87. Kapitel
Louis
Es fühlte sich wie auf einer Achterbahn fahrt an. Die Gefühle überschlugen sich. In der einen Sekunde war man am Boden zerstört und in der anderen bekam man ein Adrenalinstoß, der einen die Glücksgefühle heraufbeschwört. Ich war vollkommen fertig.
Jays strahlen hörte in diesen Moment nicht mehr auf. Sie freute sich nur noch mehr und bekam Tränen in die Augen. Doch waren es in diesen Moment keine Ausbrüche der Trauer sondern des vollkommenen Glückes. Sie wischte sich mehrmals im Gesicht herum, um irgendwie wieder richtig sehen zu können, denn die Flüssigkeit ließ ihre Sicht verschwimmen. Während sie die Geste mehrmals wiederholte kam sie El noch ein Stückchen näher und umfasste zitternd ihre schmale Hand. Fasziniert betrachtete sie den funkelnden Ring und sah uns dann auffordernd ins Gesicht.
„Wann hattet ihr zwei vor, mir von diesen wichtigen Schritt in eurem Leben zu erzählen?", die Freunde über diese Neuigkeit konnte sie nicht ganz verbergen, doch versuchte sie dennoch betroffen und ein wenig beleidigt zu schauen. Auch wenn sie in der Wir-Form sprach, sah sie dabei nur mich an. Mich, als ihr Sohn, traf natürlich die Schuld. Ich hätte es ihr sofort sagen sollen, doch das hatte ich nicht getan. Den Grund kannten wir beide, doch in diesen schönen Moment, verdrängten wir ihn gekonnt.
„Ihr müsst mir alles erzählen", kam sie gleich mit der nächsten Aufforderung, aber dieses Mal voller Begeisterung und strahlte uns beide wieder an. Ich legte einen Arm um Eleanors Taille und grinste meine Mutter an. Auch wenn es gewisse Dinge gab, die das Gefühl von Freude oder Glück überschatten wollten, ließ ich es in diesen Moment nicht an mich ran. Die schönen Emotionen nahmen meinen ganzen Körper ein und strahlten aus mir heraus. Ich konnte und wollte es auch nicht verhindern.
Mich erfasste der pure Stolz, als mir endlich vollkommen klar wurde, was dieser Schritt eigentlich wirklich bedeutete. Als ich ihr den Antrag gemacht hatte, wusste ich was ich mit diesem Zug für unsere gemeinsame Zukunft tat, doch war stets der Hintergedanke geblieben, dass sie ihn nicht annehmen würde. Nun, wo meine Mom den Ring sah und sich mit uns Freude, schaffte ich es meinen Kopf genau von diesen Gedanken zu befreien und das unendliche Glück was mich durchströmte zuzulassen. Wir würden für immer zusammen bleiben und auch wenn Eleanor schon von Anfang an zu meiner Familie dazugehört hatte, wurde es nun bald auch schwarz auf weiß stehen. Wir würden nicht nur eine wundervolle Tochter haben, sondern auch uns zwei mit einer großen Verwandtschaft hintendran.
„So spektakulär ist die Geschichte aber gar nicht", meinte ich zu ihr und versuchte so dem Ganzen Trubel um die Sache zu entwischen. Es war ein Erlebnis was momentan nur El und ich selber teilten. Wenn ich nun allen die Geschichte erzählen müsste, würden die Bilder verschieden und sich Lügen einschleichen. Ich wollte es so erhalten, wie ich es in meinen Erinnerungen abgespeichert hatte. Zudem war es mir ein wenig peinlich, eine Situation zu erzählen in der ich mich vollkommen schutzlos gefühlt hatte. In diesen Augenblick war ich gefallen und Eleanor hatte mich aufgefangen. Doch dass ich in diesen Moment Angst gehabt hatte, musste keiner wissen. Dass, ich die Geschichte versuchte runterzuspielen fiel natürlich sofort auf. Jay ihre Begeisterung für mein Leben zunehmen würde nie funktionieren und auch El sah mich komisch an.
„Jetzt mach deinen Antrag nicht runter! Er war wundervoll", schaltete sich nun auch noch meine Verlobte ein und war somit auf Jays Seite. Klar, die Frauen hielten zusammen und die Männer wurden wieder als Gefühlsunfähig bezeichnet. Ich war ein Mann und konnte nicht wirklich Stundenlang über ein Ereignis, was höchstens zwei Minuten gedauert hatte, fachsimpeln.
Dennoch konnte ich mir ein glückliches Lächeln nicht verkneifen, als sie meinen Antrag als wundervoll bezeichnete. Die Sorgen, dass er ihr nicht gefallen hatte oder das sie nein sagen würde, fielen nun endgültig von mir ab. Überglücklich küsste ich sie sanft auf die Wange und schmiegte mich näher an ihren wunderschönen Körper.
„Wie wäre es, wenn wir nun zu den anderen reingehen und ihr das alles am Abendbrottisch bequatscht", versuchte ich sie mit dem Familienleben abzulenken, doch auch das würde nicht funktionieren. Ich säße mit am Tisch und würde alles mit anhören müssen, doch das war nicht das große Übel, wenn ich nebenbei mir das Essen schmecken lassen und eventuell mit Dan über Fußball reden konnte. Solange mich die Frauen nicht in ihr Gespräch miteinbeziehen wollten, außer es war wirklich für Eleanor wichtig, war alles gut.
„Ich brauche nur noch meine Tasche vom Auto und dann können wir rein", meinte El nachgebend und mit einem wissenden Blick zu mir, als konnte sie sich denken, was meine letzten Gedanken waren. Sie kannte mich einfach zu gut und sah mir gewisse Dinge nach. Doch alles ließ sie mir nicht durchgehen...
„Ich hole sie dir schnell. Geht ihr schon einmal rein", meinte ich, löste mich wiederstrebend von El und ging zu ihrem Auto. Die zwei Frauen gingen schnell ins Haus rein und ließen die Tür für mich offen. Meine zwei jüngsten Geschwister hatten vorhin schon in der Wärme Zuflucht gesucht, nachdem sie El blitzschnell begrüßt hatten.
Die Nachricht, dass wir verlobt waren, verbreitete sich sehr schnell im Haus. Daisy und Phoebe waren ganz durch den Wind und fachsimpelten schon mit Lottie über ihr späteres Make-up und ihre Frisur. Fizzy war in einer ähnlichen Verfassung und quetschte El über ihre Ideen für ihr Kleid aus. Ich konnte nur darüber den Kopf schütteln. Mir war es egal, was Eleanor tragen würde. Von mir aus konnten wir auch in Jeans und T-Shirt heiraten. Wir konnten aber auch eine pompöse Hochzeit haben, wenn El es wollte und ich war genauso zufrieden. Mir war es wichtig, dass alle dabei waren, die wir beide liebten. Wie wir aussahen oder was alle anhatten, war mir da irrelevant.
Mich störte es überhaupt nicht, wenn sie einfach weiter darüber sprechen und alles bis ins kleinste Detail planen. Hauptsache El war glücklich und meine Familie ebenfalls.
Mittlerweile waren alle ins Bett gegangen. Wir selber lagen aneinander gekuschelt unter einer dicken Decke. Das Licht war noch an und unsere Finger spielten miteinander. Auch wenn mir tausende Gedanken im Kopf herum schwirrten, lag ich ruhig neben meiner Verlobten. Sie hatte ihren Kopf auf meiner Brust abgelegt, sodass ich fast befürchtete, sie würde meinen schnellen Herzschlag hören. Unsere Beine waren miteinander verknotet, sodass ich nicht genau wusste, wie wir es überhaupt in diese Position geschafft hatten.
Es sagte keiner etwas. Wir hingen unseren Gedanken nach, doch ich wusste, das El jeden Moment danach fragen würde. Dass, sie bis jetzt noch nichts zu dem unvermeidlichen Thema gesagt hatte, erstaunte mich. Doch vielleicht spürte sie auch, dass es nicht leicht war darüber zu sprechen und ließ mir somit Zeit. Ich wusste es nicht. Ich nahm es nicht als Selbstverständlichkeit und bewunderte sie dafür. Ich selber wäre schon längst unter der Neugierde und der Sorge zerbrochen.
Doch zugleich kam die Angst, dass sie sich in die Sache zu sehr reinsteigern würde und dies negative Auswirkungen auf ihren momentanen Zustand und ihrer Gesundheit hatte. Ich wollte es selber nicht wahr haben und musste es jetzt auch noch irgendwie El schonend beibringen. Ich war geliefert. Am liebsten müsste ich so ein Gespräch nie führen, doch ich war es Eleanor schuldig. Schließlich war Jay nicht nur meine Mutter sondern auch eine sehr gute Freundin von El.
„Ist Jay krank?", fragte sie urplötzlich in die Stille hinein und ließ dabei mein Herz stocken, um es in der nächsten Sekunde um das doppelte weiterschlagen zulassen. In mir zerbrach etwas, als hätte die letzte Schutzmauer vor dem eigentlichen Schmerz, nachgegeben.
Ich brachte keinen Ton über die Lippen. Etwas gewältigtes blockierte mich. Stattdessen vergrub ich meinen Kopf in Els Halsbeuge und weinte. In mir zog sich alles zusammen. Es tat so verdammt weh. Am liebsten hätte ich geschrien, doch das wollte und konnte ich meiner Familie nicht antun. Auch wenn wir es mit Gewissheit erst morgen früh wussten, so war es jetzt schon schlimm. Was passierte, wenn morgen wirklich die Bestätigung kam, dass sie ihr Leben früher oder später verlieren würde. Welche Qualen mussten wir dann aushalten und wie schaffte Jay es überhaupt? Ich wollte nicht daran denken und doch brannte es sich in mein Kopf ein.
Eleanor blieb ruhig. Lediglich schlang sie ihre zarten Arme um meinen zitternden Körper und hielt mich einfach nur fest. Es war der beste Trost, den sie mir in diesen Augenblick spenden konnte. Ich brauchte keine Worte. Meine Gefühle mussten einfach nur aus meinen kaputten Herzen raus.
„Sie bekommt morgen ihre Ergebnisse...", brachte ich gerade so stockend und mit mehreren Anläufen über meine Lippen. Zum Glück verstand Eleanor mich, denn bei dem Genuschel und meinen ständigen Schluchzten, hätte ich mich fast selber nicht gehört.
„Doch die Aussichten stehen schlecht...", vollendete sie meinen angefangenen Satz nach einer kleinen Pause und sprach somit meinen Gedanken laut aus. Ihre Umarmung wurde augenblicklich stärker, sobald sich das herausstellte, was sie die ganze Zeit schon vermutet hatte. So langsam war ich mir nicht mehr sicher, ob sie mich nur stützen wollte, oder ob sie selber ihren Halt suchte. Spätestens als es an meiner Schulter nass wurde und ich von ihr ebenfalls leise Schluchzer hörte, wusste ich, dass sie weinte.
In diesen Moment versuchte ich mich zusammenzureißen. Jetzt musste ich für El da sein. Die ganze Zeit war sie für mich wie der Fels in der Brandung und unterstütze mich. Nun war sie dran.
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker sehr früh. Wir wollten vor Doris und Ernest wach sein, damit wir alles schon vorbereiten konnten. Meine Mutter und Dan wollten aus dem Haus sein, ehe alle Kinder wach waren. Auch wenn der Termin erst um acht Uhr morgens war, machten sie vorher noch einen Spaziergang und verbrachten die gemeinsame Zeit gemeinsam. So gingen sie den Fragen aus dem Weg, die sie in dieser Stunde noch nicht ihren Kindern beantworten wollten. Sie hatten uns am Abend gebeten, die Frühschicht zu übernehmen, damit sie eine Sorge weniger hatte. El und ich hatten sofort zugesagt. Sie sollte die letzte Stunde im ungewissen und der Hoffnung mit Dan ihren Ehemann verbringen.
Leise schlichen wir uns also die Treppen nach unten und erwischten gerade so noch Jay und Dan. Es war eine Verabschiedung ohne Worte. Wir wussten alle Bescheid. Wir glaubten gemeinsam an das Gute, auch wenn die Aussichten schlecht standen. Wir hofften dennoch...
Somit bereiteten El und ich gleich darauf in Rekordzeit das Frühstück vor. Als der letzte Teller stand, hörte ich auch schon von oben, die Rufe von meinen kleinsten Geschwistern. Sie würden fragen, wo ihre Eltern waren. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte und dieser Fakt brachte mich an den Rand der Verzweiflung.
El kam in diesen Moment zu mir gelaufen und so nahm ich stumm ihre Hand. Sie wusste genauso wie ich, was mich oben erwartete und stand nun an meiner Seite. Was sollte ich ihnen nur sagen? Sollte ich sie belügen oder die Wahrheit sagen? Sollte ich meinem Kopf oder meinem Herzen folgen? Sollte ich auf Jay oder auf meine Gefühle hören?
„Mach dir nicht so viele Gedanken. So schmerzvoll es jetzt auch klingen mag: Das Ergebnis wird das gleiche bleiben, egal wie sehr du gegen eine schlechte Nachricht hoffst. Sei für deine Geschwister da und lenke dich ab. Egal was passieren wird, wenn Jay und Dan wieder da sind: Ich bin bei dir. Gemeinsam bekommen wir das hin", es waren Els Worte, die mich aus meiner starre holten. Ich war nicht wie erwartet nach oben gestürmt, sondern einfach stehen geblieben. Meine Füße fühlten sie wie Blei an und unmöglich zu bewegen. Ihre Worte waren die Wärme, die das Schwermetall zum Schmelzen brachte und so meine Füße zum Laufen bewegte.
Ich sah sie aus traurigen Augen an. Ich wusste, dass sie Recht hatte. Meine Geschwister, waren jetzt das Wichtigste. Darauf musste ich mich nun konzentrieren. Es half keinem, wenn ich jetzt wegsackte. Meine Mom zählte auf mich.
Nach dem Frühstück schickte ich alle nach draußen. Ich konnte nicht in dem großen Haus einfach rumsitzen und nichts tun. Ich musste mich irgendwie bewegen. Somit zogen wir uns alle an und gingen auf einen Sportplatz. Den Ball hatte ich fest unter meinen Arm geklemmt, während Ernest an meiner anderen Hand lief. Eleanor und Doris hielten sich ebenfalls an den Händen und quatschten mit Phoebe und Doris.
Nach unserem Ausbruch am Abend war El erstaunlich ruhig gewesen. Vielleicht war es eine Schutzfunktion ihren Körpers, mit den vielen Gefühlen umzugehen. Doch ihr Zustand beunruhigte mich. Vielleicht baute sie mehr auf die Hoffnung, als mit dem Gedanken klar zu werden, wirklich bald eine sehr gute Freundin zu verlieren...
Während ich mit meinen jüngeren Geschwistern ein wenig Fußball spielte und so mich versuchte abzulenken, saß El mit Lottie und Fizzy auf einer der vielen Bänke in Decken eingewickelt, die wir mitgebracht hatten und redeten miteinander.
Die Zeit verging leider schneller als gedacht und so brachen wir wieder auf. Etwas in meinem inneren wiedersetzte sich. Ich konnte mich nicht entscheiden, was ich nun fühlen sollte. Wollte ich so schnell wie möglich nach Hause und der Zukunft somit in die Augen schauen oder wollte ich am liebsten abhauen, soweit wie möglich von hier weg?
Doch schlussendlich siegte der Überlebensinstinkt, denn es wurde allen kalt. Ich wollte Jay und Dan nicht noch mehr Probleme aufhalsen indem alle eine Erkältung bekamen und somit setzte ich einen Fuß wiederstrebend vor den anderen. Die Ungewissheit ließ mein Herz rasen. Unruhig lief ich neben Eleanor und meinen Geschwistern und hielt es langsam nicht mehr aus.
Konnten wir aufatmen oder ertranken wir?
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