Kapitel 08

Die nächsten paar Tage tauchte Gwen unter und zog keine Aufmerksamkeit auf sich. Sie kam nur selten aus ihrem Schlafzimmer. Die meiste Zeit war sie in ihrem Turm, blickte aus ihrem Fenster über die Wiesen und wartete.

Am späten Nachmittag des zweiten Tages erhaschte sie endlich einen Blick auf das worauf sie gewartet hatte.

Schnell streifte sie ihren Morgenmantel ab, zog ihr Kleid an, schlüpfte in ihre Stiefel und warf sich ihren grauen Mantel über die Schulter. Dann lief sie aus ihrem Zimmer hinaus und die Treffe hinunter.

Unten angekommen flog sie geradezu die Dienstbotentreppe hinunter, in die Küche und durch den Dienstbotenausgang hinaus. Alle Bediensteten die sie sahen schauten sie verwirrt an und alle die ihr im Weg waren, wurden von ihr zur Seite gestoßen.

Bald lief sie den Weg zu den königlichen Stallungen entlang, ihre aufgestaute Angst trieb sie vorwärts. Etwa 50 Meter bevor sie an der Scheune war, entdeckte sie eine vertraute Gestalt, die ein Pferd absattelte und ihr fiel ein Stein vom Herzen.

"Rosie!", schrie sie. Als Rhosyn sie erblickte setzte sich ihre Freundin in Bewegung, direkt auf sie zu. Sie eilte über die unebenen Wiesen, fast so schnell wie Gwen selbst. Als sie sich endlich in der Mitte der Weide trafen waren sie kaum langsamer geworden - gerade genug, um schwere Verletzungen zu vermeiden. Sie fielen sich in die Arme.

"Oh, Göttin! I-... oh, verflixt, warte kurz!", keuchte Gwen, drückte Rhosyn ein bisschen von sich weg und wischte sich ihre Tränen schnell mit dem Ärmel weg, bevor sie Rhosyn noch einmal in den Arm nahm. Jedoch vorsichtiger als vorher. "Oh, ich hab dich so vermisst, Rosie!"

"Hey, Gwen", sagte Rhosyn sanft. Sie löste sich aus der Umarmung, machte einen kleinen Schritt zurück und betrachtete Gwen aus Armlänge. "Geht es dir gut? Ich bin jetzt wieder da- was ist passiert? Hat jemand-"
"Ich hab es geschafft, Rosie!", sagte Gwen mit einem kleinen Lachen das es durch ihre Tränen geschafft hatte.

 "Ich hab es wirklich geschafft! Ich hab einen Weg um den Zauber herum gefunden, und den Prinzen im Eiltempo aus dem Königreich geschickt!" Sie dachte über irgendetwas nach und ihr freudiger Ausdruck wurde schwächer. "Aber ich musste ihn auf Juniper wegschicken und wir werden ihn wahrscheinlich nie zurückbekommen. Es tut mir echt leid, aber er ist nur ein Pferd und ich konnte nicht riskieren, dass Prinz Caine irgendwo in der Nähe des Schlosses bleibt, nachdem-"

"Wwarte mal, warte mal . . . warte mal eine Sekunde," sagte Rhosyn mit großen Augen. "Du hast es verhindert? Du bist den Zauber losgeworden? Warte......... natürlich bist du den Zauber los, sonst könntest du nicht darüber sprechen! Also, was ist passiert? Erzähl mir Alles!"

Gwen erzählte Rhosyn alles, an was sie sich erinnern konnte und brachte sie schnell auf's Laufende. Während Gwens Nacherzählungen über die Auseinandersetzung mit dem König fiel Rhosyn die Kinnlade herab.

"Du hast ihn angespuckt?", fragte sie erstaunt. "Du hast deinen Vater angespuckt? Das ist ja... das ist einfach...  wow! Und er kam danach nicht nochmal zu dir?"

"Ich bin ihm nicht mehr über den Weg gelaufen. Er kam auch nicht zu mir in mein Zimmer hoch. Ich habe es in den letzten paar Tagen kaum verlassen. Es hat sich vieles sehr verändert. Obwohl," Gwen runzelte die Stirn, "ich bin mir nicht wirklich sicher, was in nächster Zeit passiert."

"Nun ich denke das gilt auch für deinen Vater. Möglicherweise versucht er gerade einen Weg zu finden wie er diese Situation retten kann während wir reden." Rhosyn sah beunruhigt aus als sie ihre Freundin ansah. "Weißt du Gwen, du könntest in Gefahr sein."

"Irgendwie habe ich das gleiche gedacht. Aber jetzt mal im Ernst, was kann er schon tun? Ich bin seine einzige Erbin. Und wenn man es sich genau überlegt, egal wie wütend oder aufgebracht er ist, ich bin immer noch seine Tochter."

"Gwen, schauen wir uns die Fakten an. Wir wissen beide, dass er sich einen feuchten Kehricht um dich kümmert. Denk doch nur daran, was für ein fürchterliches Schicksal er dir aufgezwungen hat! Er ist der bösartigtste Mann den ich kenne ... und das basiert nur auf dem was wir wissen! Stell dir all diese Sachen vor die er getan hat, von denen wir nichts wissen! Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tatsache, dass du seine Tochter bist, einen großen Unterschied macht. Wenn er nicht versucht dich mit jemand anderen zu verheiraten, versucht er etwas anderes. Er findet etwas mit dem er dein Leben ruinieren wird oder dich als Waffe benutzt. Jemand wie er lässt die Dinge nicht einfach auf sich beruhen."

"Ja", sagte Gwen mit einem lauten Seufzer. "Du hast vermutlich Recht. Aber solange wir nicht wissen was er plant, wie können wir etwas dagegen unternehmen, wie können wir es verhindern?"

Rhosyns Augen funkelten für einen Moment und ihre Mundwinkel zuckten. "Ich habe dir ein Geschenk vom Fort Pike mitgebracht."

"Hmm?"

"Jaha! Ich habe es sogar eingepackt", sagte sie und grinste breit. "Du wirst es nicht glauben! Komm schon, ich zeige es dir!"

Mit diesen Worten drehte Rhosyn sich um und ging zurück in die Richtung der Boxen. Gwen lief ihr hinterher und war ein wenig verwirrt. Neben einer Satteltasche, die Rhosyn in aller Eile auf dem Boden abgelegt hatte um ihre Freundin zu begrüßen, blieben sie beide stehen.

"Weißt du, du hättest mir nichts schenken müssen", sagte Gwen und beobachtete ihre Freundin die hastig die Satteltasche öffnete und deren Inhalt auf den Boden leerte.

Rhosyn wühlte den Haufen von Gegenständen durch der aus der Tasche gefallen war und  runzelte leicht die Stirn. Schließlich jedoch hellte sich ihr Gesicht auf, als sie fand was sie gesucht hatte. Sie nahm es vom Stapel, stand auf und hielt es Gwen hin damit diese es entgegen nehmen konnte.

Das Bündel war rechteckig und war in eines von Rhosyns grün-weißen Halstüchern eingepackt. Gwen hatte ein riesengroßes Fragezeichen im Gesicht als sie das Geschenk nahm.

"Was ist es?"

"Öffne es und finde es heraus, Dummerchen", lachte Rhosyn.

Gwen entfernte die Verpackung in ein paar Sekunden und ein altertümliches, in Leder gebundenes Buch kam zum Vorschein. Dessen Seiten waren nicht beschnitten und manche Seiten sahen sogar so aus als würden sie bald herausfallen. Hier und da dienten mindestens ein Dutzend gefärbte Garnstücke als Leseziechen.

"Öhm... Danke?", sagte Gwen und blickte das Buch abschätzend an. "Es ist sicherlich, naja... alt."

Rhosyn's Lächeln wurde sogar noch breiter. "200 Jahre alt, oder zumindest wurde mir das gesagt. Dieses Zeug mit dem dein Vater dich füttert?" Sie nickte und zeigte zum Buch das Gwen in der Hand hielt. "Es ist eine Pflanze namens chi'darro. Es ist sogar ein Bild davon da drin ... Informationen wo die Pflanze wächst, und und und..."

Gwen starrte ihre Freundin ungläubig an, und dann das was sie in der Hand hielt. Sie bemerkte dass ihr Mund offen stand.

"Ich denke dass das Buch deinem Vater die Informationen gab die für sein 'Projekt' nötig waren. Du wirst nicht glauben wie ich es in die Finger bekam!" Rhosyn lachte. "Während die Soldaten in Fort Pike stationiert waren, schnüffelte ich ein wenig herum. Es lag einfach so im Raum des Hauptmannes herum und zwar in einem kleinen staubigen Regal, direkt neben dem Eingang! Dein Vater dachte bestimmt es wäre dort sicher - Fort Pike hat noch nicht mal mehr einen Hauptmann und niemand geht in diesen Raum. Es ist nichts dort außer einem Tisch, einem Regal und Spinnweben. Ich denke Calderias Kämpfer sind nicht wirklich interessiert am Lesen. Dein Vater hat es uns praktisch überreicht! "

"Wieso würde er so etwas tun? Wieso würde er dich an den gleichen Ort schicken wo sich auch das Buch befindet?"

Sie grinste. "Vielleicht erinnert sich dein Vater gar nicht daran mir erlaubt zu haben mich während deiner Lesestunden neben dich zu setzen und rechnete  damit dass ich nicht lesen kann. Vielleicht hat er auch vergessen dass ich da war. Oder er dachte alles wäre bereits erledigt also machte es nichts aus. Trotzdem werde ich diesem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen. Wirst du?"

"Ganz und gar nicht! Oh Rosie, dankeschön! Das ist unglaublich! Nun wo wir wissen wie die Pflanze heißt-"

"Wir wissen viel mehr als das, Gwen", sagte Rhosyn und ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Sie zeigte auf das Tagebuch und nickte. "Lies so viel wie du auf dem Pferderücken kannst. Dann überprüfe die Seiten mit dem gelben Lesezeichen."

Gwen blickte sie verwirrt an und tat dann das was von ihr erwartet wurde Sie blätterte durch die Seiten bis sie zu der besagten Seite kam. Die handgeschriebenen Notitzen waren in antiker und fremdartig kursiver Schrift geschrieben.

 -sollte zuerst nur in sehr kleinen Mengen verabreicht werden, höchstens ein chi'darro-Samen von der Größe eines Stecknadelkopfs per Krug angewärmte Stutenmlich. Zur maximalen Enzymproduktion und um Komplikationen zu vermeiden (siehe Tsarina, Seite sieben) sollte die Behandlung nicht vor dem zweiten Lebensmonat, und nicht nach dem sechsten, beginnen...

Stirnrunzelnd blickte Gwen vom Buch hoch. "Behandlung? Es hört sich an als ob sie das Zeug Menschen verabreichen würden. Das muss es sein was mein Vater mir angetan hat als ich ein Baby war!"

"Da ist mehr", sagte Rosyn mit einem düsteren Gesichtsausdruck. "Lies den nächsten Teil."

Gwen tat wie geheißen ... und riss schockiert die Augen auf.

"Es gab eine großes Risiko, dass ich hätte sterben können?! " Gwen drehte sich zu ihrer Freundin, mit geweiteten Augen. "Er wusste dass es mich hätte töten können als ich ein Baby war, und er tat es trotzdem?!"

"So wenig kümmert er sich um dich, Gwen", meinte Rhosyn wütend. "Er will seinen Plan so dringend in die Tat umsetzen, dass er dafür sogar dein Leben aufs Spiel setzte. Und das alles nur damit er sein Königreich vergrößern kann. Für ihn bist du nicht viel mehr als ein Werkzeug." Ihre Gesichtszüge wurden etwas sanfter. "Ich bin wirklich besorgt, Gwen. Ich denke du bist in Gefahr, so wie ich gesagt habe. Ein König der so etwas seiner eigener Tochter antun kann ist zu allem fähig!"

Zu betäubt um zu antworten, nickte Gwen nur stumm.

Die beiden Mädchen standen eine Weile lang still da.

"Es ist allerdings nicht so schlimm", sagte Rhosyn schließlich. "Die Details waren schwer zu finden, aber da waren verschiedene Stellen im Buch die erwähnt haben dass es möglicherweise einen Weg gibt das Geschehene rückgängig zu machen."

"Was?!" Hoffnungsgefühle machten sich in Gwen breit und für einen Moment fühlte sie sich als ob  sie kaum atmen könne. "Ich kann diesen Fluch loswerden? Wie? Erzähl!"

"Okay - wer auch immer dieses Tagebuch geschrieben hat, hat die Worte 'in der Theorie' benutzt wann immer sie darüber gesprochen haben. Aber er sagt, dass wenn man die Pflanze aus deiner Diät entfernt, dies den Nachschub an Enzymen stoppen würde oder was immer das auch ist. Also im Grunde, wenn du aufhören würdest das chi'darro regelmäßig zu essen, wird dein Körper sich um den Rest kümmern. Sie nahmen an es würde fünf Tage oder so dauern."

"Du machst Witze! Das ist alles was ich die ganze Zeit über hätte tun müssen!? Ich muss nur aufhören dieses eklige Ding zu essen?! Für fünf Tage?!" Gwen konnte nur schwer ihre Aufregung in Schach halten.

"Es ist nicht so einfach, Gwen." Rhosyn deutete auf das offene Buch. "Da war ein ganzer Absatz, in dem sie einen solchen Versuch beschreiben. Sie erwähnen dass verschiedene Mädchen sich gemeldet haben um das zu tun so dass er aufschreiben konnte was mit ihnen passierte. Sie gingen alle durch eine bestimmte Phase, er nannte sie 'Entziehung' und den Beschreibungen zufolge hörte es sich ziemlich furchtbar an. Ich denke es ist so, wie als der Hufschmied versuchte mit dem Rauchen aufzuhören, nur dass sich diese Prozedur hier noch schlimmer anhört." Sie runzelte die Stirn. "Alle diese Mädchen entschieden sich wieder das chi'darro zu essen und keine von denen hat es diese fünf Tage geschafft, die Pflanze nicht mehr zu sich zu nehmen. Fast alle schafften es nicht mal drei Tage." Rhosyn sah beunruhigt aus. "Eine von ihnen ist sogar gestorben."

"Ich schaffe es", sagte Gwen und lächelte, wenn auch ein klein wenig krampfhaft. "Ich weiß dass ich es kann. Kriegsgöttin ... fünf Tage von diesem Augenblick an! Oh Rosie! Weißt du wie glücklich du mich gemacht hast? Das ist das beste Geschenk von dem ich je  hätte träumen können."

"Ich wette du hast mir nichts mitgebracht", neckte Rhosyn sie lachend. Dann merkte sie die frischen Tränen die aus den Augen ihrer Freundin traten. "Hey, nun hab dich nicht so, Gwen. Nicht, wenn ich dir so fantastische Neuigkeiten mitbringe."

"Oh, Ich weiß!" Gwen lächelte, und wischte die einzelne Träne ab die auf ihre Wange tropfte. "Das sind Freudentränen. Glaub mir. Oh Rosie, du bist die beste Freundin auf der ganzen Welt!"

"Jaa . . . Ich bin nett", Rhosyn grinste auch.

"Okay, also dieses Ding wird nicht mehr gegessen. Niemals wieder," sagte Gwen in bestimmtem Tonfall. "Ich hatte schon Frühstück doch das Mitagessen habe ich heute ausgelassen... Also rein theoretisch habe ich heute schon angefangen. Ich muss den Dienst in der Kapelle heute Nachmittag antreten, aber den Rest des Tages kann ich durch das Buch blättern, mal sehen ob ich was herausfinden kann."

"Geh nur sicher dass du einen sicheren Ort als Versteck für das Buch auswählst. Ich bin mir ziemlich sicher dass dein Vater, falls er herausfindet, dass du das Buch hast, überall danach suchen lassen wird. Es wird die Hölle werden!"

"Ich muss es nur für fünf Tage versteckt halten, Rosie", sagte Gwen feierlich. Dann gab sie Rhosyn ein schelmisches Lächeln. "Dann werde ich dieses verdammte Buch in sein Gesicht werfen!"

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So, endlich mal wieder ein Kapitel von 'Tödliche Berührung'. Sorry für die lange Wartezeit! :) :)

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