9. Kapitel: Ankunft in Hogwarts


Als der Hogwartsexpress in den kleinen Bahnhof von Hogsmeade einfuhr, dämmerte es bereits. Tom hob seinen Koffer vom Gepäcknetz und half anschließend Walburga. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Ava und die Vertrauensschülerin aus Gryffindor, Mathilda, ihre Gepäckstücke mit "Wingardium Leviosa" durch das Zugabteil bewegten. 

Aus einem ersten, sehr merkwürdigen Impuls heraus, hätte Tom Avas Koffer direkt in Empfang genommen, allerdings erinnerte er sich daran, dass er nur zwei Arme hatten und bereits seinen und einen von Walburgas Koffern trug. Außerdem wollte er auch nicht zu bemüht wirken. Falls Crouch bereits Gerüchte über ihn und die Ravenclawschülerin gestreut hatte, musste er diese ja nicht noch befeuern. Stattdessen hielt er sich an die schwarzhaarige Hexe aus seinem Haus. 

Gemeinsam verließen sie den Zug, nachdem er mit einem Ruck zum Stehen kam. Sie gingen das Bahngleis entlang, wo Tom und Walburga von anderen Slytherins aus ihrem Jahrgang begrüßt wurden. Walburgas Cousin, Theodore Crabbe, klein, kantig und kompakt, winkte den beiden Vertrauensschülern aus der Ferne zu und gab Tom zur Begrüßung einen kumpelhaften Handschlag, den Tom leicht angewidert entgegen nahm. Lucy Rosier, ein großes Mädchen mit straßenköterblonden Haare, die streng zu einem Dutt gebunden waren, umarmte Tom für seinen Geschmack etwas zu vertraut. Hinter ihr folgten Charles Lestrange und Oliver Gamp, die beiden Treiber der Quidditchmannschaft.

Auf dem Weg zu den Pferdelosen Kutschen steckten die beiden Mädchen ihre Köpfe tuschelnd zusammen. Die Jungs teilten währenddessen ihre belanglosen Pläne  für den Abend. Tom stellte schnell fest - das war ihm auch schon im Zug aufgefallen - der Krieg der Muggel stellte für die Zauberer kein relevantes Thema da. Es faszinierte ihn, wie die Bombenangriffe über London anscheinend für niemanden erwähnenswert waren. 

Stattdessen wurde unter seinen Freunden die politische Lage innerhalb der Zaubererwelt heiß diskutiert. Lucy berichtete von einer Haushaltshilfe ihrer Eltern, die wohl ein wertvolles Familienerbstück gestohlen hatte. Ihre Geschichte beendete sie mit den folgenden Worten: "Mutter und Vater wollten ihr echt eine Chance geben, hatten Mitleid mit der Frau, weil sie halt durch ihre Muggelherkunft so benachteiligt ist. Aber sie hat das Wohlwollen einfach ausgenutzt und stattdessen ihre Taschen mit dem Vermögen meiner Familie gefüllt." 

"Schlammblütern kann man einfach nicht vertrauen", antwortete Walburga vielsagend.

Charles ergänzte: "Nichts funktioniert besser, als Hauselfen für solche niederen Aufgaben einzusetzen. Schlammblüter sollte man aus der Zauberergemeinschaft besser ganz heraushalten." 

"Ja. Zum Glück gibt es ein paar Magier, die Verantwortung für unsere Gemeinschaft übernehmen und sich über die Gesetze des Ministeriums hinwegsetzen", Theodores Stimme war etwas zu laut und seine Cousine ermahnte ihn mit einem schnippischen "Pssst!" Böse musterte sie ihn bevor sie mit gesenkter Stimme ergänzte: "Du solltest vielleicht nicht hier über Grindelwalds Ideologien sprechen, Mom und Dad haben mir erzählt, dass Dumbledore wohl nicht gut auf den dunklen Magier und seine Ideen zu sprechen ist."

Aber Theodore wollte sich von dem schwarzhaarigen Mädchen nicht das Wort verbieten lassen und sprach nur noch lauter: "Muggel und Muggelstämmige haben doch einfach nichts in unserer Welt zu suchen!"

"Oh ja, ihr habt so Recht!",  stimmte Lucy ihren Freunden bei und versuchte das Gespräch wieder auf sich und ihre bestohlene Familie zu fokussieren: "Das schlimmste für meine Mutter war wirklich, dass ein nicht zu ersetzendes Erbstück verschwunden ist."

Tom blickte Lucy interessiert an. Er saß gegenüber von ihr in der Kutsche: "Hatte es einen großen emotionalen Wert für dich und deine Familie?" 

Die dunkelblonde Slytherin lächelte Tom an. Sie war geschmeichelt über die so rare Aufmerksamkeit des hübschen Jungen. Dann setzte sie wieder eine traurige Miene auf: "Wie lieb, dass du fragst, Tom. Tatsächlich handelt es sich um ein Schmuckstücke mit besonderem historischem und magischem Wert." 

Tom lehnte sich interessiert nach vorn zu Lucy. Seine Augen blitzten: "Was genau meinst du?" 

Lucy, zuvor mit rundem Rücken nach vorn gebeugt, richtete sich wichtigtuerisch auf und drückte ihren Rücken nun grade durch: "Es handelt sich um ein ganz altes Medallion. Ich hab es ehrlich gesagt erst zweimal gesehen. Mom verwahrt es in einer verfluchten Truhe. Das Medallion ist eigentlich ganz schön, durfte es aber nie tragen. Angeblich ein uraltes Erbstück, dass unsere Verandtschaft mit Salazar Slytherin höchstpersönlich beweist." 

"Als ob!", schnaubte Walburga verächtlich: "So viele Zauberer und Hexen, die gern mit Salazar höchstpersönlich verwandt wären... Alles nicht bewiesen, Lucy. Und ein schäbiges, altes Schmuckstück beweist doch gar nichts. Wette deine Mom hat das heimlich bei Borgin and Burks gekauft, einfach damit niemand euren Blutstatus anzweifelt."

Tom kräuselte die Lippen. Auch er wollte nicht so ganz glauben, dass Lucy Rosier Erbin ihres Hausgründers Salazar Slytherin war. Dieses Medallion hätte er sich trotzdem mal gern genauer angeschaut. 

Lucy schüttelte beleidigt den Kopf: "Du musst mir ja nicht glauben, Walburga."

"Und von welchen Vorfahren genau stammt das Erbstück? Von der Seite deiner Mutter oder deinem Vater?", hakten Tom wissbegierig nach, den Streit der Mädchen ignorierend. 

"Tom! Ich wusste ja gar nicht, dass in den Sommerferien ein Detektiv verloren gegangen ist.", lachte Walburga.

Um sich die innere Anspannung nicht anmerken zu lassen, erwiderte Tom das Lachen der Hexe: "Sorry, wenn ich dich mit meinen Fragen gelöchert hab, Lucy. Alte Magie und Zaubererfamilien find ich einfach faszinierend."

Lucy lächelte triumphierend. Sie war stolz die Aufmerksamkeit des unnahbaren Tom Riddles für einen Moment ungeteilt genossen zu haben: "Wenn ich noch was über das Medallion höre oder es wieder auftauchen sollte, kann ich dich gern auf dem Laufenden halten, Tom."

Der dunkelhaarige Junge zwinkerte der rot angelaufenen Lucy zu: "Das würde mich sehr freuen. Danke."

"Wir sind da!", bemerkte Oliver. Die Kutsche hielt tatsächlich einen kurzen Moment später. 

"Ein Glück, hab so Hunger! Schnappe mir gleich mindestens fünf Kürbispasteten", Theodores Magen knurrte als Beweis laut auf.

***

Es war draußen bereits dunkel und die großen Fenster des Schlosses leuchteten einladend. Die Gruppe Slytherins folge den restlichen jungen Hexen und Zauberern ins Schloss. Die große Holztür öffnete sich und offenbarte einen Sternenhimmel, in dem Kerzen schwebten. Dieser Ort war kein Vergleich zum Speisesaal des Waisenhauses. 

Die Schüler nahmen in der großen Halle an ihren Häusertischen platz und die Zeremonie, in der die neuen Schüler durch den sprechenden Hut ihren neuen Häusern zugeordnet wurden, begann. Etwas weiter entfernt saß Carter Crouch. Tom warf ihm einen prüfenden Blick zu, der mit einem grimmigen Grinsen von Carter beantwortete wurde. Der Siebtklässler hatte den Vorfall im Zug leider wohl nicht als unwichtigen Zwischenfall abgestempelt, sondern - wie befürchtet - als Verletzung seines Stolzes gewertet. Das würde sicherlich noch Ärger bedeuten. 

Der Slytherintisch begann zu jubeln. Anscheinend war ein Erstklässler dem Haus zugeordnet worden. Die jubelnden Hände versperrten den Blick auf Carter und Tom widmete sich wieder der Zeremonie. Ein kleines, blasses Mädchen mit tiefen Augenhöhlen und einer langen, gebogenen Nase stapfte auf die Slytherins zu und setzte sich auf einen leeren Platz. Es folgten einige Kinder, die den anderen Häusern zugeteilt wurden. Tom war erleichtert, dass die nervige Gruppe von Kindern, die ihn am Gleis 9 3/4 um Hilfe gefragt hatten, auf Hufflepuff und Gryffindor verteilt wurden. Kein Wunder. Für Ravenclaw und Slytherin waren die auch einfach zu dumm. Da war zum Glück Verlass auf den sprechenden Hut. 

"Ich frag mich echt, wie viele Schlammblüter Hogwarts dieses Jahr wieder aufnimmt.", zischte Charles Lestrange. 

Walburge pflichtete dem schmalgesichtigen Mitschüler bei: "Die sollte man doch alle in dem Kerker verrotten lassen." 

Tom dachte voller Verachtung an die unliebsamen Sommermonate, die er jedes Jahr im Waisenhaus der Muggel verbringen musste. All das wollte er möglichst fern von Hogwarts, seinem wahren Zuhause, halten. Hier sollte nur Platz für wahre Magie sein. Allerdings musste er sich beim Gerede über Herkunft auch eingestehen, dass er sich über seine eigenen Eltern und den magischen eigenen Stammbaum gar nicht so sicher war. Sein Magen zog sich beim Gedanken an die ungeöffnete Akte in seinem Koffer zusammen.

Die leeren Plätze an den Haustischen füllten sich schnell und es wurde aufgetischt. Theodores versprechen, fünf Kürbispasteten zu essen, hielt der Quidditchspieler tatsächlich ein. Tom hatte keinen Appetit.  

***

Nach dem Essen hätte Tom sich gern direkt im Schlafsaal zurückgezogen. Der beunruhigende Traum und die im Koffer liegende Akte machten den Jungen nervös. Allerdings waren er und Walburga als Vertrauensschüler dazu angehalten, die neuen Erstklässler zum Gemeinschaftsraum der Slytherins zu begleiten. Das neue Passwort, damit man den Gemeinschaftsraum betreten konnte, hatte ihnen während dem Nachtisch der Blutige Baron, Hausgeist von Slytherin, zugeseufzt. Es lautete "flüssiger Tod", was den Geist wohl sehr verzückt hatte, denn bei dem Wort "Tod" hatte er gequiekt.

Walburga war nicht ganz so überzeugt wie der Blutige Baron: "Depremierendes Passwort. Was ist den mit den guten alten Klassikern... Blutsverräter hab ich mir letztes Jahr so gut merken können."

Tom zuckte mit den Schultern: "Hat sich sicherlich Slughorn ausgedacht." Der Hauslehrer von Slytherin war Horace Slughorn, der Zaubertränke mit voller Leidenschaft unterrichtete.

"Erstklässler, folgt uns bitte die Treppe hinab!", rief Walburga den tippelnden kleinen Schülern zu, die ihnen neugierig folgten. Am Ende der Treppe erstreckte sich ein langer düsterer Gang. Sie befanden sich nun unterhalb des Schlosses neben den Kerkern. Dieser Teil von Hogwarts war eine Auswölbung des Felsens, auf dem das Schloss thronte. Tom hatte in "Geschichte Hogwarts" gelesen, dass dieser Teil des Schlosses wohl von Salazar Slytherin nach der Fertigstellung des eigentlichen Schlosses ausgebaut worden war und, auch wenn nicht bewiesen, vermutet wurde, dass Geheimgänge bis ins Innerste des Berges hinein verliefen. Tom faszinierte dieser Gedanke. Was wohl in diesen unentdeckten Gängen alles Schlummern würde?

Walburga und Tom blieben vor einer langen, kahlen Steinmauer stehen. Die eifrig folgenden Erstklässler hielten zu spät und stolperten übereinander. Tom verdrehte die Augen verächtlich. Walburga kicherte.

"Also, Erstklässler, hier befindet sich der Eingang zu unserem Gemeinschaftsraum. Nur mit dem Passwort, was wir euch gleich sagen, bekommt ihr Zutritt. Vergesst es also nicht! Wir zeigen euch noch eure Schlafsäle, wo auch bereits eure Taschen und Koffer auf euch warten. Morgen früh um sieben Uhr gibt es Frühstück in der Großen Halle. Danach beginnt eurer Unterricht. Verstanden?", erklärte Tom mit lauter klarer Stimme. Die Neuankömmlinge nickten.

Klar und deutlich sagte der Zauberer: "flüssiger Tod". Die Mauer wich den Worten und gab den Eingang zum Gemeinschaftsraum frei. Der langgezogene Raum mit rohen Steinwänden befand sich unter dem großen See von Hogwarts. Auf der rechten Seite gab ein großes Bogenfenster den Blick zum trüben Wasser frei und ließ den Raum in grünem Licht schimmern. Links befand sich ein großer, offener Kamin. U-förmig umschlossen von schwarzen Ledersofas.

Nachdem die neuen Erstklässler in den Schlafsälen verstaut waren, machten es sich Tom neben Walburga, Oliver und Lucy auf einem der Sofa am Kamin gemütlich. Er war Müde, die Augenlieder waren schwer. Aber der unangenehme Traum der letzten Nacht hielt ihn davon ab, der Erschöpfung nachzugeben. Stattdessen hörte er den Geschichten seiner Freunde zu. Walburga legte irgendwann ihren Kopf auf Toms Schoß ab und ließ die Beine über der Lehne des Sofas baumeln. Sie musterte von unten den kantigen Kiefer des Zauberers. Walburga schien zu überlegen. Dann fragte sie schnippisch: "Was war das eigentlich heute im Zug, Tom?"

Die anderen, die ja in einem anderen Abteil gesessen hatten, schauten interessiert auf.

Tom fuhr sich durch die Haare, er hatte kein Interesse über die Zugfahrt zu sprechen, trotzdem war er zu müde und hatte keine Lust der Hexe auszuweichen. Stattdessen gab er ihr was sie wollte: "Was meinst du?"

Walburga kicherte: "Du und diese Ravenclaw."

Oliver reckte neugierig seinen Hals in Toms Richtung. Dabei wirkte er wie ein Erdmännchen: "Riddle und ein Mädchen? Seit wann gibt's denn sowas? Bist du dir da sicher, Black?"

"Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?", Tom grinste Walburga arrogant an.

Das Mädchen verzog keine Miene: "Keine Sorge, Riddle, ich war nur wirklich stark verwundert."

"Wieso das?", schaltete sich Theodore ein: "Du denkst doch nicht, dass wir alle keusch bis zu unserem Abschluss bleiben? Lass dem Jungen doch seinen Spaß."

Walburga schnaufte genervt: "Darum geht's mir doch gar nicht... Es geht darum, dass ich Riddle wirklich besseren Geschmack zugetraut hätte."

"Wer ist denn die Auserwählte?", Kicherte Oliver.

Tom seufzte: "Bitte macht aus der ganzen Sache nicht mehr als es wirklich ist."

"Jetzt will ich es aber auch wissen!", hakte diesmal wiederum Lucy nach.

Walburga musterte Tom. Sie lächelte zufrieden zu ihm hinauf. Sie hatte bekommen was sie wollte. Dann richtete sie sich auf und kletterte vom Sofa: "Ich respektiere Riddles Wunsch nach Privatsphäre. Und ich will mich ja auch nicht der jungen Liebe in den Weg stellen." Als sie den Gemeinschaftsaal verließ wippten die schwarzen Haare des Mädchens im Takt der Schritte zufrieden hin und her.

Tom strich sich die Falten auf seiner Robe glatt, die Walburga hinterlassen hatte. Bevor sich die anderen auf die unbeantworteten Fragen stürzen konnten, verschwand auch der dunkelhaarige Junge schnell im Schlafsaal. Oliver und Theodore kamen ein paar Minuten später. Tom tat so, als würde er bereits schlafen.

Die Akte im Koffer immer noch nicht geöffnet schlief er ein. Diesmal begrüßte ihn ein traumloser Schlaf.

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