre Pferde an. Mukwooru saß mit geradem Rücken auf seinem rabenschwarzen Hengst. Der Comanche drehte sich zu den Frauen um, sein Blick traf auf den ihrigen. Wie hypnotisiert starrte sie ihn an, unfähig den Blickkontakt zu beenden. Jette schluckte. Wieso zog dieser Mann sie immer wieder in seinen Bann, und warum war er verheiratet? Das Leben war nicht fair.
Die Karawane der Indianerinnen setzte sich gemächlich in Bewegung. Einige trugen wie die Krieger Köcher und Bogen und schauten misstrauisch zu ihr herüber. Ihr Magen verkrampfte. Sie hatte nicht vorgehabt, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Wenn, dann wartete sie lieber darauf, freigekauft zu werden. Alleine durch die Comanchería zu reiten, den Gedanken hatte sie verworfen. An Mukwoorus Pony kam sie nicht heran. Die Hütejungen behielten sie argwöhnisch im Auge und Huutsi tauchte ebenfalls regelmäßig bei der Herde auf, wenn Jette nach getaner Arbeit die Tiere beobachtete. Das vereitelte ihre Pläne. Andererseits. Sie schaute auf die Mähne der Fuchsstute. Vielleicht würde sie mit Hilfe der Stute entkommen können. Ihr Magen beruhigte sich und sie lächelte versonnen, als sie vom Dorf wegritten. Alles, was sie brauchte, war, den richtigen Moment abzupassen.
Von einer Anhöhe aus sahen sie zu, wie die Krieger mit Pfeil und Bogen oder mit der Lanze die majestätischen Tiere erlegten. Dabei achteten die Männer darauf, dass die Bisons nicht in Richtung der Frauen abschwenkten. Jette beobachtete, wie einzelne Büffel ausbrachen und entweder wieder zur Herde abgetrieben oder getötet wurden. Der Boden der Prärie bebte von den stampfenden Hufen. Eine donnernde Masse, die sich fortbewegte. Sie wunderte sich, dass die Pferde so brav auf ihre Reiter reagierten und sich zwischen die schweren Wiederkäuer trauten, die ihnen mit ihren Hörnern die Leiber aufschlitzen konnten.
Nervös hielt sie nach Mukwooru Ausschau. Fasziniert sah sie, wie sein Hengst die Bewegungen der Beute selbst einzuschätzen schien und seinen Reiter in die beste Position zum Schießen brachte. Mensch und Tier handelten als Einheit. Wieder preschte der Rappe wie von unsichtbarer Hand gelenkt an einen Büffel heran. Der Krieger spannte erneut seinen Bogen. Der Pfeil bohrte sich in die Flanke des Jungbullen, der noch einige Schritte vorwärts stolperte, bevor er zusammenbrach. Für einen Moment empfand Jette Mitleid mit dem Jungtier. Ein einziger Schuss reichte, um sein junges Leben zu beenden. Wie alt wurden Bisons, wenn man sie nicht jagte? Sie schüttelte den Gedanken ab. Nicht hilfreich in dieser Situation. Die Jagdbeute sicherte das Überleben des Stammes und die Jagd war ethischer als das unpersönliche Töten in modernen Schlachthöfen.
Als die Sonne den Zenit längst überschritten hatte, ritt Jette zum dritten Mal mit einem Packpferd zum Dorf, um das von Ebi zerteilte Fleisch und die Büffelhäute abzuliefern. Der Schweiß rann in kleinen Bächlein von ihrem Haaransatz den Nacken und den Rücken hinunter. Sie sehnte sich nach einem erfrischenden Bad im Fluss, doch die Arbeit wartete auf sie. Bis zum Abend hatte sie genug zu tun. Aller Wahrscheinlichkeit nach auch am darauffolgenden Tag. Außer, sie setzte ihr Vorhaben in die Tat um. Verstohlen sah sie sich um. Zwei weitere Frauen ritten mit Jagdbeute zurück, beobachteten sie mit undurchdringlicher Miene. Jette seufzte. Ein Fluchtversuch war im Moment sinnlos. Eine der Indianerinnen war mit Pfeilen und Bogen bewaffnet. Abgesehen davon saß Tabukina vor ihr auf der Fuchsstute, weil die Kleine die Mutter zu sehr gestört hatte. Wenn Jette es richtig verstanden hatte, sollte sie das Mädchen bei Mukwooru abliefern, der sich wie alle Männer direkt nach der Jagd verzogen hatte. Sie schnaubte empört. Groll regte sich in ihrem tiefsten Inneren. Was bildeten die Kerle sich ein, die Frauen mit der ganzen Arbeit alleinzulassen? Sie trieb die Stute schneller zu den Zelten. Ebi zählte auf sie.
Mit zusammengekniffenen Lippen sprang sie vom Pferd, hob Tabukina herunter und drückte sie ihrem verdutzt dreinschauenden Vater in den Arm. Schweigend lud sie das Fleisch vom Travois und brachte die Nahrung ins Zeltinnere, wo sie es zu den vorherigen Ladungen auf den frischen Tierhäuten stapelte. Sie rümpfte die Nase. Hygienisch konnte man diesen Umgang mit Nahrungsmitteln nicht gerade nennen. Wie hatte die Menschen weltweit es nur bis zur Erfindung des Kühlschranks überlebt? In einigen Regionen lebten nach wie vor Stämme nomadisch oder fernab jeglicher Zivilisation. Dennoch starben sie nicht an Lebensmittelvergiftungen. Kaum vorstellbar unter diesen Umständen.
Jette schlüpfte in gebückter Haltung zurück nach draußen. Gleißendes Sonnenlicht traf auf ihre müden Augen. Sie blinzelte einige Male, dann verschwand es. Etwas, oder besser jemand, versperrte ihr den Weg. Eine warme Männerhand packte sie am Oberarm, hinderte sie am Ausweichen. Was wollte er jetzt wieder von ihr? Ebi wartete auf ihre Rückkehr, da hatte sie keine Zeit für Mukwoorus Spielchen. Und wo steckte Tabukina? Schaffte er es nicht einmal für wenige Augenblicke, auf seine Tochter aufzupassen? Jette stieß frustriert die Luft aus. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Suchend sah sie sich nach dem kleinen Mädchen um.
„Topsannah." Mehr verstand sie von dem Schwall fremder Wörter nicht. Erst bei dem Namen von Ebis Tochter richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Krieger. Er wies zwischen zwei Zelten hindurch. Jette atmete erleichtert aus, als sie den vertrauten Haarschopf bei anderen Kindern sah, die gebannt einem älteren Comanchen zuhörten. Sie wandte sich wieder Mukwooru zu, der ihr noch immer den Weg zur Stute versperrte. Dieser Kerl war anstrengender, als einen Sack Flöhe zu hüten!
„Mukwooru!" Er drehte sich zu dem Krieger um. Jette nutzte den Augenblick und sprang auf ihr Pferd. Sie warf einen Blick zurück. Ihr Kidnapper, zu dem sich ein älterer Comanche gesellte, sah ihr stirnrunzelnd hinterher. Galle schoss ihre Kehle empor. Wie lange würde er ihr diese Freiheiten lassen?
Zwei weitere Male kehrte sie mit Ladungen Fleisch zurück. Keuchend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Arme und Schultern brannten. Jeder Muskel in ihrem Körper vibrierte von den Strapazen. Sie schielte Richtung Gewässer. Ein erfrischendes Bad, um den Dreck von der Haut zu spülen. Vor allem der metallische Geruch des Blutes haftete an ihr. Ebi erging es nicht besser. Deren Kleid erinnerte Jette an die Schürze eines Schlachters, der den gesamten Tag mit der Schlachtung und Ausweidung von Schweinen verbracht hatte. Obwohl, so ähnlich war die Tätigkeit der Frauen nach einer Büffeljagd.
„Ebi?" Jette wies mit einer Kopfbewegung zum kühlenden Nass. Die Comanchin nickte zustimmend. Dunkle Augenringe gaben ihr ein fast gespenstisches Aussehen. Sie hatte sich abgerackert, alle von ihrem Mann erlegten Tiere bearbeitet, doch nicht einmal ein Lächeln hatte sie zum Dank erhalten. Jette schüttelte den Kopf. Der Krieger behandelte seine Ehefrau wie eine Sklavin. Zwar spielten sich auch andere Comanchen gegenüber ihren Frauen auf, stolzierten wie Gockel durch das Lager, doch keiner war so abweisend, so herzlos wie Mukwooru. Welche Beweggründe hatte er für sein Verhalten?
Lachend kehrte die Gruppe Frauen vom Bad im Fluss zurück ins Dorf. Die Abenddämmerung legte einen rötlichen Schimmer über die weite Prärie. Jette schüttelte ihre müden Glieder, rollte den Kopf, um ihren schmerzenden Nacken zu lockern. Die Comanchefrauen schienen endlich sämtliche Vorbehalte ihr gegenüber abgelegt zu haben. Selbst die, die sich zuvor geweigert hatten, mit ihr zu sprechen, waren zu Scherzen aufgelegt. Sie war kein vollwertiges Mitglied des Stammes, doch wurde sie zumindest nicht mehr als Gefangene betrachtet. Sie atmete erleichtert durch. Ihr rücken straffte sich merklich, schien eine schwere Last zu verlieren.
„Topsannah." Mukwooru drückte Jette eine gähnende Tabukina in die Arme. Die Augen des kleinen Mädchens fielen vor Erschöpfung fast zu, auf ihren Wangen lag ein rötlicher Schatten. Ebi wollte ihr das Kind freudestrahlend abnehmen, die Tochter an sich drücken. Ein finsterer Blick des Kriegers und die Comanchin huschte zur Feuerstelle, um Essen zuzubereiten. Wieder brodelte es in Jette. Hitze stieg in ihr auf, kochte in ihren Adern, färbte ihre Wangen rot. Was war ihr Kidnapper doch für ein Arsch! Seine Frau hatte den Großteil der Arbeit verrichtet und bekam nicht einmal ein Lächeln dafür, das er stattdessen Jette schenkte.
Zufrieden wandte der Krieger sich zum Gehen. Verstohlen sah sie sich um. Niemand beachtete sie. Jetzt oder nie! Sie packte Mukwooru am Arm und drückte ihm Tabukina hinein. Dann wies sie resolut auf das Zelt der Familie, bevor sie zu Ebi lief, um ihr zu helfen. Sollte er seine Tochter mal schön selbst ins Bett bringen. Vorsichtig linste sie zu ihm und stellt schmunzelnd fest, dass der Comanche sie mit geöffnetem Mund und einer in Falten gelegten Stirn betrachtete. Schulterzuckend wandte er sich ab und trug das Kind ins Zeltinnere. Seine Frau kicherte leise. Jette hatte das Gefühl, fünf Zentimeter zu wachsen. Dem Mistkerl brachte sie noch Manieren bei!
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