46. Kapitel

Eleanor

„Eleanor", rief meine Mutter meinen Namen erfreut, als ich gerade die Autotür einen Spaltbreit geöffnet hatte. Louis Hand lag noch in meiner und strich sanft über meinen Handrücken. Kurz sah ich ein letztes Mal zu ihm – bevor wir uns meiner Mutter stellten – und entdeckte dabei Kleinigkeiten, die mir zwar schon mehrmals aufgefallen waren, aber dennoch stets in den Hintergrund des Alltages rückten. Seine länger werdenden Haare, sein leichten Bart, den er sich jetzt wachsen ließ und seine wundervollen Augen die zu leuchten schienen. Es waren Dinge, die man täglich sah, aber nicht unbedingt wahrnahm. Es war ein gewaltiger Unterschied, ob man eine Person nur ansah oder hinter der oberflächlichen Fassade schaute. Ein Mensch hatte nicht nur zwei Schichten, er bestanden aus tausenden und abertausenden Hüllen. Je besser man eine Person kannte, umso tiefer konnte man vielleicht vordringen...aber dafür reichte nicht das alltägliche. Je mehr man sich an eine Sache gewöhnte, umso mehr rückten die Besonderheiten in den Hintergrund. Ich wollte nicht, dass das bei uns passierte und somit steuerte ich dagegen.

„Louis. Wie schön euch mal wieder in live und in Farbe zusammen zusehen", sie kam den kurzen Weg bis zum Wagen gelaufen, während Louis und ich nun endgültig ausstiegen waren und zog mich förmlich in ihre Arme.

„Hallo Mum", begrüßte ich sie ebenfalls fröhlich und sog ihren heimischen Duft ein. Jeder Mensch hatte einen eigenen Geruch. Wenn man eine Wohnung mit geschlossenen Augen betrat, erkannte man sie oder nicht. Sollte man sie nicht erkennen, lag es nicht an der Blindheit. Es lag daran ob man den Geruch, der in den Zimmern hang, kannte oder noch nie gerochen hatte.

Meine Mutter hatte mich aufgezogen. Ihren Geruch werde ich immer erkennen, genauso wie den Geruch von Louis oder meinen anderen Freunden und Verwandten.

Meine Hand, die ich schon vor der Umarmung mit meiner Mutter, wieder mit meinem Freund verschränkt hatte, ignorierte sie. Sie war schon immer so gewesen: ein Mischmasch aus humorvoll, führsorglich, streng und temperamentvoll. Dabei nahm sie kein Blatt vor den Mund und sprach aus was sie dachte. Schon relativ früh hatte ich rausbekommen, das ich die Schüchternheit und auch leider das tollpatschige an mir von meinen Vater geerbt hatte.

„Ich habe schon Ohrenschmerzen von diesem ständigen getute und kann die komische Computerstimme mitsprechen, wenn sie wieder sagt, dass ihr beide nicht erreichbar seid", der leichte Vorwurf in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Sie zog Louis in ihre Arme, der sie ebenfalls begrüßte, trat danach einen Schritt zurück und betrachtete uns. Diese Geste hatte sie nur ein einziges Mal gemacht und das war, als ich ihr Louis als meinen Freund vorgestellt hatte. Dieser typische Mutterblick, den der Freund ertragen musste, wobei er geprüft wurde, ober er für diesen Job tauglich war oder nicht. Ihn jetzt wieder zusehen, hatte etwas Komisches an sich. Als würde man um Jahre zurück geworfen worden sein. Aber das war nicht so. Wir waren im hier und jetzt und hatten eine schöne Neuigkeit im Gepäck – nur das wusste meine Mutter noch nicht...

Auch wenn es eigentlich die Väter waren, die den Freund auf eventuelle schlechte Eigenschaften und den Umgang checkten, war es in diesen Fall meine Mutter. Meine Eltern lebten getrennt, deswegen war die Situation jetzt so, wie sie war und auch wenn wir nicht 'vollständig' waren, war es okay. Über die Jahre hinweg hatte ich es akzeptiert und kam schon eine Weile gut damit klar.

Wir standen vor ihr, wie zwei Staturen – zumindest kam es mir so vor. Denn der Blick meiner Mutter wurde immer finsterer und nachdenklicher.

„Was habe ich nur gemacht, dass ihr so eine Angst vor mir habt?", fragte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust und schüttelte dabei fassungslos ihren Kopf. Ihre kinnlangen Haare schwenkten dabei mit und ihr ordentlich gemachtes Pony verrutschte, aber das schien sie nicht zu stören.

„Wir haben keine Angst", protestierten Louis und ich gleichzeitig und gestikulierten wild mit unseren freien Händen.

„Doch! El, du zitterst an den Händen und du Louis, schaust ständig zu meiner Tochter, als würde sie im nächsten Moment überfahren werden. Was ist nur los?", sie sah von einem zum anderen. Ich schaute zu Louis und er zu mir.

„Stimmt gar nicht", versuchte ich noch das offensichtliche abzustreiten, aber es war zwecklos. Meine Hände zitterten tatsächlich und ich konnte nichts dagegen tun – dieses Mal halfen auch nicht seine Berührungen. Und Louis Blick von der Seite, war ebenso nicht wirklich dabei hilfreich.

„Na kommt, lasst uns rein gehen und eine Tasse Tee trinken. Wie läuft die Tour Louis?", wechselte sie so abrupt das Thema, sodass wir kurz wie festgefroren dastanden – was wir eigentlich seit wir angekommen waren taten – und erst einige Sekunden später meiner Mutter folgten, die schon voraus ins Haus gegangen war.

„Willkommen bei meiner Mutter", wisperte ich Louis leise zu und hakte mich bei ihm unter.

„Ich mag deine Mutter trotzdem. Sie ist immer so erfrischend", flüsterte er mir ins Ohr und ich musste kichern.

„Wie du meinst Louis", meinte ich skeptisch und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

„Wir überleben das schon El. Glaube mir...", aufmunternd legte er einen Arm um meine Taille, wobei er zwangsweise meine Hand loslassen und ich meinen anderen Arm wegnehmen musste, aber das war nicht weiter schlimm, denn so konnte ich seinen Geruch unauffällig einziehen.


„Also wieso seid ihr wirklich hier? Eleanor, du umgehst ständig meine Fragen, wie es dir geht –"

„Das stimmt nicht", unterbrach ich sie und schaute betreten auf den weißen Beistelltisch, wo einiges an Krimskrams drauf lag. Neben der Fernbedienung für den Fernseher und unseren Handys lagen Zeitschriften, die zum Teil von den anderen verdeckt wurden.

„Okay, ich korrigiere mich: Du beantwortest sie zwar, aber nur zur Hälfte. Ich kenne dich seit dreiundzwanzig Jahren. Ich weiß, wenn du mir was verschweigst", ich seufzte und richtete mich von Louis Oberkörper auf. Wir hatten uns ins Wohnzimmer auf die kleine braune Couch gesetzt und uns in die Kuscheldecke gewickelt. Ich lag dabei halb auf Louis drauf, der an die Lehne mit seinem Kopf gelehnt dalag. Meinen eigenen hatte ich dabei auf seiner Oberkörper abgelegt. Das minimale auf und ab seines Brustkorbes, wenn er atmete, hatte schon immer etwas Beruhigendes an sich. Louis umschlang unter der Decke, meine Taille und berührte leicht meinen Bauch. Sanft strich er darüber. Gleichzeitig spürte ich seine Lippen an meinem Haar. Meine Mutter saß im Sessel schräg gegenüber, da der weiße Beistelltisch im weg und der Raum nicht allzu groß war.

Sie beobachtete uns mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Auch wenn wir gerade eine ganz andere Stimmung hier im Zimmer hatten, fühlten wir uns wohl. Am Anfang waren Louis und ich als Paar noch etwas schüchtern, was das öffentliche zeigen unserer Liebe betraf, aber mit der Zeit war uns das schon fast egal. Wir lagen zusammen da, wie eng wir wollten oder küssten uns einfach – egal ob uns jemand sah oder nicht. Solange wir unsere Klamotten anhatten, störte das auch meine Mutter nicht.

Verwundert schaute ich mir die Zeitschriften genauer an. Neben der Tageszeitung und den anderen Frauenzeitschriften, die sie schon seit Jahren las, fand ich die Klatschblätter, die ich bei meiner Mutter eigentlich nicht sehen wollte. Zumindest nicht die, wo Louis oder ich drauf abgebildet waren und genau diese fand ich bei ihr im Wohnzimmer.

Wie oft hatte Louis oder ich sie gebeten es nicht zu tun – uns zu fragen, wenn sie was wissen wollte und nicht der Presse zu vertrauen. Denn das verlassen auf einen anderen, war in der Beziehung zu Louis und dem ganzen drum herum am wichtigsten. Sie konnte mir zwar in mein Leben nicht mehr rein reden, dennoch vertraute ich auf ihren Rat. Sie war schließlich meine Mutter und wenn sie dachte, das Louis ein schlechter Mensch war, wenn es die Presse schrieb, dann...dann wusste ich auch nicht weiter.

Die Schlagzeilen, hatten eigentlich immer denselben Inhalt auch wenn sie unterschiedlich geschrieben waren: 'Louis Tomlinsons Freundin Eleanor Calder ist schwanger!', war nur eine von vielen.

„Mum? Was soll das? Wieso kaufst du das?", eigentlich wusste ich es. Schon oft hatte ich solche Zeitungen hier im Haus irgendwo rumliegen sehen. Ich hasste es und das sie sie hier so offen rumliegen hatte, wenn ich da war, gefiel mir nicht. Mir reichte es, wenn ich im Netz die Schlagzeilen und Kommentare las, aber nicht zu Hause, bei meiner Mutter.

„Oh, die habe ich vergessen wegzuräumen. Es tut mir leid Eleanor, aber du sagst mir ja nichts", fassungslos sah ich sie an. Okay, ich sagte vielleicht nicht alles bis ins kleinste Detail, aber dennoch erzählte ich ihr von meinen Leben. Ich fühlte mich ein wenig hintergangen von ihr. Der kleine Stich in meinem Herzen versuchte ich zu ignorieren, aber wie mich meine eigene Mutter anschaute, wuchs er nur noch, als zu verschwinden.

„Eleanor, schau mich bitte nicht so an. Es tut mir wirklich leid", sie stand auf, schnappte sich die Zeitungen und verstaute sie in einem Schrank. Ich atmete freier, als ich die Schlagzeilen nicht mehr sah. Louis küsste sanft mein Haar: „Es ist alles gut"

Und dann traf mich die Erkenntnis, die ich eigentlich schon die ganze Zeit wusste, sie aber nur nicht betrachten wollte: Meine Mutter ahnte den Grund – Sie wollte es nur aus meinen Mund hören. Sie wollte die Bestätigung. Deswegen hatte sie mich auch mehrmals angerufen. Sie hatte die Schlagzeilen gelesen und wollte die Wahrheit. Bei Jay dürfte es nicht anders sein. Ihr Sohn war schließlich darin verwickelt. Kein Wunder, das sie unter einer Decke steckten.

Sie schloss die Schranktüren, kam wieder zu mir zurück und nahm mich in die Arme. Dabei ließ mich Louis los und ich richtete mich leicht auf.

„Ich bin einfach nur eine besorgte Mutter, die etwas von ihrer Tochter wissen möchte, wenn sie gerade am anderen Ende der Welt ist. Und da meine ich nicht, die Sachen die du mir vielleicht nicht erzählst, weil ich deine Mutter bin. Ich weiß mit welchen Hass du tagtäglich umgehen musst und ich möchte vorbereitet sein, wenn du eines Tages zu mir kommst und zusammenbrichst. Ich möchte dich nicht erst fragen müssen, wieso du dich gerade in diesen Zustand befindest. Denn den Schmerz den du dann spürst, ist zu schlimm, als das du ihn unnötig immer wieder hervorrufen musst. Ich möchte, das du den Schmerz nur einmal und dann nie wieder spürst. Denn dann nehme ich dich einfach nur in die Arme und halte dich fest", und da verstand ich es. Ich verstand es und ich war froh darüber. Ich konnte mich immer auf meine Mum verlassen. Immer.

„Danke", ich weiß, das es nicht nur meine Hormone waren, die gerade nur verrücktspielten, sondern echte Tränen, die meine Augen verlassen. Ob sie traurige oder fröhliche waren, konnte ich nicht sagen, denn die Gefühle in mir drinnen, waren ein Schlachtfeld, wo Feinde, als auch Freunde vermischt waren.

„Ich hoffe, dass wird nie passieren", auch wenn wir uns noch umarmten und ich nicht sehen konnte wohin meine Mutter schaute, wusste ich, dass sie zu Louis sah. Ich wusste auch, wie Louis schaute: Entschlossen und stumm gaben sie sich das versprechen. Ich spürte es, auch wenn es unmöglich war.

Wir lösten uns wieder und sahen uns in die Augen.

„Und jetzt möchte ich den wahren Grund wissen. Denn ich weiß von Jay, dass ihr morgen bei ihr sein werdet. Es muss also was wichtiges sein", sie steckten wirklich unter einer Decke – sie gab es sogar zu – aber jetzt konnte ich mich nicht darüber aufregen. Jetzt musste die Wahrheit raus. Ein bisschen fühlte ich mich, als würde ich um eine Wochen zurück geworfen worden sein. In den Moment als ich es Louis erzählt hatte...

„Okay...", ich suchte Louis freie Hand, denn die andere lag auf meinen Oberschenkel und fuhr beruhigend über den Jeansstoff. Als ich sie gefunden hatte, verschränkten wir sie wieder miteinander und unsere Blicke glitten zu meiner Mutter, die sich in der Zwischenzeit wieder in den Sessel gesetzt hatte und uns erwartungsvoll ansah.

Auch wenn ich wusste, dass meine Mutter Louis mochte, wusste ich nicht, wie sie jetzt reagierte. Denn sie war eine temperamentvolle Frau und bei sowas schon immer...naja...sehr offen umgegangen. Gleich als ich ihr Louis als meinen Freund vorgestellt hatte, meinte sie, dass wir aufpassen sollten. Jetzt waren fast vier Jahre vergangen und sie war immer noch der gleichen Ansicht.

„Ich bin schwanger. Wir werden in ungefähr sieben Monaten Eltern", platzte es aus mir raus und ich rutschte wieder ein bisschen weiter an Louis ran. Ich wollte nicht um den heißen Brei herum reden und es unnötig in die Länge ziehen, denn das hatten wir schon getan.

Sie stieß die Luft aus, als hätte ihr jemand in den Bauch getreten und ließ sich in den Sessel sinken. In ihren Augen lagen so viele Gefühle auf einmal, dass ich sie gar nicht alle erfassen konnte. Ich traute mich nicht, mich abzuwenden, denn ich wollte ihre Reaktionen mitbekommen – auch wenn es schmerzte. Sie war meine Mutter. Als sie selber nicht mehr konnte, schloss sie ihre Augen. Ihr Gesicht vergrub sie in ihren Händen und rieb sich über ihre Stirn. Sie war verzweifelt und enttäuscht, denn das sah man ihr vollkommen an und in meinen inneren hatte ich das gewusst.


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