Kapitel 17
Gwen stand dem großen Wolf gegenüber und ihm in die Augen. Sie versuchte möglichst still zu halten. Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören und ihr Herz schlug schmerzhaft schnell und so laut, dass der Wolf es trotz der Entfernung zwischen ihnen bestimmt hörte.
Gwen wusste, dass dies ein Schattenwolf war. Sie jagten niemals im Rudel, denn sie töteten andere Schattenwölfe genauso rücksichtslos wie Wild, Jäger oder was auch sonst das Pech hatte ihren Weg zu kreuzen.
Der riesige Wolf stand einfach nur dort bei den Bäumen und begutachtete sie, während er bedrohlich knurrte.
Gwen suchte aus dem Augenwinkel nach etwas, das sie als Waffe benutzen könnte. Aber hier, mitten auf der Wiese, weit von den Bäumen entfernt, lagen keinerlei Äste oder oder Holzstücke herum. Dafür entdeckte sie jedoch in ihrer Nähe ein paar faustgroße Steine.
Sie bückte sich und hob einen auf, den Blick die ganze Zeit über auf den Wolf gerichtet.
Ihre Bewegung veranlasste den Wolf für einen Moment lauter zu knurren, doch dann wurde er wieder leise. Er starrte sie weiter wartend an.
Es machte keinen Sinn wegzulaufen. Gwen hatte normale Wölfe bei der Beutejagd beobachtet und sie bezweifelte, dass sie schneller als ein Reh war. Ein Pferd wie Tambi war vielleicht schnell genug. Tambi war schnell wie der Wind verschwunden und hatte Gwen, ihre Reiterin, zurückgelassen. Gwen konnte es ihr nicht übel nehmen.
Der Wolf bewegte sich noch immer nicht, er stand weiter mit gefletschten Zähnen da und kurrte in ihre Richtung. Vielleicht erwartete er, dass sie weglief. Aber wenn sie lief, kam sie bestimmt nicht weit. Die nächsten Bäume die sie sah waren etwa 18 Meter entfernt, und außerdem standen sie direkt neben dem Wolf.
Sie entdeckte einen etwas kleineren Stein, der sich zum Werfen viel besser eignete. Gwen bückte sich erneut, um ihn aufzuheben. Dies brachte das Biest dazu, abermals lauter und wütend zu knurren. Sie fand die Idee einen weiteren Stein aufzuheben nicht gerade reizend, aber sie durfte sich nicht von ihrer Angst überwältigen lassen. Wenn sie das hier überleben wollte, brauchte sie eine Waffe und...
Und was wollte sie mit den Steinen? Sie selbst war doch eine Waffe!
Gwen streifte eilig die Handschuhe ab und warf sie achtlos zu Boden. Dann zog sie ihren ledernen Reitmantel aus. Einen Moment später wickelte sie den Mantel so gut es ging um ihren linken Unterarm. Diese Zähne sahen scharf aus und der Wolf konnte bestimmt mit Leichtigkeit ihre Armknochen zerschmettern, auch wenn sie notdürftig geschützt waren, aber es schien trotzdem eine gute Idee zu sein.
Ohne ihren Mantel würde ihr Hemd kaum Schutz bieten, aber je mehr Haut sie zeigte, desto besser waren ihre Überlebenschancen. Wenn das Monster erst einmal nahe genug war, würde sie es nur berühren müssen und die Sache wäre vorbei.
Gwen merkte, dass ihre Arme zitterten. Sie wusste nicht, ob es die kalte Luft war, die über ihre nackten Schultern strich, oder die panische Angst, die sie erfüllte.
Das Ungeheuer stand immer noch still, genau an derselben Stelle und knurrte sie noch immer an, das Fell gesträubt. Gwen atmete tief ein und fragte sich, was als nächstes kommen würde. Und genau in diesem Moment merkte sie, dass sie noch immer die Steine in der Hand hielt, die sie zuvor aufgehoben hatte.
Ohne nachzudenken, warf sie den kleineren von den beiden Steinen direkt nach dem Biest.
Der Schattenwolf wich dem Wurfgeschoss mit Leichtigkeit aus indem er zur Seite sprang. Das Knurren brach für einen Moment ab, während er sie anstarrte. Dann begann es wieder so laut wie zuvor.
Vielleicht verwirrte sie ihn ein wenig. Schließlich benahm sie sich nicht so, wie Beute es normalerweise tat. Das würde erklären, warum er noch nicht angegriffen hatte. Er wollte, dass sie floh, sodass er sie jagen konnte. Er war es gewöhnt Dingen nachzujagen. Vielleicht überlegte er es sich zweimal, weil sie sich mehr wie ein Raubtier verhielt.
Gwen fletschte die Zähne und versuchte wie der Wolf ein lautes Knurren von sich zu geben, aber sie brachte nur ein leises Winseln zustande.
Die Zähne des Wolfs verschwanden für einen Moment. Er legte seinen Kopf schief, als ob er leicht verwirrt wäre, und musterte sie.
Dachte er, sie könnte eine Gefahr für ihn darstellen? Sie biss die Zähne fester zusammen und machte einen kleinen Schritt auf ihn zu...
Plötzlich gab der Wolf ein lautes Knurren von sich das Gwen in ihrer Brust fühlte, und das Biest bleckte seine angsteinflößenden Zähne mit neugewonnener Wildheit. Das Knurren wurde immer wilder und wütender.
Ups. Jetzt sah es so aus, als wollte er ihr beweisen, dass er furchterregender war als sie! Und das würde ihm normalerweise bei jedem jungen Mädchen auch gelingen.
Aber Gwen war kein beliebiges Mädchen. Es gab etwas das der Wolf nicht über sie wusste.
Gwen wusste, dass er sie bald angreifen würde. Sie zwang sich, sich zu beruhigen und vorauszuplanen. Was sollte sie tun wenn er auf sie zusprang?
Ihr linker Unterarm, den sie versuchte zwischen sich und dem Wolf zu halten, war gepolstert. Wenn sie sich mit dem linken Arm verteidigen konnte, könnte sie vielleicht mit dem rechten angreifen... Den Wolf mit Steinen bewerfen oder versuchen ihn mit ihrer Handfläche zu schlagen, sodass sie ihn mit ihrer Haut berühren würde Sie könnte ihn auch anspucken und ihn irgendwie mit ihren nackten Unterarmen und Schultern berühren. Pelz schützte nicht vor ihrer Berührung, das hatte Gwen gelernt nachdem sie Rolf gestreichelt hatte, als sie jünger war.
Sie musste dem Biest nur wehtun. Wenn der Wolf anfing Schmerz zu verspüren, wäre er vielleicht nicht mehr so begierig, Gwen zum Mitagessen zu verspeisen und würde sich davonmachen.
Gwen leckte sich nervös die Lippen. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Angstschweiß von der Wange. Da kam ihr plötzlich eine Idee. Mit dem in der Jacke eingewickelten Arm wischte sie sich über die Stirn, sodass der Stoff möglichst viel Flüssigkeit aufsaugte und streckte ihn dann wieder dem Wolf hin.
"Na, los", dachte sie. "Beiß, Wolf, beiß schon!"
Der große Wolf sah sie immer noch knurrend an, von ihrem Benehmen verwirrt. Dann, ohne Vorwarnung, senkte er den Kopf und sprang zur Seite. Genauso schnell sprang er wieder zurück, die Ohren gespitzt und sein Kopf wieder gerade. Seine großen bernsteinfarbenen Augen ließen keinen Moment von ihr ab.
Gwen stand da, immer noch vor Angst zitternd, und hielt den faustgroßen Stein in der Hand.
Eine Sekunde später wiederholte der Wolf das Manöver, diesmal zur anderen Seite hin, die Augen immer noch weit geöffnet und sie fest im Blick. Noch ein drittes Mal täuschte er einen Angriff vor, dann ein viertes, die Zähne gebleckt.
Beim fünften mal sprang er sie schließlich direkt an!
Gwen schaffte es kaum rechtzeitig ihren Arm zu heben. Ihr Ellenbogen wurde zwischen ihre Rippen gestoßen und sie stolperte einen halben Schritt zurück. Gewaltsam wurde ihr Arm erst auf die eine, dann auf die andere Seite gerissen.
Sie versuchte, den Stein, den sie immer noch umklammert hielt, in das dreckige schwarz-graue Fell zu rammen. Der Stein glitt aus ihrer schweißnassen Hand, als das Fell über ihre Hand strich.
Mit einem dumpfen Schlag erwischte der Stein die Flanke des Wolfs und landete dann mit einem 'Plumps' auf dem Boden.
Der Wolf trat einige Schritte zur Seite und zurück, ihr noch immer zugewandt und die Zähne voller Vorfreude entblößt.
Gwens Atem kam stoßweise. Sie suchte den Boden hastig nach einem weiteren Stein ab.
Ruhig drehte sich der Wolf zu ihr um, bis er ihr wieder voll gegenüberstand. Dann spitzte er plötzlich die Ohren, als spüre er etwas. Er fletschte nicht mehr die Zähne, sondern schnüffelte herum, als läge etwas in der Luft.
In diesem Moment blickte er zurück auf seine Flanke, dann zu ihr.
Vielleicht hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt oder ihn verletzt. Eine Beute warf normalerweise keine Steine, also... hatte sie ihn vielleicht verwirrt.
Es war aber auch möglich, dass der Geruch von Chi'darro ihn denken ließ sie sei etwas anderes als Futter... vielleicht sogar eine Bedrohung?
Wölfe hatten einen unglaublichen Geruchssinn - wenn sie sich nicht wie Beute benahm und auch nicht so roch, konnte sie ihn vielleicht davon überzeugen, dass sie die Mühe nicht wert war.
Gwen fletschte erneut die Zähne und versuchte selbstbewusster zu wirken, als sie wirklich war. Der Schattenwolf stand still und betrachtete sie.
Sie hatte nicht gesehen, wohin ihr Stein verschwunden war, und der einzige, der in ihrer Nähe lag, war viel zu groß - ungefähr halb so groß wie ihr Kopf und seltsam geformt.
Gwen bückte sich um ihn aufzuheben – und fühlte sofort, dass sie nicht in der Lage sein würde, den Stein lange mit nur einer Hand zu halten, geschweige denn ihn auf Schulterhöhe anzuheben und ihn dann zu werfen.
Stattdessen ließ sie den Arm mit dem Stein hängen, während sie den eingewickelten Arm weiterhin zwischen sich und dem Wolf hielt. Möglicherweise hätte sie genug Kraft um den Stein nach oben zu schwingen und dem Wolf so eine zu verpassen, aber es musste bald passieren oder er würde ihr entgleiten.
Der Wolf war derweil anscheinend zu einem neuen Entschluss gekommen. Er begann erneut seinen Tanz von Seite zu Seite. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, sodass er ihr das Gefühl gab, als würde er mit ihr spielen, obwohl die Böswilligkeit in seinen hungrigen gelb-orangenen Augen sie nicht daran zweifeln ließ, was passieren würde wenn sie dieses Spiel verlor.
Gwen merkte wie sich ihre Finger, die noch immer den Stein umschlossen, verkrampften. Schnell suchte sie nach einem anderen Stein. Einen Augenblick später erspähte sie einen faustgroßen Stein einige Schritte entfernt.
Aber wie sollte sie nur an ihn herankommen?
Sie könnte den Stein, den sie jetzt in der Hand hatte, auf den Wolf werfen, dann zur Seite hechten und den anderen Stein packen. Das war ihre einzige Chance - sie konnte den großen Stein nicht mehr lange halten.
Ihre Entscheidung fiel. Sie schleuderte ihren Arm herum und warf den Stein mit so viel Kraft wie sie aufbringen konnte nach dem Wolf. Ihre Lungen brannten, ihrer Kehle entrang sich ein Knurren. Kaum war der Stein in der Luft drehte sie sich um und rannte zu ihrem nächsten Geschoss.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie das Monster mit einem leichtfüßigen Sprung dem Stein auswich. Als seine Pranken wieder den Boden berührten, kam er in einem unglaublichen Tempo auf sie zu, während er laut, triumphierend und aufgeregt knurrte.
Gwen sprang nach vorne und landete in der Hocke neben dem Stein, sodass sie nach unten langen und den Stein aufheben konnte. Ihren Arm hielt sie abwehrend hinter sich.
Zitternd schlossen sich ihre Finger um den Stein und rissen ihn hoch. Sie drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, dass der Wolf nicht mehr als ein paar Meter von ihr entfernt stand. Er sprang nach vorne, seinen Rachen weit aufgerissen.
Gwen schwenkte ihren Wurfarm und sprang zurück. Der Stein flog aus ihrer Hand und sie wusste, dass er nicht treffen würde schon bevor sie hinsah. Sie hatte den richtigen Moment verpasst.
Ein Teil von ihr begann den Rest anzuschreien, und sie merkte, dass sie den eingewickelten Arm zu viel zu tief gesenkt hatte. Sie hatte keine Zeit mehr ihn zu heben und war dem Wolf schutzlos ausgelie-
Zack!
Wütendes, qualvolles Geheul erfüllten für eine halbe Sekunde Gwens Welt. Dann war ein zweites Mal das 'Zack!'-Geräusch zu hören und das Geheul brach abrupt ab.
Der Boden vibrierte, als der Schattenwolf zur Seite kippte und zusammenbrach. Der Schwung des Tieres war so gewaltig, dass es mit Gwen zusammenstieß und sie zu Boden gerissen wurde. Die Welt drehte sich und sie landete auf der massiven, pelzigen Schulter des Wolfs.
Panik und Verzweiflung durchfuhren sie, als sie sich von der Bestie herunterrollte. Ihr Atem kam stoßweise. Kaum war sie auf den Beinen, stolperte sie zwei Schritte zurück, und fiel dann erneut ins Gras. Ihre Hand tastete nach etwas, das sich als Waffe eignete.
Gwen rollte sich auf den Rücken, in einem vergeblichen Versuch hob sie ihre Arme, um das Biest abzuwehren, doch sie wusste, dass es zu spät war... Das Monster war sicher schon über ihr und beugte sich drohend über sie, die Schnauze nur wenige Millimeter entfernt von ihrer Kehle entfernt.
Sie blickte auf – und der Wolf war nicht zu sehen.
Sonne, Wolken und ein strahlend blauer Himmel. Ein Vogel flog beiläufig vorbei. Abgesehen von dem schwachen Klingeln in ihren Ohren, war das einzige Geräusch, das sie hörte, ihr eigener hektischer Atem.
Schnell richtete sie sich auf ihren Ellenbogen auf und sah über ihre Schuhe hinweg zu der Szene, die sich ihr darbot.
Der riesige Wolf lag bewegungslos einige Meter entfernt. Zwei Pfeile mit gleicher Befiederung ragten aus seinem Oberkörper. Seine Augen starrten sie abwesend an, das Maul war so weit geöffnet, dass die unheimlich spitzen Zähne zu sehen waren.
Gwen blinzelte ein paar Mal und stand dann langsam auf. Sie sah sich auf der Wiese um, und sah-
Prinz Gavin.
Er war so weit von ihr entfernt, dass sie ihn kaum ausmachen konnte, aber sie wusste, dass er es war. Weit, weit weg den Pfad hinunter stand er aufrecht in den Steigbügeln seines Pferds, den Bogen in der Hand, einen Pfeil auf der Sehne, den Blick auf die Wiese gerichtet. Sie sah, wie er kurz die Hand über die Augen legte, um Gwen im hellen Sonnenlicht besser sehen zu können. Dann ließ er den Bogen sinken.
Beide starrten sich quer über das Feld einige Sekunden lang an.
Dann steckte Gavin ruhig den Pfeil zurück in den Köcher.
Er drehte sein Pferd, um sie besser sehen zu können. Noch immer stand er in den Steigbügeln, eine Hand auf der Hüfte, die andere an seiner Seite hinabhängend, verbeugte er sich vor ihr.
Und dann – es konnte schlicht kein Zufall sein – schien sein Pferd sich ebenfalls zu verbeugen. Es legte den Kopf ins Gras und beugte ein Vorderbein.
Ihr Herz schlug schnell.
Gwen spürte die Aufregung und Erleichterung, zusammen mit dem restlichen Adrenalin. Sie stand einen Moment lang einfach nur da. Ihre Knie zitterten noch immer leicht.
Dann, obwohl sie kein Kleid trug, ahmte sie die Bewegung mit einem übertriebenen und äußerst erleichterten Knicks nach, und hoffte dabei, dass der Knicks das volle Ausmaß der Dankbarkeit vermittelte, die sie in diesem Moment verspürte.
Kaum war sie fertig, sah Gwen wie Gavin sich in den Sattel setzte und den Bogen wegpackte. Seine Bewegungen hatten etwas zufriedenes an sich, obwohl er eigentlich viel zu weit weg war, um irgendeinen Gesichtsausdruck erkennen zu können. Gwen begriff erst jetzt, wie weit Gavin wirklich von ihr entfernt war. Wenn er wirklich den Pfeil von dort abgeschossen hatte, wo er nun stand, muss es ein beeindruckender Schuss gewesen sein. Und er hatte zweimal geschossen und getroffen! Nicht zu vergessen: von einem Pferd und einen Schattenwolf als Ziel!
Und was war mit der katastrophalen Jagd, auf der er mit ihrem Vater gewesen war? Wenn er in der Lage war, solche Schüsse abzufeuern, dann konnte er solche beeindruckenden Schüsse auch abfeuern, wenn er mit Bryn unterwegs war, was bedeutete, dass-
Plötzlich verstand Gwen. Ihr Herz schmolz ein klein wenig dahin, und ihre Augen weiteten sich.
Dieser junge Prinz war ein meisterlicher Bogenschütze, einer, der in der Lage war ein rennendes Biest aus einer solchen Distanz zu treffen... der es aber nicht übers Herz brachte harmloses Wild zu töten oder einen Schwan oder ein anderes nicht bedrohliches Waldtier. Einer, der so weit ging, absichtlich einen schrecklichen Schuss abzufeuern, um die Tiere zu erschrecken und die Jagd ihres Vater zu verderben, damit die Waldtiere einen weiteren Tag leben konnten. Dieser wunderschöne, perfekte Mann...
War ein Mann mit einem Gewissen.
Und endlich waren sie allein! Niemand außer ihnen war hier!
Gavins Pfeile steckten noch immer im Körper des Wolfs und ragten hoch in die Luft. Gwen sah sie sich genauer an. Sie waren sehr gut angefertigt - er würde nun absteigen und sie sich holen, das wusste sie. Es würde nur sie und ihn geben. Das war ihre Chance etwas zu unternehemen!
Einige Momente lang bewegte sich keiner der beiden. Sie standen einfach nur da wo sie waren, sahen sich aus der weiten Distanz an... Er, auf dem Rücken seines Pferds, und sie, nur wenige Meter von dem Schattenwolf entfernt, den er getötet hatte. Der Wind blies durch das Gras, als Gwen wartend dastand. Sekunden wurden zu Minuten.
Dann drehte Gavin sein Pferd und ritt langsam den Pfad entlang, weg von der Wiese. Einige Sekunden später war er aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Verdutzt sah Gwen ihm nach.
Was machte er da? Warum kam er nicht zu ihr, um sich zu vergewissern, dass sie in Ordnung war? Und überhaupt: Warum hatte er ihr nicht angeboten, sie zurück ins Schloss zu bringen? Er hatte mit Sicherheit gesehen, dass sie kein Pferd hatte! Außerdem: Warum hatte er nicht seine Pfeile geholt?
Warum drehte er einfach um und ließ sie stehen?
Eine kühle Brise strich über ihre nackten Schultern und ließ sie frösteln. Noch immer verwirrt von Gavins Benehmen, schlang Gwen die Arme um ihren Oberkörper um sich zu wärmen. Dabei merkte sie, dass ihr Mantel noch immer um ihren Arm gewickelt war, was -
Oh...
Sie hatte das Gefühl plötzlich zu wissen, warum er nicht herübergekommen war.
Vorhin war es eine lebensnotwendige Entscheidung gewesen, den Mantel auszuziehen - reiner Überlebensinstinkt. Erst jetzt merkte Gwen dass sie darunter nur ein dünnes Seidenunterhemd trut, dass sich eng an ihren Oberkörper schmiegte....wie eine zweite Haut.
Nachdem er sie gerettet hatte, entfernte er sich höflich, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Also war der Prinz nicht nur ein Meister im Bogenschießen – er war auch ein Gentleman.
Nachdem sie ein letztes Mal zu dem angsteinflössenden Riesenwolf geblickt hatte, drehte sich Gwen um und rannte über die Wiese zu der Stelle, wo sie den Prinz zuletzt gesehen hatte.
Sie wickelte ihre Jacke von ihrem Arm ab und zog sie an, während sie weiter lief.
Ihre Knie fühlten sich noch immer schwach an, weshalb sie oft stolperte, doch Gwen zwang sich weiter in einem halsbrecherischen Tempo zu laufen.
Sie musste ihn alleine erwischen... Sie musste einen Weg finden ihn zurück zu den Stallungen zu bringen, wo sie Papier oder ein Buch zum Schreiben bekommen könnte. Sie würde sogar mit einem Stein die ganze Wahrheit über sich selbst in die Wände der Stallungen ritzen, wenn es sein musste! Und wenn die Meistersphäre es ihr nicht erlaubte, dann naja...dann würde sie etwas anderes schreiben, ihm sagen, dass er seinem Herz nach Hause folgen sollte oder so... irgendwas!
Während sie rannte, bemerkte sie, dass eine Spur von Wolf-Speichel auf dem Ärmel ihrer Jacke zurückgeblieben war und sie versuchte nicht zu schaudern.
Er hatte sie vor diesem Monster gerettet. Er wurde gezwungen, eine Prinzessin zu heiraten, die er nicht liebte, aber er war trotzdem noch mutig und gutherzig genug sie zu retten...und das obwohl er wusste, dass er im Nachhinein unglücklich sein würde.
Und als er sie gerettet hatte, hatte er unwissend sich selbst in Gefahr gebracht. In gewisser Weise hatte er sich indem er sie gerettet hatte selbst getötet. Das war eine Sache die sie aus den alten Tragödien kannte die in der Bibliothek haufenweise herumstanden. Sie hatte diese Sorte Geschichten immer gehasst.
Nun, diese bestimmte Geschichte würde auf keinen Fall so enden. Gwen würde das niemals zulassen.
Atemlos erklomm Gwen endlich den letzten sanften Hügel und erreichte den Anfang des Pfads, der zur Wiese führte. Keuchend und schwitzend sah sie sich um, hoffte Gavin geduldig auf sie wartend zu sehen, vielleicht damit er ihr anbieten konnte, mit ihr zurück zu den Stallungen zu reiten.
Sie hörte ein leises Wiehern etwas weiter den Hügel hinunter und ihr Herz blieb kurz stehen.
Erschöpft, aber froh zwang sie ihre schwachen Beine so schnell wie sie konnte weiter zu laufen und wenige Momente später erblickte sie ein Pferd.
Es war Tambi.
Unbehaglich stand die Stute da, ihr Blick entschuldigend und einsam. Ihre Zügel waren lose an den Ast eines in der Nähe stehenden Baums gebunden. Vielleicht Gavins Werk... Das reiterlose Pferd hatte ihm gezeigt, dass sie in Gefahr war. Er hatte ihr Pferd eingefangen und es für sie hier gelassen.
Prinz Gavin und sein Pferd waren nirgendwo zu sehen.
Gwen fühlte sich schon schwach vom Rennen und ein Teil von ihr wusste dass sie nicht in der Lage war Tambi länger als wenige Minuten im Galopp zu reiten... nicht in diesem Zustand. Und selbst wenn, Tambi war wegen ihrer Begegnung mit dem Schattenwolf noch immer zu unruhig und wollte bestimmt vorsichtig geritten werden. Es war aussichtslos Gavin einzuholen, auch wenn er noch nicht weit war oder nicht schnell ritt.
Er war fort.
Sie hatte ihre Chance verpasst.
---------------------------------------------------------------------------------
Na, war das nicht eine hübsch romantische Rettung? ;) Wie hat's euch gefallen?
LG
Robert
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top