18. Kapitel: In der Luft hängen und Quidditch
Tom hatte die Bibliothek erst am späten Nachmittag verlassen. Die goldgelbe Abendsonne begrüßte den Jungen freundlich, als er aus der großen Halle heraustrat. Typisch für September war es noch angenehm warm, ohne dass einem die Hitze Schweiß ins Gesicht trieb. Nach einem kleinen Schlenker am Schloss vorbei zum See, hatte Tom trotz des schönen Wetters entschieden seinem Magenknurren nachzugegeben und sich zurück in die Schatten der Mauern in die Große Halle zu verziehen. Pünktlich um sechs füllten sich die langen Haustische mit köstlichen Speisen. Es hatte bisher nur einzelne Schüler hierher verschlagen. Die meisten genossen wohl noch das gute Wetter. Daher war es auch kein Wunder, dass er beim Abendessen die kleine blonde Ravenclawschülerin nicht zwischen den leeren Sitzplätzen entdecken konnte. Ob sie ihm aus dem Weg ging? Der Gedanke verunsicherte ihn und er schüttelte ihn schnell ab. Stattdessen widmete er sich seinem Hunger. Schnappte sich ein paar Ofenkartoffeln, Gemüse und etwas das wie Braten aussah, aber ganz anders und befremdlich schmeckte.
Als sein Teller leer war, füllte sich die Halle langsam. Ein paar Slytherins aus dem fünften und sechsten Jahrgang gesellten sich zu ihm und sie begannen eine lockere Unterhaltung. Nach dem auch sie gegessen hatten, folgte Tom ihnen in den Gemeinschaftsraum. Es wurde noch eine Rund Zauberschach mit Oliver gespielt - Tom gewann natürlich. Während die kleinen Schachfiguren sich brutal auf dem Spielbrett bekämpften, niederrangen oder enthaupteten, erzählte der Treiber vom Auswahltraining der Hufflepuffs, die seit heute einen neuen neuen Spieler in der Mannschaft hatten. Oliver lachte arrogant auf, als er den neuen Treiber als relativ schwach einschätzte und deutlich machte, dass Slytherin haushoch mit ihm selbst als Treiber überlegen wäre. Tom versprach Oliver am Ende des Schachspiels am nächsten Tag erst gemeinsam bei dem Auswahltraining von Ravenclaw und anschließend dem Treiber selbst beim Training der Slytherins zuzusehen.
Tom setzte Olivers König schachmatt. Dann ging er schlafen.
Er träumte von Geheimgängen und sprechenden Wasserhähnen. Von Ava, die sich in einen Raben verwandelte und vor ihm wegflog. Von Slughorn, der ihm die Zukunft las und von Walburga, die einen Apfelbaum im Garten anpflanzte. Alle Früchte waren verdorben.
***
Am nächsten Morgen stand Tom, obwohl es Sonntag war, früh auf. Er setzte sich mit einem Buch in die Große Halle und trank seinen Frühstückstee, während nach und nach Schüler die Halle betraten. Nach zwei Stunden und drei Tassen des aufputschenden Tees war Tom etwas aufgedreht. Seine Finger tippelten auf der Tischplatte schnell hin und her. Ein Slytherin drei Plätze weiter entfernt schaute ihn böse an.
Während Toms Finger weiter über die Tischplatte hüpften kam eine Gruppe Ravenclaws in dunkelblauer Quidditchmontur in die Große Halle. Sie alle lachten und sprachen laut durcheinander. Aus den Wortfetzen konnte Tom heraushören, dass die Mannschaft wohl heute beim Probetraining einen neuen Sucher bestimmen wollte. Ein blond gelocktes Mädchen betrat ebenfalls die Große Halle. Sie trug schlichte Sportkleidung in neutralen Farben, Schwarze Knie- und Ellbogenschoner aus Leder und Handschuhe, deren Fingerspitzen frei lagen. Unter ihrem linken Arm klemmte ein Besen, mit der rechten Hand begrüßte sie die Quidditchmannschaft. Während die Hexe den anderen Spielern zugewandt sprach, konnte Tom beobachten, dass sie hinter ihrem Rücken den Zauberstab nervös kreisen ließ und kleine Seifenblasen heraufbeschwor und verpuffen ließ. Wollte sich Ava etwa als Sucherin bewerben? Tom spannte seinen Rücken an, wäre am liebsten aufgesprungen um ihr viel Erfolg zu wünschen, aber...
... Oliver und Charles huschten and den Ravenclaws vorbei und nahmen neben Tom am Tisch der Slytherins platz: "Guten Morgen! Schon im Quidditchfieber?", begrüßte Oliver Tom strahlend. Der Treiber von Slytherin blickte voller Vorfreude auf den Tag voller Quidditch. Sie schnappten sich ein paar Brote und machten sich dann langsam schlendernd zum Spielfeld auf. Es war ein sonniger Septembervormittag. Das Licht legte sich warm über die Landschaft und die Wolken zogen langsam an ihnen vorbei. Der verbotene Wald lag trügerisch friedlich da. Der große See blubberte. Vielleicht wachten die Flubberwürmer grad auf. Der alte Wildhüter Ogg saß vor seiner Hütte und warf den schrumpfhörnigen Krötern Futter zu.
Am Spielfeld angekommen machten es sich die Jungs auf einer der Tribünen gemütlich. Tom legte sich auf die Sitzbank und streckte die langen Beine aus. Er blickte mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. Die drei Slytherins aßen glücklich ihre Brote und diskutierten über die britische Quidditchnationalmannschaft. Es dauerte nicht lange und ein paar weitere Schaulustige gesellten sich zu ihnen. Die Ravenclawmannschaft und die neuen Bewerber versammelten sich währenddessen auf dem Rasen, etwas weiter von der Tribüne entfernt.
Tom konnte nicht verstehen was sie sagten, aber er setzte sich mit durchgedrücktem Rücken auf, um das Schauspiel möglichst gut beobachten zu können. Oliver erklärte, dass sich die Ravenclaws in ihrem Quidditchspiel dadurch auszeichneten, dass sie besonders viel Wert auf Taktik legten. Er vermutete, dass die Mannschaft demnach einen Sucher wählen würde, der nicht nur schnell war und gute Reflexe hatte, sondern vorausschauend handelte und die Ansagen den Quidditchkapitäns gut umsetzen konnte.
Ravenclaw hatte das Auswahltraining in drei Phasen unterteilt. Zunächst flogen sich, Mannschaft und Bewerber, gemeinsam warm. Die Spieler durften sich also zuerst komplett frei über das Spielfeld bewegen. Während ein Viertklässler angeberisch Loopings schlug, zeigten andere durch waghalsige Manöver bereits ihr Können. Tom entdeckte Ava. Durch die hellen Locken konnte man sie gut von dem Rest unterscheiden. Sie ließ sich langsam mit ihrem Besen steigen und beobachtete die anderen Spieler gelassen, zeigte keine Tricks oder Kunststücke. Stattdessen sah es so aus, als würde sie die Windvoraussetzungen austesten. Der Kapitän Benjamin Bagman sah dem Treiben zu und notierte sich wohl etwas.
Nachdem sich alle auf ihren Besen eingeflogen hatten, begann die zweite Phase. Nacheinander bekamen alle die gleiche Aufgabe. Die drei Jäger der Ravenclawmannschaft begannen sich mit ihren Besen schnell über das Spielfeld zu bewegen. Gegenseitig warfen sie sich den Quaffel zu. Die Würfe wurden immer schneller und härter. Nach und nach sollten die potenziellen Sucher nun den Quaffel abfangen und in ihren Besitz bringen. Die Treiber folgten keiner erkennbaren Choreographie, sodass sich einige der Sucher schwer taten, den richtigen Moment abzupassen. Tom gähnte, als ein Bewerber für die Aufgabe eine Viertelstunde gebraucht hatte, weil er verloren hinter dem Quaffel herflog. Nach dem Jungen war Ava dran. Die drei Jäger setzten sich auf ihren Besen in Bewegung und beschleunigten schnell. Als die Pfeife des Kapitäns ertönte schoss Ava los. Sie platzierte sich im Zentrum der drei Jäger, registrierte die Bewegungen um sich herum. Sie hatte bereits genug Zeit gehabt, die Wurftechniken der drei zu analysieren. Hannah Thomson, die braunhaarige Jägerin warf den Quaffel. Ava reagierte blitzschnell. Sie bremste mitten im Flug ab und riss die rechte Hand genau in dem Moment nach oben, als der Quaffel an ihrem Ohr vorbeisauste. Sie fing den Ball in seiner Flugbahn ab. Triumphierend warf sie den Quaffel zurück zu Hannah. "Wow!", bemerkte Oliver: "Gute Reflexe." Charles grunzte: "Hä? Schon vorbei?"
Die dritte und letzte Phase bestand aus einer recht simplen Aufgabe. Der goldene Schnatz wurde freigelassen und alle Anwärter sollten gleichzeitig versuchen ihn zu fangen. Es war interessant festzustellen, wie unterschiedlich jeder Sucher vorging, um den Schnatz zu finden. Ein Spieler flog beispielsweise in breiten Schlangenlinien das Feld ab. Eine andere Schülerin versuchte in der Mitte des Spielfelds Ausschau zu halten. Die meisten wirkten hektisch auf ihren Besen. Nervös, weil sie den Schnatz nicht erspähen konnten. Ava hatte sich von dem Geschehen abgesetzt. Sie flog deutlich höher als der Rest der Ravenclaws. Tom kniff seine Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was die Hexe tat. Er verstand. Ava suchte nicht den Himmel nach dem Schnatz ab, sondern nahm ihre Konkurrenten ins Visier. Sie warte auf die verräterischen Reaktionen der anderen. Solange alle sich in ihren Mustern weiterbewegten, war nichts zu erwarten, erst wenn jemand aus der Spur ausbrechen würde, würde Ava reagieren.
Es dauerte eine Weile und bei zwei Spielern, die die ganze Zeit angeberische Tricks aufgeführt hatten, bemerkte Tom, dass ihnen die Puste langsam ausging. Doch dann regte sich plötzlich ein Schüler, Collin Baker. Er riss seinen Besen in die Richtung der Tribüne, auf der Tom und die anderen Schaulustigen saßen. Tom sah etwas weiter über ihnen einen goldenen Lichtpunkt aufblitzen. Der Schnatz! Bevor die anderen etwas von Collins Manöver mitbekamen, schoss Ava bereits aus der Luft wie ein Pfeil in Collins Flugbahn. Sie hängte sich an die Fersen des Jungen und gewann schnell an Geschwindigkeit. Dennoch war Collin weiterhin eine Nasenspitze voraus und würde aufgrund seiner Körpergröße den Schnatz schneller greifen können.
Der kleine, goldene, geflügelte Ball surrte nun um die Köpfe der Zuschauer herum und die beiden Sucher durchfegten im Slalom die Tribüne. Zwischen den vielen Hindernissen hatte die kleine, wendige Ava einen klaren Vorteil. Collin musste abbremsen, um nicht an der Balustrade hängen zu bleiben. Tom hörte es an seinem Ohr surren. Eine Hand schoss von vorn rechts an ihm vorbei. Die Hexe war so schnell, dass Tom sich nicht mehr rechtzeitig bücken konnte, um in Deckung zu gehen. Stattdessen krachte Ava direkt in die Arme des Jungen. Es fegte Tom von der Bank und er landete auf dem Rücken. Ava lag auf ihm. Ihre blonden Locken waren durch den Wind zerzaust und kitzelten in seinem Gesicht. Bevor sich das Mädchen aufrichtete, flüsterte sie: "sorry, das mach ich wieder gut!" Dann streckte sie triumphierend den linken Arm hoch und jubelte laut.
Oliver der begeistert klatschte, beglückwünschte die gegnerische Spielerin: "Wow! Da müssen wir uns leider wohl im nächsten Quidditchspiel gegen euch richtig anstrengen." Er streckte Ava die Hand hin und half ihr auf. Tom rappelte sich auch wieder hoch. Sein Rücken und Hinterkopf schmerzten etwas. Das war aber nebensächlich. Avas beeindruckendes Spiel überstrahlte alles. Benjamin Bagman flog zur Tribüne und klopfte Ava begeistert auf die Schulter: "Das war beeindruckend, Starling! Wir beraten uns noch kurz und rufen alle Spieler dann in ein paar Minuten noch einmal auf den Rasen um die Entscheidung zu verkünden."
Es dauerte keine fünf Minuten und die Ravenclawmannschaft hatte eine neue Sucherin. Ava grinste über beide Ohren als sie von ihrem neuen Team beglückwünscht und umarmt wurde. Dann räumte Ravenclaw das Feld und das Auswahltraining für die Slytherinmannschaft begann.
Oliver und Charles überließen Ava den freien Platz neben Tom. Das Mädchen ließ sich strahlend vor Glück neben den dunkelhaarigen Zauberer fallen. Sie schwiegen die ersten Minuten, während sie das Training der Slytherins beobachteten, aber nach kurzer Zeit ergriff Tom die Initiative: "Du warst unglaublich!"
Ava lief rot an: "Danke! Ich hab auch echt im Sommer viel geübt. Und ich war so nervös! Hab gestern abseits vom Schloss heimlich noch den ganzen Tag Testmanöver einstudiert."
"Hab mich schon gewundert wo du warst.", gab er zu.
Avas Augen blitzten vielsagend auf, dann senkte sie die Stimme: "Sorry, ich hab mich gestern gezwungen, an nichts anderes als das Auswahltraining zu denken." Unauffällig schob sie zur Entschuldigung ihre Hand über die Bank zu Tom. Ihr Zeigefinger stupste ihn am Bein an. Tom zuckte mit den Schultern: "Schon okay." Er merkte erleichtert, wie die Unsicherheit ihn verließ.
"Sind du und Myrte Freitag denn gut zurück in den Gemeinschaftsraum gekommen?", feigste er, nun wo die Anspannung abgefallen war.
Ava lachte laut. Ein paar Schüler, die da waren, um sich das Training anzusehen, drehten irritiert die Köpfe zu ihnen, richteten aber schnell die Aufmerksamkeit wieder zurück aufs Feld. "Also... Myrte ist... Es war nicht einfach.", die Blondine sprach nun leiser, rollte mit den Augen und stöhnte theatralisch: "Ich will echt nicht gemein sein und ich weiß auch, dass Myrte es nicht so leicht hat... aber... argh!" Sie vergrub den Kopf in ihren Händen: "Ich war echt neidisch, dass du allein zurück schleichen konntest." "Ich war echt neidisch auf Myrte, weil sie mit dir zurück schleichen konnte.", grinste Tom.
Der Nachmittag war angenehm leicht, alle Pläne und bevorstehenden Pflichten verblassten. Tom genoss diese Freiheit, bevor der richtige Unterricht beginnen würde und die in seinem Notizbuch verewigten Aufgaben gelöst werden müssten.
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