03
'Zieh dir ja was Schickes an', hatte er gesagt. Was Schickes... Wahrscheinlich wurde von mir erwartet, dass ich in einem edlen roten Kleid oder so was komme. Aber ein Blick in meinen Kleiderschrank genügte, um zu erkennen, dass ich genau sowas nicht besaß. Schwarz war meine Farbe, warum sollte ich da bunte Klamotten kaufen? Und Kleider... Ich mochte keine Kleider. Das letzte mal, als ich so einen Einteiler getragen hatte, ist die Naht aufheplatzt. Da war ich fünf und stand dann praktisch nackt vor meiner Verwandschaft. Das Kleid hatte rosa Rüschen gehabt und gehörte eigentlich meiner Cousine Hannah, die aussah, als wäre sie einer Shampoowerbung entsprungen. Blonde Haare, halbe Amerikanerin und super dünn. Sie hatte geweint, als ihr rosanes Kleid kaputt ging. Ich hatte nur gelacht. Das war das erste Mal gewesen, dass mich je jemand geschlagen hatte. Ihr Vater hatte mich mit wilden Augen angesehen, die Backen waren ganz rot gewesen. Danach konnte ich noch tagelang seine Hand auf meinem Gesicht spüren und die Abdrücke waren deutlich erkennbar gewesen. Nur Hannahs Weinen konnte man auf das Klatschen hin noch hören. Mit großen Augen hatte ich ihn angestarrt und jeder stand nur um uns herum ohne auch nur einen Finger zu rühren. Ich grinste bei der Erinnerung, als ich ihm als Rache gegen das Schienbein getreten hatte. Es hatte wirklich nicht viel gefehlt und er hätte mich windelweich geschlagen.
Kopfschüttelnd zog ich ein Kleidungsteil nach dem anderen heraus. Ein Top, noch ein Top, einen Pulli, einen Minirock, eine Leggins, eine Jeans, wieder einen Pulli. Alles schwarz und nichts war annähernd geeignet, wenn man mal die ausgefransten Ränder und kleinen Löcher beachtete. Ich mochte den schäbigen nun mal Look. Er verkörperte mich und außerdem war es schwachsinnig sich irgendwelche hochwertigen Kleider zu kaufen, wenn man eh fast den ganzen Tag in der Schuluniform rumlief. Zudem musste ich ja auch für meinen Vater kochen und Fettspritzer gingen nun mal schlecht heraus. Ich seufzte. Es nützte nichts. Ich musste mir mal wieder was von meiner Mum leihen.
Nachdem dritten Tutt meines fünften Anrufs ging sie an ihr Handy und ihre gestresste Stimme meldete sich. "Yuri, bist du das? Gibt es ein Problem? Ist was mit Dad? Geht es ihm gut?" Die Arbeit musste ihr wirklich jedwelige Art von Ruhe entzogen haben, dass sie so fertig klang. Sonst hatte das bisher keiner geschafft. "Nein, es ist alles in Ordnung mit ihm", beruhigte ich sie und könnte mich gleichzeitig für meine Dummheit Ohrfeigen. Warum hatte ich ihr bloß nicht auf das Band gesprochen? Sie musste bestimmt etwas Schlimmes geahnt haben, nachdem sie die vier entgangenen Anrufe entdeckt hatte. In kurzen knappen Sätzen erläuterte ich ihr mein Problem. Ihr beruhigtes Ausatmen am anderen Hörer, zeigte mir nochmal ihre Anspannung. "Schau in meinem Kleiderschrank. Die linke Tür. Dort müsste ich noch drei haben, aber probier mal das Rote an", schlug sie vor und die Leitung war wieder tot. Seufzend legte ich das Telefon zurück auf die Station. Ein einfaches 'wie geht's dir' hätte mir ja schon gereicht.
In dem Schlafzimmer meiner Eltern war es stickig und ich riss erstmal die Fenster auf. Klar, dass es meinem Vater nie auffiel, wenn er nie da war. Was hatten alle bloß immer mit ihrer Arbeit? Seufzend öffnete ich den Kleiderschrank. Und wirklich, darin hingen drei Kleider. Ein Rotes, ein Dunkelgrünes und ein Schwarzes. Natürlich wollte ich am liebsten das Schwarze nehmen, aber ich ging erstmal den Vorschlag meiner Mum nach und zog das Rote heraus, welches ich am liebsten sofort wieder zurück gehängt hätte. Es war dieses Klischeekleid. Rot, bis zum Boden lang und mit einem Seidenschal über die Schultern. Und es glitzerte auch noch. Ich hatte es mal an meiner Mum gesehen, die sah wunderschön darin aus... Die hatte diese langen Beine, die das Schönheitsideal schlechthin waren. Ihr stand einfach alles. Nur war ich einen guten Kopf kleiner als sie , in diesem Kleid würde ich echt lächerlich ausschauen, der Stoff würde über den Boden schleifen und dreckig werden, der Ausschnitt würde bei mir viel zu tief sitzen. Nein. Erleichtert konnte ich es wieder weghängen. Dann nahm ich das Grüne und betrachtete es. Es war sehr Figurbetont und sehr kurz. Obwohl, bei mir wahrscheinlich eher normal. Ich würde es einfach mal anprobieren. Zuletzt das Schwarze. Es war wunderschön. Schlicht, ohne viel Verzierungen und als ich es mir hinhielt, ging es bis zur Hälfte meiner Oberschenkel. Es war perfekt. Trotzdem probierte ich zuerst das Grüne an, weil Farbe bei einem eingeladenem Essen immer besseren Eindruck machte. Es sah nicht schlecht aus, immerhin kamen meine grünen Augen zur Geltung. Andererseits war ich mir nicht sicher, ob es nicht zu aufreißerisch war und ich fühlte mich darin auch ziemlich unwohl. Ich war das einfach nicht. Das Schwarze hingegen saß perfekt. Ich würde es nehmen. Das Bling meines Handys unterbrach mich bei meinem Flirt mit dem Spiegel. Eine neue Nachricht von Joona. Stirnrunzeln öffnete ich sie.
Wie feiern übrigens eine Verlobung, also zieh bitte nicht deine normale Beerdigungskluft an
J.
Verlobung auch noch? Ich dachte die wollten bloß so n Statusessen veranstalten! Sauer tippte ich eine SMS ein.
Digga! Dein ernst? Jetzt muss ich mich nochmal umziehen!!
Y.
Wütend schmiss ich mein Handy aufs Bett. Das hätte er ja wohl wirklich früher sagen können.
Wie abgemacht stand Joona pünktlich an der Straßenecke und wartete schon sichtlich nervös. Das Lachen über seine Klamotten konnte ich mir nur mit Mühe unterdrücken. Rotes Sakko, dunkelblaue Hose und ein rosanes Hemd. Das er einen ziemlichen ausgefallenen Kleidungsstil hatte, wusste ich ja, aber das es so schlimm war, hätte ich nicht gedacht. "Sag mal, willst du auf deine Stirn gleich Homosexuell schreiben oder ziehst du dir noch was vernünftiges an?", begrüßte ich ihn. Verschreckte schaute er mich an. "I-i-i-ich ? Sch-sch-sch-wul?", stotterte er, "W-w-w..." "Wie ich darauf komme?", half ich ihm auf die Sprünge und er wurde rot. "Kein normaler Mensch zieht rot mit rosa an. Das beißt sich! Dabei haben Schwule allerdings normalerweise einen guten Geschmack, was die Äußerlichkeiten angeht." Joonas Kopf wird wohl nie wieder eine normale Farbe annehmen. "Sind die, wessen Verlobung auch immer das ist, schon da?" Er murmelte nur leise vor sich hin und senkte seinen Kopf. "Sie sind schon da", stellte ich für ihn fest, "dann komm, mein Vater macht heute mal wieder Überstunden, hoffen wir, wir finden noch etwas anständiges, sonst können wir uns das hier wirklich sparen" Ohne auf seinen Protest zu hören zog ich ihn hinter mir her.
"Nein, nein, nein,..." Ich zog einen Bügel nach dem anderen heraus und Joona stand nur starr neben mir und rührte sich nicht. "Mein Gott, ich kann nicht denken, wenn du wie so ein dämliches Schaf anglotzt!" Hatte ich schon erwähnt, dass nett sein nicht so meine Stärke ist? "Setz dich gefälligst hin und entspann dich. Dich frisst hier schon keiner auf." Ich vernahm ein Rascheln hinter mir, als er sich auf das Bett hinter mir hockte. "Wie schaffst du das?", fragte er mich plötzlich ohne Stottern. Vor Schreck drehte ich mich um. "Was meinst du?" "Du bist so selbstbewusst. Egal was passiert, du stehst immer drüber, als könne dir das alles gar nichts anhaben. Du machst alles immer richtig. Wie machst du das?" Er sah mich verzweifelt an. "Alles was ich mach ist falsch oder nicht ausreichend. Nichts ist gut genug als der Sohn eines angesehenen Chiruigen. Und zum anderen bin ich ja auch noch sch...", er verstummte und seine Augen richteten sich auf den Boden. Ich setzte mich neben ihn "Schwul. Sprich es ruhig aus. Menschen haben viel mehr Angst vor Sachen, wenn sie sie nicht beim Namen nennen. Ich verurteil dich nicht, das tut heute genau genommen fast keiner mehr aus unserer Generation. Das ist inzwischen völlig normal geworden. Es wird sich schon alles fügen und irgendwann wirst du deinen ebenfalls schwulen Freund finden. Glaub mir, es gibt viel mehr Leute da drausen, die nicht hetero sind, als du glaubst." Ich schaute wieder auf die feinen Kleider meines Vaters und sah plötzlich die perfekte Kombination vor mir. "Zieh das aus", wieß ich ihn kurzgebunden an und deutete auf seine Klamotten und stand wieder auf. "Ähm...?", verdattert schaute er mich an und ich glotze genervt zurück. "Ich werd dir weder was wegschauen, noch werd ich mich auf dich stürzen, wie die letzte übrig gebliebene Jungfrau. Jetzt zieh dein Augenkrebsmodell endlich aus. Ich kann's nicht mehr sehen." Entnervt warf ich ihm die Kleider zu, die ich ausgewählt hatte und er fing sie sogar ganz geschickt auf. "Danke", murmelte er leise.
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