107

In Finns Augen blitzte ein vertrautes, unbändiges Feuer auf. Er sprang aus dem Wagen und drehte sich zu mir um, ein Lächeln auf den Lippen, das sowohl Euphorie als auch Wahnsinn in sich trug.

„Weißt du was, Leo?“, begann er, seine Stimme voller Energie. „Ich hab eine Idee, wie wir den Abend unvergesslich machen können.“

Ich sah ihn skeptisch an. Seine Definition von unvergesslich, bedeutete meist, dass es absolut halsbrecherisch enden würde „Finn, was hast du jetzt schon wieder vor?“

„Eine letzte Runde, so wie früher“, erklärte er, während er in die Dunkelheit zeigte. In der Ferne war eine große, imposante Brücke zu sehen, die sich über einen tiefen Fluss erstreckte. „Wir klettern da rauf und springen runter. Nur wir, die Dunkelheit und der Sprung.“

Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Früher wäre ich bei der Aussicht auf einen solchen Adrenalinkick sofort dabei gewesen. Aber es hätte auch Cole gegeben, der uns das sofort wieder ausgeredet hätte. Doch jetzt, mit all dem, was passiert war, fühlte ich eine Mischung aus Angst und Zweifel. „Finn, das ist Wahnsinn“, flüsterte ich, während sie die Brücke anstarrte. „Wir haben keine Sicherung, nichts. Was, wenn etwas schiefgeht?“

Finn trat näher zu mir und legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. „Genau darum geht es, Leo. Du hast dich so lange versteckt, hast dich in deinem eigenen Kopf gefangen. Du brauchst das – diesen Sprung, um dich wieder lebendig zu fühlen. Denk an Cole... oder tu es lieber nicht, er hätte das nicht gewollt. Oder er hätte es getan, ohne zu zögern.“

Der Gedanke an Cole ließ mich innehalten. Ja, er hätte es getan, nachdem er erst versucht hätte vernünftig zu sein. Er war aber immer der Mutige gewesen, derjenige, der uns alle angetrieben hatte, unsere Grenzen zu überschreiten. Aber Cole war nicht mehr da, und ich war nicht sicher, ob ich jemals wieder so sorglos sein konnte wie damals.

Doch Finns Worte bohrten sich in meinen Verstand, und etwas in mir begann, sich zu regen. Eine Sehnsucht nach dem alten Gefühl der Freiheit, nach der Aufregung, die ich so lange vermisst hatte. Vielleicht hatte Finn recht. Vielleicht brauchte ich diesen Moment, um wieder zu spüren, wer ich wirklich war.

„Na gut“, sagte ich schließlich, meine Stimme leise, aber entschlossen. „Lass es uns tun.“

Finns Augen leuchteten auf, und er griff nach meiner Hand. „Das ist meine Leo!“ Er zog mich mit sich, und gemeinsam rannten wir los, der Brücke entgegen, die sich dunkel und majestätisch vor uns erhob.

Als wir die Brücke erreichten, spürte ich, wie mein Herz schneller schlug. Der Aufstieg war mühsam, aber ich konnte die Aufregung in meinen Adern spüren, wie in den alten Zeiten. Schritt für Schritt kletterten wir die stählernen Balken empor, bis wir schließlich oben ankamen und die Nacht uns umhüllte.

Finn stand am Rand, der Wind zerrte an seinen Haaren und seiner Kleidung. „Bereit?“, rief er über die Schulter, seine Augen funkelnd vor Aufregung.

Ich trat vorsichtig neben ihn und blickte in die Tiefe. Der Fluss war weit unter uns, kaum zu erkennen im Dunkel der Nacht. Mein Atem stockte, und für einen Moment wollte ich zurückweichen, doch Finn ergriff meine Hand fest.

„Wir machen das zusammen, wie immer“, sagte er, seine Stimme ruhig und entschlossen. „Egal was passiert, wir sind eins. Wir fallen zusammen, aber wir stehen auch immer wieder zusammen auf.“

Ich nickte und spürte, wie sich eine seltsame Ruhe über mich legte. Ich sah Finn an, und in diesem Moment wusste ich, dass es keinen Weg zurück gab. Es war ein Sprung ins Ungewisse, eine Rückkehr zu dem, was ich einmal gewesen war – und vielleicht ein Schritt, um herauszufinden, wer ich jetzt sein konnte.

„Auf drei“, zählte Finn und begann den Countdown. „Eins... zwei...“

„Drei“, flüsterte ich, und sprang.

Die Welt um mich herum verschwamm, während ich im freien Fall war. Die Luft rauschte an uns vorbei, die Dunkelheit umhüllte uns, und für diesen einen, endlosen Moment fühlte ich mich frei. Alle Zweifel, alle Ängste fielen von mir ab, und es gab nur noch den Rausch des Falls.

Als wir das Wasser trafen, war der Aufprall hart, doch ich tauchte sofort wieder auf, keuchend und lachend zugleich. Finn tauchte neben mir auf und strahlte mich an.

„Das war Wahnsinn!“ rief er, das Adrenalin noch immer in seiner Stimme hörbar.

Ich lachte laut, spürte die Lebendigkeit in jeder Faser meines Körpers. Ich wusste, dass dieser Moment nicht alle meine Probleme lösen würde, aber er hatte mir gezeigt, dass ich noch immer in der Lage war, zu fühlen – wirklich zu fühlen.

Und vielleicht war das der Anfang. Ein Neuanfang, den ich so dringend brauchte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top