Kapitel 23


Ebi, so hieß die Ehefrau von Mukwooru, zeigte auf einen kleinen bunten Vogel, der in den Zweigen eines Busches herumhüpfte. Dann tippte sie sich selbst auf die Brust und wiederholte ihren Namen. Jette verstand. Irgendwie waren viele der Frauen und Mädchen bei den Comanchen nach Tieren oder Pflanzen benannt. Fasziniert sah sie wieder zu dem Singvogel, dessen Oberseite leuchtend blau, die Brust kastanienbraun und der Bauch weiß gefärbt waren. Zu gern würde sie wissen, wie man ihn auf Deutsch nannte. Sie schaute zurück zu Ebi. So ganz passte der Name nicht zu der Indianerin, deren rundes Gesicht sie eher an einen Vollmond erinnerte. Nicht an einen agilen kleinen Vogel.

Tabukina, das etwa drei Jahre alte Mädchen, wie Jette mittlerweile erfahren hatte, hüpfte fröhlich um sie herum. Passend zu ihrem Namen, der Rabbit bedeutete. Der Lendenschurz flatterte dabei im Wind. Einige kleine Jungen liefen vorbei. Die Rothaarige schmunzelte. Entgegen ihrer Vermutung waren es die Mädchen, die Lendenschurze trugen. Die Jungs liefen bis zu einem gewissen Alter nackt herum. Wehmütig dachte sie wieder an das Kind in San Antonio, dessen Mutter durch Clayton den Tod fand. Die Kleine hatte ein Kleid getragen. Warum eigentlich? Hatten die Eltern gewusst, dass es bei den Weißen unschicklich war? Dass für diese Nacktheit verpönt war? Ihre Adoptivmutter würde hier ebenfalls einen Schock bekommen, dachte Jette kichernd. Den seltsamen Blick, den Ebi ihr zuwarf, ignorierte sie.

Zusammen liefen sie zurück zum Zelt. Seit der Ankunft vor zwei Tagen hatte es keinen weiteren Angriff auf sie gegeben, dennoch hielt das Mädchen die Frauen in ihrer Umgebung argwöhnisch im Auge. Die Männer blieben auf Abstand. Sie wusste nicht, ob es an dem gefiederten Krieger lag, der nun ohne Kopfschmuck genauso herumlief wie die übrigen Comanchen. Oder ob jemand anderes etwas gesagt hatte, das für ihre Sicherheit sorgte. Vielleicht war es auch ihr Entführer selbst gewesen, bevor er durch seine entzündete Wunde zusammenbrach, doch niemand schien sie dafür verantwortlich zu halten, wie sie zuerst befürchtet hatte.

Mukwooru. Die Behandlungsmethoden des Medizinmannes halfen, denn das Fieber war gesunken. Dennoch lag der Krieger noch geschwächt im Zelt. Jette griff den Wasserbehälter, den sie am Fluss gefüllt hatte, noch fester, als sie ins dunkle Innere trat. Ihr Entführer hatte sich aufgesetzt, lehnte an einer Rückenlehne und beobachtete jede ihrer Bewegungen.

„Topsannah." Er winkte sie zu sich heran. Was wollte er von ihr? Fragend schaute sie zu ihm, entdeckte wie seine Mundwinkel leicht nach oben zuckten. Seine Augen waren nicht mehr verschleiert, sondern blitzten wieder vergnügt auf, so wie sie es von ihm gewöhnt war.

„Hibi." Sie atmete durch. Er wollte nur etwas trinken. Sie lief gebückt zu seinem Platz, reichte ihm den Wasserbehälter und wollte sich wieder zurückziehen. Doch der Krieger schloss blitzschnell seine Hand um ihren Arm und zog sie an seine Seite. Mit einem leisen Schrei landete sie neben ihm auf den Fellen. Verwirrt sah sie ihn an. Grinsend strich er ihr eine widerspenstige Haarsträhne, die sich aus einem der Zöpfe gelöst hatte, hinters Ohr. Sie schluckte schwer. Seine Geste war viel zu sanft, zu liebevoll. Dabei hatte er eine Ehefrau. Sie durfte sich unter keinen Umständen in ihn verlieben.

Jette blieb an seiner Seite sitzen, während er trank. Ihr Blick wanderte über seinen nackten Oberkörper. Kein Gramm Fett zu viel. Sein Körper war durchtrainiert und bis auf einen kleinen weißen Strich auf seiner dunklen Haut narbenfrei. Nur die Wunde an der Schulter würde eine zweite Narbe hinterlassen. Sie schloss für einen Moment die Augenlider. Etwas raschelte. Der Krieger bewegte sich, mutmaßte sie, beschloss aber, es zu ignorieren. Sein warmer Atem troff auf ihre Haut. Sie öffnete die Augen und rutschte mit einem leisen Aufschrei rückwärts. Erneut packte Mukwooru sie am Arm und zog sie zurück. Mit seiner freien Hand machte er eine Art waschende Bewegung über seine Haut. Sollte sie für ihn Wasser holen?

„Paa?" Sie zeigte auf eine flache ungleichmäßige Schüssel, die ihrer Vermutung nach aus dem Schädel eines Tieres gefertigt war.

„Haa." Der Krieger nickte und reichte ihr den Wasserbehälter. Sie füllte etwas Wasser in die Schüssel und sah den Comanche unschlüssig an. Er wies auf ein Stück Stoff. Jette stand auf, holte es und wollte es ihm mit der Wasserschüssel reichen.

„Kee. Aitu." Er schüttelte den Kopf und packte ihre Hand, die den Lappen festhielt. Sein fester Griff war nicht schmerzhaft, doch verwirrte er sie. Was erwartete er von ihr? Seine dunklen Augen starrten sie erwartungsvoll an. Wieder ahmte er eine waschende Bewegung nach. Dann tauchte er ihre Hand mit dem Tuch ins Wasser und führte sie danach zu seinem Oberkörper. Jette biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Sie sollte ihn waschen? Das konnte ja heiter werden.

Seinem Blick ausweichend machte sie sich an die Arbeit, wusch seine Arme, Brust und Bauch sowie seinen Rücken. Dann wollte sie sich abwenden, doch abermals hielt er sie auf. Mit einer fließenden Bewegung warf er die Decke von seinem Unterkörper. Errötend drehte sie sich weg. Das konnte er nun wirklich nicht von ihr verlangen!

„Topsannah." Ein drohender Unterton schwang in seiner Stimme mit. Widerwillig begann sie, seine Beine zu waschen. So sehr sie es auch bewunderte, wie durchtrainiert er dank des anspruchsvollen Lebens in der Prärie war, so peinlich war es ihr, dass er völlig nackt vor ihr lag. Die Unverfrorenheit, mit der er sie dabei musterte, brachte ihr Blut zum Kochen. Die Texaner hatten doch recht. Verdammter Wilder. Sie warf den Lappen zurück in die Schüssel. Sein bestes Stück konnte er gefälligst selbst waschen. Niemals würde sie ihn da berühren. Jette eilte aus dem Tipi, verfolgt von seinem tiefen melodischen Lachen, das ihr trotz ihrer Wut einen warmen Schauer über den Rücken jagte. Mistkerl.

Leise schimpfend flüchtete sie sich an das Flussufer und starrte auf die Wasseroberfläche. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Was bildete sich dieses Arschloch ein? Kaum ging es ihm nach seiner Verletzung besser, schien er wieder daran zu denken, wie er sie ins Bett bekam. Dabei war der Blödmann doch verheiratet! Abgesehen davon hatte er sie entführt. Wie konnte er auch nur im Traum daran denken, dass sie freiwillig mit ihm in die Kiste sprang? Grummelnd kickte sie einen Stein zu ihren Füßen, der ins Wasser plumpste. Nachdenklich sah sie auf die kleinen Wellen, die kreisförmig von der Stelle, wo er hineingefallen war, nach außen liefen.

Floss der Fluss immer so ruhig vor sich hin oder war es nur der trockenen Jahreszeit geschuldet, dass er nicht breit und mitreißend war? Die ausgetrockneten sandigen Ausläufer an den Rändern wiesen auf Zweiteres hin. Demnach wäre eine Flucht im Sommer klüger, denn im Winter wollte sie keinen reißenden Strom durchqueren. Die Temperaturen der Wintermonate waren zwar angenehmer, als sie es sich vorgestellt hatte, aber es war schwieriger, an Nahrung zu gelangen.

Jette sah sich nach einem Anhaltspunkt um, suchte den Enchanted Rock in der Ferne. Von dort müsste es ein Leichtes sein, zurück in die Zivilisation zu finden. Immerhin war ihr das bereits einmal gelungen, als sie nach ihrer Zeitreise menschliche Siedlungen gesucht hatte. Nur im Gegensatz zu damals wusste sie nun mehr über die Besiedlung der Gegend. Auch bräuchte sie ein Pony. Den Rappen ihres Entführers zum Beispiel. Seine muskulöse Hinterhand, seine schlanken, aber kräftigen Beine wiesen darauf hin, dass er schnell und wendig war. Sie lächelte. Jedes Pferd liebte spezielle Gräser. Wenn sie herausfand, was der Hengst mochte, konnte sie damit sein Vertrauen gewinnen, sich bei ihm einschleimen. Sie nahm sich vor, ihre freie Zeit in seiner Nähe zu verbringen und ihn zu beobachten.

„Topsannah." Ebi winkte sie zu sich. Jette seufzte. Vorläufig würde sie den Hengst nicht besuchen. Das Leben der indianischen Frauen war hart und voller Arbeit. Die Comanchen erwarteten von ihr, dass sie sich genauso abrackerte, daher eilte sie zu der Ehefrau ihres Entführers, um ihr bei ihren Tätigkeiten zu helfen.

Am späten Nachmittag wischte sie sich abermals den Schweiß von der Stirn. Stundenlang in der Sonne zu gerben, war mehr als unangenehm. Das Mittel, dass die Indianer dafür verwendeten, stank erbärmlich. Genauso die alten Fleischreste an den Tierhäuten. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, dass daraus einmal Kleidung hergestellt wurde. Eine der Frauen rief sie. Jette sah auf und blickte in das runde Gesicht von Ebi. Diese deutete ihr an, aufzustehen und mit ihr zu kommen. Mühsam richtete das Mädchen sich auf. Eifersucht stieg in ihr auf. Bei den Comanchen sahen alle Bewegungen so fließend, fast elegant aus. Sie selbst war dagegen ein unbeweglicher Klotz. Ihre Knie wirkten wie eingerostet nach dem langen Hocken. Rücken und Arme schmerzten von den ungewohnten Bewegungsabläufen. Ungelenk schüttelte sie ihre Extremitäten und folgte dann den Indianerinnen zu dem Teil des Flusses, an dem sie sich morgens wuschen. Einige planschten bereits lachend im Wasser. Nacktheit war für sie nichts, wofür sie sich schämten. Jettes Gedanken wanderten kurz zu Mukwooru, wie er nackt vor ihr gelegen hatte. Sie biss sich auf die Lippe. So unangenehm wie ihr die Angelegenheit in dem Moment gewesen war, so hatte es auch etwas Verlockendes gehabt. Wieso dachte sie ständig an ihn? Er war verheiratet und ihr Kidnapper!

Sie streifte ihre Kleidung ab und watete in den Fluss. Der Platz war dank einiger Büsche vor neugierigen Blicken der Männer abgeschirmt. Ein kleines Lächeln schlich auf ihre Lippen bei der Vorstellung, wie Krieger versuchten, die heiratswilligen Mädchen beim Baden zu beobachten und sich dabei Ärger mit den Müttern und Großmüttern einhandelten. Sie konnte es sich lebhaft vorstellen, wie die Taugenichtse ein paar Stockschläge bekamen.

Ein Schwall Wasser landete in ihrem Gesicht. Jette prustete empört. Wer war das? Sie schaute zu den kichernden Frauen. Mit einem Schrei stürzte sie sich auf die vermutete Übeltäterin, die kreischend versuchte auszuweichen.

Noch immer lachend und mit patschnassen Haaren liefen sie zurück zu den Zelten. Die Wasserschlacht hatte ihren aufgestauten Frust auf ein erträgliches Maß abgekühlt. Es schien, als ob sie zumindest in die Frauengemeinschaft aufgenommen wurde. Viele neue Namen hatte sie gelernt und gleich wieder vergessen. Zu viel Neues, um sich alles direkt zu merken. Sie seufzte leise. Eine kleine Hand mogelte sich in ihre und sie sah verdutzt an sich runter. Tabukina schaute sie mit ihren großen dunklen Augen fragend an. Das Mädchen gähnte. Natürlich! Das Kind war vom langen Herumtollen müde. So viel freier lebten die Indianerkinder als die Kinder der Weißen in San Antonio oder Linnville. Oder wie in ihrer eigenen Zeit. Dort überwachten die Eltern jeden Schritt, damit den Sprösslingen nichts passierte. Hier passte zwar das ganze Dorf auf, aber meist mit dem Resultat, dass die etwas älteren Kinder die jüngeren mitschleppten, während die Erwachsenen ihren eigenen Tätigkeiten nachgingen. Oder die Kleinen sahen ihren Müttern oder Großmüttern bei der Arbeit zu.

Tabukina zerrte Jette zum Zelt der Familie. Die Rothaarige atmete tief durch. Wie sollte sie Mukwooru gegenübertreten, nachdem sie ihn zuvor Hals über Kopf zurückgelassen hatte? Würde er wütend sein? Er hatte bei ihrem überstürzten Rückzug gelacht, doch wie war seine Laune in diesem Moment?

Das Kind schlüpfte hinein und winkte sie ungeduldig hinter sich her. Für eine etwa Dreijährige war die Kleine ganz schön resolut, dachte Jette. Sie sah zu, wie das Mädchen fröhlich zu ihrem Vater lief und sich an den Mann kuschelte, der ihr liebevoll über die Haare strich. Sein Verhalten gab ihr zuweilen Rätsel auf. Tabukina liebte er abgöttisch, doch Ebi schien er nur zu dulden. Sie fragte sich, ob etwas dahintersteckte. Irgendein düsteres Geheimnis. Oder war sie doch nur seine Schwester und das kleine Mädchen seine Nichte? Dass erwachsene Geschwister bei den Indianern zusammenwohnten, davon hatte sie nie gehört. Allerdings hatte sie sich vor der Zeitreise, wo es Informationen in Hülle und Fülle gab, nie mit dem Thema beschäftigt. Jetzt wäre das Wissen überaus hilfreich. Oder bessere Sprachkenntnisse, dann könnte sie den Krieger fragen, was er von ihr wollte. Auch wenn ihr die Antwort möglicherweise nicht gefiel.

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