6. Kapitel: Der Hafen
An diesem Abend wunderten sich die Muggel in Liverpool über die merkwürdigen Gestalten, die die Straßen der Innenstadt fluteten - Menschen mit langen Umhängen, spitzen Hüten oder Besen. Sie alle strömten zum Hafen.
Was aber noch seltsamer war, die Besucher verschwanden am Pier zwischen morschen Segelbooten und den Skeletten von aussortierten Kriegsschiffen, als wären sie vom angrenzenden Wasser verschluckt.
Nirgends war eine große Ansammlung von den absonderlichen Personen auszumachen. Wohin gingen sie alle?
Die warme Abendsonne stand bereits tie und wurde von den auftürmenden Werften und Speichergebäuden abgeschirmt. Im Schatten beobachtete ein dunkelhaariger Junge dieses bizarre Schauspiel von kauzigen Passanten und verwirrten Muggeln. Er hatte sich etwas abseits gegen eine Straßenlaterne gelehnt, deren Licht schon vor vielen Jahren erloschen war.
Er war müde. Und der fordernde Kopfschmerz, den er tagsüber unterdrücken konnte, wurde wieder lauter. Tom wollte am liebsten schnell zurück in die kleine, stickige Schlafkammer im Pub. Allerdings war diese heutige, abendliche Veranstaltung sein Ticket aus dem Waishaus gewesen. Er sollte sich also definitiv auf dem Konzert der "Seven Sisters of Sirens" sehen lassen. Aus Respekt seinem Lehrer gegenüber und weil...
Ein Rabe landete auf Toms Schulter und pickte an seinem Ohr.
"He!", beschwerte sich der Zauberer und schüttelte seinen Kopf um das Tier abzuwimmeln. Der Vogel ließ von dem Jungen ab und drückte sich von dessen Schulter hoch in den orange-roten Abendhimmel.
"Tom!", eine klare Stimme durchschnitt die salzige Luft. Während Toms Augen noch den Himmel, nach dem schwarzen Raben absuchten, hatten sich bereits zwei Arme um ihn geschlungen und ein frischer, blumiger Duft stieg ihm in die Nase.
"Ava", murmelte er zufrieden und blinzelte auf die blonden Locken der Hexe herunter. Die Kopfschmerzen waren - zumindest für einen kurzen Augenblick - vergessen und ein Lächeln legte sich über die verhärteten Gesichtszüge des Jungen: "Bist du gut hergekommen?"
Ava löste sich aus der Umarmung: "Ja, bin ehrlich gesagt mit der Tram gefahren. Ist ja nicht so weit von Moms Wohnung", sie kicherte, als wären öffentliche Verkehrsmittel das verrückteste auf der Welt: "Aber wie cool ist das bitte, dass wir uns in den Sommerferien in Liverpool treffen, um auf ein Konzert der Seven Sisters zu gehen? Hättest du mir das vor einem Jahr gesagt, ich hätte dich für verrückt gehalten, Riddle!"
Toms Lächeln wurde breiter. Es war noch kein ganzes Jahr her, da hatte er Ava das erste mal so richtig wahrgenommen. Sie hatten als frisch gebackene Vertrauensschüler zusammen im Hogwartsexpress Patrouille gehen müssen. Wahrscheinlich waren es die anfänglichen Meinungsverschiedenheiten gewesen, die Tom so fasziniert hatte. Ava war schlau, schön, mutig, ein wenig frech und sie war als einige der wenigen nicht auf anhieb seinem Charm verfallen. Genau das hatte ziemlich schnell Toms Interesse und Ehrgeiz geweckt.
Seit sie sich kannten, hatte er nun recht regelmäßig den Wunsch, Ava Starling in seinen Bann zu ziehen und sie möglichst nah bei sich zu halten. Doch für mehr als eine kurze Liebelei, einen großen Streit und letztendlich eine freundschaftliche Versöhnung hatte es bisher noch nicht gereicht.
Soweit der aktuelle Stand.
"Wie waren deine Ferien bisher? Du hast ja nicht so viel geschrieben", Avas Lächeln verblasste leicht, während sie einen Schritt zurück ging und sein Gesicht konzentriert musterte. Sicherlich hatte sie die blauen Schatten unter Toms Augen, die hervortretenden Wangenknochen und die immer kantiger werdenden Züge bemerkt.
"War ok", Tom vermied es, seinen Mitschülern etwas über seine Zeit außerhalb von Hogwarts preiszugeben. Zu groß war die Scham darüber, im Muggelwaisenhaus aufgewachsen zu sein. Ava war auch die erste gewesen, die ihm überhaupt in den Ferien Briefe geschickt hatte. Nicht weil seine anderen Freunde das nicht gewollt hätten, sondern weil er darauf geachtet hatte, dass niemand wusste, wo er zu finden war.
"Du siehst so als, als hättest du nicht viel Sonne abbekommen?", horchte das Mädchen weiter nach. Doch der Zauberer zuckte nur genervt mit den Schultern: "Wollen wir zum Konzert?"
"Sorry, war unnötig", murmelte sie entschuldigend: "Ich frag nicht mehr nach, wenn du nicht erzählen möchtest."
Die beiden blieben noch einen Moment schweigend unter der Laterne stehen. Als eine Gruppe von kichernden Hexen an ihnen vorbei eilte, gab Tom sich einen ruck und sie folgten den im Wind wehenden Umhängen. Sie gingen an kleinen, schaukelnden Booten vorbei, ein paar Fischernetze verströmten einen unangenehmen Geruch nach Fisch.
So langsam fragte sich Tom, wo denn das so groß angepriesene Konzert sein sollte. Doch als er seinen Blick weiter schweifen ließ entdeckte er am Ende des Piers, wonach er gesucht hatte. er war sich sehr sicher, dass auch die Gruppe vor ihnen genau auf dieses Schiff zusteuerten.
Eine morsche Bretterrampe führte zu einem großen, löchrigen Schiffswrack. Die Gruppe vor ihnen betrat selbstbewusst einen morschen Steg. Der riesenhafte Rest einer verlorenen Kriegsflotte wiegte sich mit den Wellen und das verrostete Metall quietschte bei jedem Windzug. Ein lebloser Kadaver, der nur durch Magie Überwasser gehalten wurde.
Während Ava und er sich dem Schiff näherten sog er die vor Magie lodernde Luft tief in seine Lungen ein. Einen Schritt weiter über das morsche Holz, dann hatten sie den metallenen Korpus betreten und sie durchbrachen das für Muggel aufgestellte Schutzschild.
"Wow!", staunte die blonde Hexe begeistert. Das Schiff war plötzlich nicht mehr löchrig. Ganz und gar nicht! Sie schoben sich an einer schwer zu durchdringenden Menge an Hexen und Zauberern vorbei.
"Tickets bitte!", eine forsche, krähende Stimme durchbrach den Moment und eine ältere Hexe mit aufgedrehten, rot leuchtenden Locken wedelte mit ihren fetten Fingern vor Toms Gesicht herum.
"Hier...", Tom fischte die Karte aus der Hosentasche. Ava tat es ihm gleich. Die Hexe schaute beide Karten prüfend an, murmelte einen Zauberspruch, dann lies sie die beiden Jugendlichen passieren: "Keine Flüche, wer sich duelliert wird sofort das Schiff verlassen. Stundengläser und Fanartikel finden sie am Ausgang rechts. Das Konzert ist oben auf dem Deck und Getränke gibts gegenüber von der Bühne an der Bar. Folgen sie einfach den Pfeilen."
Ava strahlte der Hexe entgegen, die just in diesem Moment eine Kaugummiblase vor dem Gesicht des Mädchens zerplatzen ließ. Ava strahlte nur noch breiter und drehte sich zu Tom: "Also, was willst du trinken, Riddle? Ich lad dich ein. Das ist das mindeste, was ich im Gegenzug für die Tickets tun kann."
Tom, der nie wirklich Geld besessen hatte - das wenige, dass er sich in den Jahren "verdient" hatte, gab er ungern aus - war dankbar für die Einladung und folgte Ava durch die Menschenmassen.
"Ich war noch nie auf einem so großen Konzert. Mum arbeitet ja beim Tagesprobeten, da kriegt sie manchmal Karten für Veranstaltungen... Aber die Seven Sisters of Sirens... das ist so cool!", schwärmte die blonde Hexe immer wieder.
"Wie gehts deiner Mutter denn? Ist deine Momentan denn jetzt grad zuhause?", fragte Tom. Er wusste, dass Avas Mutter aufgrund ihres Jobs als Journalistin die meiste Zeit unterwegs war und selbst in den Sommerferien ihre Tochter nur selten sah.
Das Mädchen blieb kurz stehen, zögerte und zuckte mit den Schultern: "Eigentlich hätte sie die nächsten Tage frei gehabt... Ich bin ja jetzt auch extra von meinen Großeltern früher zurück gekommen. Aber heute morgen kam wohl vom Büro eine wichtige Memo. Mal wieder eine große Story, der sie nun hinter reisen muss."
Dann drückte sich Ava weiter durch die Menge, hin zur großen verrosteten Treppe, die aufs Deck führte.
"Eine Story? Worum gehts?", Tom versuchte nicht zu neugierig zu klingen.
"Ein Mord an drei Muggeln. Wird wohl vermutet, dass Magie im Spiel war und jetzt soll Mom die Ermittlungen begleiten, damit der Tagesprophet als erstes alle Infos veröffentlichen kann."
Der Magen des Sechzehnjährigen zog sich zusammen und der Kopfschmerz pochte verräterisch laut. Er entschied, dass es besser war nicht allzu interessiert an dem Fall zu sein.
"Tut mir leid, dass ihr dadurch weniger Zeit miteinander verbringen könnt", murmelte er bewusst einfühlsam und legte seine Hand auf Avas Schulter, während diese sich weiter durch die Masse kämpfte. Mit Gedanken noch halb bei der Frage, ob Avas Mutter tatsächlich über den Mord der Riddles im Tagespropheten berichten würde, beeilte er sich der blonden Hexe zu folgen.
Egal wie sehr er ihre Nähe schon jetzt wieder genoss, ärgerte es Tom unheimlich, wie Ava ihm immer wieder ein paar Schritte voraus durch die Menschenmenge eilte. Er hätte sie gern näher bei sich behalten. Der Wunsch sie für sich zu beanspruchen und sie nicht mit dieser Menge teilen zu müssen pochte parallel zum Schmerz in seinem Kopf und machte Tom nur noch nervöser.
Doch oben an Deck angekommen blieb Ava stehen und drehte sich zu ihm um. Sie versuchte zu lächeln, es gelang nur halb: "Schon okay... Bleib doch sonst bei uns für den rest der Ferien? Also falls du nicht verplant bist oder... Oliver oder... Walburga noch besuchen wolltest..."
Der Kopfschmerz ebbte ab: "Ich würd gern die Ferien bei dir verbringen." Tom dachte an die kleine, stickige Kammer im Pub, die Professor Slughorn einige Tage für ihn gebucht hatte. Unklar, wie lange er dort überhaupt verweilen konnte oder was Slughorns Plan gewesen war.
Die restlichen Ferientage sollte er sowieso lieber die Füße stillhalten und abwarten. Gemeinsam mit Ava waren das gute Aussichten.
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* Ava is back!
* Ich hab btw die ganze zeit hin und her überlegt, ob die "Seven Sisters of Sirens" vllt irgendwie Veelablut in sich tragen sollen oder so, weil die Sirenen ja als Antike Gestalten auch Seefahrer verführt haben und quasi der Vorläufer für J.K.'s Veela waren... Lasst mich wissen was ihr darüber denkt :)
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