5. Kapitel: Das Loch in der Wand
Es brauchte dank Flohpulver keine Minute um von Rose Millers Wohnzimmer in Little Hangleton nach Liverpool zu reisen. Als Tom nun, gegen Mitternacht, den Liverpooler Zaubererpub "Ye Hole In Ye Wall" durch die Feuerstelle gegenüber der Theke erreichte, hatte der Wirth bereits damit begonnen den kleinen Pub mit Reinigungszaubern zu beschwören. Die Barhocker stellten sich just im Moment von Toms Ankunft von selbst auf die umliegenden Tische.
"Mo-Mo-Moment!", stotterte der kleine, hagere Wirth als er den Ankömmling bemerkte und hielt die Hand in einer aufhaltenden Geste in Toms Richtung: "Bitte nicht die Asche auf dem Boden verteilen! D-D-Der B-B-Boden ist frisch gewischt. W-w-wir haben schon geschlossen."
Tom blieb stehen. Es kostete ihn größte Überwindung freundlich zu bleiben während sein Kopf immer noch schmerzvoll pochte: "Verzeihen Sie die Störung, Professor Slughorn hatte mir gesagt ich soll hierher kommen."
"Ach, du bist T-T-Tom?", die Putzenden Lappen sanken sofort zu Boden und der hagere Mann eilte gebückt hinter der Theke her. Im schlechten Licht leuchtete sein Haar und der Schnäuzer orange. Tom konnte Sommersprossen und deutlich ausgeprägte Falten auf der Stirn des Mannes erkennen. "Horace h-h-hat gesagt, du würdest fr-früher kommen. G-G-Gab es Schwie-Schwierigkeiten-n?"
Tom nickte und blickte entschuldigend zu Boden. "Ich habe wohl nicht deutlich genug gesprochen, bin wo ganz falsch rausgekommen und musste dann erstmal neues Flohpulver auftreiben", log Tom ohne mit der Wimper zu zucken.
"D-Dir geht es g-g-gut?", der Wirth musterte Tom. Der Junge nickte: "Ja, ich bin nur müde."
"N-N-Natürlich. Folge m-m-mir, ich z-z-zeig dir das Z-Zimmer", Mit einem Schwenk des Zaubertabs ließ der Wirth Toms Koffer hinter sich her schweben. Tom klopfte die Kleidung von der Asche frei, wobei sie auf dem glänzenden Boden fiel. Der Wirt, der Tom bereits den Rücken zugedreht hatte, bemerkte es nicht und führte den Sechzehnjährigen an der Theke vorbei, eine schmale, gewundene Treppe hinauf in einen verwinkelten Gang. Sie passierten mehrere Türen mit silbernen Nummern. Beim Zimmer 7 am Ende des Flurs blieb der Wirth stehen, öffnete die Tür mit einem geschwungenen Schlüssel und gestikulierte Tom hineinzugehen: "Is n-nicht so groß, a-a-aber gemütlich. M-m-morgen früh k-kannst du ausschlafen. F-F-Frühstück macht B-B-Berta wenn du so weit bist." Es machte dem Mann aufgrund des stark ausgeprägten Stotterns wohl große Mühe längere Sätze zu sprechen, dennoch ergänzte er: "D-D-Dein Professor ha-hat bereits für d-d-die nächsten T-T-Tage bezahlt. G-G-Gute N-Na-Nacht."
Tom bedankte sich höflich, innerlich genervt von dem Stottern des Mannes. Dann verabschiedeten sich beide voneinander.
Der Junge lag noch einige Zeit wach. Seine Gedanken wirbelten immer noch ungeordnet im Kopf umher. Die Erleichterung oder das Gefühl von Freiheit, dass er sich nach dem Mord an seinem Vater erhofft hatte, stellte sich noch nicht ein. Stattdessen ließen der pochende Kopfschmerz und die kribbelnde Zauberstabhand nicht nach.
Während Tom seine blassen Finger massierte, reflektierte sich die Nacht im glatt geschliffenen schwarzen Stein, den Tom Morfin abgenommen hatte und der nun seinen Finger schmückte.
Seine Augen suchten den dunklen Himmel ab, aber fanden sich in der verzerrten Reflexion auf dem unebenen Glas des kleinen Fensters wieder. Sein Gesicht war kantiger und blasser denn je. Zumindest sah er seinem Vater weniger ähnlich. Vielleicht ein Licht auf der gegenüberliegenden Straßenseite, dass die Spiegelung seiner Augen kurz rot aufblitzen ließ.
Er sollte definitiv schlafen und morgen damit beginnen, wieder mehr zu essen.
***
Tom wachte am nächsten Tag erst kurz vor Mittag auf. Er hatte schlecht geschlafen. Das Zimmer war stickig und viel zu warm und seine Träume vom grünen Licht, einem toten Fasan und drei Leblosen Gesichtern hatten ihn schweißgetrieben immer wieder aufschrecken lassen.
Der Junge zwang sich aufzustehen. In drei Schritten hatte er die kleine Kammer durchquert und die Nische mit Waschbecken und Dusche erreicht. Das kalte Wasser wischte den klebrigen Schweiß von seinem Körper. Aus seinem Koffer suchte er sich frische Kleidung. Kämmte die noch nassen, sich wellenden Haare zurück.
Sein Spiegelbild ließ ihn kurz innehalten. Die markanten Wangenknochen wirkten fast spitz. Die dunklen Augen lagen im Schatten. Blaue Adern zeichneten sich an seiner Schläfe ab. Tom presste die Lippen zusammen. Er sollte definitiv frühstücken und vielleicht konnte er nach dem Essen einfach wieder einschlafen.
Missmutig verließ er das kleine Zimmer und ging durch den schmalen Flur, die gewundene Treppe hinunter in den Pub.
Tom staunte nicht schlecht, als der gestern noch so leere Raum voll mit Hexen und Zauberern war. Viele von Ihnen trugen Reiseumhänge und ließen Koffer neben sich schweben. Sie alle wollte wohl heute über Nacht im "Ye Hole In Ye Wall" bleiben.
Der Sechzehnjährige setzte sich an die Theke und lauschte den Gesprächen der Umherstehenden.
"Bin so gespannt auf heute Abend!" - "Die letzte Tour war ich in Glasgow dabei." - "Find seit die siebte Schwester ausgetauscht wurde, haben sie nachgelassen" - "Hoffe sie spielen Wicked Potions"
Sie alle waren wohl für das Konzert der "Seven Sisters of Sirens" da und warteten nur auf ein Zimmer für den Abend. Tom wusste, dass die Hexenband in der magischen Welt sehr beliebt war. Selbst die bemüht desinteressierte Walburga Black war extrem neidisch gewesen, dass Slughorn Tom und nicht ihr Karten für das Konzert geschenkt hatte. Der Sechzehnjährige hatte aber nicht damit gerechnet, dass so viele Hexen und Zauberer für ein Konzert nach Liverpool anreisen würden.
Aber es war wundervoll. Tom sog die Luft, die voll von Magie war, in seine Lungen ein und seufzte.
"He, kann ich dir helfen?", eine etwa Mitte zwanzigjährige Hexe lehnte sich über den Tresen vor zu Tom und musterte ihn verstohlen hinter ihrem schwarzen, stark gelockten Haar. Als er nicht direkt reagierte ließ sie die olive gebräunten Finger auf dem Holz tippeln: "Also?"
Tom, verzögert aus seinen Gedanken gerissen, nickte: "Habt ihr Frühstück da?" Die Hexe ließ als Antwort mit einem Wisch ihres Zauberstabs eine Tasse Kaffee vor Tom schweben: "Mit Milch oder Zucker?"
Eigentlich bevorzugte Tom Tee aber antwortete höflich: "ne danke, lieber schwarz."
Sie hob den Daumen und musterte ihn weiter interessiert: "Das All English kommt gleich. Bist du der Junge, der gestern um Mitternacht angekommen ist?" Ihre grünen Augen fuhren ungeniert von seinem Scheitel über sein Gesicht bis hin zum creme-weißen Hemd.
"Ja", entgegnete Tom trocken. Er hoffte das Gespräch würde ein Ende finden, aber die Neugier der Hexe schien bei Weitem noch nicht gesättigt: "Ich bin Berta!" Freundlich hielt sie Tom die Hand über die Theke.
"Tom", er ignorierte die Geste.
"Freut mich, Tom!", Berta zwinkerte und setzte grad zu einer weiteren Frage an, aber er unterbrach sie ungehalten: "Sag mal, könnte ich zum Frühstück noch einen Tagespropheten bekommen?" Seit Wochen hatte er - bis auf die Briefe von Ava - keinen Kontakt zur Zaubererwelt gehabt. Es wäre sicher gut sich einen Überblick zu verschaffen.
Die Hexe nickte. Plötzlich war ihr Gesichtsausdruck viel angespannter und ernster: "Klar! Gibt wohl schon wieder Unruhen im Ministerium. Diesen Sommer ist es wohl besonders kritisch. Hoffe Spencer-Moon reißt nochmal das Ruder um." Tom schaute die Hexe fragend an. Es war ihm unangenehm, aber oft fehlte ihm doch der Einblick in die magische Gemeinschaft. Einzig im gut geschützten Hogwarts bekam er ein paar Informationen zur politischen Situation. Berta bemerkte Toms Blick. Sie beugte sich hinunter, griff hinter die Theke und reichte ihm eine Zeitung.
Droht Grindelwald nun dem Ministerium und Spencer-Moon mit Krieg?
Die Schlagzeile auf der ersten Seite war mit einer Fotografie des amtierenden Zaubereiministers gespickt. Spencer-Moon schüttelte immer wieder den Kopf. Daneben eine Zeichnung von Grindelwald.
"Ich dachte, nur die Muggel hätten Krieg...", murmelte Tom mehr zu sich selbst als zu der jungen Hexe an der Bar. Doch Berta fühlte sich sichtlich angesprochen und zog eine Augenbraue hoch: "Hast du die letzten Wochen unter eine, Stein gelebt? Grindelwald hat inzwischen so viele Anhänger, dass er das Ministerium übernehmen möchte."
Tom runzelte die Stirn. Er hatte in den letzten Jahren immer wieder seine Freunde von dem schwarzen Magier Gellert Grindelwald reden hören. Ein Zauberer, der die Reinheit der Magie anstrebte - nichts verwerfliches. Viele Slytherins unterstützten Grindelwalds Politik. Deshalb war Tom nun doch etwas erstaunt, dass hier von Krieg die Rede war. Wollte sich vor Berta aber seine Unwissenheit nicht weiter anmerken lassen. Deshalb zuckte er abtuend mit den Schultern und murmelte: "Ist wohl ne Frage der Interpretation."
Berta runzelte die Stirn, beließ es aber dabei und machte sich daran, Toms Frühstück vorzubereiten. Während er wenig später hastig das Spiegelei und die Bohnen verschlang, überflog der Junge die weiteren Nachrichten im Tagespropheten. Nichts über einen Mord in Little Hangleton, der irgendwie mit Zauberei in Verbindung gebracht wurde. Sehr gut.
Aber waren die Leichen von den Riddles überhaupt schon entdeckt worden? Hatte jemand überhaupt bemerkt, dass die Familie Riddle nicht mehr lebte?
Etwas beruhigter faltete Tom die Zeitung zusammen und legte sie neben den leeren Teller. Der volle Pub war inzwischen noch voller geworden und immer mehr Hexen und Zauberer drückten sich an Tom vorbei. Wie sollten die alle hier unterkommen?
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Den Pub gibts wirklich in Liverpool, er ist wohl einer der ältesten und ich fand den Namen irgendwie ganz passend. Wer weiß, vielleicht nächtigen dort über dem Pub ja tatsächlich Zauberer und Hexen?
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