Kapitel 13
Am folgenden Tag fiel es Gwen wirklich schwer nicht andauernd zu lächeln. Sie musste wieder und wieder ihre Stirn zwingen sich in Falten zu legen und sich gelegentlich daran erinnern finster und mürrisch zu wirken. Was es besonders schwierig machte, war die Tatsache, dass ihr Vater zu beschäftigt damit war sich um Hochzeitsvorbereitungen zu kümmern, um mit ihr zu essen, und Anifail Berichten zufolge die Burg verlassen hatte und nicht vor dem späten Abend zurückerwartet wurde. Das Leben war einfach so viel leichter, wenn sie sich nicht mit diesen Beiden herumschlagen musste.
Natürlich wurde es im Laufe des Tages viel einfacher nicht zu lächeln, weil ihre Angst und Unsicherheit um so mehr anstiegen, desto näher der Abend rückte. Obwohl sie versuchte am Nachmittag ein Nickerchen zu machen, musste sie feststellen, dass sie viel zu aufgeregt war um schlafen zu können und verbrachte stattdessen ein paar Stunden damit an die Decke zu starren und sich über Details ihres Plans Sorgen zu machen. Als es schließlich Zeit war ins Bett zu gehen war sie ein einziges Nervenbündel... und als Mitternacht kam hatte sie mehr Angst als je zuvor.
Aber ihre Angst würde sie nicht aufhalten, dazu war sie fest entschlossen. Dies war der Beginn eines neuen Lebens... Es gab mehr als genug Gründe sich zu fürchten!
Gwen wartete bis lange nach Mitternacht, bevor sie in ihre Reitkleidung schlüpfte und ihren Umhang überzog. Dann, nachdem sie einige Male tief Luft geholt hatte, schnappte sie sich ihren Wasserkrug, öffnete ihre Schlafzimmertüre und begann vorsichtig und geräuschlos die Turmtreppe hinunter zu gehen.
Alles schien viel dunkler zu sein als in der vorherigen Nacht - was Gwen jedoch gerade recht kam. Weniger Licht bedeutete weniger Chancen gesehen zu werden, wenn sie im Schatten blieb und die gleiche Route nahm, die sie in der letzten Nacht benutzt hatte, um zur Studierstube zu gelangen. Ihr Umhang war viel dunkler als der, den sie letztes mal getragen hatte, was das Risiko ebenfalls verringern würde. Allerdings trug sie dieses Mal ihre Stiefel und musste sich sehr langsam bewegen um keine Geräusche zu verursachen. Hoffentlich würden sich Vor- und Nachteile gegenseitig aufheben.
Sie erreichte schon nach kurzer Zeit das Ende ihrer Turmtreppe und spähte schnell nach rechts und links den Korridor entlang. Wie zuvor war niemand zu sehen. Die meisten Leute waren längst zu Bett gegangen.
Gwen folgte der gleichen Route wie in der letzten Nacht und nahm den Weg durch den Hofgarten, anstatt direkt zur Studierstube ihres Vaters zu gehen. Genau wie zuvor blieb sie im Schatten um in den Korridor zu gelangen, der zum Arbeitszimmer führte. Zu dieser Zeit hielten sich keine Bediensteten mehr in den Gängen auf, aber Gwen blieb trotzdem einige Augenblicke draußen vor dem Eingang des Korridors stehen. Sie musste sich sammeln, musste sich auf das vorbereiten, was jetzt kommen würde: der anstrengendsten und riskanteste Teil ihres Planes.
"Du bist dazu in der Lage", erinnerte sie sich selbst im Flüsterton, und stellte ihren leeren Wasserkrug auf der Rasenfläche ab. "Du hast es letzte Nacht gemacht... und da waren sie im Raum mit dir!"
Sie hatte versucht herauszufinden, ob ihr Vater das Arbeitszimmer heute auch verwenden würde, aber sie hatte es nicht geschafft etwas über seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Wenn er heute im Arbeitszimmer wäre, würde er entweder im selben Stuhl wie gestern sitzen, dem Feuer zugewandt, oder am Schreibtisch, was auch bedeutete, dass er nicht in Richtung Tür schauen würde. So oder so hatte sie eine gute Chance ihn zu sehen bevor er sie sah . . . wenn er überhaupt da sein würde.
Nach einigen tiefen, beruhigenden Atemzügen biss Gwen die Zähne zusammen und öffnete ganz langsam die Tür, die in den Korridor führte. Sie spähte schnell nach rechts und links den Korridor hinunter, sah aber niemanden.
Sie ging in den Korridor in Richtung der Schreibstube hinunter, jedoch viel langsamer als in der vorherigen Nacht. Falls jemand in der Nähe sein sollte, wäre das letzte, was sie wollte, dass das Klacken ihrer Stiefel auf dem Steinboden jemanden auf ihre Anwesenheit aufmerksam machen würde. Obwohl sie so langsam und vorsichtig wie nur möglich ging, verursachten ihre Stiefel hin und wieder Geräusche, die laut genug waren um ihren Atem stocken zu lassen.
Als sie endlich an der Tür des Arbeitszimmer angekommen war, presste sie ihr Ohr dagegen und lauschte aufmerksam. Das einzige was sie hören konnte, war das laute Pochen ihres eigenen Herzens.
Langsam und vorsichtig, darauf bedacht ja keinen Lärm zu machen, öffnete Gwen die Tür und schlüpfte ins Zimmer.
Das Feuer im Kamin war nur noch eine rötliche Glut, deren Dämmerlicht sich über eine Hälfte des Raumes ausbreitete während die andere Hälfte in Dunkelheit gehüllt blieb. Die schattenhaften, ausgestopften Tierköpfe entlang der Wand wirkten auf einmal bedrohlich, und machten Gwen nervös.
Geduckt blickte sie zu den zwei Stühlen hinüber, die nebeneinander vor dem Kamin standen. In beiden saß niemand. Auch der Stuhl vor dem Schreibtisch war leer.
Außer ihr war kein Mensch in der Studierstube.
Gwen eilte zum Schreibtisch hinüber und öffnete die Schublade, schnappte sich den kleinen Lederbeutel und stopfte ihn sich in die Tasche.
Dann huschte sie zurück in den Korridor, schloss leise die Tür hinter sich und machte sich schnellstmöglich auf den Weg zurück zum Hofgarten.
In der Dunkelheit fiel sie fast über ihren leeren Wasserkrug. Als sie begriff, was das Etwas war über das sie da beinahe gestolpert war, fühlte sie die Anfänge eines leicht hysterischen Lachens in ihrer Brust aufsteigen. Sie musste sich eine Hand vor den Mund pressen, um sich davon abzuhalten laut loszuprusten.
Es war geschafft und es hatte sie weniger als eine Minute gekostet. Der schwierigste Teil war bereits vorbei!
Im Küchenbereich hielten sich zum Glück ebenfalls keine Bediensteten auf – Gwen begann zu denken, dass sie vielleicht die einzige war, die zu dieser Zeit überhaupt wach war. Sie hätte sich keine besseren Bedingungen wünschen können - alles lief perfekt!
Dann, als sie zum Dienstboteneingang in der Nähe der Küche kam, den sie normalerweise benutzte um nach draußen zu gelangen, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Eine Sorte von Leuten war selbst um diese Zeit noch ausgesprochen wach:
Burgwachen.
Die meisten Eingänge wurden gegen Abend verschlossen und verriegelt. Die zwei Ausnahmen waren der Vordereingang, der offen blieb und immer bewacht wurde, und der Dienstboteneingang, an den Vorräte geliefert wurden. Dieser war auch bewacht.
Gwen fühlte Panik in sich aufsteigen. Sie verschwand gelegentlich spät in der Nacht um Rhosyn zu treffen, aber nur die alten Dienstboten waren daran gewohnt gewesen. Dies war neues Personal, das noch nicht an ihre nächtlichen Ausflüge gewohnt war, und es seltsam finden könnte, dass sie mitten in der Nacht das Schloss verließ. Sie hatte keine Zweifel daran, dass sie die hochmütige Prinzessin spielen könnte und ohne allzu große Schwierigkeiten vorbei kommen würde, aber wenn sie das tat, würden die Wächter wissen wer ging. Wenn sie die Burg zu dieser Stunde verlassen und nicht zurückkommen würde, könnte es verdächtig sein und möglicherweise dazu führen, dass ihr Vater alles herausfand.
Warum waren ihr die Wachen nicht früher eingefallen?!
Außer dieser Tür gab es für sie keinen anderen Weg aus der Burg. Wie konnte sie nur hinausgelangen ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Ihre Gedanken rasten als sie versuchte eine Möglichkeit zu finden.
Dann hatte sie plötzlich eine Idee.
Sie zog sich die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf und tief ins Gesicht, umklammerte mit der rechten Hand fest ihren leeren Krug, ging hinüber zum Dienstboteneingang und marschierte entschlossen hindurch.
"He! Du da!", ertönte eine harte Stimme hinter ihr. "Wo willst du denn hin?"
Gwen drehte sich halb zu den Wachen, gerade so weit, dass der Großteil ihres Gesichtes noch hinter der Kapuze verborgen war, und tat ihr bestes um so müde und verärgert wie möglich zu klingen.
"Wasser für die Küche. Vom Bach", sagte sie, und hielt als Bestätigung ihrer Worte den Krug hoch.
"Was stimmt nicht mit dem Brunnenwasser?", fragte der zweite, jüngere Wächter mit einer Stimme, die deutlich weniger rau war.
"Es schwimmen tote Tauben drin", sagte sie schulterzuckend. Sie war bereits dabei sich umdrehen und wollte ihren Weg fortsetzen. "Ertrunken. Der Koch hat sie gefunden, als er das Frühstücksbrot für morgen machen wollte."
Die erste Wache stöhnte müde.
"Ich sage ihnen jedes Mal, sie sollen einen Deckel über das verdammte Ding legen! Schlimm genug, dass ich mir eine Erkältung hole während der Nachtwache... Ich brauche kein Gift im Essen, das dafür sorgt, dass ich mir meine Eingeweide herauskotze, wenn meine Schicht vorbei ist!"
"Passiert so etwas oft?", fragte der jüngere Wächter.
"Ja, hin und wieder. Die Küchenmägde wollen Katzen, um die Tauben und Ratten fernzuhalten, aber der Koch sagt, er will keine Tiere in der Küche sehen. Natürlich würden einige Holzbretter das Problem lösen, aber ich bin nur eine Wache. Was weiß ich schon? Ich schwöre, Typen wie der, die wissen vielleicht wie man Brot backt oder Gulasch kocht, aber von gesundem Menschenverstand haben die keine Ahnung..."
Gwen überließ die zwei Wachmänner ihrem neuestem Gesprächsthema. Sie ging langsam hinaus in die Nacht und versuchte dabei so gut es ging wie eine Küchenmagd zu wirken - nur für den Fall, dass die Wachen noch ein Auge auf sie werfen würden. Nach einigem Nachdenken begann sie den leeren Krug im Gehen vor- und zurückzuschwingen. Einer Küchenmagd wäre schließlich langweilig genug, um zu versuchen sich während ihres Auftrages zu amüsieren. Es dauerte nicht lange, bis sie weit genug weg war, um keine Stimmen mehr hören zu können.
Sie warf einen Blick zurück in die Dunkelheit. Die Wachen waren außer Sichtweite. Sofort ließ sie den Wasserkrug fallen, änderte ihre Richtung und rannte Richtung Stall. Ihre Beine trugen sie so schnell dahin wie der Wind, erfüllt von einer berauschenden Energie. Die Art von Energie, die man fühlt, wenn man so schnell wie möglich, viel zu schnell eine Treppe hinunterläuft weiß dass man nicht anhalten kann ohne sich den Hals zu brechen.
Außer dem Knacken von trockenem Gras und Zweigen unter ihren Stiefeln hörte sie nur die Grillen und Vögel aus den nahe gelegenen Wiesen und Wäldern. Obwohl sie kaum sehen konnte wohin sie ging und obwohl sie den Weg zu den Stallungen erst ein- oder zweimal im Dunkeln zurückgelegt hatte, war Gwen überhaupt nicht besorgt. Sie war so vertraut mit diesem Pfaden, dass sie ihr Ziel wahrscheinlich selbst mit fest geschlossenen Augen gefunden hätte.
Nachdem sie etwa fünf Minuten durch die Dunkelheit gewandert war tauchten vor ihr die Silhouetten mehrerer Pferde, und dahinter der Umriss des Stalls auf. Die Fackeln an der Außenwand brannten nicht, aber aus dem Fenster war ein schwaches Licht zu sehen. Das ließ auf eine Kerze oder eine Lampe schließen, die irgendwo im Inneren brannte, wahrscheinlich in dem kleinen Raum, der Rhosyn als Quartier diente.
Gwen kroch bis vor die Tür und öffnete sie. Auf Zehenspitzen schlich sie in den schwach beleuchteten Stallbereich. Sie wusste nicht genau, warum sie sich so leise bewegte, aber jetzt da all das Schwierige hinter ihr lag... machte herumschleichen im Dunkeln irgendwie Spaß. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so aufgeregt gewesen zu sein.
Im Inneren sah sie sich kurz um. Dort lagen zwei Bündel, von denen sie eines als das ihre wiedererkannte. Sie lehnten an der Wand gleich hinter dem Eingang. Und dort, auf einem Tisch in der Nähe, lagen zwei schwer beladenen Satteltaschen. Eine kleine Lampe brannte auf der Kommode neben Rhosyns Bett, die gerade genug Licht gab, damit Gwen vage die Gestalt sehen konnte, die gemütlich unter den Decken auf dem Bett schlummerte.
"Rosie!", rief Gwen mit gedämpfter Stimme. "Ich bin hier... Zeit zu gehen!"
Das Bündel bewegte sich ein wenig, und lag dann wieder still. Gwen verdrehte ungeduldig die Augen.
"Komm schon, Schlafmütze! Es ist nicht meine Schuld, wenn du nicht daran gedacht hast heute Nachmittag ein Nickerchen zu machen!", sagte sie ermahnend und hob ihr Reisebündel auf. "Hast du es geschafft, alles zu bekommen was wir brauchten? Oder sind da ein oder zwei Sachen-"
Plötzlich wurde die Decke über der Gestalt zur Seite geworfen und Gwen stieß einen kurzen Schrei aus.Ihr Reisegepäck rutschte ihr aus den Fingern und fiel zu Boden. Mit einem Mal war es vollkommen unwichtig geworden.
"Ah", sagte Anifail mit gefährlich ruhiger Stimme, "Ich habe mich schon gefragt, wann Ihr endlich auftauchen würdet..."
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