Kapitel 06
"Ihr scheint nicht wirklich viel zu reden, oder? Nicht mal ein einziges Wort? Vielleicht seid ihr ja ein wenig schüchtern, oder aber etwas langsam?" überlegte Tremaine laut und beäugte Gwen nachdenklich während sie liefen. "Na ja, nicht so schlimm - Ihr habt ja sicherlich andere Vorzüge."
Die zwei spazierten seit beinahe einer halben Stunde vom Apfelgarten in Richtung Pferdeweide und die Schmetterlinge in Gwens Bauch waren schon längst weg.
Prinz Tremaine war eine unerträgliche, abstoßende Kröte.
Das kleine bisschen oberflächlicher Charm und Takt, das er ihrem Vater gegenüber an den Tag gelegt hatte, hatte sich in Luft aufgelöst, als sie dem Gartenweg zur Ecke der Wiese folgten. Sein Geschwafel war selbstgefällig, selbstsicher und voll von kaum verborgenen sexuellen Anspielungen und anzüglichen Andeutungen. Gwen konnte nicht anders als ab und zu voller Empörung die Stirn zu runzeln.
Er erlaubte seiner Hand auch mehrmals 'aus Versehen' den Stoff ihres Kleides zu streifen, dort wo er ihre Beine bedeckte, manchmal ging er sogar so weit ihr einen Klaps auf den Hintern zu geben! Sicher, der Fluch der auf ihr lastete zwang sie dazu sich jedesmal unwillkürlich wegzudrehen wenn er versuchte ihre Haut zu berühren, aber jedesmal wenn sie das tat lachte er nur und schob es auf ihre Schüchternheit. Nichts schien seinen Enthusiasmus trüben zu können.
Dann war da noch die Art, wie er sie von oben bis unten musterte. Sie konnte sich gut vorstellen wie er sich währenddessen die Lippen leckte, wie ein Hund, der ein Steak beäugt.
Und dann kam das größte Problem von allen.
Ein Teil von ihr genoss alles, was Prinz Tremaine tat. Und zwar so richtig.
Noch nie zuvor hatte jemand ihr solche Aufmerksamkeit geschenkt! Und auch als sie merkte, wie sehr sie diesen arroganten Prinzen verabscheute, bereiteten seine hungrigen Blicke ihr eine unerwartete Freude und brachten dann und wann Gefühle in ihr hoch, mit denen sie niemals im Leben gerechnet hätte. Einige Male ertappte sie sich sogar beinahe dabei zu lächeln.
War ihr Bedürfnis nach Zuneigung so groß? Bekam sie so wenig Beachtung geschenkt, dass sie ihre Ansprüche so weit herunterschraubte, dass sie die Annäherungsversuche von diesem unhöflichen Ferkel von einem Prinzen begrüßte? Himmel, wie erbärmlich das war!
Keins dieser unerwarteten Gefühle half ihr jedoch einen Weg zu finden um die Pläne ihres Vaters zu durchkreuzen.
"Kommt schon, Ihr müsst doch etwas zu sagen haben, Prinzessin", lachte Tremaine. "Wie soll ich denn im Stande sein herauszufinden ob Ihr unsterblich in mich verliebt seid, wenn Ihr nicht mit mir redet? Kommt, ich habe jetzt schon zu viel geredet. Erzählt mir mehr über Euer Königreich. Oder über Euren Vater - erzählt mir von ihm. Wie konnte er jemals König werden? Dieser arme Mann scheint vor seinem eigenen Schatten Angst zu haben."
Gwen holte tief Luft und fragte sich, was für ein Blödsinn dieses Mal aus ihrem Mund kommen würde.
"Unser Königreich treibt mit vielen Dingen Handel, Sir. Die wichtigsten Handelsgüter sind Felle und natürliche Erzeugnisse, aber es gibt einige sehr geschickte Gerber in der Stadt mit einem guten Ruf für ihr Lederhandwerk!"
Wenigstens hatte sie nichts über das Wetter gesagt.
"Ach, was seid Ihr doch für eine simple Seele", schmunzelte er traurig während er in den Himmel schaute. "Nichts als Landwirtschaft, Felle ähnliches im Kopf. Es ist ja nichts Falsches daran, nicht? Vielleicht ist das besser als zu viel zu wissen und immer selbstsicher zu sein. Man könnte das sogar auf eine Art als ideal bezeichnen." Er schaute sie von oben bis unten an. "Ein unwissendes simples Wesen, das nur darauf wartet, mit Wissen gefüllt zu werden."
Gwen errötete und runzelte erneut die Stirn. Was für eine Unverschämtheit! Wie auch immer, sein Kommentar brachte es auf den Punkt - alles was sie sagte war leeres Geschwafel. Um irgendwelche Fortschritte zu machen musste sie einen Weg finden die Worte die aus ihrem Mund kamen unter Kontrolle zu bekommen. All diese dummen, höflichen Nichtigkeiten die aus ihrem Mund strömten brachten ihn nicht dazu sich von ihr fernzuhalten, ganz im Gegenteil. Aber wie konnte sie es fertigbringen, etwas anderes zu sagen? Wenn der Zauber damit fortfuhr, ihre eigentlichen Worte durch sinnloses Geschwätz zu ersetzen-
Urplötzlich kam ihr eine Idee.
Was, wenn sie versuchte, etwas zu sagen das bereits sinnloses Geschwätz war? Konnte sie dann die Kontrolle über ihre Worte erlangen?
Gwen holte tief Luft.
"Ich...war noch nie...in Bespir", brachte sie stockend heraus.
Es funktionierte! Sie hatte jedes dieser Worte sagen wollen, kein einziges war ihr vom Zauber in den Mund gelegt worden. Es war nicht viel, aber für den Anfang genügte es.
"Noch nie? Also um wirklich ehrlich zu sein, das Beste in Bespir," sagte er und gab ihr ein breites, strahlendes Grinsen, "bin ich. Es ist ein furchtbar öder Ort wenn ich nicht da bin - keine Feste, keine Bankette...nur ein Haufen Minenarbeiter und Händler, Diener und Ladenbesitzer. Das heißt aber nicht, dass es dir dort nicht gefallen würde." Er schniefte und ließ seine Augen über die Umgebung wandern während sie dem üppigen, grünen Reitpfad folgten. "Es ist dort sicher besser als hier"
Okay, sie hatte es fertig gebracht einen ganzen Satz herauszubringen. Wenn sie es nun schaffte, die Konversation auf Alltagsgeplauder zu beschränken, würde sie im Stande sein, ihre Worte zu kontrollieren. Aber was half das?
Aber...was wäre, wenn ihr Geplauder eigentlich gar kein Geplauder wäre? Würde der Zauber den Unterschied erkennen? Was, wenn sie einen Weg finden würde, dem was sie sagte eine Art versteckte Bedeutung beizufügen?
Zum Beispiel kleine Hinweise darüber, wie ihr Vater wirklich war? Oder vielleicht, konnte sie einen Verdacht in dem Prinzen wecken?
"Ja," sagte sie und gab ihm den bedeutsamsten Blick, den sie zustande brachte. "Ich freue mich sehr darauf, von hier wegzukommen."
"Oh Glaubt mir... Ich verstehe Euch genau. Sagt mir, riecht dieses ganze Königreich nach Pferden? Ich habe seit meiner Ankunft nichts anderes gerochen."
"Von...diesen Sachen...wegzukommen würde wunderschön sein", meinte sie.
"Ja, das sagtet ihr bereits", antwortete er mit einem geduldigen Lächeln.
Na super. Es war ja klar gewesen, dass er nicht auf ihre Aussagen eingehen oder sie fragen würde, was sie meinte - ihn kümmerte es nicht wirklich. Sie musste eine andere Lösung finden. Eine die ihm zeigte, was sie wirklich war, eine die ihn warnen würde.
Sie konnte es ihm offensichtlich nicht einfach so sagen. Das einzige, was vielleicht seine Aufmerksamkeit erregen würde, wäre, es ihm zu zeigen - eine Demonstration zu bieten. Aber wie konnte sie das tun, wenn der Zauber sie davon abhielt, jedes Lebewesen zu berühren?
Mitten im Schritt hatte Gwen eine Offenbarung, die so überraschend war, dass sie beinahe stolperte.
Lebende Wesen hatte Anifail gesagt! Sie konnte nichts anfassen, das lebte!
Was war mit toten Dingen? Oder solchen, die bis vor kurzem noch am Leben waren? Oder war das Haarspalterei? Würde die Wirkung der Zauberkugel sie trotzdem davon abhalten, solche Sachen zu berühren?
Einen Versuch war es wert.
"Ich...liebe diese Rose, die ihr vorhin hattet." seufzte Gwen und schaute sich wehmütig auf der Wiese um. "Ich liebe Blumen, sie sind so schön und romantisch."
Der Prinz verstand den Wink mit dem Zaunpfahl praktisch sofort.
"Blumen? Sofort, Prinzessin, euer Wunsch ist mir Befehl!" sagte er, ging einige Schritte vom Weg ab und bückte sich um einige Gänseblümchen zu pflücken.
Während Prinz Tremaine dies tat, nutzte sie die Gelegenheit um die langen, weißen Handschuhe die sie trug auszuziehen. Sie warf sie eilig zur Seite und wartete auf ihn.
Tremaine hatte nur etwa fünf oder sechs Blumen gepflückt, bevor er sich wieder umdrehte und zu ihr zurückging. Seine Augen wanderten über ihre - nun unbedeckten - Arme und sein arrogantes Lächeln wurde noch eine Spur breiter, als würde ihre Geste etwas besonderes bedeuten. Und dann, als ob er sich erst jetzt daran erinnerte, dass er immer noch die Blumen hatte, hielt er sie Gwen hin.
Mit geschürzten Lippen streckte sie ihre Hand nach ihnen aus und hoffte das Beste.
Ihre Finger schlossen sich um die Stängel und Blätter und sie hielt sie an ihre Brust. Erleicherung kam über sie.
Sie hatte es geschafft!
Sie versicherte sich, dass der Prinz zuschaute, hielt die Hand voll Blumen vor sich und strich bewusst langsam mit dem bloßen Zeigefinger über ein Blütenblatt. Sofort begann es, seine Farbe zu verändern: zuerst von weiß zu beige, dann zu einem verwelkt wirkenden Braun. Eine schwache Rauchfahne stieg von der Blume auf. Die Luft begann, nach verbrannten Blättern und Parfum zu riechen.
Frohlockend drehte sie sich zu Tremaine, um seine Reaktion auf ihr Werk zu sehen.
Der Prinz musterte die Blumen die sie hielt, und schien leicht verdutzt zu sein.
"Nun das ist ziemlich seltsam," sagte er mit gerunzelter Stirn. "Sind hier alle Blumen so empfindlich? Oder liegt das an dieser besonderen Sorte?
Gwen konnte ihn nur ungläubig anstarren während er eine Blume pflückte, sie anschaute und dann mit seinem eigenen Finger über ein Blütenblatt strich, als erwarte er das gleiche Resultat. Sein Stirnrunzeln wurde ausgeprägter und er schaute zurück zu Gwen, mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht der zu sagen schien: 'Wie habt ihr das gemacht?'.
Gwen hätte am liebsten laut geschrien.
Gut, wenigstens hatte sie seine Aufmerksamkeit gewonnen. Aber wenn sie ihm nicht erklären konnte wieso ihre Berührung diesen Effekt hatte, wäre das Ganze trotzdem für nichts und wieder nichts gewesen. Er würde einfach ihren Vater fragen und der König würde einen Weg finden, alles zu vertuschen und den Prinzen davon zu überzeugen, dass es nichts schlimmes war - ein Zaubertrick oder ein Streich, den sie gerne den Gästen vorspielte. Die Hochzeit würde ihren Lauf nehmen und Prinz Tremaine wäre so gut wie tot. Sie musste ihn dazu bringen zu verschwinden. Und zwar jetzt sofort, ohne dass er zuerst mit ihrem Vater sprach.
Haarspalterei war die Lösung... der Zauber hinderte sie daran, lebende Dinge zu berühren, aber sie konnte Blumen berühren wenn sie gepflückt waren weil diese dann nicht mehr lebten. Was war mit ihrer Fähigkeit zu reden? Konnte sie dafür eine passende Haarspalterei finden?
Anifail hatte ihr gesagt, dass sie auf höfliches Geplauder beschränkt war, auf Diskussionen über das Wetter und-
Kindergeschichten!
Klar, sie konnte nicht über sich selber reden, aber was, wenn sie nicht ausdrücklich über sich sprach? Was wenn sie ihm von sich selber erzählen würde, als wäre sie eine Figur in einem Märchen? Würde das funktionieren?
Gwen holte noch einmal tief Luft.
"Ich mag nicht nur Blumen, sondern auch Geschichten," sagte sie, während sie mit ihrem Finger über Blütenblätter einer anderen Blume strich, und sie zum Verwelken brachte. "Da gibt es diese Geschichte die ich sehr gut kenne... Es geht um eine Prinzessin. Ihre Berührung war giftig - alles was sie berührte verkümmerte und starb."
Sie hatte es geschafft! Sie hatte einen Weg aus diesem Schlamassel gefunden!
Der Prinz legte seinen Kopf schief und schaute verwirrt drein. Er beobachtete sie, dann die Blume die sie hielt und seine Augen weiteten sich ein kleines Stückchen.
"Wisst Ihr", fuhr sie fort und berührte mehr Blütenblätter, eins nach dem anderen, "als sie ein Baby war, tat ihr Vater etwas in ihr Essen um sie so zu machen, weil er plante, einen gewissen Prinzen zu töten und dessen Königreich zu übernehmen. Dann, als sie alt genug war, arrangierte er eine Ehe zwischen den beiden und sprach einen Fluch über seine Tochter, sodass sie dem Prinzen nichts über sich selbst sagen konnte."
Tremaines Augen weiteten sich noch mehr, als er die glühenden und brennenden Blätter sah, die sie berührt hatte. Langsam wurde er blass.
"Aber die Prinzessin wollte niemanden verletzen, also fand sie einen Weg den Fluch ihres Vaters zu umgehen und schaffte es noch, den Prinzen zu warnen bevor sie heirateten. Der Prinz, der sich fürchtete, welche anderen Dinge der Vater der Prinzessin noch gegen ihn im Schilde führte, sattelte das erstbeste Pferd und galoppierte zurück in die Sicherheit seines Königreiches ohne irgendjemandem zu sagen, dass er vorhatte zu gehen." Da fiel Gwen noch etwas ein und sie fügte hinzu: "Als er endlich in Sicherheit war, warnte er alle in den benachbarten Königreichen vor dieser Prinzessin und ihrer besonderen Fähigkeit, sodass kein anderer Prinz Opfer des bösen, gottlosen Plans ihres Vaters wurde!"
Prinz Tremaine stand nun komplett reglos da und starrte ins Nichts. Er stand unter Schock.
Sie hatte es geschafft! Gwen war so erleichtert, dass ihr tatsächlich ein bisschen schwindlig wurde.
Sie standen still auf dem Feldweg, keiner sagte ein Wort.
"Ist das... wolltet ihr mir sagen, dass-" begann Tremaine und strich sich mit den Fingern durch die Haare mit einem betrübten Blick. "Deutet Ihr ernsthaft an, dass Ihr... dass wenn ich Euch berühren würde, ich-"
Seine Stimme verlor sich, als seine Augen auf die restlichen Blumen schauten, die Gwen immer noch hielt und die alle begannen, zu verwelken und herabzuhängen. Ein leises, zischendes Geräusch war von den Stängeln her zu vernehmen.
Gwen versuchte, 'Ja' zu sagen aber sie konnte nicht. Sie versuchte, zu nicken aber ihr Hals machte nicht mit. Stattdessen lächelte sie ihn artig an und sagte, "Möchtet ihr unsere königlichen Ställe besichtigen? Wir haben wunderschöne Ställe, gefüllt mit vielen reizenden, schnellen Pferden."
Der Prinz schluckte nervös und sah aus, als wäre er gerade in ein Vipernnest getreten, aber er gab Gwen ein knappes Kopfnicken.
"Wir müssen da entlang. Ich liebe Pferde. Manchmal füttere ich sie mit Äpfeln", sagte sie, drehte sich um, in die Richtung aus der sie gekommen waren und bedeutete ihm, ihr zu folgen..
Gwen war schwindlig vor Erleichterung. Sie hatte den Plan ihres Vaters sie als Mordwaffe gegen den Prinzen zu benutzen, durchkreuzt. Und wenn Prinz Tremaine tat, was sie sich von ihm erhoffte und die Nachricht über ihren Zustand verbreitete wäre ihr Vater auch nicht im Stande, einem anderen ahnungslosen Prinzen die selbe bösartige Falle zu stellen!
Während sie lief schaute sie hin und wieder hinter sich, um zu sehen wie es dem Prinzen erging. Er sah immer noch ziemlich bleich aus und immer wenn sie sich umdrehte um ihn anzuschauen, versteifte er sich und betrachtete sie vorsichtig. Einmal brachte eine plötzliche Bewegung von ihr ihn dazu, in Panik auszubrechen und er stolperte über seine eigenen Füße.
Gwen unterdrückte ein Kichern. In wenigen Minuten hatte sie diesen arroganten Prinzen von einem selbstgefälligen, selbstsicheren Lümmel in ein Wrack mit vor Panik geweiteten Augen verwandelt. Vergessen waren die 'versehentlichen' Berührungen durch ihr Kleid und die Klapse auf ihren Hintern. Seine Augen wanderten nicht mehr lustvoll über sie, sondern sie waren gefüllt mit einer angstvollen Vorsicht, die Art Blicke, die Gwen nur zu gut kannte.
Ein kleiner Seufzer entwich ihr.
Obwohl sie einen Weg gefunden hatte das zu tun was sie beabsichtigt hatte, war ein Teil von ihr ein wenig traurig und vermisste schon die Blicke, die sie in der vergangenen halben Stunde von Tremaine bekommen hatte. Für ein paar kurze, flüchtige Momente hatte sie sich gefühlt wie eine attraktive, begehrenswerte junge Dame.
Die Blicke, die ihr der Prinz jetzt zuwarf, sorgten dafür, dass sie sich fühlte wie ein Monster.
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Na, was haltet ihr von Prinz Tremaine ;) Er war wohl nicht der Märchenprinz, den Gwen sich gewünscht hat. Denkt ihr, sie findet so einen noch?
GLG
Robert
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