51. Kapitel
Eleanor
Mein Herz schlug noch, somit wusste ich, dass ich weiterhin lebte. Es war wie ein Film, der sich vor mir abspielte und keinen Pause-Knopf hatte. Ich war nur der Zuschauer, der bangen musste und nicht die Hauptprotagonistin, die alles beeinflusste. Mein Kopf spielte mir einen Streich und im tiefsten inneren wusste ich das, doch ausschalten konnte ich es nicht.
„Ich muss hier raus!", ich murmelte die Worte nur. Sie kamen energisch, entschlossen und dennoch leise heraus. Trotzdem verstand sie komischerweise jeder im Raum.
„El, du kannst nicht –"
„Doch! Wenn Louis das kann, kann ich das auch!", mit diesen Worten erhob ich mich von dem Stuhl auf dem ich immer noch saß und verließ wie Louis wenige Minuten zuvor den Raum.
„Aber –", doch ich hörte die Proteste von den Anderen nicht mehr. Zielstrebig ging ich die unzähligen Gänge entlang bis zum Ausgang. Mein Blick war stur geradeaus gerichtet und blieb dort auch. Die Leute die an mir vorbeigingen, nahm ich als Menschen wahr, beachtete sie aber nicht weiter. Es war wie ein langer Tunnel indem ich steckte und langsam am Ende, das strahlende Sonnenlicht sah und auf das ich konsequent zusteuerte.
Ich nahm keine Rücksicht auf die Leute, die mir entgegenkamen. Sie versuchten auszuweichen, aber manche schafften es nicht. Dadurch, dass ich so gut wie in der Mitte des Ganges lief, traf ich ein paar mit meinen Schultern und rempelte sie somit an.
Eigentlich hatte ich eine gute Erziehung, was die Höflichkeit betraf, aber momentan, war dies aus meinen Kopf gefegt. Meine Ohren nahmen nur noch ein rauschen wahr. Obwohl ich jedes Wort verstand, was sich die Leute zuriefen, nahm ich es nicht in meinem Gehirn auf.
„El, warte doch!", rief Lottie mir hinterher, als ich gerade um eine Ecke bog. Und genau diese Worte erreichten komischerweise mein Kopf. Mein Gehirn verarbeitete es und handelte.
Klar, Louis fiel aus, da musste seine Schwester für ihn einspringen, aber nicht mit mir. Energisch schüttelte ich meinen Kopf, sodass meine Haare mitschwangen und legte einen Zahn zu. Ich musste meine Probleme selber lösen. Ich brauchte nicht immer ein Wachhündchen, nur weil Louis nicht da war. Ich kam sehr gut alleine zurecht und das musste den Anderen langsam klar werden.
„Du kannst jetzt nicht da raus", so langsam aber sicher holte sie mich ein und das missfiel mir sehr. Ihre Stimme war so laut, dass man sie bestimmt durch den ganzen Gang hören konnte und das trotz Vollbetrieb. Wieso konnte ich nicht raus? Ich war ein freier Mensch und nicht durch irgendeine Dummheit im Gefängnis. Ich musste nicht eingesperrt werden...
„Natürlich, dass siehst du doch!", ich wusste, dass ich mich wie ein kleines Kind verhielt, aber mein Körper wurde gerade fremdgesteuert. Ich konnte nichts mehr machen und dementsprechend war auch mein logisches Denkvermögen nicht aktiviert. Das Gefühl als wäre man in Watte und gleichzeitig auf der wildesten Party, beschrieb ziemlich gut, was gerade in mir vorging.
„Das Konzert fängt in anderthalbstunden an. Es sind schon zu viele Fans da", versuchte Lottie mir die jetzige Situation klar zu machen, aber ich setzte auf Durchzug. Ich wollte davon nichts hören. Ich hatte gerade ganz andere Probleme, als die Fans von Louis und der Band.
„Die sind mir egal. Ich bin ein freier Mensch!", sprach ich das aus, was ich dachte.
„Das weiß ich. Aber es ist zu gefährlich", ihre Stimme klang leicht verzweifelt, um den versuch mich aufzuhalten. Aber momentan blieb das schlechte Gewissen aus. Meine ganze Konzentration lag auf Louis, meiner Schwangerschaft und der verdammten Öffentlichkeit – und das waren keine glücklichen Gedanken.
„Ach quatsch. Ich kann gut auf mich selber aufpassen", ich stieß ein Tür auf und wunderte mich selber, woher ich diese Kraft hatte. Das Adrenalin schoss durch meinen Körper. Mein Blut rauschte und meine Hände waren unbewusst zu Fäusten geballt.
„El –", setzte Louis Schwester wieder an um was zu sagen.
„Lass es bitte, Lottie!", fuhr ich sie an und bereute es in der nächsten Sekunde auch schon wieder. Andere Gefühle versuchten sich so langsam durchzusetzen. Ich musste hier dringend weg! Ich durfte nicht noch mehr Menschen seelisch verletzten. Ich hielt es hier nicht mehr aus!
„Ich weiß du machst dir nur sorgen um Louis. Geh doch lieber zu dem, als seiner Freundin hinterher zu rennen. Er braucht jetzt jemand von seiner Familie", rief ich ihr etwas milder aber energisch zu. Sie sollte zu Louis. Sie sollte ihn fragen, wie er über die Sache denkt – ihm beiseite stehen. Ich kann das jetzt nicht machen. Es ging einfach nicht. Ich musste mit meinen eigenen Gedanken fertig werden und dann konnten wir nach einer gemeinsamen Lösung für unser Problem suchen. Aber wollte das Louis überhaupt? Er war doch weggelaufen und hat mich zurückgelassen...
„El, du bist seine Familie", sagte sie voller Überzeugung.
„Ach sicher?!", die Worte kamen scharf heraus. Mit einem Schwung drehte ich mich zu ihr um und blieb abrupt stehen. Lottie hatte diese Bewegung von mir nicht kommen sehen und rannte fast in mich hinein. Nur kurz vor knapp, bremste sie noch ab und verhinderte so einen Zusammenstoß.
„Wenn er mich zu seiner Familie zählt, wo ist er dann? Ich wollte ihm zur Seite stehen. Weißt du was?", ich machte kurz eine Pause um Luft zu holen. Außerdem war ich von dem Lauf ganz außer Atem.
„Louis meinte gestern Abend noch, dass wir das ganze hier...", ich wedelte mit meinen Armen in der Luft herum und versuchte unsere jetzige Situation zu symbolisieren.
„...zusammen überstehen. Zusammen! Wo ist er jetzt?!", ich ließ meine Arme kraftlos fallen, sodass sie neben meinem Körper baumelten.
„Weißt du, gestern Abend, war ich mir sicher – im tiefsten inneren – das diese Entscheidungen, es langsam der Öffentlichkeit zu zeigen, richtig war – ich finde das auch jetzt noch so. Ich will mich nicht mehr verstecken. Ich will mich nicht mehr verstellen. Ich bin es so leid", ich fuhr mir aufgebracht durch die Haare und sah sie an. Sie, wo man genau sah, das sie Louis Schwester war, weil sie sich so ähnlich sahen. Es schmerze schon fast, sie anzusehen. Ich erkannte Louis in ihr und ihn wollte ich jetzt nicht. Louis, der die liebsten Worte fand, die einen dahinschmelzen lassen und dann einen alleine lassen, wenn man ihn am meisten brauchte. So war er eigentlich nicht, aber jeder konnte sich verändern. Auch Louis hatte Seite, die ich anscheinend gar nicht kannte. Der Grund war vielleicht, das wir noch nie in so einer Ausnahmesituation waren. Aber ich suchte immer Gründe, um es mir leichter zu machen...
Tränen stiegen mir in die Augen, als ich sie betrachtete und an Louis dachte. Wo war dieser verdammte Kerl?! Zum einen wollte ich es mit ihm klären – ich hasste es, wenn etwas zwischen uns stand – zum anderen wollte ich jetzt alleine sein – alles für mich zuvor analysieren und es dann erst mit ihm.
Die Tränen entwickelten sich zu eine Art Heulkrampf. Ich konnte nicht mehr aufhören. Meine Sicht verschwamm. Haltsuchend stützte ich mich an der nächstgelegenen Wang ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und ließ mich dann daran erschöpft heruntergleiten.
„Ich verstehe dich vollkommen", einfühlsam setzte sich Lottie neben mich und legte einen Arm um meine Schulter. All die Sachen, die ich ihr gerade an den Kopf geknallt hatte, schien sie vergessen zu haben. Und genau diese Geste brachte mich noch mehr aus der Fassung. Ich verstand sie nicht. Wie konnte sie jetzt zu mir nett sein, wenn ich gerade so aufgewühlt war?!
„Woher willst du denn das wissen?! Du bist schließlich nicht schwanger von einem Weltstar und keine Millionen Fans wollen dich Tod sehen. Du gehörst zur Familie. Also keine Gefahr – so sehen es doch die Fans"
„Okay El, es reicht!", sie zog ihren Arm zurück und rutschte ein Stückchen von mir weg. Dabei drehte sie ihren Oberkörper in meine Richtung.
„Ich verstehe dich, wie du dich gerade fühlst, aber ich lasse mich von dir nicht anmeckern, nur weil deine Hormone gerade dein Leben bestimmen. Ich bin nicht schwanger und ich gehöre zur Familie, in diesen Punkten hast du recht, aber denkst du, nur weil ich Blutsverwandt mit Louis bin, bekomme ich keine Morddrohungen?!"
„Ich muss hier raus!", das war das Einzigste was ich zu ihr sagte. Ich wusste, dass sie recht hatte in dem was sie sagt. Schon oft hatten wir zusammen gesessen und über solche Themen gesprochen.
„Ich sage es nochmal, du kannst jetzt nicht aus dem Stadion raus gehen!", sie hielt mich am Arm fest, als ich mich gerade aufrappeln wollte.
„Außerdem siehst du zu schlimm aus, um so auf die Straße zu gehen. Da rastet die Presse noch mehr aus, als eh schon. Das willst du doch nicht, oder?", versuchte sie mich mit diesem Argument, der alles andere als nett war, zum Bleiben zu zwingen. Aber ich war gerade auch nicht nett...
„Nein, aber ich muss hier raus!", meine Stimme brach am Ende. Ich war selber dort. Am Ende. Ich brauchte Abstand von dem allen hier. Lottie musste das verstehen.
„Okay ich auch", stimmte sie mir überraschend zu.
„Wir finden eine Lösung", sie zückte ihr Handy und rief jemanden nach kurzen überlegen an. Ich war zu erschöpft und einfach nur mit den Nerven am Ende, um Lottie zu fragen, wer das am Telefon war.
„Komm mit. Wir fahren ins Hotel", sie hielt mir ihre Hand hin, nachdem sie aufgestanden war und zog mich dann hoch.
„Danke", ich klopfte mir den Staub von den Klamotten und sah sie dann wieder an.
„Und was ist mit Lou? Sie braucht doch sicher deine Hilfe", fiel es mir erschrocken ein. Schließlich fand hier gleich ein Konzert statt.
„Sie schafft es auch mal ohne mich und notfalls gehen die Jungs auch so raus. Den Fans ist das doch egal. Die könnten auch in Schlafanzug auf die Bühne...oder doch lieber nicht, sonst kommen die noch auf falsche Gedanken", und auch wenn ich gerade psychisch am Boden lag, Lottie schaffte es mit diesen Sätzen, mir ein kleines Schmunzeln auf die Lippen zu zaubern.
Wir schafften es tatsächlich ins Hotel. Doch bevor wir auch nur einen Fuß in die Öffentlichkeit gesetzt hatten, schoben wir uns Sonnenbrillen mit großen und extra dunkeln Gläsern auf unsere jeweilige Nase. Ich wollte niemand mein Gesicht zumuten und damit es nicht auffiel, trug Lottie ebenfalls eine, obwohl sie das eigentlich gar nicht brauchte.
Ein Bodyguard wartete auf uns am Ausgang und reichte mir meine Tasche, die ich natürlich bei meiner Flucht aus dem Raum vergessen hatte. Mein Portemonnaie, mein Handy und noch weitere wichtige Sachen waren darin. Ich nickte ihm dankend zu und stieg dann mit Lottie in einen wartenden schwarzen Range Rover.
Als wir das Hotelzimmer erreichten, was ich eigentlich mit Louis teilte, wurde mir schlecht – nicht so als müsste ich mich übergeben, sondern mehr wie ein flaues Gefühl im Magen. Es fühlte sich falsch an, hier zu sein. Ich liebte Louis immer noch, aber momentan versuchte ich alles zu umgehen, was mich an ihn erinnerte. Obwohl das sehr schwierig war in meiner jetzigen Situation.
„Lass uns in mein Zimmer gehen", meinte Lottie, die neben mir im Türrahmen stand. Sie musste mein Unbehagen gemerkt haben und handelte.
„Gute Idee", presste ich durch meine Lippen hindurch und machte kehrt. Auch wenn ich immer noch enttäuscht von Louis war, so fragte ich mich dennoch, wie er zu der Sache stand. Bereute er es? Verdrängte er es oder grübelte er darüber nach, wie man das sogenannte Problem lösen konnte?
„Ich kenne meinen Bruder...", fing Lottie an zu erzählen, als wir uns beide auf ihr Hotelbett gelegt hatten und gemeinsam an die Decke starrten. Ich hatte schon längst aufgegeben nicht an ihn zu denken, denn er war nun mal involviert.
„Ich kenne ihn auch...", murmelte ich, als Lottie nichts weiter sagte. Sie drehte ihren Kopf zu mir und wir blickten uns beide gegenseitig an.
Ob Bruder oder fester Freund, man kannte eine Person. Wie man ihn kannte, hang von der Position ab, in der man sich befand. Man erfuhr ganz andere Fassetten, wenn man zu Familie gehörte, als wenn eine Person erst später dazu kam und sie lieben lernte.
So kannten wir Louis beide und doch wieder nicht. Denn egal wie viel eine Person einem erzählte – alles wusste man dennoch nicht.
Wir zuckten beide erschrocken zusammen, als ein Handy anfing zu klingeln und nicht mehr aufhörte. Wir sahen uns immer noch an und rührten uns dabei nicht. Wir ließen es klingeln, bis es verstummte. Doch wer auch immer da anrief, war hartnäckig. Und eigentlich brauchte keiner von uns beiden was zu sagen, wir wussten auch so, wer dran war.
Louis war kein Mensch, der im ungewissen gelassen werden wollte. Er war kein Stalker, aber wenn es ein Problem gab, wollte er es lösen und da ließ er kein Mittel aus.
Als mein Handy das fünfte Mal losging und Lotties auch schon mehr als vier Mal geklingelt hatte, bequemte ich mich aus dem Bett, griff in meine Tasche und holte das Telefon raus, was uns einfach nicht in Ruhe ließ. Ich wollte es nur auf stumm schalten, aber als ich sah, das sich meine Vermutung bestätigte, konnte ich es nicht mehr ignorieren.
„Geht es dir gut?"
Seine Stimme klang gefasst und gleichzeitig so besorgt. Ich atmete tief durch und blickte zu Lottie, die nun im Schneidersitz auf dem Bett saß, während ich auf dem Boden neben dem Gestell hockte.
„El, ich höre dich atmen. Bitte antworte mir", flehte Louis mich an und klang nun verzweifelt, als ich nichts sagte.
„Müsstest du nicht langsam auf die Bühne?", ignorierte ich seine Frage. Meine Stimme klang kühler als beabsichtigt. Aber momentan war es mir dann doch egal. Wenn Louis mir die kalte Schulter zeigte, konnte ich das auch.
„Das war nicht meine Frage. Bitte antworte mir", er blieb ruhig, egal wie ich gerade mit ihm umging. Er kannte mich und wusste, dass sich jetzt in rasche Reden nichts brachte. Denn das führte zu einem Streit und diesen wollten wir ganz sicher nicht haben.
„Nein", ich blieb stur.
„Wo bist du?", fragte er und klang dabei hoffnungsvoll, aber dieses Gefühl machte ich zunichte.
„Du musst auf die Bühne. Wir sehen uns danach. Viel Spaß", mit diesen Worten legte ich auf. Wenn er ging, ging ich auch.
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