100. Kapitel
Eleanor
Ich hatte den Satz noch nicht einmal zu Ende gesprochen, da erschien schon Louis im nächsten Türrahmen und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Er war leicht außer Atem und als hinter ihm noch Bruce herein trappte, entspannte ich mich fast schon wieder. Doch dann war es genau mein Hund, der mich in Panik versetzte. Denn er war hier und wir gleich nicht mehr!
„Was machen wir mit Bruce?", fragte ich mit kurzen und flachen Atemzügen - an normalem Atmen war nicht mehr zu denken. Ich fuhr mir wieder und wieder durchs Haar und war den Tränen nahe. Die Überforderung traf mich mit voller Wucht. Ich wusste nicht mehr, was ich als nächstes machen musste. Ich stand unter Schock. Das letzte Mal als ich abwärts meiner Taille unabsichtlich nass war, war mit sechs und dass auch nur, weil ich zu sehr lachen musste. Es war ein komisches Gefühl, als wäre man um Jahre zurückgeschleudert worden sein. Ich fühlte mich in diesen Moment so hilflos. Dazu kam, dass ich meinen Hund nicht hier alleine lassen wollte, weil wir nicht wussten, wann wir wieder kamen. Und dann kam der Moment, wo ich beinahe schon wieder vergessen hatte, dass meine Hose an der Innenseite meiner Beine total durchnässt war.
„Das ist doch egal, wir müssen uns jetzt erstmal um dich kümmern", rief Louis schon fast panisch und rannte die wenigen Meter auf mich zu. Er umfasste mit seinen Händen mein Gesicht, tastete alles von mir ab, was er erwischen konnte, nur mein Bauch berührte er nicht. Vielleicht hatte er Angst, er würde damit irgendetwas auslösen und ließ es besser gleich sein. Sanft hauchte mein Verlobter mir einen Kuss auf die Stirn und wirbelte dann herum, um alles zusammen zu suchen.
Auch wenn er sich hektisch bewegte, so strahlte er in binnen weniger Sekunden eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Viellicht war sein Autopilot angesprungen. Es waren die Situationen, die man im Kopf immer wieder durchgegangen war und die man im Schlaf beherrschte. In diesen Moment brauchte er sie nur abzurufen und in die Tat umzusetzen. Die Panik verschwand aus seinem Blick und aus seinem Körper.
„Nein, ich kann nicht in den wehen liegen, wenn ich nicht weiß, was mit Bruce ist", rief ich ebenfalls. Meine Stimme klang energisch, was ich in meinem Zustand nicht erwartet hätte. Ich war verzweifelt, da ich nicht wusste, was ich mit Bruce machen sollte. Wieso hatte ich mich nicht eher darum kümmern können? Jetzt war es definitiv zu spät.
„Okay, ich rufe jemanden an, aber bitte beruhige dich und atme schön gleichmäßig weiter. Ich bin gleich wieder bei dir", versuchte Louis nun über seine Schulter mit sanfter Stimme auf mich einzureden. Doch so gleich stand er wieder neben mir und verfrachtete mich auf einen Stuhl, den er von der Küche mitgebracht haben musste. So ganz war ich nicht mehr bei der Sache. Langsam und vorsichtig ließ ich mich darauf nieder und seufzte dann erleichtert aus. Meine Beine hätten wahrscheinlich in den nächsten Sekunden schlapp gemacht und Louis hatte das voraus gesehen...
„Danke", es kam vom Herzen und ich schloss die Augen, was sich keine Sekunde später als fataler Fehler erwies. Ich sah Bilder von Geburten, die ich lieber nicht sehen wollte. Somit riss ich die Augenlider wieder auf und beobachtete stattdessen Louis weiter, wie er im Haus herum rannte, sich meine Krankenhaustasche schnappte – die wir schon seit ungefähr vier Wochen gepackt und bereit am Eingang stehen hatten – und gleichzeitig mit irgendjemanden telefonierte.
Ich wollte Louis gerade fragen, wie lange er noch brauchte, als mich die erste Wehe erfasste. Sie war jetzt schon stärker als ich erwartet hatte und zum Glück kurz, doch würde ich mich niemals wieder über Regelschmerzen beklagen. Das hier waren so viel schlimmer und kaum auszuhalten. Ich krümmte mich auf dem Stuhl zusammen und wäre beinahe runtergefallen, wäre in diesen Moment nicht Louis wie aus dem nichts aufgetaucht und hätte mich aufgefangen.
„Ich bin bei dir", flüsterte er in mein Ohr und hielt mich fest an seinen Körper gepresst. Nun wirkte er seltsam ruhig und irgendwie beruhigte mich es auch. Ich atmete hörbar ein, denn ich hatte automatisch die Luft angehalten gehabt.
„Kannst du laufen oder soll ich dich tragen?", fragte Louis und hockte sich, sobald er merkte, dass ich wieder alleine sitzen konnte, vor mich hin. Seine klaren Augen sahen mich an und warteten auf eine Antwort.
„Ich glaube ich kann laufen. Das war die erste Wehe. Die zweite müsste eigentlich noch auf sich warten müssen. Noch haben wir Zeit, doch die Pausen werden kürzer werden...", erklärte ich immer noch mit angespannten Körper, aus Angst die zweite Wehe würde schneller kommen, als gedachte und mich unvorbereitet treffen.
Als wir endlich beide im Wagen saßen, – ich hatte mich geweigert mich in meiner nassen Hose ins Auto zu setzten, sodass mein Verlobter mir dabei half noch schnell eine anderes trockenes Kleidungsstück anzuziehen – startete Louis den Motor und fuhr mit zügiger Geschwindigkeit in den Londoner Verkehr. Mein Verlobter musste mir mehrmals versichern, dass Bruce, der gezwungenermaßen kurz im Haus alleine bleiben musste, gleich von Oli abgeholt wurde und er sich liebevoll um ihn kümmerte, bis ich mich auch nur einen weiteren Zentimeter Richtung Haustür bewegt hatte. Nun schlängelte er sich fast schon anmutig durch die vielen Autos deren Fahrer, die durch die Mittagszeit auf dem Weg zum nächsten Imbiss oder Restaurant waren.
„Wie geht es dir? Brauchst du irgendetwas? Kann ich dir helfen", fragte Louis mich mit einem Seitenblick zu mir, als er gezwungen war an einer Ampel zuhalten. Seine volle Aufmerksamkeit lag nun auf mir. Während der Autofahrt hatte er sich zwar vollkommen auf den Verkehr konzentriert, doch aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte ich mitbekommen, wie sein Blick immer wieder zu mir rüber huschte.
„Tief ein und aus Atmen. Wir sind gleich im Krankenhaus. Wenn ich dich so verkrampft sehe, schiebe ich Panik, Love", redete Louis weiter, als ich nicht antwortete. Als die Worte bei mir ankamen, merkte ich erst, wie ich mich keinen Millimeter mehr bewegt hatte. Meine rechte Hand hatte ich um den Gurt gelegt, damit er nicht so auf meinen Bauch drückte, die andere hatte ich krampfhaft zur Faust geballt, die ich in den Sitz drückte. Sofort versuchte ich meine angespannte Haltung zu lockern und holte tief Luft. Ich spürte wie Louis neben mir deutlich ruhiger wurde, mir kurz liebevoll über die Wange strich und wieder Gas gab.
„Ich bin bei dir", diese Worte murmelte mein Verlobter immer wieder, während er meine Hand, die vorher zur Faust geballt war, in seine hielt. Unter seiner Berührung konnte ich halbwegs wieder normal Atmen und fasste Vertrauen in seine Fahrkünste, in den Londoner Verkehr und in unser Kind, dass wir es rechtzeitig ins Krankenhaus schafften. Wir mussten es, denn nun erfasste mich schon wieder eine Wehe. Ich zischte vor Schmerzen durch meine Zähne und verkrampfte auf meinem Sitz vom Neuem. Louis Blick schoss in meine Richtung und fühlte mit mir mit. Auch wenn er keine Ahnung hatte, was das für Schmerzen waren, so versuchte er sich wenigstens einzufühlen. Ich zerquetschte derweile seine Hand und versuchte weiter meine Atemübungen zu machen. Obwohl ich wie von einem Schleier umgeben war und ständig auf mein Inneres achtete, merkte ich, wie Louis Handy ständig in seiner Hosentasche vibrierte.
„Du bist ja heute beliebt", presste ich zwischen meinen Lippen hervor und versuchte mich an einen Lächeln, was kläglich scheiterte. Ich probierte immer noch meinen Kopf davon zu überzeugen nicht in eine Panikattacke überzugehen und vollkommen durchzudrehen, da wir immer noch nicht da waren und ich mein Kind nicht in einem Auto bekommen möchte – nicht mitten im Londoner Mittagsverkehr!
„Wir sind gleich da. Halte durch", sagte Louis, als hätte er meine Gedanken lesen können. Er sah kurz zu mir hinüber und sah, wie ich langsam wieder entspannen konnte und atmete erleichtert aus. Die zweite Wehe hatte ich auch überlebt. Gott sei Dank!
„Ich habe Oli gebeten unseren Familien Bescheid zugeben, dass du in den Wehen liegst und wir auf dem Weg ins Krankenhaus sind. Wahrscheinlich ist es Lottie, da meine Mom alles ins Auto räumt oder deine Mutter. Vielleicht haben auch die Jungs davon Wind bekommen. Wir werden es ja sehen, wer später vor der Tür steht. Denn in diesen Moment zählt nur ihr beiden und meine volle Aufmerksamkeit liegt bei euch", antwortete mein Verlobter auf meine eigentliche Frage, die ich im stellen wollte und dankte ihm innerlich, dass ich das nicht erledigen musste – obwohl ich das in meinen Zustand wohl kaum bewerkstelligen konnte. Wahrscheinlich würde Johanna meine Mutter benachrichtigen, denn ich glaubte nicht zu wissen, dass Oli die Nummern meiner Familie hatte. Aber das wird sich irgendwie schon zeigen. Spätestens wenn sie hier auftauchten und dass konnte noch ein paar Stunden dauern...
„Danke", ich drückte sanft seine Hand, die nun wieder in meiner lag und lächelte nun mit einem echten Lächeln ihn an. Das dabei eine Träne des Glückes über meine Wange rollte, ignorierte ich.
Sobald wir das Krankenhaus erreicht hatten, half mir Louis aus dem Wagen, schnappte sich all unsere Sachen und steuerte mit mir den Empfang an. Ich war wie in Trance, doch irgendwann befand ich mich im Kreissaal und die Panik, die ich so lange zurückgehalten hatte, überrollte mich mit voller Wucht. Die Tränen rannen über meine Schläfen in mein Haar und durchnässten es. Louis war sofort zur Stelle – er hatte sich, seitdem wir hier waren, keinen Meter von mir entfernt – und strich sanft mit seinen Daumen über die nassen Stellen.
„Schhh, alles wird gut. Du schaffst das. Wir schaffen das. Ich bin bei dir und die Ärzte sind es ebenfalls. Uns allen wird nichts passieren"
„Ich habe Angst", flüsterte ich aufgebracht und suchte Louis Nähe. Dieser krabbelte sofort zu mir ins Bett. Wir waren momentan alleine im Zimmer. Die Schwester hatte uns in Ruhe gelassen, nachdem sie mich an alle Gerätschaften angeschlossen hatte, die wir für die Überwachung unseres Kindes brauchten. Ich kuschelte mich sofort an meinen Verlobten und er hielt mich fest und sicher in seinen Armen.
„Ich auch. Doch wir dürfen das auch. Es ist ein besonderer und entscheidender Moment in unserem Leben...", flüsterte Louis sanft in mein Ohr und strich liebevoll über meine Schläfe bis zur meiner Wange und zurück.
„Ich liebe dich. Du schaffst das, Love. Ich glaube an dich und wir werden in ein paar Stunden schon unsere kleine Tochter in den Händen halten. Versuche dir das vorzustellen, vielleicht hilft es dir...", Louis hauchte mir einen Kuss unter mein Ohr und sein warmer Atem prallte an meiner überhitzten Haut ab.
In Laufe der nächsten fünf Stunden erfassten mich immer wieder die Wehen. Die eine war schlimmer als die andere und ich dachte jedes Mal es könnte nicht noch schmerzvoller sein, doch mein Limit war höher als ich gedacht hatte. Mittlerweile trug ich einen unordentlichen Dutt und meine Haut klebte vom Schweiß. Ab und zu tupfte mir Louis mit einem nassen kühlen Waschlappen über meine erhitzte Haut. Ich war erschöpft und glitt nach jeder Wehe in einen leichten Schlaf aus dem ich immer wieder brutal rausgerissen wurde. Hätte ich nicht mein Ziel vor Augen und einen Mann den ich über alles liebte an meiner Seite, hätte ich schon längst aufgegeben. Doch das konnte ich gar nicht. Die Zeit schien in diesen Raum anders zu gehen, dennoch sah ich wie die Zeiger sechs Uhr abends zeigten.
Louis war die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen – selbst als der den Papierkram erledigen musste – und auch jetzt reichte er mir immer wieder etwas zu trinken oder Kleinigkeiten zum Essen hin. Mittlerweile wusste ich, dank Louis, dass unsere Familien sicher in London angekommen waren und nun in unserem Haus ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Sie würden sofort zum Krankenhaus kommen, wenn unser Kind das Licht der Welt erblickt hatte. Somit hatte ich schon einmal eine Sorge weniger. Doch bis auf die Wehen war noch nichts weiter passiert. Selbst Louis wirkte erschöpft, doch her schlug sich fantastisch. Immer wieder aufs Neue hielt er meine Hand, wenn ich unter qualvollen Schmerzen litt und leidete mit mir mit. In den Pausen versuchte ich ihn zu ermutigen sich etwas die Beine zu vertreten, einmal in die Cafeteria zu gehen, doch er weigerte sich strikt dagegen.
Ich wollte gerade noch etwas trinken, da meine Lippen total trocken waren und ich Durst hatte, als mich wieder eine Wehe erfasste. Ich zog blitzartig meinen Arm zurück, den ich für den Becher ausgestreckt hatte und presste ihn an meinen Körper. Schon als sich die Schmerzen in meinem Körper überschlugen, wusste ich, dass es diesmal etwas anderes war.
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