02
Müde schlug ich mein Mathebuch zu. Unser Mathelehrer war immer so begeistert von diesen ganzen Gleichungen und Berechnungszeugs, dass er die Zeit immer völlig vergaß. Manchmal konnte ihn sogar der Gong nicht stoppen. Er überhörte ihn einfach. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Dieser Tag wollte einfach kein Ende nehmen. Unsere fünf Minutenpausen zwischen zwei Stunden waren ein Witz. Aber sich beklagen hatte noch nie was gebracht, der Schulstoff wurde ja doch nicht weniger... Wenigstens hatten wir jetzt Mittagspause. Noch während ich meine Sachen in meine Schultasche stopfte, stand schon der Großteil unserer Qlicke zusammen und wartete auf mich. Sie bestand aus 7 Leuten und wir wurden als Rebellen angesehen, weil wir es tatsächlich zweimal geschafft hatten, nach der Mittagspause zu spät zu kommen. Gähnend erreichte ich die Truppe und wir schlenderten Richtung Mensa los. Der Lärm in der großen Halle schlug uns wie immer wie eine Wand entgegen und wir liefen zur Essenvergabe, wo sich schon eine lange Schlange gebildet hatte. Kichernd rollten die Mädchen vor uns ihre Röcke schon um ein paar Bahnen nach oben, damit ihre Beine länger wirkten. Kim und ich sahen uns an und rollten mit den Augen. Ihn nervte das Gekicher dieser Klischeemädchen genauso wie mich. Durch ihre Eitelkeit hatten sie schon ein paar Verwarnungen bekommen, aber denkt irgendjemand wirklich, dass sie sich daran störten? Ungeduldig knurrte mein Magen mich an. Wir kamen in Centimeterschritten voran und die hinter uns drängelten uns schon ungeduldig weiter. Ich wünschte es wäre wieder Nacht... ich spürte schon den Wind um mich streichen... sah die Lichter unter mir... spürte die tödliche Kraft um mich herum pulsieren...
Kim schnippste mit seinen Fingern vor meinem Gesicht. "Wo bist du denn schon wieder Yuri?", fragte er mich grinsend. "Ach... ich bin nur n paar Mädchen umbringen gegangen, welche sich nur über Mode unterhalten können und einem den letzten Nerv rauben" Das Gerede vor und verstummte und ich konnte spüren, wie sich ihre Blicke auf mich richteten. Ich zwinkerte Kim zu. Der runzelte allerdings nur seine Stirn. Er war schon immer der Sozialere von uns beiden gewesen, selbst wenn er der gleichen Meinung war wie ich. Er dachte nicht im Traum daran mal selbst in in ein für ihn ihn nerviges Geschehen einzugreifen, immerhin könnte er ja damit jemanden vor den Kopf stoßen. Er war viel zu gut für diese Welt. Ich wettete, hätte er Flügel, wäre er genau das Gegenteil von mir. Bestimmt würde ihn ausschließlich das Licht umgeben, nie würde er in der Lage sein jemanden umbringen. Nicht, dass ich das jemals beabsichtigt hätte. Ich konnte noch immer ihr Keuchen in meinen Kopf hören, bevor sie weggekippt sind. Nach Wikipedias Aussage enstehen gravierende Schäden, sollte die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn zu lange unterbrochen sein, die nicht mehr behoben werden können. Und das stimmte. Ich hatte schon mal jemanden besucht, welcher fast drei Minuten komplett ohne Luft gewesen war. Seine Angst war nahezu greifbar gewesen. Sein Name war Mino. Fast jeden Tag saß seine Frau neben ihm und war für ihn da, wenn er sinnloses Zeugs vor sich hinbrabbelte oder wieder von Panikattacken heimgesucht wurde oder einfach nur schlief. Nach dem Bild zu urteilen, welches sie auf den kleinen Beistelltisch gestellt hatte, hatten sie eine kleine Tochter. Auf dem Bild strahlte sie einem auf einem Schaukelpferd sitzend mit einer großen Zahnlücke vorne rechts unten an. Ihre braunen Augen leuchteten verspielt, nichts ahnend was mit ihrem Daddy passiert ist. Ich seufzte, auch jetzt besuchte ich ihn ab und zu. Schaute zu seinem Fenster hinein. Ich hatte sie alle besucht. Zuhause, bei ihren Familien, in ihrem Einzelapartmenten, manche i Krankenhäusern und andere an ihrem Grab. Ich war ein Monster, alle die mir zu nahe gekommen waren, litten noch bis heute daran. Panikattacken, Schlafstörungen, Depressionen. Damit haben sie Tag ein und aus ab diesem einen Moment bei meiner Begenung an zu kämpfen.
Ungeduldig wurde ich von hinten weitergeschubst und ich war wieder in der Gegenwart in der ich nur das unscheinbare Mädchen von neben an war. Auswechselbar, ohne viel Beachtung, niemand Besonderes. Meine Vater lässt mich das deutlich spüren, wenn er abends heim kommt. Nur durchschnittliche Noten, nie eine eins, keine Klassensprecherin oder sonst was. Besonders stolz war er nicht auf mich. Meine Mutter hat immer gesagt, sie liebte mich so wie ich bin, aber ihre enttäuschten Blicke hatte ich trotzdem immer mitbekommen. Dann ging sie weg. Sie wurde versetzt. Nun war sie weit weg in Italien mit ihrem italienischen Reiseführer, den sie immer durchblättert hatte, um wenigsten etwas italienisch zu können. Meine Eltern liebten sich, das wusste ich, aber der Job stand für sie immer im Vordergrund. Deswegen kam es für meinen Vater auch nicht infrage, sich dort einen neuen Job zu suchen. Und wegen meiner Schule durfte ich auch nicht mit. Wir waren so verschieden meine Eltern und ich. Im Gegensatz zu ihnen versuchte ich nie herauszustechen, weder mit guten noch mit schlechten Aktionen. Warum wir so unterschiedlich waren, hatte ich herausgefunden, als ich meine Akte durchstöbert hatte. Ein Adoptivschein.
Wieder schubste mich jemand von hinten und ich stolperte weiter. Kim drückte mir ein Tablett in die Hand und ich musterte misstrauisch und noch etwas verwirrt das Mensaessen, welches mir die breite Frau hinter dem Tresen lieblos auf den Teller klatschte. Zusammen suchten wir uns einen Tisch und Nari und Kim diskutierten schon hitzig über ihre Lieblingscharaktere ihres heiligen Computerspiels WoW. Sie wollten nach der Schule unbedingt auf die Universität, auf der man Gameplay studieren konnte. Linya setzte sich mit einem Rumms neben mich und bevor ich meinen Mund öffnen konnte um sie von ihrem Lieblingsthema Jungs, abzubringen schwärmte sie mir schon was von einem Jungen namens Yun vor. Sie hatte jede Woche einen neuen Kandidaten und bisher fand sie noch jeden am Ende doch nicht so perfekt wie sie noch am Anfang immer meinte und pickte sich dann den nächsten heraus. Dass sie mit einem ihrer Typen noch nie ein Wort gewechselt hatte, schien sie nicht zu stören. Auch mein offenkundiges fehlendes Interesse hielt sie nicht davon ab, diesesmal nur von Yun und seinen Blauen Augen zu schwärmen. Auch unser Pärchen Juna und Navi gesellten sich zu uns und fingen nun mit Linya an, die wildesten Thesen über Telefonsex aufzustellen. Ich hingegen inspizierte vorsichtig mein Essen und testete die Essbarkeit des komisch aussehenden Breies. Ich musste mich verdammt zusammenreißen , es nicht über den gesamten Tisch zu spucken. Missmutig legte ich meine Gabel zurück auf dem Teller. Bevor ich mich freiwillig vergiftete, ging ich lieber in den Hungerstreik. Ungläubig beobachtete ich, wie Nari das Zeug in sich hinein stopfte und es gleichzeitig schaffte, verständliche Sätze über die Horde und die Allianz herauszubringen. Ich schüttelte den Kopf. Anscheinend hatte seine Begeisterung seine Geschmacksnerven lahm gelegt. Angewiedert schon ich meinen Teller von mir, als sich der letzte unserer Truppe Joona zu uns gesellte. Er war wie ich von der stilleren Sorte, wenn es um Gruppengespräche ging. Aber er war auch extrem schüchtern, deswegen konnte ich an seinem Gesichtsausdruck auch sehen, dass er mir eigentlich was sagen sollte. Aufmunternd lächelte ich ihn an, aber er druckste immer noch herum. "Komm Joona, spuck es aus", ermunterte ich ihn nochmal. "Nicht hier", stieß er aufgewühlt hervor. "Okay, dann lass uns gehen. Das Essen schmeckt eh, wie vom Komposthaufen aufgesammelt." Ich stand auf und lief schnurstracks zum Ausgang. Mein Tablett würde Kim wegbringen, er wollte nicht, dass jemand von uns Ärger bekam.
Draußen konnte ich wenigstens etwas mehr durchatmen. Drinnen war es schon verdammt stickig. Ich schlenderte über den Pausenhof und setzte mich auf eine freie Bank. Kurze Zeit später kam auch Joona hinterher. Ich wusste, er hat noch sein Tablett aufgeräumt. Dann setzte er sich auf die Bank neben mich und wurde erstmal knallrot. "Was ist denn so wichtig, dass du es nicht vor den anderen sagen konntest?", fragte ich ihn, aber er druckste nur herum. Ihn zu hetzen brachte nichts, da würde er nur noch länger brauchen, aber zu der geduldigsten Sorte gehörte ich nun wirklich nicht. "Ähm", räusperte er sich und bräuchte nochmal zehn Skunden in sich zu sammeln," w - w - wir bekommen Besuch zu Hause. Undichwolltedichfragenobdudabeiseinkannst." " Joona, ich hab den letzten Satz nicht verstanden. Atme nochmal tief durch und fang nochmal von vorne an." Diesesmal schaffte er es ohne stottern : "Wir bekommen zu Hause Besuch von Verwandten und die sind n ziemlich hohes Tier bei der Sicherheitsbehörde. Sie haben auch einen Sohn. Dakota heißt er." Er verstummte und betrachtete verlegen seine Hände. "Okay, was willst du mir damit sagen?",hakte ich nach und er wurde wieder rot. "Naja... Ich hab meinen Vater gesagt ich hab ne Freundin, weil er immer wenn er mich sieht darauf herum hackt, dass ich nie ein Mädchen abbekommen würde. Das war vorgestern und seitdem respektiert er mich auch endlich etwas, aber jetzt hat er sie zum Essen eingeladen und ich weiß nicht was ich machen soll!" "Sag ihm doch ihr habt euch getrennt?", schlug ich wenig einfallsreich vor. Aber er schüttelte nur verzweifelt den Kopf. "Bitte Yuri! Der hält dann ja noch weniger von mir. Ein Sohn, der es nicht mal schafft zwei Tage eine Freundin zu halten. Dann steh ich ja als doppelter Versager da. Bitte, du musst mitkommen! Nur diesen einen Abend. Bitte!" Langsam verstand ich. "Ich soll seine Freundin spielen? Und was springt für mich dabei heraus?", ich wusste ich klang wie das letzte Arschloch und ich wusste auch, dass ich so ziemlich die einzige war, die er fragen konnte. Linya könnte nie ihren Mund halten und ich bezweifelte, das Navi Juna gehen lassen würde. Sie beiden hingen aneinander, wie Pech und Schwefel. Ich seufzte: "Ist gut, ich mach es." Joona strahlte mich an. "Aber wirklich nur dieses eine mal! Wann ist das überhaupt? " "Heute Abend um acht, ich hol dich ab!" Verdammt! Dann musste ich meine Nachforschungen um eine Nacht verschieben. Aber die wahren wichtig! "Ne ne du.", nahm ich den Faden wieder auf,"Nicht, dass MEIN Vater das noch in den falschen Hals bekommt" "Aber für meinen Vater gehört das doch dazu", er machte ein betroffenes Gesicht. "Pass auf, wie treffen uns einfach eine Straße weiter von mir, dann fällt das gar nicht auf. Aber jetzt noch das Wichtigste, was soll ich da überhaupt anziehen?" Und wie sollte eine Nacht ohne meine Flügel auskommen?
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