Kapitel 14

"W- Was macht Ihr denn hier?!", war alles, was Gwen herausbrachte. Ihre Beine trugen sie auf einmal kaum mehr.

"Ich? Was ich hier mache? Ich ruhe mich aus", sagte Anifail, noch immer faul auf Rhosyns Bett lümmelnd. "Ich entspanne mich ein wenig. Als Hauptmann hat man einen harten Arbeitstag. Ich hatte ehrlich gesagt nicht vor mich hinzulegen als ich hier ankam, aber dieses Bett sah einfach so gemütlich aus, dass ich nicht widerstehen konnte." Er strich mit der Hand über das Bett um zu zeigen wie gemütlich und weich es war. "Einfache Baumwolle, wer hätte gedacht, dass Bauernware so gemütlich ist? Ich denke fast ich werde meine Daunenmatratze gegen so eine austauschen, es könnte wirklich..."

"Was habt Ihr mit Rhosyn angestellt?!" Gwens Stimme überschlug sich, sie schrie fast. "Wo ist sie?!"

"Oh, entspannt Euch, Prinzessin. Ich habe ihr nichts getan... Es geht ihr gut." Anifail gab ihr ein schnelles Grinsen "Oder besser gesagt, es ging ihr gut, als ich sie das letzte Mal gesehen habe."

Gwen gelang es mit aller Macht ihre Angst in Wut zu verwandeln, und konzentrierte sich voll und ganz auf den selbstzufriedenen Hauptmann vor ihr. Sie warf einen bedeutsamen Blick auf seine bandagierte Hand und sah ihm kaltblütig ihn die Augen.

"Ich gebe Euch eine Chance, Hauptmann. Ihr könnt mir sagen wo sie ist, und zwar jetzt, oder..." Gwen zog ihre Reithandschuhe aus und gab Anifail, so sehr wie sie dazu im Stande war, einen tödlichen und zugleich auch ernsthaften Blick, "Ich kann Euch zuhören wie Ihr verzweifelt versucht es mir zu erklären während Ihr Euch in Höllenqualen windet."

Anifail lachte traurig in sich hinein und schüttelte den Kopf.

"Ach du meine Güte... Ihr seid ja mit einem Mal ein so gefährliches kleines Mädchen. So kämpferisch . . . Ihr jagt mir richtig Angst ein! Ooooooh!" In vorgetäuschter Furcht hielt er abwehrend die Hände hoch. "Wenn ich nicht so ein hart durchtrainierter Soldat wäre, fürchte ich, ich müsste mir gleich hier vor Angst in die Hose machen."

"Macht so viele Witze wie Ihr wollt, aber wenn Ihr mir nicht sagt wo sie ist, werdet Ihr diesen Raum nicht lebend verlassen! Das verspreche ich Euch!"

"Oh, Ihr versprecht es mir... Du liebe Güte, wie furchtbar!" Anifail lachte in sich hinein. Er kräuselte die Lippen und runzelte mit der Stirn, als ob er in Gedanken versunken wäre. "Aber... was ist mit Eurem Kristall im Tempel? Was ist mit Eurer unsterblichen Seele? Was würde die Göttin von Euch denken wenn Ihr das tut was ich denke dass Ihr vorhabt?"

"Ich denke eine weise Göttin würde eine Ausnahme machen!", zischte Gwen. "Wir fallen nicht in Ungnade dafür, dass wir Ungeziefer töten."

"Wie clever. Gut, wie wäre den das stattdessen? Ich werde Euch nicht sagen wo eure Dienerin ist, aber... erlaubt mir Euch ein wenig über ihre Situation zu erzählen. Ich werde kurze, einfach zu verstehende Wörter benutzen, damit selbst Ihr mitkommt. Und wenn ich fertig bin und Ihr mich dann immer noch töten wollt, habt Ihr meinen Segen."

"Ich kann Euch töten, Hauptmann. Denkt nicht mal für einen Moment, dass ich es nicht tun würde!"

"Ach, wirklich? Deshalb bin ich also so furchtbar nervös! Ich wusste doch, da ist irgendwas", sagte Anifail, und hörte sich dabei vollkommen unbesorgt an. Er schenkte ihr ein geduldiges, leicht amüsiertes Lächeln. "Zuerst einmal, wie ich schon vorher gesagt habe ... Rhosyn ist in Sicherheit. Sie ist möglicherweise sogar besser dran als sie es verdient, wenn meine Informationen über ihre Pläne der Wahrheit entsprechen. Ich meine, eine Prinzessin zu entführen? Ich bin kein Experte wenn es um das Gesetz geht, aber das fällt in die Kategorie von Dingen, die man 'Hochverrat' nennt. Von Rechts wegen müsste sie im Kerker schmachten, und dort auf einen Herrn mit einer schwarzen Maske über dem Kopf warten, der ihr den Kopf abhackt! Aber ich habe bemerkt wie viel Euch, trotz dieser schwerwiegenden Straftat, an ihr liegt und habe mich dazu entschieden sie vorerst nicht in den Kerker zu werfen. Wir wollen doch nicht, dass so ein kleines empfindliches Ding wie sie ganz alleine zwischen all den rauen Zellengenossen ist? Natürlich nicht."

Anifail began seine Fingernägel zu inspizieren, und pfiff eine leise Melodie.

"Wo?", fragte Gwen durch zusammengebissene Zähne. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und hob bedrohlich ihre Hand. "Sagt mir wo sie ist! Auf der Stelle!"

"Sie ist an einem sehr besonderen Ort untergebracht, Prinzessin. Es ist ein Ort aus dem nichts entkommen kann. Nur ein wenig Luft kann raus und rein. Und ich natürlich." Anifail's Lächeln wurde breiter. "Niemand sonst weiß wo sie ist ... noch nicht mal der König. Nur ich. Es tut mir leid, aber ich denke, das wird das einzige sein, was ich Euch erzähle, Prinzesinn Gwenwyn." Er gab ihr einen Blick voller spöttischer Enttäuschung. "Also werdet Ihr mich jetzt wohl töten, genau wie Ihr es versprochen habt. Schade. Ich hoffe es wird ein schneller Tod ... und nicht ein langer, qualvoller Tod wie Eure Zofe ihn vor sich hat."

"Ein langer . . . was?!" Gwens Augen weiteten sich . "Ihr habt behauptet, sie wäre in Sicherheit!"

"Oh, das ist sie, Prinzessin . . . Ihr geht es so gut wie überhaupt möglich. Aber ihr fortgesetztes Wohlbefinden hängt von meinen täglichen Besuchen ab. Ihr wisst schon, man muss ihr gewisse Dinge bringen... Essen... Wasser ... solche Dinge eben. Armes Mädchen." Auf einmal heuchelte er Mitgefühl. "Oh, wartet einen Moment! Nun sehe ich das Dilemma! Wenn Ihr mich umbringt, dann kann ich ihr all dies nicht mehr bringen und sie wird sterben! Wie schrecklich!"

"Vielleicht töte ich Euch gar nicht, Hauptmann", sagte sie, und versuchte ihr bestes um selbstsicher zu klingen. "Vielleicht lasse ich Euch am Leben, und werde die Informationen aus Euch herausfoltern, oder-"

"Ich denke, Ihr versteht nicht wie außerordentlich bedeutungslos Eure Drohungen sind, Prinzessin. Obwohl ich weiß wie schwierig das für Euch sein muss, schlage ich vor, dass Ihr für einen Moment aufhört dummes Zeug daherzureden und stattdessen anfangt nachzudenken. Ihr sprecht gerade in diesem Augenblick mit der einzigen Person auf der Welt, die weiß, wo sich Eure Freundin aufhält. Es gibt nichts, womit Ihr mich bedrohen könnt. "

"Natürlich kann ich," knurrte Gwen. "Ihr lasst sie gehen, oder ich werde-"

"Ach du meine Güte. Ich befürchte, Ihr braucht eine Demonstration, um zu begreifen wie ohnmächtig Ihr seid," sagte Anifail, schwang seine Beine aus dem Bett und stand auf. Er betrachtete Gwen einen Moment lang, dann räusperte er sich. "In Ordnung, du kleine Göre... Hör mir genau zu. Wenn du es noch einmal wagst mich zu bedrohen, dann wird die süße kleine Rhosyn morgen keinen Besuch von mir bekommen. Und vielleicht auch nächsten Tag nicht... möglicherweise auch noch am Tag darauf. Nehmt Euch eine Sekunde Zeit um zu überlegen was das bedeutet. Kein Essen, kein Wasser... Sie wird alleine dasitzen, im Dunklen, sich wundern was wohl als nächstes passieren wird, oder ob überhaupt jemand nach ihr sehen wird. Und jetzt", er bedeutete ihr mit einer Handbewegung fortzufahren,"Was wolltet ihr zu mir sagen?"

Gwen war der Freiheit so nahe, dass ihr nach Weinen zumute war. Die Reisetasche bei der Tür, die Satteltasche auf dem Tisch, der Beutel mit chi'darro, die Pferde die nicht weit entfernt grasten ... alles was sie brauchte um diesen Ort für immer zu verlassen. Anifail würde es nicht wagen sie mit Gewalt aufzuhalten, sie konnte ganz einfach nach draußen gehen. Aber trotzdem -

Sie hatte alles was sie brauchte, mit Ausnahme ihrer besten Freundin. Unter keinen Umständen würde Gwen Rhosyn einfach so im Stich lassen.

Und Anifail wusste es.

"Also gut", flüsterte sie schließlich."Ich verstehe. Ich werde nicht versuchen Euch zu bedrohen."

"Oh nein, so einfach kommt Ihr nicht davon, Prinzessin. Dachtet Ihr etwa, dass das schon das Ende meiner kleinen Demonstration war?" Mit seiner behandschuhten Hand griff Anifail in seine Jackentasche. "Nein, ich denke, dass ein Mädchen welches so unterbelichtet ist wie Ihr es seid, mit etwas deftigeren Argumenten überzeugt werden muss. Ich muss ja schließlich auch meinen Spaß haben! Mal sehen ob Ihr das hier wiedererkennt...“

Anifail zog etwas aus seiner Tasche und hielt es so, dass Gwen es sehen konnte. Sie schnappte nach Luft und trat instinktiv einen Schritt zurück.

Es war eine Meistersphäre.

Anifail lachte in sich hinein.

"Ah, also wisst Ihr tatsächlich noch was dies ist. Ich habe mir schon gedacht, dass nach all Euren Erfahrungen mit dem ersten Exemplar selbst jemand der so unglaublich dumm ist wie Ihr sich daran erinnern würde. Diese hier war billiger als die letzte. Ein einziger Zauber, ein einziger magischer Zwang der auf Euch gelegt wird... und dieses Mal, anstatt nur Unsinn vor Euch herzuplappern, werdet Ihr schlicht und einfach still sein. Nichts als süßes, wundervolles Schweigen von unserer Prinzessin, bis die Sphäre zerstört ist." Er lächelte wehmütig. "Das heißt, bis sie zerstört ist oder bis Ihr einen gewissen Prinz Gavin küsst... was auch immer zuerst kommen mag."

"Kommt mir damit nicht zu nahe!" Gwen trat noch ein wenig weiter von ihm zurück.

Anifail gab vor verwirrt zu sein und betrachtete die halbdurchsichtige Glaskugel die er in der Hand hielt.

"Ich glaube Ihr versteht nicht, Prinzessen. Es würde wohl kaum eine effektive Demonstration sein, wenn ich Euch ganz einfach mit irgendeinem Trick dazu bringen würde die Sphäre zu berühren, oder Euch dazu zwingen würde." Anifail lachte in sich hinein, als würde er sich königlich amüsieren. "Nein... Ich würde nicht mal im Traum daran denken das zu tun. Stattdessen, werdet Ihr mich darum bitten, dass ich Euch die Sphäre gebe."

"Wie bitte?!"

"Ihr werdet mich mich – auf ausgesprochen höfliche Art und Weise, nebenbei bemerkt – darum bitten, einen neuen magischen Zwang auf euch zu legen. Und danach werdet Ihr Eure Hand ausstrecken und mit Euren bloßen Fingern diese hübsche Glaskugel hier berühren."

Das üble Gefühl in Gwens Magen verstärkte sich, als sie begriff, wie hilflos sie war.

Was konnte sie schon anderes tun? Wenn sie sich Anifail widersetzte, würde es Rhosyn sein die dafür bezahlen musste... Und wenn Anifail etwas zustoßen würde, dann würde Rhosyn mit Sicherheit elendiglich zu Grunde gehen!

"Wenn... wenn Ihr versprecht Rhosyn freizulassen, werde ich die Sphäre berühren", bot sie an.

"Oh, nein, nein, nein... das war nicht das was ich verlangt habe! Wie wäre es, wenn Ihr einen Moment über das Schicksal Eurer Freundin nachdenkt und es dann noch mal versucht, hmm?"

Wieder einmal erschien es so als ob Anifail und ihr Vater ihr einen Schritt voraus waren und sie nichts dagegen tun konnte. Sie hielten Rhosyn als Geisel gefangen und würden sie benutzen um Gwen dazu zu zwingen, bei ihren Plänen als Komplizin mitzuwirken.

Sie war gefangen.

Gwen ließ ihre Schultern sinken. Sie war besiegt.

"Ich werde die Sphäre nehmen", sagte sie, kleinlaut.

"Oh, kommt schon... Eine Prinzessin hat bessere Manieren!" scholl Anifail . "Versucht es noch einmal, etwas höflicher!"

"Bitte gebt sie mir", flüsterte Sie, und hasste die Wörter die aus ihrem Mund kamen.

"Noch nicht eindrucksvoll genug", sagte er, ein bisschen lauter, und schenkte ihr ein fratzenhaftes Lächeln. "Immerhin werden das die letzten Worte sein, die ich für eine ganze Weile von Euch hören werde, Prinzessin, und ich wünsche sie zu genießen. Bettelt, Prinzessin, na los!"

Eine einzige Träne lief über Gwens Wange.

"Bitte, Hauptmann. Ich... bitte, lasst mich das nehmen. Ich werde alles tun was Ihr gesagt habt."

Anifail schüttelte den Kopf. "Wie ich sehe, seid Ihr nicht sehr geübt im Betteln. Ihr versteht, was geschehen wird, wenn Ihr versucht irgendeinen cleveren Plan auszuhecken um Euren Verlobten zu warnen? Wenn Ihr das versucht, was werden ich oder Euer Vater dann tun? Erzählt mir, was dann geschehen wird, Prinzessin.“

"Ihr lasst Rhosyn verhungern", schluchzte Gwen, vollkommen gebrochen.

"Entweder das oder ich werde sie besuchen um Ihr etwas noch weitaus schlimmeres anzutun. Nun, da Ihr wisst wie hilflos Ihr seid, will ich sichergehen, dass Ihr auch alles richtig verstanden habt, was ich Euch erzählt habe." Er trat vor und lehnte sich zu ihrem Ohr hinab, sodass er hineinflüstern konnte. "Bettelt darum. Fleht mich an."

"Bitte, I-", stotterte Gwen, ihre Stimme tränenerstickt. "Ich werde alles tun, was Ihr und Vater verlangt."

Anifail lächelte grausam.

"Da Ihr mich so nett darum bittet, werde ich tun was Ihr wünscht. Hier", sagte er und hielt ihr die verhasste Meistersphäre hin. "Ihr braucht sie bloß zu berühren."

Ihre Schultern zuckten unkontrolliert von dem Schluchzen, das sie durschüttelte. Gwen streckte ihre Hand aus und berührte die Sphäre mit Fingerspitzen. Sie fühlte sich kalt an, dann warm, und dann sprang ein kleiner, wohlbekannter Funke von der Kugel auf sie über.

"War es so schlimm?" Anifail lachte sanft in sich hinein."Ich werde aufpassen, dass das hier an einem sicheren Ort aufgehoben ist. Wir verstehen uns jetzt? Eure Kooperation - Eure volle Kooperation - mit jedem Aspekt des vom König erdachten Plans, das ist das einzige was Eure Zofe am Leben erhält. Wenn Ihr irgendjemanden warnen solltet, irgendjemandem erzählt was Ihr wirklich seid ... dem Prinzen, den Bediensteten aus dem Schloss ... Irgendjemanden .... Dann werde ich alles über das arme süße kleine Mädchen vergessen, das irgendwo allein in einer Zelle sitzt. Habe ich mich klar ausgedrückt?"

Gwen versuchte 'ja' zu sagen. Dann, als kein Laut aus ihrem Mund kam, nickte sie einfach nur. Eine Träne lief ihre Wange hinunter und hinterließ etwas Feuchtigkeit, bevor sie ihr Kinn heruntertropfte.

"Dann ist es ja gut. Nun geht mit Eurer Reisetasche zurück zum Schloss und geht zu Bett. Geht sicher alles zurückzugeben, was nicht Euch gehört. Das beinhaltet alles, was Ihr aus der Studierstube Eures Vaters genommen habt. Das nächste Mal wenn ihr herumschleicht, denkt daran Schuhe zu tragen, die keine solchen deutlichen Abdrücke im Gras hinterlassen. Oh und Prinzessin?" Er grinste sie schmutzig an. "Wenn ich Euch das nächste Mal begegne, erwarte ich von Euch reuevoll auszusehen, und zwar sehr reuevoll... Ihr werdet scheu zu Boden blicken und mich respektvoll behandeln. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass Eure Freundin Rhosyn hofft, dass Ihr Eure Sache besonders gut macht."

Er setzte sich wieder aufs Bett zurück, seufzte und winkte sie fort, als würde er ein Haustier verscheuchen.

Sie nahm ihr Gepäck und verschwand aus dem Zimmer, floh in die Nacht hinaus. Stille Tränen rannen ihre Wangen hinab.

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Will jemand von euch Anifail auch erwürgen? ;) Ich muss sagen, meine Finger jucken...

Hoffentlich hat euch das Kapitel gefallen :)
LG
Robert

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