22) Verletzte Gefühle
„Und was soll mit dieser Junia jetzt sein?"
Zayn wirkte ganz und gar unbeeindruckt, wie er so an der Küchenanrichte stand, auf der Arbeitsplatte herumtrommelte und dabei seinen Kaffee schlürfte. Koffein um sieben Uhr abends? Nun gut. Wenn er meinte. Vielleicht wollte er nachher ja im Bett stehen.
„Echt jetzt?" Ich legte bei meinem Küchenrundgang gerade lange genug einen Stopp ein, um ihn fassungslos anzustarren. „Das ist alles, was du nach meiner Rede zu sagen hast?"
Zayn seufzte tief und stieß sich von der Anrichte ab, um auf mich zuzukommen. „Unter anderem. Ich habe begriffen, dass ein Mitglied eurer Projektgruppe sich nicht bei euch oder im Seminar blicken lässt, nachdem sie ihren Schädel nicht durchsetzen konnte." Mit jedem seiner Worte blies er mir seinen Kaffeeatem ins Gesicht, vermischt mit dem herben Duft seines Aftershaves sowie dem charakteristischen Hauch von getrockneten Kräutern. „Sei nicht so paranoid, Fopp. Die gute Frau hat vermutlich einfach keinen Bock mehr auf euch. Hätte ich auch nicht."
Seine Ruhe machte mich aus irgendeinem Grund noch wütender.
„Hör endlich auf, mich Fopp zu nennen!" Verärgert stieß ich ihn an. „Ja, ich kapiere so einiges noch nicht. Aber ich bin kein Idiot, und glaub mir, würde ich nicht denken, dass an meinem Verdacht wirklich etwas dran ist, wäre ich nicht hier!"
Ein Hauch von Belustigung huschte über Zayns markante Gesichtszüge, doch er verkniff sich jedes Grinsen, bevor ich endgültig eskalieren konnte. Vermutlich fand er die ganze Situation hier zum Schreien komisch.
„Schön." Betont unbeteiligt schnipste er einen Fussel von meinem Shirt. Meinem, wohlgemerkt. Als hätte er ein Recht dazu, auch nur in die Nähe von meinem Körper zu kommen. Idiot. „Was ist dein Verdacht?"
Er wollte mich provozieren.
Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, aber ich bezweifelte, dass ich auch nur ansatzweise in seine Nähe gekommen wäre. Sicherlich beherrschte er allerlei Kampftechniken, von deren Existenz ich nicht einmal wusste. Noch dazu war er von Grund auf größer als ich und müsste mich vermutlich nur ein wenig schubsen, um mich außer Gefecht zu setzen.
Fazit: Es wäre unnötig verschwendete Energie, mich mit einem Urschrei auf ihn zu stürzen.
„Seit einer Woche hat niemand mehr etwas von Junia gehört." Ich atmete tief durch. „Nachdem klar geworden ist, dass sie fest daran glaubt, dass im Styles-Hotel, in dem buchstäblich vor Kurzem jemand gestorben ist, etwas Übernatürliches vor sich geht."
„Kennt ihr sie gut?"
Verwirrt hielt ich inne. „Na ja, nicht so gut? Wir sind in einer Projektgruppe, aber ansonsten hat niemand Kontakt mit ihr."
Zayn winkte ab. „Na, siehst du. Wie willst du dann wissen, dass ihr etwas passiert sein soll? Ihr seid keine Freunde. Nicht einmal engere Bekannte. Sie hat keinen Bock mehr auf dieses Projekt und ignoriert euch deshalb. Ganz einfach."
„Aber auch Wyatt meint, dass..."
„Was dieser Wyatt meint, ist mir scheißegal." Zayn durchbohrte mich mit einem eindringlichen Blick. „Von dem solltest du dich nach wie vor fernhalten. Der Typ gefällt mir nicht."
Jetzt fing das wieder an.
„Ach was." Ich zuckte die Achseln. Das erschien mir die perfekte Gelegenheit zu sein, mich für seinen Spott zu revanchieren. „Er ist in Ordnung. Scheint ein wenig vom Satan besessen zu sein. Und von unserem YouTube-Kanal, aber ansonsten kann ich nichts gegen ihn sagen."
Nun endlich schien ich Zayns volle Aufmerksamkeit zu haben. Jedenfalls spürte ich seine Augen auf mir brennen, als ich ihn stehenließ und zur Anrichte hinüberpilgerte, um mir dort den Tee zu schnappen, den er mir gleich zu Beginn meines Besuchs aufgegossen hatte. Wie immer brannten mehrere Teelichte und ein würzig-herber Geruch von schmorenden Trockenkräutern hing in der Luft.
„Vom Satan besessen?" Sein Tonfall klang alarmiert. „Woher weißt du das?"
„Seine Wohnung sah danach aus. Überall Pentagramme und so."
Eine kurze Pause trat ein. Ich musste mich gar nicht umwenden, um zu wissen, dass Zayn gerade so fest die Zähne zusammenbiss, dass sein Kiefer bebte. Fehlte nur noch, dass ihm einige davon herausfielen.
„Du warst bei ihm in der Wohnung?" Wie der ebengenannte Satan höchstpersönlich walzte er auf mich zu und baute sich vor mir auf. „Warum?"
Gemächlich nahm ich einen Schluck von dem eigentlich viel zu heißen Tee. Es gefiel mir, dass ausnahmsweise er mir hinterherlaufen musste, nicht umgekehrt. „Warum denn nicht?"
Zayns dunkelbraune Augen sprühten Funken. „Hatte ich dir nicht ausdrücklich aufgetragen, dich von ihm fernzuhalten?"
Fast hätte ich gelacht. „Und wie zum Henker kommst du darauf, dass ich das tun würde? Der Typ ist ein Studienkollege, zufälligerweise ein Fan von unserem Kanal und völlig harmlos! Du kannst mir nicht irgendwelche unbegründeten Befehle erteilen und erwarten, dass ich sie bedingungslos befolge!"
„Habe ich dir nicht mehrmals deinen naiven Blondschopf gerettet?", zischte er mich an. „Ist das für dich kein Anlass, mir wenigstens ein bisschen zu vertrauen?"
Meinen naiven Blondschopf?
Hallo?!
Ich reckte das Kinn, zwang mich dazu, nicht vor ihm zurückzuweichen. Es schüchterte mich durchaus ein, wie er so über mir aufragte, aber ... aber aus irgendeinem Grund fand ich es faszinierend. Die Wut machte ihn noch viel attraktiver, als er sowieso schon war. Sie ließ seine Augen noch dunkler werden, fast schwarz, bis sie sich mit seinen lackierten Fingernägeln und seinen tintigen Haaren glichen. Letztere verbargen sich heute nicht unter der üblichen pinken Mütze, sondern hingen ihm in halblangen, sich kräuselnden Strähnen in die Stirn und bedeckten seine Ohren.
Wäre der Kerl nicht gerade dabei, mich verbal in Grund und Boden zu trampeln, hätte ich wohl hecheln müssen.
„Was? Das siehst du als Rechtfertigung, mich herumkommandieren zu können?" Ich schnaubte. „Herzlichen Glückwunsch, P-Malik. Aber ... nein. Ist es nicht."
„Ich habe Grund zur Annahme, dass es die Todesanbeter auf dich abgesehen haben." Unverwandt stierte er mich an. „Und dass Wyatt Falconer einer von ihnen ist. Fopp, die Todesanbeter beschwören Seelen. Bösartige Seelen. Sie bringen ihnen Opfer dar, stärken sie, bis sie irgendwann aus ihren räumlichen Barrieren ausbrechen und an anderen Orten ihr Unwesen treiben und eine Armee aufbauen können. Töten können. Diese Psychotentruppe könnte dich sehr gut gebrauchen. Als Blutopfer und Seelenmagnet. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dich gewaltsam dazu bringen werden, ihr Opfer zu spielen, sollten sie mit ihren wahnwitzigen Überzeugungsreden nicht weit kommen. Du kannst dich also glücklich schätzen, dass du lebend aus Wyatts Wohnung herausgekommen bist."
Ich konnte ihn nur anstarren.
Und dann wich in Sekundenschnelle jeglicher Trotz von mir und machte Platz für Panik.
„Als Opfer?", wiederholte ich, plötzlich enorm kleinlaut. „Du meinst, sie ... sie ..."
Zayn las mir an der Nasenspitze ab, woran ich dachte, und schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Sie brauchen nur dein Blut. Und das von anderen Menschen. Viele der Gläubigen spielen freiwillig mit."
Viele. Nicht alle.
Das alles beruhigte mich nicht im Geringsten.
„Das ist doch krank!"
„Exakt." Zayn schnippte mit den Fingern. „Und genau deshalb würde ich dir ans Herz legen, diesen Leuten aus dem Weg zu gehen. Ich konnte noch keine näheren Überprüfungen anstellen, aber Wyatt ist höchstwahrscheinlich einer von ihnen."
„Höchstwahrscheinlich? Also weißt du es gar nicht genau?"
„Heilige Scheiße, Fopp!", schnappte Zayn dann so plötzlich, dass ich tatsächlich zusammenzuckte. „Legst du es eigentlich darauf an, mir auf den Sack zu gehen? Oder ist es dir wirklich einfach egal, wenn eine Armee bösartiger Seelen über die Welt hereinbricht? Wenn du dich von ihnen rekrutieren oder als Mittel zum Zweck verwenden lässt, bringst du sie einen ganzen Schritt weiter in diese Richtung."
Irgendetwas an der Art und Weise, wie er es formulierte, tat weh.
„Ach." Beleidigt rückte ich ein Stück von ihm ab. „Der Weltfrieden scheint dir ja enorm wichtig zu sein."
Verwirrt kniff er die Augen zusammen. „Was meinst du damit denn schon wieder?"
„Nichts", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Viel Erfolg noch bei der Rettung der Welt."
Damit marschierte ich aus der Küche und schnurstracks zur Tür. Einen irritiert dreinblickenden Zayn ließ ich einfach stehen, widmete ihm nicht einmal ein knappes Nicken als Abschiedsgruß. Seinen Ruf, doch bitte noch einen Moment zu warten und mich bitte nicht so aufzuführen, ignorierte ich geflissentlich.
Ich frustrierte mich selbst. Warum zur Hölle störte es mich, von Zayn ins Gesicht gesagt zu bekommen, dass er sich nicht darum scherte, was mit mir passierte? Sondern nur darum, was als Konsequenz davon passieren könnte? Ganz offenkundig interessierte es ihn nicht, dass durchgeknallte Leute mein Blut wollen und mich dafür eventuell töten könnten. Ihn interessierte nur, was sie mit diesem Blut vorhatten.
Ich war ein Idiot.
Aus irgendeinem Grund hatte ich angenommen, dass es ihm auch um mich persönlich ging. Dass ich ihm doch ein wenig ans Herz gewachsen war, so wie er mir. Irgendwie ... irgendwie hatte es mir gefallen, ständig seine Aufmerksamkeit zu haben, auch wenn wir uns meistens stritten. Um ehrlich zu sein, hatte ich unbewusst danach gelechzt.
Und in Wirklichkeit interessierte ich ihn einen Dreck.
Anscheinend hatte mich mein allererster Eindruck von ihm also doch nicht getäuscht: Zayn Malik war trotz allem ein empathieloser, rücksichtsloser Rüpel.
Und als ich nur wenige Minuten danach eine SMS von Junia erhielt, mit der eindringlichen Bitte, jetzt sofort zum Hotel zu kommen, weil sie mir „und den anderen Projektidioten" etwas zeigen wollte, zögerte ich keine Sekunde, zuzusagen.
Wyatt würde auch da sein, ja.
Aber das war mir egal.
Zayn sollte ruhig kapieren, dass er mir rein gar nichts zu befehlen hatte.
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Langsam wird's persönlich(er)👀🙈
Morgen einen schönen Wochenstart!💕
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