105. Kapitel

Eleanor

Moment! Erschrocken fuhr ich zu meinem Handy herum. Mit zitternden Fingern, tippte ich auf den Bildschirm, damit das Display wieder aufleuchtete. Fast traf ich die Felder zum eintippen meines Passwortes nicht. Woher wussten die Fans, dass wir eine Tochter bekommen hatten? Woher kannten die Fans ihren Namen?

Tränen schossen mir in die Augen. Ich konnte das nicht mehr! Ich konnte das nicht mehr! Ich konnte das nicht mehr! Was sollte ich nur tun? Wieder und immer wieder fuhr ich mir durch die Haare und versuchte zitternd meine Tränen akribisch von meinen Wangen zu wischen. Vergebens!

Louis hatte rein gar nichts, auf den sozialen Netzwerken gepostet – zumindest nach meinem Wissensstand. Unsere Familie hätte uns gefragt, bevor sie das erste Mal über April irgendetwas veröffentlichen. Hatte jemand vom Krankenhaus etwas preisgegeben? Auch das konnte ich mir nicht vorstellen. Louis hatte alle Maßnahmen getroffen, um April vor der gierigen und unerbittlichen Presse zu schützen. Wie also kamen sie an diese Informationen? Das würde ich wohl nie erfahren. Sie fanden immer ein Schlupfloch.

„Nein, nein, nein!", flüsterte ich mit erstickter Stimme. Ich habe mir genau zwei Aufgaben gestellt und bei der einen Verpflichtung hatte ich nach der zweiten Woche schon versagt. Ich schaffte es nicht einmal April vor Fremden schützen. Sie konnte noch nicht einmal in Farbe die Welt entdecken und jeder verdammte Mensch kannte ihren Namen. Vielleicht mag es für manche unlogisch erscheinen, wieso ich mich darüber so aufregte, aber ich kam langsam an den Punkt, wo es mir egal wurde, was andere von meinem Verhalten dachten. Ich war ihre Mutter und ich wollte das Beste für meine Tochter. Das ihr Name nun Millionen mal auf Twitter in Verbindung mit Louis und mir gebracht wurde, bekam mir gar nicht.

Ich spürte, wie ich kurz vor einem Zusammenbruch stand und suchte fieberhaft nach Fotos, wo April darauf zu sehen war. Meine Augen flogen über das erleuchtete Display. Nichts. Gott sei Dank! Man sah lediglich den Kindersitz und das Tuch, welches wir übergelegt hatten, damit niemand ihr Gesicht sah. Auf den Fotos vor dem Krankenhaus waren nur Louis und ich erkennbar, nicht jedoch April. Das wir bei meiner Grandma gewesen waren, hatte anscheinend keiner mitbekommen...

Mir fiel ein Stein vom Herz auch wenn sofort wieder die Tränen kamen. Ich hatte nicht selber bestimmen können, wann die Welt ihren Namen erfuhr. Es wurde mal wieder fremdbestimmt und das brachte schlussendlich alle Dämme zum Brechen.

Meine Beine knickten mir weg und ich sackte auf den Boden zusammen. Das Handy fiel dabei unsanft herunter, doch das kümmerte nicht weiter – materielle Dinge konnte man ersetzten, eine Identität und die Privatsphäre nicht. Ich schlang mir die Arme um meinen zierlichen Oberkörper und versuchte mich wieder zu fassen. Ich musste für April stark sein! Sie brauchte mich nun mehr denn je!

Mit neuen, aber dennoch zerbrechlichen Willen, rappelte ich mich vom Boden auf und ging wieder zu meiner Tochter ins Wohnzimmer, wo sie immer noch friedlich zu schlafen schien. Ich setzte mich direkt neben ihr auf den Boden. Sie lag stets auf dem Sofa, wo ich sie vorhin abgelegt hatte und hatte sich gefühlt keinen Millimeter vom Fleck gerührt. Die Zeit würde noch früh genug kommen, wo sie das ganze Haus auf den Kopf stellte. Kurz schloss ich mit einem Lächeln um die Lippen meine Augen und stellte mir die chaotische Szene vor. Wie wohl die Zukunft aussah?

Unsere Gesichter waren auf gleicher Höhe und ich sah meine kleine Tochter an. Ich beobachtete sie im Schlaf und dachte über meine beziehungsweise Aprils Möglichkeiten nach. Was konnten Louis und ich tun, damit es nicht noch schlimmer wurde, als es eh schon war und sie noch mehr an Privatsphäre und ihrer zunächst unbeschwerten Kindheit verlor?

Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch draußen war es immer noch Dunkel. In der Zwischenzeit hatte ich mich damit abgefunden, dass ich es nicht mehr ändern konnte. Die Welt kannte ihren Namen und wusste somit schon mehr, als ich es von meiner Tochter in ihrer zweiten Lebenswoche preisgeben wollte. Dennoch versetzte es mir einen gewaltigen Stich, sobald ich nur daran dachte.

Zuerst musste ich mit Louis reden. Am liebsten würde ich ihn sofort wecken wollen, doch er brauchte den Schlaf, den er in letzter Zeit nicht wirklich bekommen hatte und schlussendlich brachte ich es nicht übers Herz. Ein paar Stunden früher oder später brachten jetzt nun auch keinen Unterschied mehr, schließlich war es schon längst öffentlich. Auch wenn die Welt nicht ihr Gesicht kannte, sprachen sie über April und das passte mir gar nicht!

Des Weiteren war ich mir sicher, dass ich April nicht weiter dieser Unruhen aussetzten würde. Somit würde ich versuchen müssen, Louis zu überreden, eine Message an die Öffentlichkeit zuschreiben in der lediglich ihr Name stand und das sie gesund war – mehr mussten sie nicht wissen. Es war unsere Tochter. Wir waren Aprils Eltern und wir drei als Familie, bestimmten wie wir leben möchten. Wir alleine entschieden was wir von unserem Leben zeigten und was nicht. Da ich momentan meine eigene Tochter nicht befragen konnte, ob sie ihr Gesicht zeigen möchte oder nicht, hielt ich es zunächst der Öffentlichkeit fern.

Es war mir natürlich bewusst, dass wir es nicht für alle Zeit der Welt schafften, ihr Gesicht zu verbergen. Spätestens wenn sie ihre ersten Krabbelversuche startete, würde sie das schützende Tuch sofort vom Kinderwagen runterreißen. Außerdem, was war das für ein Leben, wenn wir ihr die Welt nicht zeigen konnten, nur weil wir Angst hatten eine Person würde unerlaubterweise ein Foto von ihr machen? Das konnte also nicht die endgültige Lösung sein, dennoch war es ein kleiner Anfang.

Erschöpft rieb ich mir meine Augen und sah auf mein Handy, welches mir die aktuelle Uhrzeit anzeigte. Zwei Uhr einundvierzig. Verdammt! Ich spürte zwar die Kraftlosigkeit, die aus all meinen Poren zu fließen schien, doch aus irgendeinen unerklärlichen Grund, konnte ich die Augen nicht zumachen und einschlafen.

„Meine kleine Maus", flüsterte ich Louis Worte in die Stille hinein. Ich lächelte, als das Bild wie Louis sich über April im Krankenhaus gebeugt hatte vor meine Augen schob.

„Was tut man dir nur an?", es war eine rhetorische Frage, dennoch wollte ich eine Antwort. Mein Lächeln verflog sofort. Meine Stimme nur ein beben vor unendlicher Besorgnis mit einer Spur von Traurigkeit über die Menschen, die so etwas anderen Personen antaten.

„Wieso bestimmen jetzt schon Fremde dein erst so kurzes Leben?", ich schüttelte, den Tränen nah, meinen Kopf. Nein, nein, nein!

„Nur weil deine Eltern einen Namen in der Welt haben und die Öffentlichkeit sich für sie interessiert, wirst du automatisch mit reingezogen. Du bist ein Teil von uns und nun wirst du dafür bestraft, obwohl du absolut nichts dafür kannst. Wieso also?", ich sah meine Tochter an, wie sie friedlich schlief. Stundenlang könnte ich ihr zuschauen – was ich wahrscheinlich schon die ganze Zeit tat...

Sie war so winzig, so zerbrechlich. Wieso taten manche Menschen so etwas? Ich wusste keine Antwort darauf. Für mich ist das unerklärlich. Es ergab keinen Sinn. Einen Menschen mutwillig Schaden in welcher Form auch immer, egal ob physisch oder psychisch, zufügen, war für mich...Ich konnte es noch nicht einmal in Worte fassen. Ich verstand sie einfach nicht. Am liebsten würde ich sie fragen, was sie dazu bewegte Menschen so etwas zuzufügen. Doch das ging nicht und es würde nicht komplett aufhören. Es würde immer irgendeinen geben, der querschießen würde...

April regte sich, bevor sie anfing leise Geräusche von sich zugeben. In den letzten Tagen war mir aufgefallen, dass sie nicht sofort anfing zu schreien, sondern sich erst leise meldete. Ich lächelte, als ich mich vom Boden erhob, sie endlich wieder in meine Arme schließen konnte und ihre Wärme sich auf meinen Körper übertrug. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, welches mich durchfuhr, als ich mich mit ihr in den Armen auf das Sofa setzte und sie betrachtete.

„Louis und Eleanor sind Eltern geworden!", „April ist so ein schöner Name", „Herzlichen Glückwunsch, Eleanor und Louis", „Sie wird bestimmt das schönste Mädchen auf der Welt", „Wir kennen zwar nicht ihr Gesicht, doch das hat sicher einen guten Grund", „Ich freue mich so für euch", „Hallo süße, kleine April. Willkommen auf der Welt"

Kommentare wie diese schossen mir durch den Kopf, als mich der verschlafene Blick meine Tochter kurz streifte und sich dann ihre Augenlider wieder schlossen, als sie zu trinken begann. Ein kleines zaghaftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich auch einmal an die andere Seite dachte. Sicher manche Fans neigten zur Übertreibungen, doch in ihren Worten steckte die Liebe und Zuneigung, die jeder Mensch besitzen sollte.

Mal wieder beging ich den Fehler nur auf die Menschen zu achten, die negative Nachrichten an unbekannte Leute schickten. Viel wichtiger war es doch, die positiven Seiten im Leben zu sehen und diese zu schätzen, als die Verwünschungen und Drohungen zu beachten...

Ich musste schlussendlich doch eingeschlafen sein, denn das Erste was ich registrierte als ich blinzelnd anfing meine Augenlider zu öffnen, war, dass es draußen Hell wurde. Die Sonne schien mir direkt ins Gesicht, wovon ich dann auch schlussendlich aufgewacht sein musste. Vorsichtig fing ich mich an zu strecken und hielt kurze Zeit später abrupt in der Bewegung inne.

Die Sonne konnte mich nicht geweckt haben, das wurde mir mit einem Schlag klar. Das Gefühl, das etwas fehlte, spürte ich deutlich und ließ meinen Körper hibbelig werden, Adrenalin wurde durch meine Adern gepumpt. Hecktisch flog mein Blick über das Sofa.

April lag nicht mehr neben mir. Heruntergefallen konnte sie auch nicht sein, denn ich sah sie im ganzen Zimmer nicht. Panik erfasste mich. Wo war meine kleine Tochter?!

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