116. Kapitel
Eleanor
Ich lachte immer noch als Louis fast von seinen Geschwistern umgerannt wurde und ich noch nicht einmal zu Aprils Autotür kommen konnte. In all den Jahren hatten wir es glaube ich noch nie geschafft ins Haus zu kommen, ohne dass wir vorher von seiner Familie entdeckt wurden.
„Na ihr?", Louis hatte Doris auf seinen Arm und fuhr mit seinen Fingern über Ernest Haare, der seine kurzen Arme um die Beine seines großen Bruders geschlungen hatte. Währenddessen kamen Daisy und Phoebe zu mir und umarmten mich flüchtig.
„Hi, El" begrüßten sie mich und öffneten die Wagentür von April um meine Tochter aus ihren Kindersitz zu holen. Diese schaute neugierig die beiden Mädchen an und streckte ihre Arme nach ihnen aus. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, als würde sie sich freuen die Zwillinge zu sehen. Doch die Aufmerksamkeit wandte sich dann doch schnell zu ihren Händen, die sie neugierig beobachtet wie sie sich bewegen.
„Dürfen wir sie aus ihrem Kindersitz nehmen?", fragte mich Daisy und drehte sich dabei kurz zu mir um, damit sie meine Erlaubnis bekommen konnte.
„Natürlich", ich grinste, weil sie so vorsichtig mit ihrer Nichte waren. Sie dabei zu beobachten, wie die Beiden den Gurt lösten und dann übervorsichtig die Arme aus den Schlaufen befreiten, ehe Phoebe sie hochnahm, war einfach nur rührend.
Der Stolz auf diese beiden Mädchen, die so lieb mit ihrer Nichte umgingen, wuchs mit jeder Sekunde. Mit ihren zwölf Jahren konnte man sich schon auf sie verlassen und dies zu wissen war großartig.
„Oha, April ist ja total schwer geworden", ich lachte herzhalft los, als ich die Überraschung in Phoebes Gesicht sah.
„Da bin ich aber froh", mit leuchtenden Augen trete ich mich zu meinem Mann um: „Louis, unsere Tochter hat doch zugenommen. Phoebe ist meine Zeugin"
„Yeahhh", rief Louis und streckte Doris Arm nach oben. Ich drehte mich derweile wieder zu den Zwillingen um, die mich nur mit fragenden Blicken beäugten.
„Wir versuchen gerade April zum Brei essen zu überreden, doch es endet immer in einer Sauerei, wobei Louis meist mitbetroffen ist. Somit hatten wir Sorge, dass sie nicht wirklich zunimmt um ordentlich zu wachsen. Aber anscheinend scheinen sich die Mühen zu lohnen", ich zwinkerte Phoebe und Daisy zu und strich sanft über Aprils Wange.
„Eure Tochter ist wohlgenährt. Keine Sorge, diese Gedanken machen sich alle Eltern mit Kindern in diesem Alter", Dan kam zu uns gelaufen und hob Ernest auf seine Arme um Louis zu befreien. Lottie und Fizzy winkten mir zu und gesellten sich zu Phoebe und Daisy um April ebenfalls zu begrüßen.
„Hey ihr beiden. Wie war die Anreise?"
„Heute ging es relativ zügig. Lasst uns jetzt am besten rein gehen, sonst wird noch das Essen kalt", ich schlug die offenen Autotüren zu und dann gingen wir alle samt ins Haus.
Am nächsten Morgen saßen wir alle am Frühstückstisch beisammen und besprachen was wir heute tun wollten. Es verging kein Tag, wo nicht an Jay gedacht oder gesprochen wurde. Denn seitdem die Mutter von sieben Kindern nun ganztägig im Krankenhaus war und auch nicht Übernacht mehr nach Hause kam, merkten selbst die Kleinsten der Familie, dass etwas nicht stimmte.
Mir tat es im Herzen weh, sie nach ihrer Mutter Fragen zu hören und jedes Mal stellte man sich die Frage, wie viel man preisgab. Wie viel vertrugen Kinderherzen?
„Können wir heute Mom besuchen gehen?", Daisys Stimme erfüllte den Raum. Fast schon zaghaft sah sie uns Erwachsene der Reihe nach an. Es zerriss mich von innen.
„Das hätte ich auch vorgeschlagen und am Nachmittag könnten wir ja in den Trampolinpark gehen. Was meint ihr?", ich wusste, dass der Trampolinpark nur als Ablenkung dienen sollte. Die Kinder sollten, trotz der traurigen Zeit, Spaß haben und Ablenkung war da die beste Therapie – nicht nur für die Kleinen...
Sobald wir Jays Zimmer erreichten, stürmten die Kinder hinein. Es herrschte ein einziges Chaos, doch das war für die Tomlinsons Alltag. Und so vergingen die Stunden und Tagen. Es war so gut wie immer der gleiche Ablauf. Wir aßen gemeinsam zu Essen, fuhren dann ins Krankenhaus, blieben da eine Weile bis wir merkten wie Jay nur noch für ihre Familie zu liebe ein Lächeln aufgesetzt hatte. Alles zerrte an ihren Kräften, nur versuchte sie es vor ihrer Kindern zu verstecken, damit sie ihre Mutter so lange wie möglich sehen konnten.
Doch irgendwann musste man die Reißleine ziehen. Somit verließen wir jedes Mal mit der Angst, sie das letzte Mal gesehen zu haben, das Zimmer. Wenn dieses unbeschreibliche Gefühl des Schmerzes schon in meinem Körper so zerreißend war, wie fühlte es sich dann erst für Jays Kinder an und Ehemann an?
Der Schmerz war in der letzten Zeit immer da. Es war kein Schmerz den man spürte, wenn man sich das Knie aufgeschlagen hatte. Denn diese Art von Schmerz ging vorbei. Wenn man wusste, dass man bald eine über alles geliebte Person verlor, war das kein Schmerz der nur einmal kurz da war und dann wieder ging. Mal war dieser Schmerz präsenter, mal war er ein dumpfer Begleiter im Alltag. Doch er würde nicht mehr weg gehen. Er würde ein Leben lang bleiben. Die einzige Change war damit Umzugehen zu lernen und mit ihm zu leben – ihn zu akzeptieren. Doch dieser Schritt war ein Prozess, der lange brauchte...
Die Tage verstrichen. Die Zeit rannte und Jay wurde immer Schwächer. Wir konnten es alle sehen und es stellte sich die Frage: Wie, wie lange, wie lange würde sie die Qualen noch ertragen? Wie lange sollten die Kleinen sie noch sehen. Denn Kinder bekamen mehr mit, als manche glaubten. Ihre Augen sahen manchmal mehr als man vermutete aber ihr Kopf war noch nicht bereit das alles zu verarbeiten. Also wann war der richtige Zeitpunkt wirklich und absolut Abschied zu nehmen? Wann, wenn man doch nicht wusste, wann sie erlöst wurde?
Der Dienstag war einer der schlimmsten Tage. Louis war mit Dan noch einmal am Abend ins Krankenhaus gefahren. Ich war mit den Kindern alleine zu Hause und machte sie gerade Bettfertig. Lottie und Fizzy halfen mir dabei als der Anruf kam.
„Eleanor", Louis Stimme klang erschöpft und gebrochen, so als hätte er geweint. Mein Herz raste. War Jay schon von uns –.
„Kannst du bitte mit meinen Geschwistern ins Krankenhaus kommen? Meine Mom möchte sich von allen Verabschieden", ein schluchzen entwich seinen Lippen. Ich konnte mir nicht vorstellen wie schwer es war, diese Wörter überhaupt aussprechen zu können. Stumm liefen mir die Tränen über die Wangen, die ich mir schnell wieder abwischte. Die Kleinen sollten meinen Schmerz nicht mitbekommen – Sie hatten mit ihren eigenen zu tun.
„Natürlich. Wir sind in einer Dreiviertelstunde da", also spürte Jay selber, dass es bald vorbei war. Oh Gott...
Ich wollte schreien. Ich wollte hier und jetzt auf dem Boden zusammenbrechen und weinen, aber ich blieb stehen. Ich blieb für Louis Familie stehen – für Jay.
„Danke", Louis Stimme klang erleichtert und dennoch so unendlich traurig. Kurz hörte ich nur sein unregelmäßiges Atmen am Telefon: „Love?"
„Ja, Louis, ich bin noch dran", ich fuhr mir mit der freien Hand durch meine Haare und blickte zu Lottie, die gerade die Treppe runterkam. Mein Magen zog sich unangenehm zusammen. Durch meine Adern schoss das Adrenalin. Wir mussten so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen. Wenn Jay sich verschieden wollte, blieb ihr nicht mehr viel Zeit...
„Ich habe Angst", ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Ich musste Ruhe bewahren. Der Schmerz tat schon fast körperlich weh. Louis und seine Familie sollten nicht leiden und dennoch tat sie es. Auch wenn es das Schwerste war, was ich je getan hatte, musste ich nun stark für alle sein.
„Ich weiß, wir alle. Du bist nicht alleine. Ich bin gleich da. Sei deiner Mutter nah, spreche mit ihr, wenn sie es noch kann oder erzähle ihr irgendetwas, sei es für dich auch belanglos, für sie ist es das nicht. Halte ihre Hand, wenn sie das möchte oder wenn du es möchtest. Du das, wo du das Gefühl hast, dass es das richtige ist. Wir sind gleich bei euch. Sag das bitte Jay"
„Bis gleich. Beeilt euch bitte...und Danke...", dann legten wir auf. Sofort verschloss ich meine Gefühle und konzentrierte ich mich auf das wesentliche. Ich musste alle wieder aus den Betten holen und ins Auto bringen
„Lottie", ich sah die älteste von Louis Geschwistern an.
„Wir fahren alle ins Krankenhaus. Bitte hole alle wieder aus den Betten", sie fragte nicht weiter nach, ließ alles stehen und liegen und rannte die Treppen nach oben, wo sie Fizzy traf, die ebenfalls sofort kehrt machte.
Als wir bei Jay, Louis und Dan eintrafen, war noch nicht einmal die Dreiviertelstunde abgelaufen. Jay lag in ihrem Bett und ihr Zustand hatte sich in den letzten Stunden rapide verschlechtert. Sie war zwar noch ansprechbar, aber auch nicht mehr wirklich.
Ihre Kinder umkreisten ihr Bett, während ich mit April in ihrem Autositz zu Louis lief und ihn fest in meine Arme schloss.
„Ich will sie nicht verlieren", Louis vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und fing an zu weinen.
„Ich auch nicht, Louis. Ich auch nicht", ich drückte ihn nur noch näher an meinen Körper, doch den Schmerz konnte ich damit nicht aufhalten. Hinter mir hörte ich das Weinen der Anderen und die gemurmelten Abschiede.
„Bitte bleibe bei mir", Louis Stimme war kaum noch ein hauchen, dennoch nahm ich es war und nickte sachte.
„Wenn du das möchtest, bleibe ich bei dir"
Als sich Louis von mir langsam löste, blickte ich zu Jay, die gerade die Kleinsten der Familie umarmte und ihnen leise immer wieder etwas ins Ohr flüsterte, doch wir standen zu weit weg, als das wir hätten etwas verstehen können.
April wurde nach einer halben Stunde wach. Ich hob sie aus ihrem Kindersitz raus und überreichte sie Jay. Sie hielt ihre Enkelin einfach nur in ihren Armen und schaute sie an. April sah mit ihren klaren Augen zu ihrer Oma hoch und umfasste mir ihren winzigen Fingern Jays Zeigefinger.
Wenig später vibrierte Dans Handy. Er sprach wenige Worte, ehe er wieder auflegte und seinen Blick durch den kleinen Raum schweifen ließ.
„Es ist an der Zeit. Ernest, Doris, Phoebe und Daisy fahren jetzt wieder nach Hause. Fizzy und dir Lottie ist es freigestellt, ob ihr hier bleibt oder mitkommt", man sah Dan deutlich an, das ihn diese Worte missfielen, aber die Kleinen sollten ihre Mutter nicht beim Sterben zu sehen. Keiner wusste, wie der eigene Körper reagierte, wie der Kopf die Bilder verarbeitete, ob er sie überhaupt verarbeiten konnte....
Somit war die Entscheidung für diese Situation angemessen, die Kleinen wieder nach Hause zu schicken und sich dennoch die Zeit genommen zu haben, sich zu verabschieden. Die Jüngsten würden diese Verabschiedung als eine ganz normale Verabschiedung sehen, aber Daisy und Phoebe waren schon etwas älter und wussten, dass es nun an der Zeit war sich für immer von ihrer Mutter zu verabschieden. Es tat mir in der Seele weh und dennoch ließ ich es zu. Ich hoffte, dass es für alle die beste Entscheidung war.
Die älteren Zwillinge realisierten als erste was das bedeutete und wehrten sich ihre Mutter zu verlassen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es in den Beiden vorging. Denn ich hatte das Gefühl von innen heraus zu zerreißen.
„Daisy, Phoebe, ich liebe euch über alles. Vergisst das niemals. Ich werde über euch wachen", Jay hatte ihre zwei Mädchen fest in ihren Armen und hauchte jeder ihrer beiden Töchter Küsse auf die Stirn, auf die Wange und murmelte immer wieder liebevolle Wörter.
„Wir lieben Dich so sehr. Du wirst immer in unseren Herzen bleiben. Wir lieben Dich, Mom", das waren die letzten Worte die die Zwillinge zu ihrer Mutter Angesicht zu Angesicht sagen konnten. Und dann waren wir nur noch zu siebt.
April, Fizzy, Lottie, Louis, Dan, Ich und Jay.
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