Kuchen macht fett
„Why Men Marry Bitches?" Tomasz sieht mir fragend über die Schulter, während ich das Hochzeitsgeschenk für meinen Vater und seine neue Ehefrau auf den letzten Drücker in transparente Folie verpacke.
„Passt doch perfekt, oder?" Stümperhaft wickle ich noch ein Schleifenband herum und lege das Buch dann gut sichtbar ganz oben auf den Stapel zu den anderen Geschenken.
„Bitte sag, dass du keine Widmung rein geschrieben hast."
„Na sicher habe ich das. Sie lautet: Ich hoffe, du findest eine Antwort auf diese Frage. In Liebe deine Tochter Eeva."
Tomasz schüttelt den Kopf und seufzt. „Du weißt schon, dass du mit dieser Frau ab jetzt unter einem Dach leben musst?"
„Klar weiß ich das. Aber ist ihr auch bewusst, dass sie ab sofort mit mir unter einem Dach leben muss?"
Wir treten auf die Terrasse und beobachten schweigend das glückliche Brautpaar beim Anschnitt der dreietagigen Hochzeitstorte. Ich gebe zu, mein Vater wirkt heute - im Gegensatz zu sonst - fast schon ein wenig gelöst, denn eigentlich ist er ein manierierter, eher steifer Typ, der mehr durch Denken und seinen Arztkittel besticht als durch seine Herzlichkeit. Trotzdem zählte er zu den zwei attraktivsten Junggesellen im Ort und galt somit als gute Partie. Doch Bettina, seine dralle vollbusige Sprechstundenhilfe, hatte kurzen Prozess gemacht und dafür gesorgt, dass er vom Markt war.
Die beiden füttern sich gerade unter Applaus gegenseitig mit Sahnetorte, als ein ziemlich heftiger Wind aufzieht und sich der Himmel verdunkelt. Das kurz darauf folgende bedrohliche Donnergrollen sorgt dafür, dass ein beachtlicher Teil der Buttercreme auf Bettinas üppigem Dekolleté landet und die ersten Gäste in leichte Panik verfallen und mit ihrer Flucht die Feierlichkeiten ins Innere verlegen.
„Du solltest ganz dringend dieses diabolische Grinsen aus deinem Gesicht verbannen." Tomasz kneift mir unsanft in die Wange.
„Autsch. Du gönnst mir auch überhaupt keinen Spaß. Was gibt es denn Schöneres, als mit anzusehen, wie diese Hochzeit, die auf Teufel komm raus unbedingt im Juni stattfinden musste, nun ins Wasser fällt?"
Tomasz bedenkt mich mit diesem merkwürdigen Blick. Diesem Blick, den er immer dann aufsetzt, wenn er mit meiner Meinung nicht so ganz übereinstimmt, er aber weiß, dass es sinnlos ist, mich von seiner Meinung überzeugen zu wollen.
„Nun sieh mich nicht so an, als hätte ich dafür gesorgt, dass es im Juni gewittert!"
„Zuzutrauen wäre es dir."
Ich atme tief durch und sauge den vertrauten Geruch von Sommerregen tief ein. „Lass uns die anderen suchen, bevor du und die restlichen Dorfbewohner mich noch wegen Ketzerei an den Pranger stellt ... und bevor mein Vater herausfindet, wer ihm das Buch geschenkt hat."
Wir sammeln Matti und Mitja am Buffet ein – wo sonst. Conny entdecke ich im Tanzsaal; umzingelt von vier kleinen Blumenmädchen, die ihn allesamt mit großen Augen anstarren. Conny ist der hübscheste Junge weit und breit. Und genau darin liegt sein Problem. Er ist einfach zu hübsch. Fast schon androgyn. Er hat perfekte Haut, die jedes Mädchen vor Neid erblassen lässt; immer leicht gerötete Wangen ohne jemals Rouge benutzt zu haben und dazu auch noch lange, blonde, glatte Haare. Im Prinzip sieht er aus wie ein sehr attraktives Mädchen, das direkt den Siebzigern entsprungen ist. Da hilft auch der riesige Slayer-Aufnäher auf der Rückseite seiner Jeansjacke nichts.
„Hey, Conny, kommst du mit oder bleibst du lieber bei deinen kleinen Verehrerinnen?", ruft Matti ihm zu und löst währenddessen seine Krawatte – das einzige modische Zugeständnis, das meine besten Freunde anlässlich der Hochzeit machten. Ansonsten sehen sie genauso abgefuckt aus, wie an jedem anderen Tag auch.
„Sorry, Mädels. Ich muss." Conny schenkt den Mädchen, die mit Sicherheit nicht älter als fünf oder sechs waren – jedenfalls gerade so aus dem Windelalter heraus – zum Abschied ein entschuldigendes Lächeln und gesellt sich zu uns. „Na endlich, Leute. Die waren kurz davor, mir Zöpfe zu flechten." Der bloße Gedanke daran schüttelt ihn.
„Und ich dachte schon, ihr wart kurz davor, Nummern auszutauschen." Mitja grinst und versucht seinen Schlips über den Kopf zu ziehen, ohne dabei den Knoten zu lösen oder sein Basecap abzusetzen. „Du müsstest auch nur so um die zehn Jahre warten, bis du bei ihnen anrufen kannst."
Conny spart sich jeden weiteren Kommentar, weil er genau weiß, dass er nur den Kürzeren ziehen würde und setzt sich auf das alte Damenrad seiner Oma. „Wohin geht's?"
Tomasz blickt gen Himmel. „Zu mir. Vielleicht schaffen wir es noch vor dem Gewitter."
Conny tritt in die Pedale, und wir lassen ihm nur zu gern diesen Vorsprung. Schon allein um das ständige Schleifen und Klappern nicht ertragen zu müssen, welches durch eine beachtliche Acht im Vorderrad und einen verbogenen Dynamo, der permanent am Reifen schrubbt, ausgelöst wird. Matti und Mitja schwingen sich auf ihre Rennräder, und ich darf zur Feier des Tages – oder eigentlich nur, weil ich mit dem Auto hierher gekommen bin und mein Fahrrad zu Hause stehen lassen musste – bei Tomasz auf der Schwalbe mitfahren.
Ich liebe es bei Tomasz mitfahren zu dürfen und nutze jede Gelegenheit, die sich mir bietet. Mein Vater hat es mir zwar immer und immer wieder verboten, doch ich lasse mich von ihm nicht in Watte packen. Ich weiß, er ist besorgt und hat Angst um mich, aber er kann damit nicht rückgängig machen, was vor über neun Jahren geschehen ist. Denn niemand kann die Zeit zurück drehen und verhindern, dass meine Mutter leicht angetrunken nachts mit unserem Auto in einen Wagen mit fünf Jugendlichen aus unserem Dorf an Bord kracht und mit deren Tod quasi eine ganze Generation auslöscht und die Einwohnerzahl beträchtlich dezimiert. Ich saß damals auf dem Rücksitz und habe trotzdem nur eine kleine Narbe über dem linken Auge von diesem Unfall zurück behalten. Von meiner Mutter blieb mir einzig das dünne silberne Armband, welches ich seitdem jeden Tag trage. Nicht weil sie diesen furchtbaren Abend nicht überlebt hat, sondern weil sie ihn nicht verkraftet hat. Das Getuschel und die vorwurfsvollen Blicke, die, sobald sie auf die Straße trat, einsetzten, hätte es gar nicht gebraucht. Sie machte sich selbst Vorwürfe genug. Und nach etwa einem Jahr in völliger Isolation hielt sie es nicht mehr aus, reichte die Scheidung ein und verließ meinen Vater und das Dorf. Und mich. Das klingt natürlich alles sehr dramatisch, aber ich habe mich in dieser Zeit ganz tapfer gehalten; zu sehr war ich damit beschäftigt meinen Vater zu trösten und ihn wieder in die Spur zu bringen. Ich wollte um jeden Preis Normalität. Ich brauchte Normalität. Und dazu gehörte für mich eben nicht in Selbstmitleid zu baden und das seelisch kaputte Scheidungskind heraus hängen zu lassen. Trotzdem vermisse ich sie ... ganz still für mich ... und natürlich gibt es Tage, an denen ich sie unwahrscheinlich brauche. Doch ich komme ganz gut klar.
Wir verlassen den Parkplatz und biegen auf die Hauptverkehrsstraße, die sich wie eine dicke Arterie durch den Ort schlängelt. Wenn etwas passiert, dann nur hier.
Denn unser Dorf funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie viele andere Dörfer auch. Sämtliche Hochzeiten und runden Geburtstage werden im Wirtshaus von Johann und Elli gefeiert. Die angereisten Gäste werden in den wenigen dazugehörenden Zimmern untergebracht. Es gibt einen kleinen Laden im Ort, in dem alle aber nur soviel kaufen, dass dieser sich gerade so halten kann – den Rest besorgt man natürlich im wesentlich billigeren Supermarkt in der nächsten Stadt, denn niemand hier will dem anderen in irgendeiner Weise zu Wohlstand oder gar Reichtum verhelfen. Außerdem gibt es hier noch einen Bäcker mit integrierter Fleischerei, das heißt, die Brötchen liegen gleich neben der Blutwurst. Will man mehr als drei Brötchen oder gar noch ein Brot, hat man es gefälligst einen Tag vorher zu bestellen. Und bestellt man ein Pfund Hackfleisch, muss einem klar sein, dass man mit einem Kilo nach Hause geht und dieses auch teuer bezahlt. In der "Ortsmitte" steht ein trockener Brunnen, der als Treffpunkt dient. Für Senioren. Dort sitzen sie manchmal stundenlang und jammern. Über das Wetter, über Politik, über die Preise und über die Jugend – die allerdings keinen Treffpunkt hat. Aber wir sind auch einfach zu wenige und die Rentner definitiv in der Überzahl. Und wie in jedem anderen Dorf gilt auch in unserem: Bist du hier nicht geboren, wirst du nie richtig dazugehören.
Ich gehöre dazu. Ob ich nun will oder nicht. Denn ich bin die Tochter des Arztes, der schon Sohn des Arztes war, der schon der Sohn des Arztes war, der ... lassen wir das. Conny gehört auch dazu. Irgendwie. Seine Familie ist nicht besonders gut angesehen, aber auch sie leben seit Generationen hier und ihr Stammbaum lässt sich höchstwahrscheinlich bis ins zwölfte Jahrhundert zurück verfolgen. Matti und Mitja werden nie dazugehören. Da können sich ihre Eltern noch so viel Mühe geben und sich überall engagieren. Ihre Mutter Anna kann noch so viel Kuchen zu irgendwelchen Festen beisteuern, und ihr Vater Daniel seine gesamte Freizeit im Schützenverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr verbringen; selbst wenn die beiden nur zwei Tage nach ihrer Geburt ins Dorf gezogen wären ... sie wären niemals einer von ihnen. Tomasz und seine Eltern hingegen zehren geradezu davon, nicht dazuzugehören. Sie halten sich aus allen Dorfangelegenheiten heraus und legen Wert darauf, anders zu sein. Tomasz Vater Gregor kommt aus Polen, seine Mutter Karla ist Dänin, und seit Jahren sanieren sie Stück für Stück das etwas abseits gelegene Gutshaus. Es ist ein gigantisches Projekt, quasi eine Lebensaufgabe und hat sich im Laufe der Jahre von einem Schnäppchen zu einem teuren Fass ohne Boden entwickelt. Gregor und Karla halten sich jedenfalls für Idealisten – in den Augen der Dorfbewohner sind sie einfach nur Spinner. Spinner von Außerhalb.
Ich bin so froh, als wir endlich das Dorf mit all seinen Gestalten und Merkwürdigkeiten hinter uns lassen, an dem leuchtend gelben Sommerrapsfeld vorbei fahren, und ich spüre sofort, wie ein wenig der Anspannung der letzten Tage und Wochen von mir abfällt. Eigentlich hatte ich bis zur letzten Sekunde gehofft, dass diese Hochzeit nicht stattfinden würde, und irgendwie lastete die ganze Zeit dieser Druck auf mir, dass ich diejenige sein muss, die es verhindern sollte. Doch nun, wo es kein Zurück mehr gibt, und niemand – auch nicht ich – Einspruch gegen diese unheilvolle Verbindung erhoben hatte, fühle ich mich seltsamerweise erleichtert. Mein Vater und Bettina sind verheiratet. Es ist nicht mehr zu ändern. Ein klar definierter Zustand, den ich einfach nur akzeptieren muss. Damit kann ich leben ... besser als mit Ungewissheit. Jetzt gilt es für mich nur noch das eine Jahr bis zum Abitur zu überstehen, und dann wird mich nichts und niemand mehr hier halten. Auch nicht die Menschen, die mir gerade die Wichtigsten der Welt sind.
Tomasz schließt mit gedrosseltem Tempo zu Conny auf. Ich strecke den Arm aus, er greift nach meiner Hand und lässt sich von uns die restliche Strecke mitziehen. Wir sind mittlerweile geübt darin und schaffen es, ohne mir dabei die Schulter auszukugeln, oder wie wild hin – und herzuschleudern. Oder komplett umzufallen.
Tomasz und sein Vater hatten die Schwalbe in einem sehr desolaten Zustand in einem der zahlreichen Nebengebäude entdeckt und gemeinsam wieder aufgemotzt, und obwohl seine Eltern eigentlich ziemlich gechillt sind, durften wir zwei Jahre lang damit nur auf dem Gutshof herum fahren. Erst später haben wir erfahren, dass sie sich nicht um unsere Sicherheit sorgten, sondern vielmehr darum, dass Tomasz ohne Führerschein erwischt werden könnte – was wiederum für Gregor und Karla auch nicht weiter dramatisch gewesen wäre – aber sie befürchteten, dass infolgedessen sich die Polizei auf den Hof verirren und ihr Gewächshaus voller Gras entdecken könnte.
Mit den ersten Tropfen erreichen wir das wilde, doch zugleich wunderschöne Grundstück, hechten die breiten, brüchigen Stufen zur Eingangstür hoch und stürmen in das, trotz jahrelanger Restaurierung immer noch baufällig wirkende, Haus als würden wir beim Kontakt mit auch nur einem einzigen Wassertropfen zu Staub zerfallen. Sobald wir drinnen sind, legt sich kühle Luft wie ein Schleier über meine nackten Schultern. Hier ist es immer kalt, sogar im Hochsommer. Und im Winter gibt es Räume, in denen kann man Schlittschuh laufen, wenn man einen Eimer Wasser auskippen würde. „Ich weiß gar nicht, weshalb ihr so rennt?", schnaufe ich leicht außer Atem. „Die Einzige, die sich ihr Outfit ruinieren könnte, bin ja wohl ich." Ich sehe an mir herunter, und jetzt, da wir nur noch unter uns sind, fühle ich mich in dem hautengen, ziemlich teuren Hosenanzug doch etwas overdressed. Normalerweise bin ich eher der natürlich Typ. Jeans, T-Shirt, fertig. Aber manchmal kann selbst ich nicht widerstehen und bestelle mir – World Wide Web sei Dank – Klamotten, die mangels Einsatzmöglichkeiten ein trauriges Dasein in meinem Kleiderschrank fristen. Doch obwohl ich mich sehr gefreut habe, dieses Teil endlich einmal ausführen zu können, will ich es mir jetzt am liebsten einfach nur vom Leib reißen. „Tomasz, kannst du mir was zum Anziehen leihen?"
„Sicher, du weißt ja wo."
„Also wegen uns kannst du es gerne anlassen." Matti und Mitja grinsen sich an. Obwohl genau neun Monate Altersunterschied zwischen ihnen liegen, könnten sie glatt als Zwillinge durchgehen. Zudem tragen beide stets schwarze Jeans und blaue Jeanswesten, die mit unzähligen Aufnähern - die ihnen mit hundertprozentiger Sicherheit und mit ganz viel Liebe ihre Mutter angenäht hat - individualisiert worden sind. Für Außenstehende unterscheiden sie sich einzig und allein in der Wahl ihrer Kopfbedeckung. Matti trägt immer – wirklich immer – eine schwarze Strickmütze und Mitja ein Basecap. „Siehst heute jedenfalls tausendmal besser aus als sonst."
„Wow, falls das ein Kompliment gewesen sein sollte, ist das irgendwie nicht so richtig rüber gekommen." Es ist frustrierend. Wir sind nun schon so lange miteinander befreundet und trotzdem konnte ich den Jungs in all den Jahren kein bisschen Feingefühl vermitteln.
„Also du kannst es auch gern ausziehen", überlegt Mitja. „Hauptsache, du ziehst nicht wieder deine oder Toms Klamotten an. Nackig geht immer."
Mein Blick verfinstert sich und ich schüttle missbilligend den Kopf. Wirklich frustrierend. Noch frustrierender ist es aber, dass sie völlig unbeeindruckt, meine Befindlichkeiten ignorieren und mit großer Begeisterung die Gästeliste des heutigen Nachmittags analysieren. Oder genauer gesagt, die körperlichen Vorzüge einiger Gäste auf besagter Liste.
„Und habt ihr Beccas Hintern in diesem Minirock gesehen?", schwärmt Matti und hat dabei einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, als würde er über einen leckeren Braten sprechen und nicht über ein Körperteil.
„Ja, oder Linns Möpse? Der Hammer." Conny gesellt sich grunzend zu Beavis und Butthead und zu dritt stellen sie noch einmal zur besseren Veranschaulichung pantomimisch die kurvigen Silhouetten unserer Klassenbitches dar.
Tomasz sieht mich etwas mitleidig an und zuckt nur hilflos mit den Schultern, als müsse er sich dafür entschuldigen, dass er der gleichen Spezies angehört.
„Ich verstehe euch Typen echt nicht", unterbreche ich ihre feuchten Fantasien. „Wieso fahrt ihr ausgerechnet auf diese Tussis ab? Weshalb wollt ihr nie eine, die so tickt wie ihr und eure Leidenschaften teilt?"
Die drei sehen mich an, als gäbe es auf diese Fragen nur eine logische Antwort, die doch jedem klar sein muss. „Na weil", übernimmt Matti das Wort. „Weil wir dann ja auch gleich mit unseren Kumpels rummachen könnten."
Ich schließe kurz die Augen und atme tief durch. „Nein, das ist definitiv nicht dasselbe."
„Oh doch!", widerspricht Mitja. „Jetzt, zum Beispiel, finde ich dich ziemlich heiß, aber sonst finde ich dich in etwa so scharf wie Conny. Er betrachtet Conny abwägend, der süffisant lächelt und aufreizend sein blondes Haar schüttelt. „Nein, ich habe mich geirrt ... sonst ist Conny schärfer."
Nun kann sich nicht mal mehr Tomasz das Lachen verkneifen.
„Wartet es nur ab!", prophezeie ich. „Ihr werdet so enden wie mein Vater und eines Tages neben so einer oberflächlichen Kuh wie Bettina aufwachen, verheiratet sein und jeden Abend pünktlich um sechs zum Abendessen am Tisch sitzen müssen."
„Solange es was zu essen gibt ..." Die beiden ewig hungrigen Brüder sind sich einig, dass sie mit diesen Zukunftsaussichten leben können.
„Na dann ... Becca und Linn haben sich vorhin fast um den Brautstrauß geprügelt. Haltet euch ran!" Fluchend steige ich die imposante Treppe hoch. „Scheißverdammte Hochzeitsscheiße!"
„Sie steckt das mit der Hochzeit ziemlich gut weg, oder?", höre ich Conny feixen.
Matti lacht. „Scheint so."
Ich knalle die Tür von Tomasz Zimmer hinter mir zu und nehme mir vor, die hässlichsten Klamotten anzuziehen, die ich in seinem Schrank finden kann. Das sollte keine besondere Herausforderung darstellen, und schließlich will ich Conny ja nicht den Rang ablaufen, die Schärfste von uns zu sein.
Keine zwei Minuten später gebe ich diesen Plan auf, denn Tomasz besitzt tatsächlich nichts anderes als diese alten, abgeschnittenen, khakifarbenen Hosen der polnischen Armee, die ihm einst sein Großvater stapelweise mitbrachte und zwinkernd erklärte, er habe so seine Beziehungen und könne davon noch viel mehr besorgen. Tomasz trägt diese Hosen seitdem jeden Tag. Sommer wie Winter. Im Winter peppt er sein Outfit lediglich durch lange Leggins darunter auf. Er nennt es Funktionswäsche. Ich nenne es Leggins. Ansonsten bietet sein Schrank nur schwarze, mittlerweile angegraute T-Shirts. Sieben Stück – für jeden Tag eines – was mich unweigerlich zu dem Gedanken bringt, ob er auch Wochentagsschlüpfer besitzt. Und zwei mottenzerfressene beigebraune Rentierpullis. Bei dieser Auswahl ziehe ich meinen schicken Hosenanzug dann doch jederzeit vor und mache mich auf die Suche nach den anderen. Tomasz' alter, zahnloser Kater, der auf den kreativen Namen Kater hört, streicht mir um die Beine und bettelt um eine Streicheleinheit. „Na, Dicker" Ich kraule ihm das Ohr und er beginnt wie auf Knopfdruck zu schnurren. „Denkst du auch, dass ich die Jungs in der Küche finde?"
Zustimmendes Schnurren.
„Ja, das dachte ich mir ... wo auch sonst." Seufzend erhebe ich mich wieder und fange mir einen vorwurfsvollen Blick ein. „Na komm! Es gibt bestimmt auch was für dich."
Er folgt mir gehorsam wie ein Hund. Seine ausgefeilte Jagdtechnik, um auch trotz fehlender Zähne sein Kampfgewicht von acht Kilo zu halten, besteht nämlich darin, einfach jedem zu folgen, der in Richtung Küche geht. Und er lutscht Mäuse zu Tode.
Wie nicht anders erwartet, machen sich Conny und Mitja gerade über ein Blech voller Brownies her und ich geselle mich schmunzelnd dazu. Der übergewichtige Kater macht es sich auf meinem Schoß gemütlich und rollt sich zusammen. „Wo ist Tomasz?", frage ich in die Runde.
„Klo." Mitja ist anscheinend zu sehr mit essen beschäftigt um noch vollständige Sätze zu bilden.
„Besser er beeilt sich" Matti sitzt auf der Kücheninsel und beteiligt sich ungewöhnlicher Weise nicht an dem Fressgelage. „Ich glaube, ich bekomme Durchfall von Ellis Sahnetorte."
„Du bist so ein Weichei", nuschelt Mitja mit vollem Mund.
Conny leckt sich die Finger ab und nickt zustimmend.
„Ich habe nach der Torte noch fünf Bratwürste und zwei mit Butter gefüllte Riesenbrezeln verdrückt."
Tomasz kommt in die Küche und zieht sich noch den Reißverschluss seiner Hose hoch, was mir mal wieder beweist, dass diese vier Typen mittlerweile endgültig ausgeblendet haben, dass noch ein Mädchen anwesend ist ... und dass sie sich nie nach dem Pinkeln die Hände waschen. Er starrt von Mitja zum Kuchen, vom Kuchen zu Conny und von Conny zu seiner Mutter, die gerade zur Terrassentür hereinkommt. „Bitte sagt, dass ihr nicht gerade den halben Kuchen gegessen habt", zischt er die beiden von der Seite an.
„Das könnten wir schon sagen ... aber es würde nicht so ganz der Wahrheit entsprechen." Mitja grinst breit und steckt sich einen Krümel, den er auf dem Tisch findet, in den Mund.
„Hej Eeva ... Jungs", begrüßt uns Karla mit einem strahlenden Lächeln, stellt pfeifend drei Kräutertöpfe ans Fenster und dreht jeden davon solange, bis er ihrer Meinung nach in der richtigen Position steht. Sie ist Perfektionistin und verliert sich gerne bis ins letzte Detail. Nichts in diesem Haus steht einfach nur so herum. Alles hat eine Bedeutung oder zumindest einen Bezug zu der Epoche, in der es erbaut wurde. Und es soll wirken, atmen und leben. Ich finde, das gelingt ihr sehr gut und ich fühle mich hier immer wahnsinnig wohl und vor allem willkommen.
Sie gießt sich aus einem alten Tonkrug etwas Wasser ein, doch bevor sie auch nur einen Schluck davon trinken kann, fällt ihr Blick auf das Kuchenblech. „Bitte sagt nicht, dass ihr den halben Kuchen gegessen habt", wiederholt sie fast eins zu eins die Worte ihres Sohnes und wirkt etwas blasser als vorher.
„Das könnten wir schon, aber ..."
Tomasz verhindert, dass Mitja diesen Satz vollendet, in dem er ihm einen liebevollen Hieb gegen den Hinterkopf verpasst. „Was machen wir denn nun?", wendet er sich fragend an seine Mutter.
Karla stellt das Wasserglas ab, nimmt sich stattdessen ein Schnapsglas und gießt sich einen Schluck Whisky ein. „Am besten, sie bleiben heute hier. So können wir sie unmöglich nach Hause gehen lassen."
„Wieso? Was ist los?", will Matti wissen.
Karla ignoriert seine Frage. „Wer von euch hat alles mitgegessen?"
Mitja und Conny heben schuldbewusst den Zeigefinger.
„Nur ihr zwei? Um Gottes Willen." Tomasz Mutter schüttelt ganz langsam den Kopf und fährt sich tief durchatmend durch das kurze Haar. „Jungs, ihr werdet heute den Absturz eures Lebens durchmachen, aber das kommt davon, wenn man uneingeladen von anderer Leute Kuchen isst."
... Fortsetzung folgt. Aber nicht heute :)))
Ich habe gerade richtig Bock auf Eeva und Co und hoffe, euch hat das erste Kapitel gefallen ❤️
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