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Klappe die erste 🤭 danke, dass ihr TP lest und denkt bitte daran, dass es gerade in der queeren Community wahnsinnig viele individuelle Erfahrungen gibt, die man alle mit Respekt behandeln sollte. Ich möchte mit meinen Darstellungen nichts verallgemeinern, nur repräsentieren. 🌈❤️

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Bad Habits - Ed Sheeran

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Louis' Date lief scheiße. Das konnte Harry selbst aus einigen Metern Entfernung erkennen.

Sein Lächeln war gezwungen, sein Bein wippte unruhig, als würde er am liebsten aufspringen und gehen, und alle dreißig Sekunden hob er sein Glas etwas an, um an dem quietschgelben Strohhalm darin zu nippen. Harry wusste, er tat das nur, weil er sonst keine Ahnung hatte, was er machen sollte. Der Typ, der ihm an dem kleinen Tisch gegenüber saß, redete viel zu viel, ließ Louis kaum zu Wort kommen und schien obendrein noch etwas zu überzeugt von sich zu sein.

Kurz: Louis' Date lief wirklich scheiße. Und genau das ließ Harry hibbelig werden, schickte ein nervöses Kribbeln durch seinen Körper und bescherte ihm eine Gänsehaut. Denn er wusste, wie dieser Abend enden würde. Wusste, dass Louis sich, sobald er den Typen losgeworden war, zu Harry an die Bar setzen und ihn beim Arbeiten beobachten würde, bis er spät nachts endlich Feierabend hatte. Wusste, dass Louis ein paar neckende Kommentare machen würde, bis Harry alle Gläser weggeräumt und auch die letzten Stühle umgedreht auf die Tische gestellt hatte. Wusste, dass er ihn frech angrinsen würde, weil er Harry wie ein Buch lesen konnte und genau wusste, dass dieser es ebenso nötig hatte wie er selbst. Wusste, dass sie sich küssen würden, heiß und feucht und laut. Wusste, dass Louis ihn ärgern würde, immer wieder den Kopf wegdrehen und stattdessen Küsse an seinem Kiefer verteilen würde, leise gegen seine Haut lachen, während Harry nicht aufhören konnte, ihn anzufassen. Überall, wo seine Hände hinkamen. Er würde Louis' Erektion spüren, würde sich an ihn drängen, würde ihn stöhnen hören-

Irgendwo links von Harry ging ein Glas scheppernd zu Bruch und er schreckte aus seinen Gedanken.

Kurz wurde es still in der Bar, Köpfe reckten sich in die Richtung des Geräusches, aber nur wenige Sekunden später begannen die Gespräche erneut, das zerbrochene Glas keinen weiteren Gedanken wert.

„Ich mach das schon." Eine der Aushilfen, Elena, eilte an Harry vorbei und nahm im Laufen Kehrschaufel und Besen aus einem Fach unter den Spülen mit. Harry nickte ihr dankend hinterher, auch wenn sie es gar nicht mehr wahrnehmen konnte.

„Ich glaub, das ist die gleiche Gruppe, die letzte Woche auch schon irgendwas zerdeppert hat", hörte Harry jemanden seufzen und nur eine halbe Sekunde später trat Niall neben ihn, ebenfalls in Richtung von Elena schauend, die vor einem der gut besetzten Tische hockte und Scherben aus einer Alkoholpfütze sammelte. „Wenn die heute noch irgendwas zerstören, solltest du vielleicht mal was sagen."

„Mhm", machte Harry bloß, viel zu abgelenkt davon, die Situation und seinen Schützling im Blick zu behalten. Auch, wenn kaum einer der Angestellten hier weit über die 30 zählte, war Elena mit ihren frischen 20 Jahren definitiv das Küken der Mannschaft und Harry wollte nicht verantworten, dass ihr irgendwas passierte – ganz egal, was.

Nicht, dass Elena sich nicht hätte verteidigen können, Himmel, das auf keinen Fall! Das Mädel hatte wohl mit die schärfste Zunge im ganzen Laden, aber Harry wusste leider aus Erfahrung, dass das im Ernstfall auch nicht immer genug war und er wollte einfach einschreiten können, bevor dieser eintrat und es zu einer Eskalation kam.

Zu seiner Erleichterung schien es heute aber wohl einen friedlichen Verlauf der Dinge zu geben, denn niemand am Tisch machte Elena blöd an oder startete einen zu körperlichen Flirtversuch. Stattdessen sah es eher so aus, als würden sie sich knappe hundert Mal bei ihr für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, während sie selbst bloß lässig abwinkte – für Harry der Stand: Die Truppe war in Ordnung, nur ziemlich alkoholisiert. Vielleicht würde er ihnen später noch eine Flasche Wasser auf's Haus hinstellen, bevor irgendwer von ihnen vor Dehydrierung aus den Latschen kippte.

Zufrieden nickend wandte er schließlich seinen Blick ab und schaute stattdessen zu seinem Nebenmann, der geistesabwesend mit einer halbleeren Ginflasche spielte, die Harry vergessen hatte, wegzuräumen. Der schwarze Ring an seinem rechten Mittelfinger stieß dabei immer wieder gegen das Glas und gab dabei jedes Mal ein Klink-Geräusch von sich. Harry war sich nicht sicher, ob Niall es überhaupt mitbekam.

Kurz überlegte er, seinen Kumpel und Mitarbeiter anzustupsen, um ihn aus seinen Gedanken zu holen, ließ es dann aber doch bleiben und seufzte nur leise auf. Er konnte sich gut denken, wo Niall gerade mit dem Kopf war, und leider wusste er auch, dass er in diesem Fall keine wirklich große Hilfe sein konnte, höchstens eine Schulter zum Ausweinen – und das auch nur, wenn Niall tatsächlich auf ihn zukam, um sich seinen Schmerz von der Seele zu reden.

Ein paar Nächte zuvor hatte er das zu Harrys Überraschung sogar getan, war extra länger dageblieben, damit er ihn nach der Arbeit darüber in Kenntnis setzen konnte, was vorgefallen war. Mit Sicherheit hatten auch die Uhrzeit und die Erschöpfung von ihrem Berufsalltag mit reingespielt, aber es war doch erschreckend gewesen, wie viel Niall dabei geweint hatte.

Nicht, dass Trennungen normalerweise leicht zu verkraften waren (gut, um fair zu bleiben, war das Aus von Harrys letzter Beziehung auch schon eine verdammt lange Weile her und das emotionale Leiden in dessen Rahmen eine immer weiter verblassende Erinnerung), aber Niall schien die wirklich schlimme Sorte erwischt zu haben. Die, die mehr weh tat als alles andere. Die, die einen im Glauben ließ, das ganze Universum würde einen hassen. Und die, bei der man das ganze Universum zurück hasste.

Harry wusste das, weil er versucht hatte, Niall wieder irgendwie aufzubauen, ihm irgendwie klarzumachen, dass ihn nichts weniger Wert machte und er nicht ungeliebt sterben würde.

„Du hast leicht reden!", hatte ihn Niall angefaucht – und sich direkt wieder entschuldigt.

Harry hatte abgewunken, auch wenn es ihn etwas erschreckt hatte, seinen Kumpel so aufbrausend zu erleben. Aber Niall hatte ein gebrochenes Herz, er durfte das.

„Es ist nur... ich hab so Angst, dass das immer im Weg stehen wird, weißt du?", war schließlich, was Niall leise gesagt hatte, schon wieder Tränen in den Augen. „Dass ich nie eine richtige Beziehung führen kann, wie sie gefühlt jeder erwartet. Dass irgendwann alle die Reißleine ziehen, so wie Maddie. Weil ich nicht..." Ein Schlucken. „Weil ich nicht normal bin."

„Hey!" Harry hatte ihn bei den Schultern genommen und ihm eindringlich ins tränennasse Gesicht geschaut. „Maddie hat dich nicht verdient, okay? Das ist das erste. Sie hat verlangt, dass du Grenzen überschreitest, die du von Anfang an deutlich aufgezeichnet hattest. Ihr scheiß Verhalten dir gegenüber ist weder deine Schuld noch deine Verantwortung, sie ist diese Beziehung mit dem vollsten Wissen über deine Sexualität eingegangen. Und zweitens: Hör auf, dich als unnormal zu bezeichnen! Wir stehen in einer Queerbar, Ni. Kein Mensch ist normaler als ein anderer, nur dadurch, dass er Sex haben möchte."

Niall hatte den ersten Teil von Harrys Worten übergangen und stattdessen die Augen verdreht, auch wenn sie noch immer verdächtig geglänzt hatten. „Du weißt, was ich damit meinte, Harold. Mir ist bewusst, dass mich meine Asexualität nicht weniger normal macht, aber das ist nun mal die Ansicht, die auch genug Leute in der Community noch haben. Ganz sicher auch welche, die regelmäßig in deiner Queerbar erscheinen und ständig was von Inklusivität faseln. Dass der Shit trotzdem nicht alle Buchstaben mit einfasst, wird da gekonnt ignoriert. Aber klar, wir Ace-Leute haben es ja so viel leichter, weil wir unsere Queerness nicht offen zur Schau stellen müssen. Dass wir deswegen von unseren Partnern verlassen werden oder uns zu Sachen zwingen, die wir eigentlich gar nicht wollen, ist bloß ein kleiner Nebeneffekt. Nicht weiter der Rede wert. Betrifft ja nur 1% der Bevölkerung."

„Ich weiß, Ni", hatte Harry nur geseufzt und seinen Kumpel umarmt. Denn auch wenn Nialls Frustration und Wut definitiv nicht ungerechtfertigt waren, so versteckte sich hinter seinen sarkastischen Worten gerade zur momentanen Zeit wohl auch ein großer Teil, der einfach nur verletzt war und deshalb sehr viel negativer über die Welt nachdachte, als sie unbedingt war.

Jetzt, in diesem Moment kreisten seine Gedanken vermutlich darum, dass er allein sterben würde und jegliches Daten verschwendete Lebensmühe sei, weil ihn ja sowieso jeder verlassen würde, wenn er nicht mit ihnen schlafen würde – das waren Nialls eigene Worte, die Harry schon oft genug als Bullshit betitelt hatte, aber noch schien die Trennung von Maddie (dieser dummen Kuh!) und besonders ihr Grund noch zu tief zu sitzen, als dass sein Nebenmann eine sonnigere Stimmung zulassen konnte.

„Hey", meinte Harry schließlich und stupste seinen Freund nun doch an, der daraufhin zusammenzuckte und beinahe die Ginflasche umwarf. Harry nahm sie ihm aus der Hand und stellte sie hinter sich ins Regal zurück, ehe er sich Niall wieder zuwandte. „Willst du nach Hause gehen? Du siehst verdammt müde aus."

Ein Schnauben entwich seinem Kumpel. „Ich bin nicht müde, nur fertig. Und wir wissen vermutlich beide, dass das nicht an der Arbeit liegt."

Harry musste sich dazu zwingen, nicht schon wieder aufzuseufzen, auch wenn Niall es ihm schwer machte. „Du hast die Augenringe des Todes. Ich glaube nicht, dass dir eine zusätzliche Mütze Schlaf besonders schaden würde, Ni."

„Berufskrankheit", erwiderte sein Gesprächspartner nur trocken, „Die Dinger sind mittlerweile schon chronisch und das solltest du genauso wissen, wenn du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut hast, mein Lieber."

„Urgh, Niall!" Das Augenrollen ließ sich nun nicht mehr vermeiden. „Ich weiß, dass du von meinen Angestellten die größten selbstzerstörerischen Tendenzen hast, aber ich sag dir das als Chef und als Freund: mach dich verdammt nochmal nicht kaputt!"

„Toller Ted-talk", meinte Niall sarkastisch, „Und was schlägt der hochwohlgeborene Herr Chef so vor, was ich Zuhause machen soll? Ohne jegliche Ablenkung von dem Unfall, der sich mein Liebesleben schimpft?"

„Wie wär's ausnahmsweise mal mit schlafen?", schlug Harry im gleichen Tonfall vor, aber damit bekam er Niall nur dazu, grimmig aufzulachen.

„Ja, sicher, Maestro. Meine innere Uhr ist seit Jahren auf Nachtschicht gestellt, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich es schaffe, vor halb 4 einzupennen, oder? Und bis es so weit ist, mach ich mir richtig schön viele Gedanken über meine Ex, ist das dein Plan? Danke, aber nein danke. Da bin ich lieber hier durch die Arbeit abgelenkt und werd auch noch dafür bezahlt."

„Du hast eh Überstunden, die noch abgebaut werden müssen", konnte Harry nicht auf einen Kommentar dazu verzichten.

Nialls Iriden verschwanden irgendwo in seinem Kopf, als er die Augen verdrehte (was zusammen mit den dunklen Ringen und der blassen Haut in seinem Gesicht ein wirklich gruseliger Anblick war). „Vergiss es, Harold, du wirst mich nicht los. Außerdem: Wie zur Hölle wollt ihr diesen Abend bitte zu zweit stemmen, wenn die Leute jetzt schon mit Geschirr um sich werfen und du 90 Prozent der Zeit dabei bist, jemanden mit den Augen auszuziehen, hm? Das kann man Elena doch nicht antun."

Harry, der sich eigentlich schon zwei Gegenargumente zurechtgelegt hatte – heute war bis auf vereinzelte Besucher und die eine größere Gruppe so gut wie nichts los und außerdem war bisher nur ein einziges Glas kaputt gegangen! – verschluckte sich bei Nialls vorletztem Satz beinahe an seiner eigenen Spucke.

Entschuldigung?!", entfuhr es ihm viel zu laut. Mehrere Köpfe drehten sich in seine Richtung, unter anderem auch Louis', sein Blick neugierig, seine Lippen zu einem kaum erkenntlichen Lächeln verzogen. Harry wandte schnell wieder den Blick ab und senkte seine Stimme, bevor er weitersprach: „Ganz sicher zieh ich Louis hier nicht mit den Augen aus, für wie notgeil hältst du mich bitte?"

Niall hob eine Augenbraue und sah ihn mit seinem ernsthaft?-Blick an. „Möchtest du wirklich, dass ich dir das beantworte?", fragte er. Dann: „Außerdem hab ich Louis' Namen nie erwähnt, das warst ganz allein du."

Harry schnaubte auf. „Jetzt tu mal nicht so, als wäre es ein großes Geheimnis, mit wem ich was am Laufen hab. Ich bin auf jeden Fall nicht derjenige, der es irgendwem verheimlicht."

„Oooh." Trotz seiner vorangegangenen schlechten Laune schlich sich nun ein provokantes Grinsen auf Nialls Lippen. „Klingt ein bisschen, als wäre da jemand frustriert."

„Niall, ich schwöre dir, wenn du das Wort jemand noch einmal so dumm betonst, lass ich dich nachher den Boden mit einer Zahnbürste schrubben! Und ich bin nicht frustriert, keine Ahnung, wo du das schon wieder rausgelesen hast."

„Hm, ich weiß auch nicht", antwortete Niall sarkastisch, „Aber vielleicht fällt es mir wieder ein, wenn du dich in ein paar Stunden bei mir darüber ausheulst, dass du Louis' gespaltenes Verhalten nicht verstehst."

„Das hab ich einmal gemacht!", beschwerte sich Harry.

„Mhm", machte Niall unbegeistert, „Aber das gute vier Stunden lang durchgehend."

„Was willst du eigentlich von mir hören?", zischte Harry, langsam doch irgendwie gereizt. Er senkte seine Stimme noch ein wenig mehr, dann fuhr er fort: „Dass ich mir wünschen würde, dass er offen zu unserem... Arrangement steht? Oder vielleicht, dass ich es cool fände, wenn er keine verdammten Dates hätte, bevor er am Ende der Nacht doch jedes Mal mit zu mir kommt, hm?"

Niall hob bloß eine Augenbraue. „Unter anderem, ja. Aber vielleicht will ich auch hören, dass du endlich mal darüber nachdenkst, dass du möglicherweise doch irgendwie Gefühle für ihn entwickelst, wenn ihr seit... keine Ahnung, wie lange vögelt ihr schon miteinander? Seit über einem Monat? Aber hey..." In einer mehr als offensichtlich sarkastischen Geste hob er abwehrend die Hände. „Ich bin asexuell und single, also frag mich nicht."

Harry knirschte mit den Zähnen. Niall würde ihn mit seiner Art irgendwann noch in den Wahnsinn treiben – leider war er aber auch sein bester Freund und deshalb unverzichtbar in seinem Leben. „Da sind definitiv keine Gefühle", widersprach Harry ihm trotzdem. „Das zwischen uns ist rein körperliche Anziehung. Und ja, man kann auch einen Monat lang mit jemandem Sex haben, ohne gleich gefühlsduselig zu werden."

Nialls Augenbraue befand sich noch immer in gehobener Stellung, aber er sagte nichts mehr. Das war allerdings sowieso nicht nötig, denn Harry sah ihm nur zu deutlich an, dass Niall keins der gesagten Worte glaubte.

Das Schweigen zog sich, bis es nicht mehr auszuhalten war und Harry als trotziges Nachwort anfügte: „Außerdem hab ich eh keine Zeit für Gefühle, ich muss eine verdammte Bar managen. Und Mitarbeiter, die nicht einsehen wollen, dass sie eine Pause gut vertragen könnten."

Der nicht gerade subtile Wink mit dem Zaunpfahl kam an, allerdings wie erwartet, und er erntete einen grimmigen Blick aus Nialls blutunterlaufenen Augen.

„Sieh es ein, Harry", sagte er und schüttelte den Kopf. „Du wirst mich heute nicht los. Ich bleibe bis zum Schluss und damit basta!"

***

Es war mehr als offensichtlich, dass die betrunkene Frau am Ende des Bartresens versuchte, mit Elena zu flirten, die sich davon allerdings vollkommen unbeeindruckt zeigte. Harry bewunderte sie dafür, behielt aber gleichzeitig einen Seitenblick auf das Geschehen, während er für einen der Tische die Getränke mischte. Ein Tequila Sunrise, ein Caipirinha, ein Long Island Iced Tea.

Mit Absicht griff er nach den Limetten, die sich auf seiner linken Seite befanden – nah an Elena – um den Blick seines Schützlings aufzufangen.

„Alles okay?", fragte er tonlos und machte eine unauffällige Kopfbewegung in Richtung der Frau. Seine junge Kollegin nickte allerdings nur und warf ihm ein beruhigendes Lächeln zu.

Alles im grünen Bereich. Ich hab das unter Kontrolle. Du musst nichts unternehmen.

Harry lächelte erleichtert zurück, dann machte er sich daran, die Limette aufzuschneiden und die drei Gläser vor sich mit je einer Scheibe zu garnieren.

„Tisch fünf", sagte er über die Musik (Lady Gaga) hinweg zu Niall, der vor dem Tresen aufgetaucht war und ihm die Getränke mit einem kurzen Nicken abnahm, ehe er auch schon wieder verschwunden war.

Im Nachhinein musste Harry zugeben, dass er doch ganz froh war, dass sein Kumpel sich entschieden hatte, heute dazubleiben. Es war zwar erst die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag und damit normalerweise eine relativ ruhige Schicht, aber obwohl sie hinter der Bar vergleichsweise eher wenig zu tun hatten, war er sich sicher, dass es nur zu zweit doch deutlich stressiger geworden wäre. Niall, der die Bedienung der besetzten Tische übernommen hatte, sorgte dafür, dass Harry und Elena die gewünschten Getränke in einem sehr entspannten Tempo vorbereiten konnten und nebenbei sogar immer wieder Zeit fanden, mit den einzelnen Leuten zu quatschen, die direkt am Tresen saßen – etwas, das Harry für einen sehr elementaren Teil der Kundenbindung hielt.

Das war auch der Grund, warum er (nach einem letzten prüfenden Blick in Richtung seiner Aushilfe) zu einem Gast rutschte, die es sich vor etwa einer halben Stunde allein auf einem der Barstühle gemütlich gemacht und seitdem nur an ihrem Drink genippt und auf ihr Handy gestarrt hatte.

Mit einem „Hi" stellte Harry sich vor sie und lächelte sie gewinnbringend an, als sie von ihrem Telefon aufschaute.

„Hey", sagte sie und legte den Kopf schief. Er vermutete, dass sie ungefähr in seinem Alter sein musste.

„Willst du noch was zu trinken haben?", fragte er und deutete auf ihr beinahe leeres Glas.

„Oh." Sie sah einmal nach unten, dann nickte sie. „Gerne. Pina Colada bitte."

Harry hob seinen Daumen und drehte sich um, um ihr Getränk zu mischen. Sie lächelte dankend, als er ihr den Cocktail kurze Zeit später auf die Theke stellte. „Ich mag deinen Lidschatten", sagte sie dann, „Er steht dir."

Mit einem verlegenen Räuspern strich er sich eine Haarsträhne hinter die Ohren. „Danke."

Sie schmunzelte. „Du hörst das nicht so häufig, kann das sein?"

„Oh, ääh..." Ein wenig überfordert sah Harry sie an. „Es... ähm. Es fällt den wenigsten auf, ehrlich gesagt. Kein Wunder, bei dem Schummerlicht hier drinnen." Er lächelte schief.

Wenn er tagsüber seine Wohnung verließ, trug er in der Regel noch kein Makeup, das kam alles erst abends, wenn er sich für seine Schicht in der Bar fertig machte. Und hier war die Beleuchtung meistens nicht gut genug, um die Farbpigmente an seinen Augen so weit herausstechen zu lassen, dass jemand darauf aufmerksam wurde, der nichts davon wusste.

Abgesehen von Louis zumindest. Und dieser fremden Frau, wie es aussah.

„Das ist allerdings ein Argument", erwiderte besagte fremde Frau jetzt, „Ich glaube, mir wäre es auch nicht aufgefallen, wenn meine Freundin keine Makeup-Artistin wäre."

Sie lächelte wieder und Harry, der Stoff für ein weiterführendes Gespräch witterte, horchte auf.

„Du hast also eine Freundin?", fragte er – und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge, als die Miene seines Gegenübers ein Stück in sich zusammenfiel.

„Eigentlich ist sie meine Verlobte", sagte sie mit einem Seufzen. „Wir wollen seit fast drei Jahren heiraten und finden einfach keinen passenden Zeitpunkt." Sie schenkte Harry ein grimassenhaftes Lächeln. „Aber hey, was wäre das Leben ohne das klischeehafte lesbische Erlebnis?"

„Fernbeziehung?", hakte der Barkeeper nach.

„Fernbeziehung", bestätigte sie mit einem Seufzen. „Es gestaltet sich als schwierig, wenn ihre Familie und ihr halbes Leben in Schweden sind und ich... naja. Hier. Ich hab sie vor sechs Stunden nach Heathrow gefahren und-" Sie deutete auf den Pina Colada vor sich. „-jetzt ertränke ich offensichtlich meine Gefühle in Alkohol."

Harry zog eine Grimasse. „Das tut mir leid", sagte er aufrichtig, aber sie winkte ab.

„Alle paar Monate das gleiche. Ich bin es mittlerweile gewohnt. Aber egal. Wie sieht's bei dir aus? Hast du einen Freund? Oh, oder eine Freundin... keine Ahnung, ich will ja nichts stigmatisieren." Sie lachte.

Gegen seinen Willen huschten Harrys Augen zu dem Tisch, an dem Louis mit seinem Date saß. Es war wirklich nur etwa eine Sekunde, aber als hätte das Objekt seiner Begierde den Blick gespürt, sah er in genau diesem Moment zur Bar und, als er bemerkte, dass Harry ihn anschaute, grinste einmal kurz wissend in dessen Richtung.

Mit einem Räuspern wandte Harry seinen Kopf wieder der Frau zu und schnappte sich einen Lappen, um damit über die sowieso schon pingelig sauberen Flächen vor sich zu wischen. „Nein", sagte er, „Keine Beziehung im Moment. Ich muss sowieso den Laden hier schmeißen, da kann ich mir niemanden leisten, der irgendwas Emotionales von mir fordert."

Seine Go-to-Ausrede seit knapp vier Jahren – seit er den Laden tatsächlich übernommen hatte.

Seine Gesprächspartnerin lachte auf, als hätte er einen Witz erzählt, von dem er nichts wusste. „Alles klar", sagte sie und schmunzelte, „Du bist also ein Karrieretyp, hm?"

Harry zog mit einem gezwungenen Lächeln die Schultern hoch. „So sieht es wohl aus."

Wieder kicherte die Frau. „Okay. Aber ich sag nur: Wenn es passiert, dann passiert es, ja? Und meistens lässt sich nichts dagegen tun, ganz egal, wie sehr man auf seine Karriere fixiert ist."

Mit einem Grinsen griff sie über den Tresen und tätschelte Harrys Oberarm, dann zog sie (plötzlich quietschvergnügt) an ihrem violetten Strohhalm, während der Barkeeper sie nur irritiert anschauen konnte.

„Aber dein Lidschatten ist wirklich ziemlich cool." 

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