118. Kapitel
Louis
Als ich am Samstagmorgen meine Augenlider aufschlug fühlte ich mich als könnte ich mich überhaupt nicht bewegen. Die Träume waren meine Zuflucht, doch sobald sich mein Kopf klärte, war die Nacht vorbei und meine Gedanken und Gefühle überschlugen sich. Ich bekam die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Wobei sich mir gleich wieder die Frage stellte, ob ich es überhaupt wollte. Wollte ich wirklich die letzten Stunden von meiner Mutter aus meinen Kopf bekommen?
...
So schrecklich wie sich der Schmerz in meinen Körper bohrte und sich dort ausbreitete wie eine Verätzung, wollte ich dennoch den Anblick von meiner Mom nicht vergessen. Ich konnte es nicht – es ging nicht.
Und wieder überkam mich eine Welle der Qual. Ich krümmte mich zusammen, kniff meine Augenlieder zu und konzentrierte mich nur auf den Schmerz. Meine Finger krallten sich in meine Haut und würden sicherlich Abdrücke hinterlassen, aber das war mir egal. Es war mir alles so sehr egal. Meine Geschwister und ich hatten unsere Mutter verloren. Wieso?! Ein stummer Schrei überkam meinen Lippen und ich machte mich nur noch kleiner – spannte meine Muskeln an. Ich konnte nicht mehr...
Seit Mittwochfrüh hatte keine Träne meine Augen mehr verlassen. Der unglaubliche Schmerz war tagtäglich, in jeder Sekunde präsent, doch es schien als hätte mein Körper keine Tränenflüssigkeit mehr, als könnte ich nicht mehr weinen.
Ich wünschte, ich könnte weinen – meinen Gefühle Platzschaffen, meine Emotionen zeigen. Doch es ging nicht. Ich war wie ein ausgetrockneter See. Ich war leer. Dort wo mein Herz sein sollte, war nur Nichts. Als hätte ich keine Lunge mehr. Alles war weg. Mom war gegangen und hatte alles mitgenommen.
Mom, ich vermisse Dich so sehr.
Ich könnte den ganzen Tag einfach so in diesen Zustand bleiben. Am Liebsten würde ich mich zusammenrollen, meine Arme um mich schlingen und mich ganz klein machen. Doch selbst das half nichts gegen den Schmerz. Er war da und würde immer bleiben. Er zerriss mich von innen nach außen.
Meine wundervolle und geliebte Mutter war Tod. Sie wurde von ihrem Leid befreit. Doch hinterließ sie eine trauernde Familie. Ich musste stark sein. Ich musste für meine Geschwister da sein. Ich musste...
Ich hatte mich im Badezimmer eingeschlossen. Die Uhr, die über dem Waschbecken stand, zeigte vier Uhr früh. Der Schmerz hatte mich aus dem Schlaf geholt. Ich wollte Eleanor nicht wecken und bin geflüchtet – geflüchtet vor meinen eigenen Gefühlen, doch sie hatten mich wie klauen um mich gekrallt.
Meine Knie, wie auch meine Stirn, berührten die Fließen des Bades. Meine Arme waren um meinen Bauch geschlungen, um mich irgendwie zusammen zu halten. Ich hatte das Gefühl innerlich zu zerreißen – auch wenn da nichts mehr war, was hätte kaputt gehen können. Das Gefühl war unbeschreibbar. Wie sollte ich das nur aushalten? Hörte es irgendwann auf? – Nein! Ich schüttelte innerlich meinen Kopf. Es würde nie mehr so sein wie Früher. Es würde mich bis zu meinem Lebensende begleiten.
Mom, wie sollte ich das nur schaffen?!
Meine Augen waren geschlossen, als ich in Gedanken sprach.
„Wie?! Verdammt!", die Worte waren unweigerlich aus mir heraus gekommen. Anscheinend hatte ich doch nicht meine Stimme verloren, doch wie sollte ich bitte heute Abend ein ganzen Lied singen. Singen! Ich würde das nicht schaffen, ich brachte doch jetzt nur ein paar Brocken raus. Verzweiflung mischte sich zu den Schmerz und ließ mich unregelmäßig Atmen.
Ich richtete mich abrupt auf, sodass mein Blick auf die immer noch geschlossene Badezimmertür fiel: „Mom, ich werde mein Versprechen halten. Ich vermisse dich so sehr..."
Alle waren da. Wirklich alle. Meine Familie. Die Jungs – meine Brüder. Alle. Ich hatte kein Wort rausbekommen, als ich Niall vor mir stehen sehen hatte. Sie hatten mich alle angesehen und mich umarmt. Die Umarmung hatte so gut getan. Als würde ich ein Stücken Zuhause wieder haben. Doch sobald sie mich los ließen wurde mir kalt...
Das Gewusel, welches das Wembley Stadion umgab, blendete ich aus. Ich war in meiner eigenen Welt gefangen. Ich spürte Els Anwesenheit bevor ich sie sah. Sie hatte April im Arm und lächelte mich durch den Spiegel an. Ich konnte nicht zurück lächeln – so sehr ich es auch wollte, es ging nicht. Meine Augen waren das Tor zu meiner Seele und ich hoffte El sah meine Gefühle in ihnen und wie sehr ich sie liebte.
Sanft gab sie mir April und setzte sich neben mir auf einen Hocker, den sie sich heranzog. Meine Frau sagte nichts, sie saß einfach nur neben mir, berührte mich leicht an meinem Oberschenkel und schaute zu unserer Tochter.
„Louis", Daisy, kam ins Zimmer gestürmt. Hinter ihr tauchte Phoebe ebenfalls auf. Wenn man die Zwillinge sah, dann immer zu zweit. Sie konnten nicht ohne einander und irgendwie machte mich das in einer gewissen Form glücklich.
Sie waren am Boden zerstört gewesen, als sie am Mittwochvormittag unsere Gesichter gesehen hatten. Weinend waren sie vor meinen Augen zusammengebrochen. Auch diese Bilder würde ich nie vergessen...
Doch anders als ich, konnten sie wieder aufstehen und ihr Leben weiter leben. Wir hatten mit ihnen noch über Mom gesprochen und sie dann versucht auf andere Gedanken zu bringen. Die Veranstaltung heute tat ihnen gut, auch wenn der Grund ein trauriger war...
Ich hatte alle damit überrascht, als ich verkündet hatte, dass ich heute meine erste Single als Solo-Künstler beim X-Factor Finale präsentieren wollte. Ich hatte ihnen nicht gesagt, dass Mom die Idee dazu gehabt hatte, aber ich glaubte auch so, dass sie es sich denken konnten.
„Wir sind die neue Jury von X-Factor", sie wedelte mit ihrem Smartphone vor meiner Nase herum. Sie wollte mir anscheinend ein Foto auf dem Gerät zeigen, aber da sie so zappelte, konnte ich nichts erkennen.
„Halt still, sonst kann ich es nicht sehen", meine Stimme klang erstaunlich fest, dafür dass ich die ganze Zeit kein Wort herausgebracht hatte. Ich konnte sogar schmunzeln – ein wirklicher Fortschritt für mich.
Das Foto zeigte die leere Halle mit den blauen Sitzen. Der Jurytisch war schon bereit für die Show, die bald losgehen würde – ich wusste nicht wie spät es war. Ganz links, saß Tommy Lotties Freund, dann Phoebe mit Daisy und außen ganz rechts im Bild lachte gerade eine gute Freundin von uns.
„Das Foto ist fantastisch. Na dann macht euch mal an die Arbeit", ich schaffte es, dass sich meine Mundwinkel hoben und ich drückte meine Schwestern vorsichtig an mich – wir mussten aufpassen, schließlich hatte ich meine Tochter noch im Arm.
„Das machen wir" und mit diesen Worten und einem Kichern verließen sie wieder den Raum.
Kurze Zeit später kam Louise herein und begann mir meine Haare zu machen. Ich fand das irgendwie immer schon albern, aber ich hatte in den Jahren dazu gelernt. Solange es Lou Spaß machte in den Haaren irgendwelcher Leute herum zu werkeln, ließ ich sie machen. Ich vertraute ihr und so schloss ich meine Augen und ging den Text noch einmal durch.
Ich konnte ihn im Schlaf, doch die Angst meine Stimme würde versagen, geisterte zusätzlich zu dem Schmerz in meinem Kopf herum.
„Louis...", Eleanor sah mich mit ihren wunderschönen und klaren braunen Augen an. Sie war mein Sonnenschein. Meine El...
„Es ist so weit", sie hatte die Arme nach April ausgestreckt, die in der Zwischenzeit bei mir auf dem Schoß eingeschlafen war. Ich küsste sanft ihre weiche Haut bevor ich meiner Frau unsere Tochter reichte. Mit meiner Familie an meiner Seite schaffte ich das. Mom würde von oben auf uns alle herunter sehen – sie würde anwesend sein, da wir sie in unseren Herzen weiterleben lassen.
„Bleib bei mir", es war fast nur ein murmeln, aber El verstand mich anscheinend trotzdem.
„Das werde ich", sanft drückte sie meine Schulter, ehe sie April in ihren Kinderwagen legte und sich wieder zu mir umdrehte. Noch bevor ich es realisieren konnte, hatte El ihre zarten Arme um mich geschlungen und hielt mich einfach nur fest. Ihre Wärme übertrug sich auf meinen kalten Körper und fing an mich zu wärmen. Tief atmete ich ihren Duft ein. Ja, ich würde das schaffen.
Ich hörte dem Moderator nicht zu. Er sprach mit der Jury, doch ich hatte nur Mom im Kopf. Mom und 'Just Hold On'.
Mom, ich tue das für Dich. Für meine Familie. Für meine Brüder und für mich.
Die Jungs standen hinter mir – gaben mir halt, während ich auf das Zeichen wartete.
Mom, Mom, Mom,...Wo bist Du in diesem Augenblick?...Ich vermisse Dich jetzt schon so sehr.
Meine kleine Familie war neben mir. El hatte ihren Arm um meine Mitte geschlungen und ihren Kopf auf meine Schulter gelegt. Ihre Haare kitzelten leicht an meinem Arm. Ich trug ein T-Shirt, da es mir auf der Bühne immer so unerträglich heiß wurde.
Meine Geschwister und Dan saßen im Zuschauerbereich und sahen sich von dort aus die Show an. Sie waren alle bei mir. Ich war heute und mein ganzes Leben nicht alleine. Ich schaffe das. Mom.
Ich wusste, gleich war es so weit. Meine Hände fingen an zu schwitzen und ich drehte mein Mikrofon nervös in meinen Fingern. Ich versuchte zu schlucken, aber es klappte nicht. Mein Herz raste.
Ein letztes Mal drehte ich mich zu den Jungs um. Niall, Liam und Harry. Sie alle waren nur wegen mir hier. Ich war so unglaublich dankbar für ihre Stütze.
„Danke", ich meinte es vom Herzen. Sie nickten mir alle zu, bevor ich mich zu meiner Frau drehte und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte.
„Ich liebe Dich", sanft strich ich über Aprils Wange, ohne dass sie aufwachte – ein Rätsel wie sie bei diesen Lärm schlafen konnte, trotz der viel zu großen Kopfhörer, die wir ihr zum Schutz aufgesetzt hatten – und dann hörte ich auch schon meinen Namen.
Mom, es ging los.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top