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Ich lehnte mich an die Wand des Restaurants, den kühlen Nachtwind auf ihrer Haut spürend. Ich und Jay standen draußen, während die Geräusche der Stadt um uns herum ein vertrautes Hintergrundrauschen bildeten. Jay zündete sich eine Zigarette an und bot mir eine an, doch ich lehnte ab. Ich war nicht wirklich eine Raucherin, aber ich genoss es, draußen zu stehen und dem hektischen Treiben für einen Moment zu entfliehen.
„Ich hab gehört, du hast krasse Stunts drauf“, begann Jay, nachdem er den ersten Zug genommen hatte. Sein Blick war fest auf mich gerichtet, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Du kennst dich doch sicher mit Autostunts aus, oder?“
Ich nickte und erinnerte mich an die vielen Stunden, die ich damals mit Cole und Finn gemacht hatte. „Ja, wir haben einige ziemlich harte Sachen gemacht. Die Autostunts verlangten aber auch ein hartes Training.“
Jay lachte leise und nahm einen weiteren Zug. „Genau das liebe ich daran. Dieser Nervenkitzel, wenn du weißt, dass alles in einer Sekunde schiefgehen könnte und dann klappt das Ding endlich. Das gibt mir das Gefühl, wirklich zu leben.“
Ich verstand genau, was er meinte. Es war dieses Gefühl, das mich in die Stuntwelt gezogen hatte – der Rausch, das Adrenalin. Aber es war auch das, was mich schließlich in den Abgrund geführt hatte. Die Erinnerungen an Cole und den Unfall, der alles veränderte, blitzten kurz in meinem Kopf auf, aber ich schob sie beiseite. Jetzt war nicht der Moment, um in die Vergangenheit abzutauchen.
„Also, was war dein krassester Unfall?“ fragte Jay und blies den Rauch in die kühle Nachtluft. Es war typisch das man sich über Verletzungen und sowas austauschte. Es war nun mal ein fester Bestandteil des Jobs.
Ich zog an meiner Jacke und starrte für einen Moment in die Dunkelheit der Nacht, als ich anfing, Jay von dem Stunt zu erzählen. Der Stunt, bei dem Cole am Steuer saß – doch diesmal war es nicht nur irgendein Stunt. Es war der Stunt, bei dem ich eine andere Seite von Cole kennengelernt hatte.
„Es war ein wilder Tag“, begann ich, meine Augen leicht zusammengekniffen, als ob ich die Szene vor mir sehen könnte. „Cole hatte diesen völlig verrückten Stunt geplant. Er war der Fahrer in einem der Wagen, und ich sollte auf der anderen Seite der Straße stehen. Das Timing musste perfekt sein. Das Auto fuhr direkt auf mich zu, und ich sollte mich im letzten Moment über die Motorhaube hinwegrollen, bevor das Auto an mir vorbeirauschte.“
Jay sah mich mit großen Augen an, seine Zigarette fast vergessen. „Das klingt irre“
„Wir haben es vorher etlicheMale durchgesprochen, alles sah gut aus. Aber Cole... an dem Tag war er irgendwie anders. Er war ein bisschen zu schnell, ein bisschen zu nervös. Ich habe es in seinen Augen gesehen, kurz bevor er losgefahren ist. Aber ich dachte, wir hätten das im Griff.“
Ich atmete tief ein und ließ die Erinnerungen weiterfließen. „Als er auf mich zufuhr, habe ich mich konzentriert, wie ich es immer tue. Die Welt um mich herum wurde leise, und alles, was zählte, war der Moment. Ich habe mich bereit gemacht, mich über die Motorhaube zu rollen, wie wir es geübt hatten.“
Doch etwas ging schief. Sehr schief.
„Ich habe den Sprung zu spät gemacht“, flüsterte ich fast, als ich das Bild des nahenden Autos vor meinem inneren Auge sah. „Cole war schneller als gedacht, und bevor ich reagieren konnte, spürte ich den Stoß. Er traf mich mit der Motorhaube, und ich wurde mit voller Wucht nach hinten geschleudert.“
Ich schloss für einen Moment die Augen und erinnerte mich daran, wie ich durch die Luft gewirbelt wurde, während die Zeit um mich herum langsamer wurde. Mein Körper rollte über das Dach des Autos, ich schlug hart auf dem Asphalt auf, meine Haut brannte von dem Aufprall, und alles schien für einen Moment in einem Wirbel von Schmerz und Verwirrung zu verschwimmen.
„Ich prallte so hart auf dem Asphalt auf, dass ich für einen Moment dachte, ich hätte mir etwas gebrochen“, fuhr ivh fort und starrte auf meine Hände, als könnte ich den Schmerz von damals noch spüren. „Aber Finn... Finn war sofort da. Er war der Erste, der zu mir rannte.“
„Finn hat immer auf mich aufgepasst“, sagte ich leise. „Bevor ich überhaupt realisiert hatte, was passiert war, stand er schon neben mir und half mir hoch. Ich konnte sehen, wie besorgt er war, aber ich versuchte, ihm ein Lächeln zu schenken. Ich war irgendwie stolz, dass ich noch stehen konnte.“
Jay nickte, aber seine Augen blieben besorgt. „Und Cole? Wie hat er reagiert?“
Ich zögerte. „Cole war nicht der Typ, der sofort aus dem Wagen springt. Er war fokussiert, professionell, aber auch distanziert. Er hielt an, aber es war Finn, der bei mir war. Cole blieb im Auto, bis er wusste, dass es mir gut ging. Er wollte... sichergehen, dass der Job erledigt war, bevor er sich um den Rest kümmerte.“
„Es war eine verdammt harte Lektion“, sagte ich schließlich. „Der Stunt war für ihn immer an forderster Stelle.“
"Ein krasser Typ. Warum seit ihr kein Team mehr?" fragte Jay die einzig für ihn logische Frage. „Du solltest wirklich wieder einsteigen“, fügte er schließlich hinzu und lächelte mich an. „Jemand mit deinem Talent – das wäre eine Verschwendung, wenn du es nicht nutzt.“
Ich lächelte, fühlte aber, wie eine leise Unsicherheit in mir aufstieg. „Vielleicht irgendwann“, murmelte ich lächelnd und sah zur Seite.
Ich hörte Schritte hinter mir, drehte mich um und sah Timothee, der durch die Tür des Restaurants trat. Seine Augen ruhten sofort auf mir, und ich spürte, dass etwas in der Luft lag. Er wirkte angespannt, seine Schultern etwas steif, während er auf uns zukam.
„Alles gut bei euch?“ fragte Timothee, doch in seiner Stimme lag eine Schärfe, die ich sofort bemerkte. Sein Blick wanderte kurz zu Jay, dann wieder zu mir.
Jay grinste und hob lässig die Hand, als wäre alles in bester Ordnung. „Ja, wir unterhalten uns nur ein bisschen über alte Zeiten. Leonora hat gerade von ihrem Team angefangen zu erzählen. Cole und Finn, richtig? Die Frau hat echt was drauf, Timmy.“
Ich merkte, wie sich Timothees Kiefer anspannte, doch er sagte nichts dazu. Stattdessen trat er näher an mich heran, seine Präsenz plötzlich drückend. Ich konnte spüren, wie sein Blick auf mir ruhte.
„Das hab ich ihr auch schon gesagt“, antwortete Timothee knapp und musterte Jay, der scheinbar nichts von der Spannung zwischen uns bemerkte.
Ich fühlte, wie sich eine unsichtbare Linie zwischen den beiden Männern zog, als ob sie plötzlich ein Teil eines Spiels war, das ich nicht verstanden hatte. Ich wusste, dass Timothee mit Jay befreundet war, doch die Art, wie er jetzt neben mir stand, war anders. Beschützend. Besitzergreifend.
Bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, trat Timothee näher an mich heran. Sein Blick blieb fest auf mir haften, als ob er eine Entscheidung getroffen hatte. Dann legte er plötzlich seine Hand an meinen Nacken, zog mich sanft zu sich und küsste mich.
Der Kuss war intensiv, unerwartet und ließ mich für einen Moment den Atem anhalten. Ich spürte die Wärme seiner Lippen auf meinen, spürte, wie meine Umgebung für einen kurzen Augenblick verblasste. Es war ein Kuss, der Besitz ergriff, als wolle er der ganzen Welt – oder zumindest Jay – zeigen, dass ich ihm gehörte.
Ich war zu überrascht, um zu reagieren, und als Timothee sich schließlich von mir löste, stand ich wie versteinert da. Mein Herz raste, während Jays überraschter Blick zwischen uns hin und her wanderte.
„Also...“ Jay räusperte sich und trat einen Schritt zurück. „Ich wusste nicht das ihr euch so nahe steht“
Ich wusste nicht, was sie sagen sollte. Meine Gedanken waren erneut ein Wirbelsturm, und ich konnte den Blick von Timothee nicht abwenden. Alles, was ich sagen wollte, blieb in ihrem Hals stecken, während Timothee stumm neben mir stand, seine Hand immer noch leicht auf meinem Arm ruhend, als ob er nicht bereit wäre, mich loszulassen.
"Ist doch nichts passiert" entgegnete Timothee schließlich.
Jay schnipste die Zigarette zu Boden und ging zurück ins Restaurant.
Fragend sah ich Timothee an. „Was war das?“
Er sah mich ernst an, sein Atem leicht unruhig. „Das...“, begann er und zögerte kurz, „musste einfach sein.“
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