1 | von Schulschlampen und Physik

           

„Rachel Collins ist ne' verschissene Schlampe"

So steht es geschrieben. Zwar nicht in der Bibel, sondern auf der Innenseite der Kabinentür in einem versifften Schulklo, aber das ist ja im Grunde das Gleiche. Der Satz bringt mich zum Grinsen und ich ziehe mein Handy aus der Tasche, um ein Foto zu schießen. Ich habe einen ganzen Ordner in meiner Galerie, der sich nur mit Beleidigungen zu meiner Person verfasst. Und ich finde ihn verdammt geil.

Seufzend sehe ich auf meine Handy Uhr und stoße einen Fluch aus, denn die Mathestunde wird gleich vorbei sein und danach kommt Physik. Und Physik sollte ich besser nicht auf dem Klo verbringen, denn der Lehrer ist ein Arsch und gibt mir Nachsitzen. Der Mathelehrer hat nur mal meine Eltern angerufen, aber die hat das eher weniger gejuckt. Meine Eltern sind toll, wirklich.

Als ich die Kabinentür entriegle und zu den Waschbecken trete – in einem liegt irgendetwas undefinierbares, es sieht aus wie eine Kreuzung aus überfahrener Ratte und Scheiße – öffnet sich die Tür zum Flur und ein überschminktes Mädchen betritt den Raum. Sie hat hellblonde Haare und ihr Gesicht sieht aus als hätte sie einen Unfall mit einem Farblaster gehabt. Ihr Name ist Payton Was-weiß-ich und sie ist Petra Adams „Bestie". Ich überlege, wieder zum Klo zu schreiten und m ich gekonnt zu übergeben, doch entscheide mich dagegen.

„Na, hast du wieder auf dem Klo gekifft?", säuselt sie mit widerlich hoher Stimme und betatscht ihr Gesicht. Vielleicht hält sie es für Knete und versucht, es zurecht zu drücken, auf jeden Fall sieht sie unglaublich dumm dabei aus. Wenn sie nämlich etwas Substanz in ihrer Birne hätte, wüsste sie, dass ich nicht kiffe. Das Schulklo riecht zwar nach allerhand widerlichem Zeug, aber Gras ist garantiert nicht dabei. Und leider weiß ich viel zu gut, wie Gras riecht.

Aber ich lasse sie in ihrem Glauben, sie hätte mich beim Kiffen erwischt und schlendere an ihr vorbei, während ich mit den Schultern zucke. Soll doch die Gerüchteküche brodeln, ich wünsche einen guten Appetit.

Ich trete auf den Menschenleeren Flur des Zoos, des Irrenhauses, des Gefängnisses oder wie auch immer man die High School nennen möchte. Meinen abgewetzten, grauen Rucksack habe ich über einer Schulter hängen und ich bete zu Gott, dass ich keinem Zoopfleger, Psychiater oder Gefängniswärter begegnen würde. Warte mal, ich bin Atheistin.

Gerade als ich an meinem Spind ankomme, klingelt die Schulklingel und allerhand Türen werden aufgerissen. Ich betrachte die schönen Sprüche an meinem Spind und suche einen neuen. Leider habe ich heute kein Glück, denn „Schlampe" ist immer noch die einfallsreichste Bezeichnung.

Diese ganzen Beleidigungen haben vor ein paar Jahren angefangen, mit Carter Blum. Er hat behauptet, ich hätte ihm für fünf Dollar einen geblasen, was natürlich nicht stimmt. Carter ist ein ziemlicher Idiot, wenn ihr mich fragt. Aber was will man schon von Petra Adams Freund erwarten?

Seufzend öffne ich den Spind und starre erstmal wie der letzte Idiot auf sein Innenleben. Was will ich nochmal hier? Ach keine Ahnung, ich schlage den Spind wieder zu und in diesem Moment fällt es mit ein. Ich wollte mein Physikbuch holen. Also schließe ich das Scheißding nochmal auf und zerre das Buch aus dem unordentlichen Haufen, den ich Schulsachen nenne. Er besteht aus ein paar zerknickten Büchern, komplett ramponierten Collegeblöcken und verirrten Kugelschreibern.

Als ich meine Spind Tür ein zweites Mal zuschlage (mit viel Elan) springe ich einen Schritt zurück und wenn das hier ein schlechter Cartoon wäre würden meine Haare richtig übertrieben abstehen und meine Augen würden meinen Schädel verlassen und nach Jamaika fliegen.

Denn vor meiner Nase ist wie aus dem nichts die Visage von Saige Dallas aufgetaucht, meinem Schatten. Sie ist klein und erfüllt das Klischee verwöhnte Göre. Sie ist nicht reich oder so aber ihre Eltern haben sie lieb und sie hat gute Noten. Doch dann wollte sie etwas mehr Gangster sein und hängt seitdem an mir dran wie ein widerlicher Kaugummi, den irgendein Arsch auf den Boden gespuckt hat. Und in den ich dann reingetreten bin.

Das war übrigens vor einem Jahr und dieses Mädchen hat eindeutig zu viel Elan, den sie besser in Schule oder irgendetwas produktives stecken sollte. Ich bin nicht dumm aber mein Lebensstil ist fragwürdig und passt zu meinem Ruf. Ich bin nicht wirklich begeistert von der Relativitätstheorie (war das nicht irgendetwas mit einem Apfel oder so?) oder generell der Idee vom Lernen.

„Hi Rach!", sagt sie mit einer lieblichen Stimme, die sich anhört als käme sie von einer dieser Synchronsprecherinnen aus Benjamin Blümchen. Oder Bibi Blocksberg. Das sind die einzigen Hörspiele die ich je gehört habe und ich glaube die Kassetten verfaulen immer noch irgendwo in meinem Zimmer.

„Nenn mich nicht so!", zische ich sie an. Sie besteht darauf, dass wir „Besties" sind und sie meint, mir einen Spitznamen geben zu müssen. Damit habe ich zwei Probleme:

1.     Rach hört sich an wie Rage, also toben, wüten oder rasen (das habe ich sicher nicht gegoogelt, schließlich bin ich ein Schul-Überflieger!)

2.     Es reimt sich auf Saige. Ich will mich nicht auf ihren Namen reimen.

Obwohl, ehrlich gesagt ist Punkt eins weniger das Problem für mich, es ist eigentlich sogar etwas cool. Ich will trotzdem nicht so genannt werden. Fick dich, Saige!

Ich lächele sie an und stelle mir vor, wie hübsch ich dabei aussehe. Doch objektiv betrachtet sehe ich wahrscheinlich aus, wie auf diesen Familienfotos, die doch wirklich keiner mag. Nicht das ich Familienfotos habe.

„Verpiss dich!", säusele ich und stolziere an ihr vorbei.

„Ich mag deinen Sarkasmus, Rach!", sagt sie und hüpft mir hinterher.

Irgendwann steche ich entweder sie oder mich selbst ab. Und das meine ich todernst.

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