8 | von Mördern und Aftershave

Der Schulhof liegt verlassen vor mir, als ich mein neues Fahrrad in der hintersten Ecke parke. Vielleicht bin ich paranoid aber better safe than sorry oder wie man so schön sagt. Ich habe wirklich keine Lust auf eine peinliche Konfrontation mit Payton, obwohl ich nicht mal weiß ob sie wusste, dass sie dieses Rad von ihrer Mom geschenkt bekommen sollte.

Ich höre den Pausengong und laufe über den Hof, als wäre ich schon seit der ersten Stunde anwesend. Als der Hof sich dann füllt, gehe ich in den hässlichen Klotz von Schule und zu meinem Spind, um den sich eine Traube von Schülern versammelt hat. Wahrscheinlich war mal wieder irgendjemand besonders lustig und hat etwas daran gesprayt oder so. Ich taste jedenfalls schon mal in meiner Jackentasche nach meinem Handy, um ein Foto für meinen Ordner schießen zu können.

Plötzlich dreht sich eine der Mädchen aus der Traube um und ich blicke in Serena Phillys Gesicht. Ihre Augen sehen verquollen aus, als hätte sie gerade eben noch geweint und ihr sonst so blasses Gesicht ist gerötet. Ihre braunen Haare sind glanzlos und zu einem lustlosen Zopf gebunden. Auf Makeup, das sie sonst so exzessiv nutzt, hat sie komplett verzichtet.

Als sie mein Gesicht sieht, zieht sie wütend ihre kunstvoll gezupften Augenbrauen zusammen und presst die Lippen zusammen. „Du!", keift sie gehässig und ich öffne meinen Mund leicht. Wenn das hier ein Comic wäre, würden jetzt zwei fette Fragezeichen in meinen Augen stehen. Ich habe vielleicht einmal in meinem gesamten Leben mit Serena Philly geredet und weiß nicht mal besonders viel über sie, was schlicht und ergreifend an ihrer Langweiligkeit liegt. Sie raucht und ist die beste Freundin von Mary Chorde. Das war's.

Ich drängele mich an den tratschenden Schülern vorbei und erwarte schon ein künstlerisches Meisterwerk von Beleidigung, doch als ich meine Spindtür sehe, lasse ich mein Handy los und es fällt zurück in meine Jackentasche. Er sieht genauso aus wie gestern, nur ein kariertes und ziemlich zerknittertes Stück Papier wurde mit einem Stück Kreppband dort befestigt.

Ein zerknittertes Blatt Papier, dass mir unheilvoll bekannt vorkommt. Top ten to die steht dort höhnisch geschrieben. Doch etwas hat sich verändert. Da ich gestern so schnell aus Physik gestürmt bin, muss ich die Liste vergessen haben und jemand erlaubt sich einen hirnverbrannten Witz. Auf Platz Nummer 1 steht jetzt nämlich mein Name, aufgeklebt und am Computer getippt. Und Nummer 10, Mary Chorde ist mit rotem Filzstift durchgestrichen.
Entweder ich bin dumm oder etwas stimmt hier nicht, denn ich verstehe einfach nicht, was das Drama hier soll. Oh, wow, eine Morddrohung gegen Rachel Collins! Wie originell, ich bekomme schon Angstschweiß. Am besten ich renne sofort zum FBI!

Stirnrunzelnd reiße ich das Papier ab und zerknülle es, dann verschwindet es in meiner Tasche. Ich drehe mich zu meinem Publikum um, das mich aus großen Augen wie eine Kindergartengruppe angafft. Saige Dallas steht dort und ihre braunen Augen sind besonders weit aufgerissen, ihr kleiner Mund steht leicht offen. „Habt ihr irgendein Problem?", schnauze ich die Schüler an und will mich durch die Menge drängen, doch Serena Philly stellt sich mir in den Weg. Mit zittrigen Händen entfaltet sie ein Taschentuch, während ihr dicke Tränen über die Wangen kullern. „Mary ist tot!", schluchzt sie dann und ihre Unterlippe zittert.

„Was?", flüstere ich verwirrt. „Mary wurde gestern tot auf Zuggleisen gefunden, jemand hat sie abgestochen und dann alle möglichen Knochen gebrochen!", klagte Serena lauter und schnäuzte sich in ihr Taschentuch. Unter den anklagenden Blicken meiner Mitschüler bin ich etwas sprachlos. Also schubse ich Serena einfach zur Seite und laufe mit zügigen Schritten den Flur entlang, keine Ahnung wo mein Ziel liegt.

Wie in einer Art Trance ziehe ich die Liste aus der Tasche und starre den roten Filzstiftstrich an, der über Marys Namen prangt. Sie war tot, verdammte Scheiße! Und sie war auf Zuggleisen gefunden worden. Fuck. Plötzlich wurde ich aus meinem Gedankenstrudel gerissen, als ich unsanft auf dem Boden landete und schmerzhaft mit meinem Fuß umknicke. Die Liste befindet sich immer noch in meiner Hand, ich habe gar nicht bemerkt, wie krampfhaft ich sie umklammert hielt.

Ich blicke mit wütendem Gesicht hoch und starre die Person an, die so dumm war, sich mir in den Weg zu stellen. Carter fucking Blum höchstpersönlich. Wieso lebte der überhaupt noch? Konnte er sich nicht einfach den goldenen Schuss geben oder so? Ich springe in einer irren Geschwindigkeit auf und beiße mir fast auf die Zunge, da ein Schmerz meinen Fuß durchzuckt. „Mal wieder zu bekifft um auszuweichen?", schnauze ich ihn an und gebe ihm meinen Killerblick. Ich habe ihn vor dem Spiegel geübt, ungefähr zwei Stunden lang. Carter zieht etwas zu unbeeindruckt die Augenbrauen nach oben und schüttelt den Kopf, um die braunen Haare aus dem Gesicht zu bekommen, was vollkommen überflüssig ist. Schließlich fallen sie sofort wieder an ihren Platz zurück. Was zur Hölle hatte dieser Typ eigentlich für Probleme?

Wieso war eigentlich ich hingefallen? Immerhin war er nur etwa einen halben Kopf größer als ich, was zwar auch nicht besonders klein ist aber ich war im totalen Rage-Modus unterwegs und hätte eigentlich einen Atombunker umnieten sollen! Und Carter war nicht mal besonders muskulös, ehrlich verstand ich den ganzen Trubel der Mädchen um seine Person nicht. Er war einfach nicht krass, er war einfach nur ein dummer Teenager der sich für den König der Welt hielt aber eigentlich nicht viel wichtiger als Dreck unter seinen Fingernägeln war! Hatte er überhaupt Dreck unter den Fin...was für ein Müll, warum sollte ich das wissen wollen, er war einfach der beschissenste und unnötigste Mensch der Schule, der Welt und des verdammten Universums!

„Stürz dich einfach aus dem Fenster!", zischte ich und wollte mich an ihm vorbeidrängen, doch er stellte sich mir selbstsicher aus dem Weg und schüttelte sich nochmals seine dunklen Haare aus dem Gesicht. Ein Lächeln zeigte seine geraden Zähne und ein siegessicheres Funkeln ging durch seine Augen. „Wie wär's mit ‚Entschuldigung'? Immerhin bist du in mich reingelaufen!", plauderte er und schenkte mir sein schleimerisches Kotzbrockenlächeln.

„Verpiss dich!", flüsterte ich betont freundlich und wollte weitergehen, doch der Arsch hielt meine Schultern fest, was mir eindeutig zu viel Nähe war. Ich konnte sein Aftershave riechen, was ich eigentlich nicht riechen wollte. „Verdammte Scheiße, lass mich vorbei!", brüllte ich ihn an und als er immer noch sein ekelhaftes Lächeln lächelte, trat ich so fest ich kann mit meinem Fuß gegen sein Schienbein.

Er verzog das Gesicht und hüfte auf einem Bein einen Schritt zurück, umfasste sein Schienbein und blickte kurz auf dem Boden, wobei ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Jetzt lächelte ich mein siegessicheres Lächeln, was ich ihm schon lange zeigen wollte.

Er blickte hoch und sein Gesicht war verzogen vor Wut, über seine braunen Augen hatte sich ein Schatten gelegt. „Was ist sein Problem?", fluchte er. „Ich hatte NIE ein verdammtes Problem mit dir, Carter Blum!", rufe ich und gestikuliere wild mit meinen Händen. Dann rausche ich an ihm vorbei und fühle mich, als würde ich eine Windböe hinter mir herziehen, die alles durcheinanderweht und die Menschen in Schweigen versetzt.

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