Haarige Angelegenheiten

Ja ja, manchmal gibt es bei mir 2 Kapitel in 3 Tagen und dann mal wieder 3 Monate gar nix. Ich arbeite jedenfalls nie vor und haue sie immer raus, wenn sie meiner Meinung nach fertig sind. Dieses Wochenende war ich jedenfalls fleißig...
***

Ich schwöre, ich habe keine zwei Minuten geschlafen - vielleicht waren es aber auch zwei Stunden, denn es ist sehr, sehr hell, als ich Bettinas unangenehmes Gegackere höre. Ich springe auf, haste zum Fenster und sehe, wie mein Vater seine Braut aus dem Auto hebt und über den leeren Platz trägt. Ich hoffe für ihn, er hat vorher ordentlich trainiert, denn sonst glaube ich kaum, dass er es mit ihr bis zur Türschwelle schafft.

Hoffentlich stößt sie sich den Kopf.

In diesem gehässigen Moment fällt mir plötzlich wieder siedend heiß ein, dass ein halbnackter, fremder Kerl auf unserer Couch liegt. Scheiße. Ich stürme aus meinem Zimmer und knalle direkt gegen seine Brust. Seine nackte Brust. Kurz wird mir schwindelig – ich weiß wirklich nicht, ob es an dem Zusammenstoß liegt oder an dem Gefühl, welches seine Haut auf meiner auslöst – und ich muss überlegen, was ich eben eigentlich wollte. Ach, ja. „Du musst verschwinden!" Hektisch drücke ich ihm seine Sachen in den Arm und reiße die Wohnungstür auf. „Mein Vater ist jeden Moment hier", füge ich hinzu, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen.

Diesen Satz hatte er offensichtlich schon öfter gehört, denn das Fragezeichen in seinem Gesicht verwandelt sich. Jedoch nicht wie erwartet, in einen panischen, sondern viel mehr in einen herausfordernden Gesichtsausdruck. „Willst du uns denn gar nicht vorstellen?" Er macht immer noch keine Anstalten sich zu bewegen, und ich bin kurz davor ihn anzuschieben.

„Nicht heute." Und an keinem anderen Tag.

„Aber wo soll ich hin?"

Verdammt. Er hat recht. Ich höre meinen Vater und Bettina schon im Hausflur kichern, und Nils würde ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt in die Arme laufen. Bleibt nur noch Max als letzter Ausweg.

Und der wird sich richtig freuen.

„Max", zische ich durch den Briefschlitz in der Nachbartür und klingle gleichzeitig Sturm.

Es dauert nicht lang, bis ich durch den Spalt ein Paar sehr haarige, sehr dünne Beine den Flur entlang schlurfen sehe. Geräuschvoll lasse ich die Klappe fallen, denn den roten Stringtanga auf Augenhöhe verkrafte ich um diese Uhrzeit noch nicht.

„Hallo, Ladies." Max oder Maxine ... im Moment bin ich mir nicht so sicher, wer von beiden vor uns steht, hat einzig Augen für Nils und checkt ihn von oben bis unten einmal komplett ab.

Ohne mit der Wimper zu zucken, schiebe ich Nils direkt in seine/ihre Arme, und Max drückt ihn an seine/ihre Brust. „Pass auf ihn auf, bis Lore wieder da ist!"

„Aber gerne doch ... Gott, ist der süß." Max zieht ihn gleich weiter in seine/ihre Wohnung, und Nils lässt es sprachlos über sich ergehen.

Leider habe ich nicht genug Zeit, um von diesem grandiosen Anblick ein Foto zu schießen, aber dieses Bild werde ich eh nie wieder aus meinem Kopf löschen können. So leise wie möglich klinke ich die Wohnungstür hinter mir zu, räume schnell die Couch auf, lege alle Kissen wieder da hin, wo sie hingehören, schmeiße die zweite Gabel ins Spülbecken und springe in dem Moment, in dem sich der Schlüssel in der Tür dreht, zurück in mein Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf.

Eigentlich wollte ich doch schon längst weg sein, und den beiden heute gar nicht mehr über den Weg laufen, aber der Zug ist wohl abgefahren. Und ich kann mich unmöglich so lange in meinem Zimmer aufhalten, bis sie sich endlich auf den Weg nach Paris machen, denn ich muss unbedingt zu Tomasz.

„Du warst ja ziemlich schnell weg", sagt mein Vater in vorwurfsvollen Ton, als ich mich endlich angezogen und mit frisch geputzten Zähnen in die Küche wage.

„Ja ... wir hatten noch was für die Schule zu erledigen."

„Oder aber du wolltest nicht dabei sein, während ich dein Geschenk öffne."

Oh oh.

„Was hast du dir dabei nur gedacht?"

„Äh ... nicht viel?" Ich werde etwas kleinlaut. „Das sollte doch nur ein Scherz sein."

Mein Vater atmet tief durch und legt mir dann seine Hände auf die Schultern. „Eeva, bitte gib dir etwas mehr Mühe! Ich will, dass es diesmal funktioniert. Es ist doch auch gut für dich, dass noch eine Frau im Haus ist."

Unwillkürlich verziehe ich das Gesicht.

„Mit ihr kannst du vielleicht Dinge bereden, über die ... über die du mit mir nicht sprechen kannst."

„Also ich kann mit dir über alles reden ... nur du nicht mit mir."

Mein Vater – Dr. Harald Beck – hat für fast jedes medizinische Problem eine Lösung. Für jeden Patienten ein offenes Ohr. Für jeden Schnupfen Nasentropfen, aber als ich – seine eigene Tochter – irgendwann in die Pubertät kam und meine Periode bekam, war er heillos überfordert. Mit einem Schlag wurde sein Haar schütterer, die grauen Strähnchen dehnten sich flächendeckend aus und ich hatte das Gefühl, er ginge mir aus dem Weg. Es gab Tage, an denen ich mir schon einen Termin bei ihm geben lassen wollte, nur damit ich mich in Ruhe mit ihm unterhalten konnte, aber mittlerweile löse ich meine Probleme lieber selbst. Oder versuche es zumindest.

„Harald, Liebling ... kannst du mir kurz deine Tochter ausleihen?", flötet Bettina aus dem Badezimmer.

Ich verdrehe genervt die Augen.

„Bitte, ich will doch nur, dass wir uns alle verstehen." Seine Stimme ist gesenkt, aber eindringlich. „Gib ihr eine Chance!"

Ich gebe nach und begebe mich missmutig ins Bad.

Bettina steht vor dem Spiegel und bürstet sich hingebungsvoll die Haare. Sie sieht aus wie ein Pferd, das sich gerade selbst striegelt. „Eeva, Herzchen, mir ist gerade meine Kreole hinter die Waschmaschine gefallen, und du hast doch so dünne Arme ..."

Normalerweise bin ich ein hilfsbereiter Mensch. Wirklich. Aber bei ihr mutiere ich immer zum furchtbarsten, störrischsten, intolerantesten und missratensten Teenager der Welt. Sie kitzelt das einfach aus mir heraus. Und die Art und Weise wie sie mit mir spricht. „Bist du dir sicher, dass du den wieder haben willst?"

„Sicher bin ich mir sicher."

Unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Einer feindseliger als der andere.

„Ich meine ja nur ... deine Ohrläppchen sehen so schon wie ausgeleierte Affenschaukeln aus." Ehrlich, ich bin sonst nicht so. Sie macht das aus mir.

Bettina zieht sich die Lippen in grellem Pink nach, wischt sich die Farbe von den Zähnen und schnalzt mit der Zunge. Dann dreht sie sich zu mir um und sieht mich an. Irgendwie von oben auf mich herab, obwohl wir beide in etwa gleich groß sind. „Hör zu, Schätzchen ..."

„Ich bin nicht dein Schätzchen!", zische ich sie an.

„Wie auch immer. Meine Mutter hat mir einen Rat mit auf meinen Lebensweg gegeben. Soll ich dir sagen, wie er lautet?"

„Nein, eigentlich nicht."

„Ich tue es trotzdem. Sie sagte, wenn du einen Mann willst, nimm ihn dir! Warte nicht, bis er weiß, was er will, er wird es nie wissen. Und ich habe ihren Rat befolgt, denn sie hatte recht. Und du wirst nichts daran ändern können. Also, sei so lieb, steh mir und deinem Vater nicht im Weg und verschwinde!" Ihre Stimme ist zuckersüß und giftig zugleich. „Geh, und spiele mit deinen kleinen Freunden ... oder was auch immer ihr so treibt!" Sie packt mich an den Schultern, so wie es kurz zuvor mein Vater getan hat, nur dass sich dieses Mal währenddessen ihre Fingernägel in meine Haut graben, und schiebt mich zielstrebig aus dem Bad. Dann schließt sie die Tür hinter sich, und ich stehe wie ein dummes Kleinkind davor.

Verdammte Bitch.

Ich muss mich stark zusammen reißen, dass mir vor Wut keine Tränen in die Augen schießen. Diesen Triumph über mich gönne ich ihr einfach nicht, obwohl ich Tag und Nacht darüber heulen könnte, dass mein Vater ausgerechnet ihr ins Netz gegangen ist. Ich beiße mir auf die Lippen, versuche ein Lächeln aufzusetzen - wenn auch ein ziemlich Verkniffenes – wünsche meinem Vater eine schöne Zeit in Paris und verlasse die Wohnung.

Die Wohnung, in der ich mich, seit Bettina da ist, nicht mehr zu Hause fühle.

Ich treffe Tomasz unten am Fluss. Schon von Weitem sehe ich ihn ungeduldig am Ufer hin und her tigern und erkenne daran, dass ich anscheinend mal wieder zu spät bin. Eigentlich sollte er sich mittlerweile daran gewöhnt haben und einfach später kommen als vereinbart. Ich habe doch auch im Laufe der Jahre die Nachteile erkannt, nur mit Jungen – also mit diesen speziellen Jungen – befreundet zu sein und bin darauf eingestellt, dass sie stets die gleichen Klamotten tragen, dass sie mir nie die Haare machen und dass sie mir immer alles weg essen. Da sollten sie auch so langsam mal eingeplant haben, dass ich gelegentlich ein wenig zu spät komme. Oder meistens.

Sobald Tomasz mich sieht, verschwindet sein grimmiger Gesichtsausdruck und er kommt mir ein Stück entgegen. Bei ihm fühle ich mich wie zu Hause und falle erschöpft von den letzten vierundzwanzig Stunden in seine Arme. Er ist geduldig mit mir, bombardiert mich nicht gleich mit Fragen und wartet, bis ich endlich bereit dazu bin, ihm von meiner Vision zu erzählen.

„Ich dachte wirklich, ich hätte diese Scheiße hinter mir", beginne ich nach einer Weile und setze mich auf den Baumstamm der riesigen Weide, die bis ins Wasser ragt. „Seit fast einem Jahr war gar nichts mehr und jetzt ..." Meine Brust ist wie zugeschnürt, und ich hole tief Luft.

Tomasz hockt sich vor mich und sieht mich besorgt an. „Mach dir nicht so viele Gedanken, Eeva! Ich meine, wie oft ist es denn dann auch wirklich eingetroffen?"

„Immer."

„Ja, aber das waren doch größtenteils nur Tiere."

Auch wenn Tomasz mir glaubt, dass ich diese Visionen habe und mich nicht wie die meisten anderen als verrückt und durchgeknallt abstempelt, sucht er jedes Mal nach einer plausiblen Ursache. Er glaubt nicht an Übersinnliches, sondern vermutet, dass ich einfach nur besonders feine Antennen habe und Gefühle stärker wahrnehme als andere.

„Und was ist mit Hanni, Heinz Buchwald und der furchtbaren Frau vom Fleischer?"

Tomasz winkt ab. „Die waren alle alt. Ihre Tage waren mit Sicherheit gezählt."

„Aber dieses Mal müssen wir es verhindern, Tomasz! Verstehst du?" Ich springe auf. „Dieses Mal darf es nicht geschehen."

Erschrocken von meinem kleinen Ausbruch weicht Tomasz ein Stück zurück. „Wer ... wer ist es?" Er schluckt schwer und wagt es nicht, mir in die Augen zu sehen. „Ist es ... einer von uns?"

„Nicht direkt."

„Aber es betrifft einen von uns?"

Ich nicke. „Es ist Connys Oma."

Tomasz Blick ist unergründlich, doch er wirkt auf irgendeine Art und Weise erleichtert. „Ach, die ...", sagt er, als wäre es nur halb so schlimm.

„Tomasz!", tadele ich ihn.

„Was denn? Connys Oma ist einfach nur eine gruselige Schreckschraube. Unfreundlich bis zum Gehtnichtmehr und nicht mal Conny gegenüber auch nur ein bisschen warmherzig."

„Und deswegen darf sie sterben?" Ich bin fassungslos. „Hast du mal an Conny gedacht? Er hat nur sie. Mit seinem Opa ist nicht mehr viel los ... der verliert sofort das Sorgerecht. Und Conny weiß, dass seine Oma nicht unbedingt der herzlichste Mensch der Welt ist, aber er mag sie trotzdem. Irgendwie."

Tomasz streicht sich nachdenklich über den Kopf. „Aber sie ist doch noch gar nicht so alt ... höchstens 57 oder 58."

„Ich glaube 58. Und genau deswegen müssen wir uns darum kümmern. Sie wird ja wohl kaum an Altersschwäche sterben."

„Und was ist, wenn du mal bei deinem Vater einen Blick in ihre Akte wirfst? Vielleicht ist sie schwerkrank und hat es nur niemandem erzählt ... immerhin raucht sie wie ein Schlot."

Ich schüttle den Kopf und werfe einen kleinen Zweig ins Wasser. „Die war schon seit Jahren nicht mehr in der Praxis."

„Vielleicht hast du dich auch geirrt. Wenn die Frau vor mir steht, schiebe ich auch jedes Mal einen Horrortrip."

„Blödmann." Ich muss lachen und schubse ihn ein wenig. „Das war kein Horrortrip. Ich weiß, was ich gesehen habe, und ich weiß, dass ihr weniger als eine Woche bleibt."

„Und jetzt?"

„Beschatten wir sie. Wir müssen auf sie aufpassen. Verhindern, dass sie vom Bus überfahren wird ... oder so."

Tomasz grinst. „Dann sollen Matti und Mitja einfach ihren Alten Bescheid geben, dass sie die nächste Woche etwas vorsichtiger fahren sollen."

„Wir sagen den beiden überhaupt nichts! Apropos ... wie geht es Mitja eigentlich?"

„Der ist wieder ganz der Alte. Hat uns heute morgen den Kühlschrank leer gefressen, und am Ende musste sich meine Mutter schützend vor die restlichen Brownies werfen, sonst hätte er sich glatt nochmal darüber hergemacht."

„Die beiden sind echt absolut lernresistent. Und genau deswegen ist es das Beste, Matti und Mitja vorerst nicht einzubeziehen. Die ziehen das nur ins Lächerliche oder verplappern sich, und ich will nicht, dass Conny etwas davon erfährt. Jedenfalls jetzt noch nicht."

„Und wie stellst du dir das vor? Zu fünft könnte jeder von uns mal ein Auge auf sie werfen, und es würde nicht alles an dir und mir hängen bleiben. Und außerdem ist morgen Schule ..."

Diesmal winke ich ab. „In einer Woche sind Ferien. Was soll da noch großartig passieren?"

„Also ...?" Tomasz streicht sich erneut grübelnd über die kurzen, dunkelblonden Haare.

„... also ... müssen wir wohl oder übel schwänzen."

Tomasz lacht laut auf. „Bist du dir sicher, dass solch drastische Maßnahmen wirklich nötig sind? Oder willst du dich nicht eher vor deiner Projektarbeit drücken?"

„Will ich überhaupt nicht ... ich bin nämlich schon längst fertig damit ... also fast ... quasi." Na schön, bis auf eine Idee habe ich bisher noch gar nichts, aber unter Druck arbeite ich eh immer am effektivsten.

„Da gehe ich lieber zur Schule, als Connys Oma beim täglichen Gang zum Altglascontainer zu beobachten."

„Das war so klar. Ich könnte dir eine Reise nach Disneyland spendieren inklusive Meet and Greet bei Mickey Maus und du würdest trotzdem lieber zur Schule gehen."

„Aber nur, weil ich schon lange über Mickey Maus hinweg bin." Er legt mir einen Arm um die Schultern und seufzt. „Ach, Eeva, niemand kennt mich so gut wie du, und du weißt, dass du immer auf mich zählen kannst, aber es macht wirklich keinen Sinn, die Alte Tag und Nacht zu beschatten. Die verlässt doch kaum noch das Haus." Er sieht mich an und ein amüsierter Zug breitet sich um seine Mundwinkel aus. „Und wenn doch, ist sie in ihrem Bademantel kaum zu übersehen."

Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und starre in den Himmel. Die dichte Wolkendecke lässt kaum einen Sonnenstrahl hindurch, und es hat sich spürbar abgekühlt. Ich schmiege mich enger an Tomasz und genieße die Wärme, die von seinem Körper ausgeht. Es fühlt sich gut an, ihn an meiner Seite zu wissen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren. „Na schön, vielleicht müssen wir ja nicht komplett schwänzen", gebe ich mich kompromissbereit. „Aber wenn es nötig sein sollte ..."

„Schon klar, schon klar. Dann werden wir – natürlich völlig uneigennützig – tun, was wir tun müssen."

Gemeinsam machen wir uns gegen Mittag auf den Weg zurück ins Dorf. Mein Magen hängt mir zwar mittlerweile ordentlich in den Kniekehlen, trotzdem überzeuge ich Tomasz davon, noch kurz bei Conny vorbei zu schauen. Selbst durch die versifften Fensterscheiben hindurch können wir erkennen, dass Renate Köhler auf ihrem gewohnten Platz auf der beigefarbenen Couch vor dem Fernseher sitzt und sind uns einig, dass sich dieser Zustand heute wohl nicht mehr großartig ändern wird. Und weil er nach eigener Aussage heute sowieso nichts Spannenderes mehr vorhat, begleitet Tomasz mich bis nach Hause.

„Wer ist das denn?", fragt er mich, kurz nachdem wir in meine Straße eingebogen sind und direkt auf den kleinen Marktplatz zuhalten.

Ich folge seinem skeptischen Blick und entdecke Nils, der vor meinem Haus auf dem Bordstein sitzt und raucht.

Den habe ich ja völlig vergessen.

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