3. Kapitel: Der Heimkehrer
Um etwa halb acht Uhr Abends schreckte Rose Miller aus ihrem karierten Ohrensessel auf, als die kleine, wärmende Flamme im Kamin plötzlich in einer grünen Rauchwolke explodierte. Der alleinstehende Geschichtslehrerin mit den rot gefärbten Haaren rutschte die Lesebrille von der Nase und sie ließ ihren heiß geliebten Groschenroman "Der Gärtner und das Mädchen" auf den geblümten Teppich fallen.
Verwundert beobachtete sie, wie ein großbewachsener, junger Mann aus dem Rauch hervortrat. Er klopfte sich den Staub von der Kleidung, dann hievte er einen alten Lederkoffer aus dem Kamin.
Rose war sehr verwundert über den hübschen Besucher. Es war beinahe wie in einem ihrer Romane. Ein geheimnisvoller Fremder. "Der Mann aus Feuer und das Mädchen mit den Flammenhaaren", wäre sicher ein passender Buchtitel für sie beide, dachte Rose verträumt.
Doch Tom Riddle war nicht aus Feuer, seine Leidenschaft brannte nicht und er hatte auch keine Augen für die alleinstehende Frau mit den aufdringlich rot gefärbten Haaren. Der dunkelhaarige, hübsche Junge schritt unbeeindruckt an Rose vorbei zur Eingangstür. Er war so schnell gegangen, wie gekommen war und am nächsten Tag würde Rose die seltsame Begegnung bereits als Traum abstempeln.
In der Gasse neben Roses Haus, hinter einer großen Tonne, versteckte Tom seinen Koffer. Da er nun wusste, dass dieser Muggelkamin fälschlicher Weise mit dem Flohnetzwerk verbunden war, würde er heute Nacht hierher sowieso zurückkehren. Das schwere Gepäck wollte er für sein Vorhaben nicht mit sich schleppen müssen, schließlich musste er unbemerkt bleiben.
Und dann machte er sich auf den Weg. Er war bereits letzten Winter in Little Hangelton gewesen und es brauchte nur einen kurzen Moment, bis er von der kleinen Hauptstraße aus den richtigen Weg Richtung Wald eingeschlagen hatte. Tom wusste genau wohin er wollte. Auf seinem Plan standen zwei Zwischenstopps bevor er nach Liverpool weiterreisen würde.
Beim letzten mal hatte es geschneit, als Tom hier gewesen war und den Weg zu der verkommenen Hütte im Wald entlang marschiert war. Der Boden war damals matschig gewesen, hatte ihm an den Füßen geklebt. Jetzt im Sommer war der Waldboten trocken. Dürr. Kaum bewachsen. Lebensfeindlich. So als würde den Pflanzen und Tieren die Energie herausgesaugt von einem Parasiten. Und wahrscheinlich traf das auch zu. Morfin Gaunt war wahrlich ein Parasit.
Tom erinnerte sich nur ungern an das erste, kurze Zusammentreffen mit seinem Onkel. Er fragte sich, ob Morfin heute anders auf seinen Neffen reagieren würde. Das letzte mal hatte er Tom mit unverzeihlichen Flüchen aus der Waldhütte gejagt.
Und da stand der junge Zauberer auch schon vor dem Bretterverschlag von Haus. Kurz zögerte er. Dann klopften die weißen Knöchel gegen die Tür, wohl bedacht nicht die toten Schlangen zu berühren, die an das Holz genagelt waren.
Keine Reaktion.
Tom klopfte erneut an die verfallene Tür. Am liebsten hätte er sie einfach mit alohomora geöffnet, aber er wollte nicht zaubern. Zumindest noch nicht. Nicht mit seinem eigenen Zauberstab. Heute musste Tom darauf achten die eigenen Spuren zu verwischen.
Deshalb atmete der Sechzehnjährige tief ein, klopfte erneut und zischte auf Parsel: "Morfin Gaunt, öffne die Tür. Das fordert Salazars letzter Erbe!"
Und tatsächlich! Endlich regte sich jemand oder etwas. Tom hörte ein Schlurfen und Knarzen. Und dann wurde die Tür mit einem überraschend starken Ruck aufgezogen. Ein schielendes Paar Augen musterte Tom aus dem Dunkel: "Slazars Erbe, pah! Wie kannst du das behaupten..."
Morfin hob die linke Hand und streckte sie aus dem Schatten in Toms Richtung. Ein wenig Licht traf auf einen schwarzen, glänzenden Stein, den der Zauberer am Zeigefinger trug. Tom fixierte den Ring.
"Ich bin Salazars letzter Erbe! Letztes Reinblut! Nicht du!", schrie Morfin schrill und wedelte mit dem Ring weiter vor Toms Gesicht, als wolle er den Jungen hypnotisieren.
Es war nicht ganz eindeutig, ob der Onkel seinen Neffen wiedererkannte. Ob sich Morfin überhaupt an den Besuch vor einem halben Jahr erinnerte? Hatte der Mann doch seinen Verstand längst verloren oder niemals besessen.
"Du willst Salazars letzter Erbe sein?", krächzte der Zauberer.
"Ja, das bin ich", antwortete Tom selbstbewusst und ruhig. Daran bestand seit dem letzten Schuljahr für Tom kein Zweifel mehr. Er war der Erbe von Salazar Slytherin. Er hatte die Kammer des Schreckens geöffnet. Er hatte das Monster von Slytherin erweckt und auf Schlammblüter gehetzt. Er, Tom Riddle, war Slytherins Erbe. Daran bestand kein Zweifel.
"Lügner!", Schrie Morfin: "Du traust dich hierher zurück?"
Er erinnerte sich also doch an Tom: "Der dreckige Bastart meiner Blutsverräterin von Schwester. Sohn des Muggels! Siehst aus wie er..." Tom bemerkte, wie sich sein leerer Magen zusammenzog und ihm schlecht wurde. Aber er durfte Morfin nicht weiter brabbeln lassen. Er durfte nicht zu lange warten. Wenn Morfin wütender wurde und den Zauberstab gegen ihn erhob wäre es zu spät, denn Tom durfte nicht zaubern. Noch nicht.
Statt auf Morfins Worte weiter einzugehen, schritt Tom ruhig auf den Onkel zu. Mit jedem Schritt weiter hinein in die dreckige, heruntergekommene Hütte übermannte Tom der Gestank von verdorbenem und modrigem. Und mit jedem Schritt konnte Tom die von den Schatten ummantelte Person besser erkennen. Morfin sah ähnlich schlecht aus wie bei ihrem ersten Treffen vor einem halben Jahr. Er war hager, hatte verfilztes Haar und einen gekrümmten Rücken.
Niemand hätte wohl vermutet, dass sich hier Neffe und Onkel gegenüber standen. Das Erbgut, dass sich die beiden teilten, war absolut nicht sichtbar. Der schöne, großbewachsene Sechzehnjährige mit dem Marmorgesicht und den dunklen Locken stand dem gekrümmten, hageren, vom Staub und Dreck grau gefärbten Schatten gegenüber.Es war schwer zu ertragen seiner Vergangenheit entgegenzutreten. Tom schämte sich. Es war endlich Zeit, die Brücken einzureißen und die letzten Spuren unter dem Dreck und Staub von Morfin begraben zu lassen.
Tom ging noch einen Schritt auf den Onkel zu. Morfins hasserfülltes Gebrabbelt wurde allmählich leiser, während Tom eines der zwei schielenden Augen fixierte. Nun begann der Mann langsam angsterfüllt zu jammern: "Raus da... Junge... raus da! Raus... raus... raus!" Morfin begann nun die eigene Hand gegen den Kopf zu schlagen: "Raus aus meinen Gedanken!"
Es funktionierte! Immer noch den Blick auf Morfin geheftet streckte Tom seine rechte Hand aus und legte sie auf den Kopf des Onkels. Für einen kurzen Moment war es, als würde Morfins Gebrabbel den ganzen Raum erfüllen und Bilder flackerten in Toms Geist auf. Erinnerungen, die nicht seine waren. Erinnerungen von Morfin. Eine junge, blasse Frau mit dunklen Augen die Tom vor einem Jahr in seinem Traum das erste mal gesehen hatte. Sie kniete vor einem etwas weniger verwahrlosten Morfin und flehte: "Sag es nicht Vater... Bitte nicht! Er bringt ihn und dann mich um, Bruder!" - "Elende Squib! Schande für unsere Familie! Schande für Slytherin. Nur gut wenn Vater den Muggel umbringt." Das Mädchen klammerte sich an Morfins Knöchel: "Nein!" Mit aller Kraft riss sich Tom aus dem Griff seiner Mutter und den Erinnerungen des Onkels los.
Als Tom wieder zu sich kam, lag Morfin bewusstlos auf dem Boden der Hütte mit dem Gesicht im Schmutz. Um auf Nummer sicher zu gehen, trat Tom noch einmal gegen den Hinterkopf des Onkels, dann beugte er sich vor und riss dem Bewusstlosen Ring und Zauberstab aus der Hand. Tom hatte den ersten, einfachen Teil seines Plans erfolgreich erfüllt. Der fremde Stab kribbelte unangenehm in Toms Fingern.
Tom war nervös, hatte Sorge, dass ihm der Fluch ohne seinen Eibenstab nicht gelingen würde. Sowieso hatte er sich bisher nur einmal - letztes Schuljahr während einem Quidditchspiels - zu einem unverzeihlichen Fluch hinreißen lassen und damals war es weniger geplant als aus dem Affekt heraus passiert. Er war beinahe erwischt worden und damals hatte es sich "nur" um den Cruziatus gehandelt. Noch nie hatte Tom "Avada Kedavra" genutzt. Würde der Plan dennoch aufgehen? Würde ihm der Fluch genau so leicht wie der Curziatus von den Lippen kommen?
Schnellen Schrittes verließ der sechzehnjährige die Hütte.
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