Nachdenken, Überdenken | Kapitel 3

"Schieferstern? Schieferstern! Du sollst das Lager doch nicht alleine verlassen! Es ist gefährlich für dich, alleine dort draußen herumzulaufen! Denk doch nur daran, was mit Flimmerfalter passiert ist! Sie sagte auch, sie würde nur einen kurzen Spaziergang machen, um ihre steifen Gelenke zu lockern. Und? Zurückgekommen ist sie nie. Schieferstern, wir können das Risiko, das dir ein Fuchs oder ähnliches in die Quere kommt nicht eingehen. Der SandClan braucht dich als seinen Leiter, Schieferstern, ich brauche dich. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte. Wir wären aufgeschmissen ohne dich an unserer Spitze." 

Der alte Kater wollte zum Wort anheben, wurde aber von seiner Stellvertreterin sofort unterbrochen, die ihren Redeschwall nun gar nicht mehr im Zaum hatte. 

"Wir würden in sämtliche Kämpfe verwickelt werden, ich werde das ganze nie unter Kontrolle halten können! Wir werden zugrunde gehen, Schieferstern, ich kann das alles doch gar nicht!" Verzweiflung schwang in Kiebitzflatterns sonst so ausdrucksstarken Stimme, die nun unter dem Ballast der ihr bevorstehenden Führung des Clans auf ihren schmalen Schultern zerbrach.

Die schwarz-weiß-braun gemusterte Kätzin setzte sich um zu verschnaufen. Ihre gesamten Sorgen bei der ihr vertrautesten Katze im Clan herunter zu rattern fühlte sich in ihrem Herzen erleichternd an, säuberte ihre belasteten Gedanken. Doch es brachte auch ein seltsames Unbehagen in ihr auf. Es bereitete ihr Sorgen, Schieferstern mit so vielen entmutigten Worten zuzutexten. 

"Kiebitzflattern, hör mir zu." die raue, dominante, aber zugleich weiche Stimme des Anführers hallte an den schulterhohen, taunassen Grashalmen, die das halbe Territorium bedeckten wieder, was der jungen Kätzin einen eisigen Schauder den Rücken hinunterjagte.

"Meine Ohren sind gespitzt." Erwiderte sie etwas zurückhaltend, jedoch mit neugierigem und zugleich ängstlichen Funkeln in den Augen.

"Siehst du? Du bist aufmerksam, kümmerst dich um jeden, als wäre er eine Katze, die dir sehr am Herzen hängt, auch wenn ihr kaum miteinander zu tun habt. Du siehst immer das Gute, schlichtest jeden noch so großen Streit und scheust nicht vor Aufgaben wie dem Reden vor großen Katzenmengen oder dem Führen einer Kampfpatrouille zurück. Und dann, dann kommst du zu mir, erzählst mir Dinge, die nicht der Wahrheit entsprechen. Warum, Kiebitzflattern? Warum tust du das?"

Er sah sie aus seinem trüben, hellblauen, emotionslosen Augen eine gefühlte Ewigkeit an. Langsam kam es Kiebitzflattern so vor, als wäre sein rechtes Auge gar nicht blind, sondern genauso gesund wie das andere. 

Kiebitzflattern antwortete nicht. Sie konnte es nicht. Ihre Kehle fühlte sich ausgetrocknet und rau an, ihr gelang es nicht ein einziges Wort über die Lippen rollen zu lassen.

Die Stille, die um sie herum herrschte, wirkte überhaupt nicht wie eine Stille. Der Wind säuselte ein wunderschönes Lied vor sich hin, irgendwo in der Ferne zwitscherten die Spatzen und Amseln mit einer bezaubernden Melodie um die Wette. Und trotzdem war es still zwischen den beiden Katzen, bis Schieferstern seine kratzige Stimme wieder erklingen ließ.

"Ich habe dich nicht um sonst zur zweiten Anführerin erwählt. Ich sehe das Potential in dir. Aber vielleicht solltest du aufhören, an dir selbst zu zweifeln. Das wird dich irgendwann in dein eigenes Verderben stürzen. Und glaub mir, das willst du nicht."

Mit diesen kalten Worten drehte er sich schlagartig um, sein Schweif schleifte über die trockene Erde, aus der die Grashalme sprossen und ließ Kiebitzflattern alleine, nur mit den Geräuschen der endlosen Natur zurück. 

Wortlos erhob sie sich und wollte ihm nachlaufen, doch irgendetwas hielt die gemusterte Kätzin zurück. 

Vielleicht war es das Gefühl, Schieferstern in seiner Ehre Verletzt zu haben, vielleicht war es etwas anderes.

Ich hätte ihn nicht stören sollen. Er ist alt, ja. Aber alt bedeutet nicht gleich schwach. Denn das ist er keinesfalls.

Kalter Wind zog auf, strich ihr durch ihr dreifarbiges Fell, krallte sich in ihre zarte Haut und lies sie zu zittern beginnen. Doch die aufziehende Kälte war nicht das einzige, was sie zum frösteln brachte. Das schlechte Gewissen, das sie belastete wollte sie in die Knie zwingen, doch sie versuchte mit aller Kraft, aufrecht stehen zu bleiben, auch wenn ihr Herz dafür schlug, sich irgendwo einzurollen, wo sie Schieferstern nie wiederfinden würde.

Vielleicht hatte Schieferstern ja recht und sie war nie so gewesen, wie es ihr selbst immer vorkam. Vielleicht hatte sie ein Brett vor Augen, das die Wahrheit vor ihr versteckte. 

"Vielleicht werden Clans fallen und steigen, vielleicht werden Freunde und feinde um mich herum sterben und aufwachsen, bis ich die Wahrheit erkenne. Vielleicht." 

Ein seufzten verließ ihren Mund. Vor Kiebitzflattern lag ein weiter, verwachsener und unerforschter Weg. Der Weg zur Anführerin. Der Weg, den sie einschlagen würde. Darin war sie sich jetzt sicher. Auch wenn ihr bei dieser Sache noch immer mulmig zumute war.

Mit den endlosen Herzschlägen die vergingen, in dem sie einfach nur starr und mit leerem Blick auf der weiten Wiese stand, in die Richtung sah, die zum Lager führte, in die Schieferstern, der wie ein Mentor, ja, fast schon wie ein Vater, den sie nie hatte,  gegangen war, verflogen ihre Zweifel. Schritt für Schritt tauschte sie sie durch neu geschöpften Mut aus, und verbannte sie in die hinterste Ecke ihres Gedächtnisses.

Doch was einmal da ist, wird immer da sein. Egal wie sehr man versucht, es zu verdrängen. Irgendwann wird es zurückkehren.

Irgendwann, wenn man es am wenigsten erwartet.

|<~•~>|

"Kiebitzflattern, wo warst du so lange? Goldschopf musste für dich das Patrouilleneinteilen übernehmen."

Haselpfote, die jüngere Schwester der zweiten Anführerin trat aufrecht vor sie. Ihr vornehmer Blick brannte sich in ihren, jedoch lag darin leichte Besorgnis um ihre Schwester. Vielleicht war irgendetwas bei der Einteilung schief gelaufen, und sie war deswegen besorgt, aber diesen Gedanken schob Kiebitzflattern schnell wieder zur Seite.

"Es ist alles gut, Haselpfote. Ich ... brauchte nur etwas Zeit um zu überlegen, das alles hier noch einmal zu überdenken. Tut mir leid, das ich die Patrouillen verpasst habe, aber ich denke, Goldschopf hat das großartig erledigt. Kann ich ihn kurz sprechen? Weißt du, wo er ist?"

Die hellbraune Schülerin schüttelte jedoch nur den Kopf. "Er hat sich selbst zum Anführer der Jagdpatrouille an der HabichtClan Grenze gemacht und ist sofort losgezogen. Du wirst ihn aber sprechen können, wenn er zurückkehrt."

"Okay, vielen Dank, Schwesterherz." Schnurrte die Stellvertreterin mit neuer Motivation und trabte zum Frischbeutehaufen der spärlich in der Mitte des SandClan Lagers positioniert war und schnappte sich eine ein paar Tage alte, dürre Wühlmaus, die für die Jungen schon nicht mehr geeignet war.

Da Kiebitzflattern sowieso keinen Bärenhunger hatte, genügte es ihr aber. Außerdem wollte sie nichts verschwenden, auch wenn die Jagt zur Zeit großartig verlief. Trotzdem bereute sie es bitterböse, gestern keine Patrouille losgeschickt zu haben, was den gut gefüllten Haufen auf ein paar alte, schon länger liegende und zu schrumpeln beginnende Tiere zusammenschrumpfte, die man langsam nicht mehr als "Frischbeute" bezeichnen konnte. Einen solchen Fehler würde sie nicht erneut machen, das hatte sie dazugelernt.

Langsam kaute sie auf dem zähen, schwer zu kauenden Fleisch herum, während sie sich zum gefühlt zwanzigsten Mal die Situation des Frühen morgens, der Begegnung mit Schieferstern durch den Kopf gehen ließ. 

"Ich werde aus meinen Fehlern lernen ... das wird nie wieder vorkommen ..."

"Entschuldige mich, aber sind die Worte, die du flüsterst an dich oder jemanden anderen gerichtet?"

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Uhh ja Leudis, isch bin back mit einem neuen Kapitel :D

Wie hat es euch gefallen? :P

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