43. Kapitel: Zwischen Tradition, Rebellion und Investition
[Er beugte sich vor, küsste sie und murmelte: "Bist du dir sicher?" Und dann. Erreichte ihn die fremde und doch inzwischen zu vertraute Stimme. -]
Walburgas aufdringliches Kichern holte Tom aus der Erinnerung zurück. Aus einem Reflex heraus schubste er das schwarzhaarige Mädchen von seinem Schoß. Das Lachen der Blackerbin erstarb. Böse blinzelte sie Tom an, rappelte sich auf und marschierte sauer zum Buffet.
Der Junge schüttelte den letzten Gedanken an die Nacht in der Bibliothek von sich. Er stand auf, um sich zu entschuldigen. Schließlich brauchte er Onix, die Eule von Walburga, um mit Ava Kontakt aufzunehmen - oder es zumindest zu versuchen. Es war alles so kompliziert, wenn man nicht zaubern durfte.
"He, Walburga, 'tschuldigung", nuschelte er. Die Hexe stand über eine Schale mit milchiger Flüssigkeit gebeugt: "Denkst du, man kann mehr Eierlikör oder Wein trinken, ohne das einem schlecht wird?"
"Wein. Aber das ist keine gute Idee", bemerkte Tom trocken mit einem Blick auf Mr. Black, der ein paar Meter weiter in ein Gespräch mit dem Vater von Theodore vertieft war. Mr. Crabbe hatte bereits von dem Eierlikör einen hochroten Kopf und Pollux rümpfte verächtlich die Nase.
"Ich finde aber, dass es eine gute Idee ist", schnaubte Walburga trotzig. Ihre linke Hand umschloss zwei silberne Trinkbecher. "Also Tom, Eierlikör oder Wein."
"Nein", er hatte in den letzten Monaten seine Sinne sowieso schon oft genug vernebelt und mochte es nicht die Kontrolle zu verlieren, während Walburga Black etwas ausheckte.
Sie füllte das Silber mit Eierlikör. Tom nahm den Becher nur, um ihn bei der nächsten Gelegenheit an Theodore weiterreichen zu können. Walburga trank währenddessen in einem großen Zug den gesamten Becher leer und füllte nach. Mr. Black warf ihr einen bösen Blick zu, der das Mädchen nur noch mehr animierte. Ungehalten lachte sie. Tom konnte es nicht ertragen, teil dieses zum Scheitern verurteilten Plans zu sein. Er nahm Walburga das Trinkgefäß aus der Hand und schaute sie durchdringend an: "Wenn du willst, dass das irgendwelche Erfolgschancen hat, dann machen wir das jetzt auf meine Art. Nicht plump, sondern überlegt." Sie war bereits angetrunken, was dazu führte, dass sie ohne große Widerrede zustimmte: "Okay, dann zeig mal was du kannst, Riddle." Sie kicherte.
Er zog das schwarzhaarige Mädchen zurück zu der Couch und parkte sie neben Theodore: "Warte einfach hier." Dann schlenderte der großgewachsene Junge am Buffet vorbei auf Melania Black zu. Die Mutter von Orion hatte die rot geschminkten Lippen gespitzt und musterte einen silbernen Kerzenständer. Ihre Finger glitten an dem kalten Metall entlang und erhaschte einen Blick auf die verzerrte Reflexion ihres eigenen Gesichts. Der Fünfzehnjährige nutze die Gelegenheit, griff nach einem halb geleerten Weinbecher und hielt ihn der Hexe höflich entgegen: "Sie sehen so aus, als könnten Sie einen Rotwein vertragen."
Die Finger der Hexe schreckten vom Kerzenständer zurück und ein irritiertes Lächeln legte sich über den dunkelroten Lippenstift: "Wie aufmerksam, aber helfen Sie mir auf die Sprünge, kennen wir uns?"
Begierig nahm die Frau das Weinglas, das zuvor noch jemand anderem gehört hatte, entgegen und trank einen großen Schluck. "Mittelklassig", murmelte sie. Erst jetzt galt ihre Aufmerksamkeit dem jungen Zauberer, der so gar nicht mittelklassig aussah und die Hexe, die etwa doppelt so alt war wie Tom legte ihre Hand auf seinen Arm: "Wir haben uns noch nie gesehen, also kannst du kein Black sein. Zumindest kein geborener und trotzdem redet heute jeder über Sie, den gutaussehenden Gast."
Tom nickte. Er nahm das Kompliment wie selbstverständlich an und antwortete möglichst unkonkret: "Ich bin ein Freund der Familie. Aber Sie scheinen auch keine gebürtige Black zu sein." Mit dem Zeigefinger umspielte er eine ihrer straßenköterblonden Haarsträhnen, die schwer und stumpf der Schwerkraft folgte.
Melania Black lächelte in der Fehlannahme, die Worte wären als Kompliment gemeint: "Du hast recht. Ich bin eine geborene Macmillan."
"Also ist ihr Mann ein Black?"
Die Frau mit den dunkelblonden Haaren rollte mit den Augen und warf einen kurzen, gelangweilten Blick auf ihren Mann, der am anderen Ende des Raums mit ein paar anderen Hexen und Zauberern in ein Gespräch verwickelt war. Während Melania keine einzige Falte im Gesicht hatte - Tom schätzte die Frau auf Anfang dreißig - besaß Arcturus Black bereits einige Zeichen der Alterung. Sein Haar war grau meliert, eine Zornesfalte teilte seine buschigen Augenbrauen und der gut genährte Bauch zeugte von einigen Jahren Gemütlichkeit.
"Was man nicht alles für ein anständiges Erbe macht", seufzte Melania. Ihr Blick wanderte zurück zu dem hübschen Jungen: "Aber man sollte wohl auch die schönen Dinge nicht aus den Augen lassen." Tom hielt den Augenkontakt aufrecht: "Allerdings... Ich muss sagen, dass Erbe der Familie Black hat seine ganz eigene Schönheit. Dieses Haus steckt voll von Magie und Geschichte. "
Er bemerkte, wie der Wunsch der Hexe stieg, diesen fremden Jungen für sich zu gewinnen, ihn zu beeindrucken, um seine Blicke an sich binden zu können. Ihre Finger glitten wieder über den silbernen Kerzenständer, diesmal sah sie in der Spiegelung seine dunklen Augen: "Du musst wissen, irgendwann wird dieses Haus unserem Teil der Familie gehören. Das Erbe der Blacks sieht vor, dass der älteste, männliche Nachfahre Hüter und Herrscher wird. Orion, mein Sohn ist zwar erst Elf, aber er ist älter als Alphard und Cygnus."
Tom nickte und lächelte kühl. Er hatte die Information, nach der er gesucht hatte. Irma und Pollux wollten, dass das Haus durch die Hochzeit von Orion und Walburga in ihrem Zweig des Stammbaums blieb. Sie wollten ihr Anwesen nicht an Melania und Arcturus hergeben. Walburga sollte ihr Vermögen sichern. Das wiederum bedeutete wohl auch, dass Melania und Arcturus - Orions Eltern - gar nicht so erpicht auf diese Zwangsverlobung waren.
Walburga musste sich demnach zwischen Erbe und Freiheit entscheiden.
Konformität oder Individualität.
Tradition oder Kontraktion.
Investition oder Rebellion.
Der schöne, junge Zauberer beendete mit einem Blinzeln den Blickkontakt zu Melania: "Ich hole mir wohl auch mal ein mittelmäßigen Schluck Rotwein aus der Küche, Sie sind ja noch versorgt?" Er deutete auf den Wein, den er ihr zuvor in die Hand gedrückt hatte.
"Wie heißt du eigentlich?", rief ihm Melania Black, ehemals Macmillan, hinterher, als Tom bereits den Salon auf halben Weg verlassen hatte. Walburga, die ihn bis dahin böse funkelnd beobachtet hatte, folgte ihm.
In der Küche lehnte Tom sich gegen die Anrichte. Er musterte Walburga interessiert, während sie die Tür hinter ihnen beiden schloss und sich mit verschränkten Armen vor ihm aufbaute: "Was war das denn für ein schmieriges Theaterstück, das du da zum besten gegeben hast?" Sie war eifersüchtig. Total irrsinnig, wenn man bedachte, dass Sie ihm ihre Eule zur Verfügung stellte, um Ava zu kontaktieren - ein deutlich besser Grund für Eifersucht.
Tom grinste zufrieden: "Das Theater war gut genug, um zu erfahren, worum es deinen Eltern bei der Verlobung zwischen dir und Orion wirklich geht." Selbstgefällig erzählte er Walburga alles und beendete seine Schilderung mit den Worten: "...Letztendlich hast du keine Wahl, wenn du dein Erbe behalten willst, musst du Orion wohl heiraten. Ansonsten geht das ganze Haus mit all den Besitztümern an Orion und dessen glückliche Gattin."
"Ganz sicher nicht, ich brauche dieses verstaubte Haus nicht!", schnaubte Walburga zu Toms Erstaunen. Er hätte nicht gedacht, dass sie bereit war, all das aufzugeben, was er so bewunderte.
"Bist du dir sicher?", der Zauberer musterte sie irritiert.
"Ja", das Mädchen streckte die Hand aus, um Tom von der Anrichte wegzuziehen: "Wir reißen jetzt die verdammten Mauern ein, die meine Eltern so mühsam aufrecht erhalten wollen." Damit meinte sie nicht die Wände von Grimaultplatz Zwölf, sondern das Familiäre Baugerüst, dass unsichtbar um das alte Haus herum die Familie Black stützte.
Sie nahm einen großen Schluck einer bereits geöffneten Weinflasche. Dann zog sie Tom zurück in den Salon. Ihr jugendlicher Leichtsinn irritierte ihn. War sie wirklich der Auffassung, dass sie einen guten Deal einging, das Erbe abzulehnen? Er schätzte ihre Intelligenz und Gerissenheit, aber Walburga Black ließ sich oft auch zu stark von Emotionen leiten. Sie neigte dazu, alles in die Flammen aufgehen zu lassen, was sich ihr in den Weg stellte. Aus Reflex griff er nach einem silbernen Becher, der sich selbst mit Wasser gefüllt hatte, um die aufkommenden Flammen zumindest metaphorisch zu löschen.
Aber es war Walburgas Plan und letztendlich würde sie die Verantwortung tragen müssen. Der einzige Grund, warum es ihm widerstrebte sie dabei zu unterstützen, war der Grund, warum er es letztendlich dennoch tat. Ava Starling, die auf seine Briefe nicht reagierte.
Im Salon hatte sich die Szenerie kaum geändert. Nur das Buffet war etwas leerer und die Zauberer und Hexen voller. Melanias Augen folgten dem blassen Jungen hungrig. Einige kleine Grüppchen tuschelten, andere fochten kleinere Streitereien aus. Eine alte Hexe mit grauen Haaren diskutierte mit einem Portrait und in einem hitzigen Gespräch zwischen Theodores und Walburgas Vater fiel immer wieder der Name "Grindelwald".
"Dann erlösen wir die alte Verwandtschaft mal von ihrer Langeweile", zischte Walburga mit einem wilden Funkeln im Auge. Toms Magen zog sich leicht zusammen. Er drückte seine Hand gegen ihren Rücken, um sie weiter durch den Raum zu schieben. Der kleine Orion, der mit Alphard auf dem Teppich saß und ihn bei einer Runde Zauberschach besiegte, blinzelte nervös zu dem einschüchternden Mädchen und ihrem Begleiter rüber. Er bewunderte die schwarzhaarige Hexe und hatte nichts gegen die Pläne der Eltern, aber so wirklich verstand der Junge wohl auch noch nicht was das alles bedeutete, war er doch noch ein Kind. Wie sie alle.
Ohnehin ging es weniger um Orion, als um den Stolz seiner Eltern, als Walburga Black ihr Glas leerte und sich einen Moment später zu dem gefühlskalten Tom Riddle umdrehte, ihre Arme laut lachend um seinen Nacken legte und deutlich sagte: "Der Stammbaum dieser Familie ist so krass miteinander verzweigt. Ich warte nur dass jemandem ein drittes Bein wächst." Die Hexe ließ den Blick langsam rügend durch den Raum wandern, als wartete sie darauf, dass jemand mit einer Erbkrankheit aufstand und sich die Schande eingestand. Es war eine verbale Ohrfeige für alle ihre Verwandten, die da um sie herumstanden. Diese Hexen und Zauberer, die sich die Finger nach dem neuen, charmanten Besucher leckten vor eben jenem zu entwürdigen erschütterte den tiefen Familienstolz.
Aber auch bei Tom hinterließen Walburgas Worte einen kleine, unangenehmen Stich in der Brust. Denn ihre Formulierung erinnerte Tom an Ava Starling, die sich am ersten September im Hogwartsexpress gegen den großen und bulligen Carter Crouch behauptet hatte.
Walburga sprach unbeirrt und möglichst laut weiter: "Kinder zu verheiraten, die nicht mal richtig zaubern können ist so krank. Nur damit man das ganze verstaubte Gerümpel bei sich behalten kann." Sie hatte verkündete, was bis dahin schweigend über Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte hingenommen worden war. Das unausgesprochene Übereinkommen der Familie, war von einer halbstarken Hexe mit wenigen Worten ins lächerliche gezogen worden.
Dann - als alle Augenpaare verärgert auf ihr lagen - drückte sie ihren Mund auf seinen.
Ihre Lippen waren unangenehm warm und die Schärfe des Alkohols drang in seinen Mund. Es war nicht so als hätte er Walburga noch nie geküsst. In der dritten Klasse war bei den Jugendlichen Flaschendrehen hoch im Kurs gewesen. Doch da hatte Tom noch nicht gewusst, wie gut die Küsse von Ava Starling schmeckten. Der Fünfzehnjährige drückte die Blackerbin von sich. Er hatte seinen Soll erfüllt. Das laute Tuscheln der Familie türmte sich auf. Irma und Pollux starrten ihre Tochter entsetzt und erzürnt an. Melanias Weinglas zersprang in Scherben und gut genährte Arcturus hatte sich an einem Plumpudding verschluckt. Aber auch die anderen Gäste funkelten böse. Ein tattriger Greis griff sogar nach seinem Zauberstab. Da das Heiraten unter den eigenen Reihen genau das war, was die reinblütigen Familien seit Jahrzehnten gewissenhaft betrieben, hatte Walburga Black sie allesamt beleidigt. Und Tom hatte sie dazu wie ein Zuchtfieh auf dem Bauernmarkt angepriesen. Er fühlte sich furchtbar. So schlecht gelaunt wie lange nicht mehr, drehte sich Tom Riddle um und verließ Grimaultplatz Zwölf durch den dunklen, schmalen Flur. Im Hinausgehen schnappte er sich irgendeinen dunklen Wintermantel und bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, legte sich bereits der Frost auf sein Gesicht.
Tom ging ein paar Straßen weiter, bis die kalte Luft sein brodelndes Blut etwas beruhigt hatte. Er ließ sich auf eine verwaiste Bank nieder, die von einer einzigen Laterne beleuchtet ans Ufer der Themse grenzte. Den Stoff des Mantels zog der Junge enger um den Körper, bevor er die Hände in den Tiefen Taschen vergrub. Er ertastete zwei kleine, eckige Pappschachteln und zog einen Moment später Zigaretten und Streichhölzer hervor.
Der Vertrauensschüler hatte bis jetzt nur einmal im Waisenhaus probiert zu rauchen, als er zehn gewesen war und den Älteren nacheifern wollte. Damals hatte es beschissen geschmeckt und er hatte husten müssen. Als er nun die schmale Zigarette zwischen seine Lippen legte und sie anzündete, war es genau das Richtige, um Walburgas Kuss auszuräuchern.
Er starrte in das schwarze Wasser der Themse, als er den Entschluss fasste, dass es morgen Zeit war, seine Verwandten kennenzulernen. Tom hatte bereits alles durchdacht, würde am nächsten Morgen mit Flohpulver reisen, um nicht zaubern zu müssen und würde am Abend zurück sein.
___________________________________
Ihr Süßen, was sagt ihr zu Walburgas "Plan"? Ich hab ja das Gefühl, dass die Gute noch einen ganz anderen Plan verfolgt...
Vielen Dank fürs Lesen, Kommentieren und Voten <3
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top