01
Es war nachts. Ich lief eine Straße entlang. Das Licht in der Laterne vor mir flimmerte und wurde schwächer, je näher ich ihr kam. In der Prophezeiung wurde ich als Todesengel beschrieben, der jedes Licht im Keim erstickte. Angeblich war ich so schön wie das Farbenspiel einer hereinbrechenden Dämmerung die eine undurchdringlichen Nacht ankündigte. Ob das der Wahrheit entsprach? Ich wusste es nicht. Schließlich habe ich mich noch nie zuvor in dieser Gestalt gesehen. Wie auch. Das Licht verabscheute mich, es ließ mich nicht an sich heran. Es war der Ursprung aller fröhlichen Lebewesen auf diesem Planeten. Ich war das Gegenteil. Ich war dunkel. Ich war böse. Sich mit mir zusammen zutun bedeutete gleichermaßen, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen. An mich traute sich keiner heran. Es gibt nur wenige Menschen, die das Übernatürliche sehen konnten, doch jeder konnte die tiefe Schwärze sehen, welche mich wie ein schützender Ring umgibt. Viele haben versucht zu mir vorchzudringen doch es ist keinem gelungen. Ich war für jeden unerreichbar. Alle, die es versucht hatten, sind zusammengebrochen. Das Dunkel verschluckt alle Geräusche. Die Stille ist mein Lärm und sie ist unbarmherzig. Die Menschen verlieren jegliche Orientierung in meinem Todeskreis. Die Stille schneidet ihnen ins Trommelfell, legt sich auf ihr Gemüt und ruft Panikattacken hervor. Sie können nicht mehr atmen, sich nicht mehr bewegen, nur noch auf ihren Tod warten. Es seiden ich laufe weiter und erlöse sie von ihren Qualen. Ihre Dunkelheit ist mein Licht. Im Gegensatz zu den Menschen fühle ich mich bei ihr wohler, als im Hellen. Ich liebt sie, die schwarze, tödliche Aura, die mich umgab. Um dennoch keine Aufmerksamkeit zu erregen, lief ich normalerweise nicht, sondern verweilte in der Luft oder saß auf Hochhäuser und schaute mir die Stadt an. Ich befand ich mich in Seoul. Eine der wenigen Millionenstädte auf Erden. Die Hauptstadt von Südkorea. Hier war immer viel los. Ich lebte bei meiner Adoptivfamilie in einem der äußersten Viertel und diese schmale Nebenstraße war einer der wenigen Plätze, an denen kaum Menschen vorbeikamen. Ja ich weiß, ein stiller Todesengel in einer belebten Stadt? Aber ich liebte Seoul, von seinen abgelegenden Plätzen bis hin zu der Zentrumsmitte und dem Fluss, der die Stadt in zwei Teile spaltete. Nachts ließen Lichter die Hochhäuser und Geschäften in bunte Farben tauchen. Allein sich die Skyline der Stadt von allen möglichen Plätzen aus anschauen zu können, brachte das Freiheitgefühl in mir wieder hoch. Glücklich breitete ich meine Arme und meine Flügel aus und stieß mich vom Boden ab. Mit ein paar Flügelschlägen gewann ich rasch an Höhe. Ich war frei! Die Luft streichelte meine Wangen und fuhr durch mein Haar. Ich schloss die Augen. So mussten sich Berührungen einer echten Mutter anfühlen. Zärtlich, liebevoll. Die Himmelsmutter holte ihr Kind heim. Bei dem Gedanken lächelte ich und öffnete meine Augen wieder. Hier fühlte ich mich behütet. Das konnte mir keiner nehmen. Die bunte Stadt vor mir, lächelte mir freundlich zu. Auch wenn das Licht mein Feind war, konnte ich mein Interesse seines Spektakels nicht unterdrücken. Rasch nahm ich mit einigen Schlägen meiner Flügel Geschwindigkeit auf und düste auf das Stadtzentrum zu.
Ich schwebte 4 Meter, genau so viel wie mein Todesring es zuließ über die beleuchtete Spitze eines Wolkenkratzers. War man nahe an den Lichtern dran, wirkten sie total falsch und viel zu grell. Vorsichtig wechselte ich meine Höhenposition etwas nach unten wie dann wieder nach oben. Belustigt beobachtete ich das Flackern des Lichtes unter mir. Es kämpfte um sein Leben während ich es immer wieder von neuem anstupste. Kichernd wagte ich mich noch weiter nach unten vor. Es leuchtete immer wieder auf, obwohl ich es beinahe ganz abtötete. Es hielt viel aus, im Gegensatz zu manch anderen Billigdingern. Irgendwann wurde es mir dann doch zu langweilig und ich landete kurz auf ihm. Tot. Die Fläche des Scheinwerfers war etwas angewärmt und ich fröstelte. Schnell hüllte ich mich wieder mit meiner wärmenden Schwärze ein, indem ich mich von diesem Ding entfernte und landete schließlich auf dem Flachdach eines unbeleuchteten Hochhauses. Auch die nächsten zwei darunter liegende Stockwerke waren dunkel, worauf ich sehr bedacht war. Auf eine Schlagzeile in der Zeitung "Chef und Mitarbeiter starben bei Überstunden in ihrer Firma an Herzversagen" konnte ich gut verzichten. Ich war sehr bedacht darauf, nur auf Firmengebäuden zu landen. Kinder wollte ich nicht unbedingt auf dem Gewissen haben. Am Rand des Daches ließ ich meine Füße baumeln und begrüßte freudig den Wind, der sich wieder freiwillig zu mir gesellte. Zufrieden wachte ich über die Stadt, in der auch um 3 Uhr nachts noch Autos und Taxies im regen Betrieb waren.
Plötzlich jedoch breitete sich ein komisches Gefühl in mir aus und es kam immer näher. Etwas Bedrohliches. Plötzlich öffnete sich eine Luke hinter mir mit einem Knall. Ich fuhr herum. Ein etwa 18 Jähriger Junge kam zum Vorscheinen. Ein überaus süßer Mensch. Der mir plötzlich mitten in die Augen schaute. Überrascht und neugierig betrachtete ich ihn. Kein Mensch konnte mich bisher in meiner Dunkelheit sehen. Sollte sich die Prophezeiung doch noch erfüllen? Die Augen normaler Menschen waren immer suchend umhergeschweift um irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, den es ihnen unmöglich war zu entdecken. Aber er starrte mich unverhohlen an. Mitten in meine Augen. Dann verzogen sich seine attraktiven Gesichtszüge plötzlich zu einer hasserfüllten Fratze. "Du bist ein Monster!", fauchte er. Entsetzt wich ich etwas zurück, was mir beinahe den Absturz gebracht hätte. Nicht das das Schaden verursacht hätte, aber meine Würde wäre dann eher nicht mehr existent. Er kam näher. "Nicht...!", wollte ich ihn wahnen, aber zu spät. Er war schon in meinen Todeskreis getreten und die Wirkung bekam er jetzt ganz deutlich zu spüren. Er fiel auf die Knie, sein Atem ging keuchend und sein Blick blieb trotzdem so hasserfüllt. Blitzschnell breitete ich meine Flügel aus, worauf ich ein paar meiner schwarzen Federn verlor und brachte geschwind Abstand zwischen uns. Verstört flog ich so schnell wie mir möglich war von diesem Menschen weg. Als ich einen Blick zurück wagte, stand er am Rand des Daches und sah mir nach. Seine Miene war nicht erkennbar. Ich wusste nicht warum mich seine Beleidigung so sehr getroffen hatte. Es war mir schließlich nicht neu, dass die Menschen mich verabscheuten. Aber dieser Hass in seinen Augen. Darin war keine Angst zu sehen gewesen, nur purer Zorn. Und das war neu.
Erstens ich musste herausfinden warum er mich sehen konnte, zweitens warum er mich so verabscheute. Es musste eine bedeutendere Geschichte dahinter stecken. Ein letztes mal für heute Nacht schlug ich mit meinen Flügeln und setzte zur Landung an.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top