69. Kapitel
Eleanor
Ich taumelte einen Schritt vor dem Unbekannten vor mir nach hinten. Der Mann war kleiner als ich und hatte einen schon etwas grauen Vollbart. Generell war sein Haarwuchs sehr stark, sodass ich kaum sein Gesicht erkennen konnte, was nicht hieß, dass man die Mimiken von ihm nicht sah. Was zum Teil, aber auch an den Straßenlaternen liegen konnte, die ihn ein wenig beleuchteten.
„Was schreien Sie denn hier so rum?", fragte er mich mit einer ordentlichen Alkoholfahne nuschelnd und verschluckte dabei gleich ein paar Wörter, sodass ich ihn kaum verstand. Meine Nase hielt den Gestank nicht weiter aus. Es roch widerlich. Hoffentlich kam mir nichts hoch. Mein Menscheninstinkt setzte ein, sodass ich noch einen Schritt weiter nach hinten ging. Sicher war sicher. Ich wollte kein weiteres Risiko eingehen. Denn dieser fremde Mann wurde mir langsam unheimlich. Er schwankte schon sehr stark, als würde sein Gleichgewichtssinn nicht mehr ganz mit ihm mitspielen, aber wirklich Mitleid mit ihm hatte ich in diesen Moment nicht. Denn er kam nun doch noch einen Schritt auf mich zu und streckte seine Hand nach mir aus, als wollte er mich berühren. In der anderen hatte er eine Bierflasche.
„El, was ist bei dir los?", fragte Megan mich verwundert, die wohl gemerkt haben musste, das was nicht stimmte.
Ich wich vor dem fremden Mann noch weiter zurück und legte schützend eine Hand auf meinen Bauch. Oh, Gott, wieso bin ich nur alleine raus gegangen?! Natürlich waren um diese Uhrzeiten noch Menschen wach. Besonders die, die gerne Feiern gingen oder sich einfach so betranken, ohne weiteren Grund, wie der Fremde vor mir.
Leider stand genau dieser, in der Richtung, in die ich musste, um wieder zu Louis Familie zu kommen. Der Gehweg war nicht allzu breit, sodass ich auf die Straße ausweichen musste, wenn er nicht, wie durch ein Wunder, zu Seite ging und mich durchließ. Aber so sah es im Moment nicht aus. Er machte eher den Anschein, als wollte er noch näher kommen.
Da ich auf das, was der Fremde gesagt hatte, nicht antworten wollte und auch nicht wusste, was ich sagen sollte, überlegte ich, wie ich Megan mein jetziges Problem schildern konnte, ohne den Mann vor mir zu verärgern. Ich kannte ihn nicht und wusste dementsprechend nicht, wie er unter Alkoholeinfluss reagiert. Es gab die Lustigen, die Theatralischen und die, die um sich schlugen. Aber nach den ersten beiden sah er nicht aus, also blieb nur das letzte...
„Ich bin nicht mehr alleine auf der Straße", flüsterte ich vorsichtig ins Telefon und ließ den Mensch vor mir nicht mehr aus dem Auge, nicht das er mir noch einmal so nahe kam.
„Was heißt das genau? Geh nach Hause und das schnell!", kam es nun von meiner besten Freundin energisch mit einem panischen Unterton in der Stimme und gleichzeitig besorgt.
„Ein betrunkener Mann steht vor mir und genau das auf meinem Weg", der Versuch leise zu reden brachte nichts, der Fremde hörte mich trotzdem.
„Hey, ich bin nicht betrunken!", rief er verärgert und kam mir wieder näher. Beim Sprechen spukte er und verhaspelte sich mehrmals. Er setzte seine Bierflasche wieder an seine Lippen und trank einen ordentlichen schluck daraus.
„Püppchen, jetzt bleib doch mal stehen", seine Stimme klang nun schmierig und ich verzog angewidert mein Gesicht. Dieser Mann war einfach nur widerlich. Was hatte er erlebt oder was war der Auslöser, dass er so abgestürzt war? Aber mit diesen Fragen konnte ich mich jetzt nicht befassen. Morgen wusste er nichts mehr, was er vor ein paar Stunden eventuell getan haben könnten und bereute. Ich wollte ihn nicht etwas vorläufig unterstellen, aber ich war nun mal vorsichtig und einfach nur ein Mensch.
„Nimm die Straße, solange kein Auto kommt", kam es nun wieder von Megan mit der ich immer noch telefonierte. Mit ihr am Handy fühlte ich mich nicht so alleine und konnte dementsprechend meine Angst herunterschlucken. Ich konnte jetzt keine Schwäche zeigen, sonst kam der Fremde noch auf dumme Gedanken und das dufte nicht passieren. Selbst die Einbildung ließ mich innerlich erzittern. Ich musste irgendwie an ihn vorbei und dann ganz schnell nach Hause. Doch wie stellte ich dies an, ohne dass er mich womöglich noch verfolgte?
„Das versuche ich jetzt", meinte ich zu Megan und ging einen Schritt auf die Straße zu. Das Risiko war es mir wert. Der Mann beobachtete mich mit seinen Augen, blieb aber auf der Stelle stehen. Doch als ich eine gewisse Entfernung von ihm erreicht hatte, veränderte sich seine Haltung. Er fixierte mich nicht mehr, als wäre ich etwas Essbares. Sein Kopf musste so von dem Alkohol vernebelt sein, dass er mich schon vergessen hatte.
Ich wollte schon ehrlichtert aufatmen, doch dann erhob er wieder seine Stimme: „Du bist so hübsch. Geh ruhig, dich gibt es ja zum Glück zweimal", ich war verwirrt über seine Aussage, die überhaupt keinen Sinn ergab, aber er starrte nur verträumt gerade aus. Er sprach gar nicht mehr mit mir, sondern mit sich selber, oder einer fiktiven Figur, die ihm sein von Alkohol benebeltes Gehirn vorsetzt.
Hätte ich nicht so viel Angst, wäre ich nicht alleine mit ihm und wäre es nicht mitten in der Nacht, hätte ich mich erkundigt, wo er wohnte oder hätte einen Freund von ihm Angerufen, wenn er überhaupt noch die Nummer wusste, aber so konnte ich es nicht.
Meine Beine trugen mich so schnell wie möglich zurück in das sichere Haus von Louis Familie. Als die Tür hinter mir leise ins Schloss fiel und ich mich dagegen lehnte, schloss ich kurz meine Augen und atmete tief ein und aus.
Nie wieder! Das war mein erster Gedanke, als ich über das Geschehene von geradeeben nachdachte. Nie wieder, würde ich alleine irgendwo mitten in der Nacht hingehen. Bei sowas musste dann ein geöffnetes Fenster reichen.
Durch diese, durchaus dumme Aktion, war mein Körper immer noch hell wach. Meine Handyuhr zeigte vier Uhr früh durch, als ich Megan leise mitteilte, das ich nun in Sicherheit war und wir auflegten. Wir würden uns später irgendwann nochmal anrufen, damit sie mir endlich von sich erzählen konnte. Doch nun zog ich mir erstmal meine Jacke und Schuhe aus und ging in die Küche. Alle anderen schliefen noch, somit schloss ich die Tür hinter mir und schaltete erst dann das Licht an.
Als ich die zwei Uhren an der Wand sah musste ich schmunzeln. Die eine Uhr zeigte die aktuelle Uhrzeit an, die zweite die von Los Angeles. Ich vermutete, dass Jay sie noch nicht umgestellt hatte, denn Louis war zuletzt dort gewesen.
Zum Glück kannte ich die Küche genauso gut, wie meine eigenen in London. Meine Küche in der eigenen Wohnung unterschied sich zwar von der in Louis Haus, doch beide waren mir vertraut, wie meine eigene Westentasche.
So musste ich nicht lange nach meinen gesuchten Sachen kramen und konnte dementsprechend unnötigen Lärm vermeiden. Ich wollte keinen aus seinen wohlverdienten Schlaf schrecken lassen, weil sie dachten, es wäre ein Einbräche im Haus.
Als ich das heiße Wasser aus dem Topf in eine große Tasse goss und wenige Sekunden später den Teebeutel dazugab, zeigte die Uhr schon nach halb fünf an. Der Wasserkocher, wäre mir zu laut gewesen und da ich sowieso Zeit hatte, hatte ich den Herd angeschmissen.
Ich knipste das Licht in der Küche aus und machte dafür ein kleineres im Wohnzimmer an. Mit einer Decke kuschelte ich mich auf dem Sofa ein und trank meinen warmen Tee.
Bis die Anderen aufwachten, verbrachte ich die Zeit mit meinem Handy und mit nachdenken. Mir gingen die beiden Situationen nicht mehr aus dem Kopf. Einmal die eine in London und dann die vor ein paar Stunden. Immer wieder spielte ich die Szenen durch. Achtete darauf, was ich dabei gefühlt hatte und ob ich etwas anderes gemacht haben hätte können, damit es vielleicht anders abgelaufen wäre...
Als ich anderthalbstunden später das erste Getrampel auf der Treppe hörte, hatte ich schon den Frühstückstisch gedeckt und sah neugierig um die Ecke, um zu sehen, wer da kam. Es war Fizzy, die noch ganz verschlafen herunter kam.
„Guten Morgen", nuschelte sie und fuhr sich durch ihre noch ganz verwuschelten Haare, doch als sie den gedeckten Tisch sah, leuchteten ihre Augen auf.
„Danke", sie umarmte mich und setzte sich dann an den Tisch. Womit man mit ganz einfachen Dingen, Personen eine Freude machen konnte, war immer schon faszinierend gewesen.
„Guten Morgen. Keine Ursache", ich setzte mich zu ihr und beobachtete sie, während sie sich ein Brötchen schmierte. Zum Glück hatte ich diese gefunden, um noch einmal raus zu gehen fehlte mir der Mut und außerdem zweifelte ich das ein Bäcker um diese Uhrzeit überhaupt schon auf hatte.
„Wieso bist du schon wach und wo ist Louis? Euch gibt es doch eigentlich nur im Doppelpack", ich musste leise lachen, als ich diesen Vergleich hörte, doch dann wurde ich wieder ernst. Ich wollte ihr nicht erzählen, was sich vor ein paar Stunden zugetragen hatte. Aus einer Mücke, würde sehr wahrscheinlich ein Elefanten gemacht werden und so sehr ich mich ihre Zuwendung ermunterte, konnte ich es dennoch nicht.
„Ich war nicht mehr müde. Ich glaube der Jetlag setzt mir mehr zu, als es Louis tut", gab ich stattdessen zur Antwort und wurde gleichdarauf von Daisy und Phoebe unterbrochen, die ebenfalls noch müde den Raum betraten.
Wenn Schule war, waren die Morgen immer hektisch. Jeder suchte noch was in der letzten Sekunde zusammen oder verquatschte sich am Frühstückstisch. So auch heute. Der Rest der Familie war nach weiteren fünf Minuten eingetroffen und so saßen wir nun alle zusammen.
Louis war der letzte der den Tisch erreichte, aber das störte keinen. Liebevoll küsste er mich auf die Lippen und strich über meinen gewölbten Bauch.
„Guten Morgen, alle zusammen", rief er glücklich in die Runde und wandte sich dann wieder mir zu: „War alles in Ordnung. Was hast du gemacht?", fragte er mich neugierig und schnitt sich ein Brötchen auf. Er spielte auf den Zettel an, den ich ihm im dunklen geschrieben hatte. Anscheinend konnte man ihn lesen. Gott sei Dank. Doch nun überlegte ich fieberhaft wie ich es ihm erzählen konnte, ohne dass alle gleich in Panik ausbrachen und mir eine Predigt hielten, das ich solche Aktionen in Zukunft unterlassen sollte. Fast fühlte ich mich, als wäre ich noch ein kleines Kind und hätte was ausgefressen, dass ich mir nun eine Lüge einfallen lassen musste.
Doch ich wollte Louis nicht anlügen. Ich vertraute ihm, dass er das gleiche bei mir auch so sah. Eine Beziehung, so wie wir sie führten, beruhte auf Ehrlichkeit und gegenseitigem Vertrauen. Sobald einer diese zwei Sachen brach, stürzte das ganze Gerüst ein und keiner überlebte.
„Ich war draußen und habe mit Megan telefoniert. Ich kann dir später alle Einzelheiten erzählen, aber deine kleinen Geschwister müssen jetzt in die Schule", ich legte kurz meine Hand auf seinen Oberschenkel und sah dann zu den Zwillingen: „Hättet ihr was dagegen, wenn ich euch zu eurer Schule begleite?", Fizzy war vorhin nochmal in ihr Zimmer gegangen um ihre Tasche zu holen, nun kam sie wieder runter und verabschiedete sich von uns.
„Viel Spaß", wünschte ich ihr, doch sie verdrehte nur die Augen.
„Du hast gut reden. Du hast es doch schon hinter dir", wir lachten beide, doch dann winkte sie zum Abschied und verschwand durch die Tür.
Ich wandte mich wieder an Daisy und Phoebe und sah sie fragend an: „Absolut gar nicht", riefen sie begeistert und sprangen von ihren Stühlen auf. Die Müdigkeit von vorhin war verflogen. Sie stürmten beide nach oben, um ebenfalls ihre Taschen zu holen, denn die Zeiger der Uhr waren schon ordentlich nach vorne gerückt.
„Wenn du nicht so ein Teenie-Schwarm wärst, würde ich dich jetzt fragen, ob wir nicht einen kleinen Spaziergang mit deinen Schwestern machen, aber –", Louis unterbrach mich und stand ebenfalls auf.
„Ich komme mit. Vielleicht werde ich durch die Kälte wacher. Ich setze mir einfach eine Mütze auf und binde mir einen breiten Schal um mein Gesicht. Das wird schon gehen. Sowas lasse ich mir doch nicht entgehen", ich lächelte ihn an und freute mich auf das kleine Erlebnis, was uns bevor stand.
„Aber nicht, das du mir wie ein Gangster aussiehst", Jay lachte über meinen Kommentar und Louis spielte die beleidigte Leberwurst.
Keine fünf Minuten waren wir alle vier dick eingepackt und gingen los. Louis hatte vorhin noch schnell sein Brötchen zu Ende geschmiert, sodass er es während unseres Spazierganges essen konnte. Die Zwillinge liefen vor uns und Louis und ich Händchenhalten hinter ihnen.
Ich wollte nicht umsonst einen Spaziergang mit Louis machen. Zum Glück hatte alles so gut funktioniert. Ich möchte mit ihm über was bestimmtes Reden und das in Ruhe. Keiner anderer sollte sich in diese Angelegenheit mischen, denn es sollte unsere gemeinsame Entscheidung sein.
Ohne weitere Probleme lieferten wir Daisy und Phoebe an ihrer Schule ab. Während wir gelaufen waren, hatten wir uns angeregt unterhalten und so war mir der Weg sehr kurz vorgekommen. Wir wünschten ihnen einen erfolgreichen Schultag und gingen dann wieder Richtung Louis Elternhaus.
Als ich mir sicher war, das uns keiner hörte – so früh am Morgen war erstaunlich viel los – drehte ich mich zu Louis und blieb stehen. Mein Herz schlug etwas schneller als sonst. Ich war aufgeregt und wusste nicht mit welcher der beiden Antworten, die ich bekommen würde, glücklicher war.
„Was ist los?", fragte er mich verwundert, blieb aber neben mir stehen. Ich kam ihm einen Schritt näher, sodass ich meine Arme um seine Mitte schlingen konnte und sah ihm in die Augen.
„Nichts, ich möchte dich nur was fragen", sein Gesichtsausdruck wechselte von verwundert zu neugierig. Er legte ebenfalls seine Hände um meinen Rücken und sah mich an, gespannt was ich zu sagen hatte.
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