18
Als sie in Ishigaki- jimas Hafen ihr Anker legen, sie alle hinauf auf das Deck gingen, war ihr Blick kaum von Ishigaki- Jima abzunehmen, denn es war nichts mehr übrig, außer Schutt und Asche.
»Ist das das Ende?«,fragt einer der Leute auf dem
Schiff. Nein, dass kann nicht sein...
Es hatte gerade erst begonnen, denn plötzlich hatte sich der Wind gelegt. Die Luft war so still, dass die Flagge im Kanal schlaff herabfiel und jeder Ruf und jedes Stahlklirren laut und klar zu hören waren.
Sayuri griff nach Akihiros Hand, der wieder auf den Beinen stehen konnte und hielt sie fest. Dann wurde das Schiff aus dem Wasser gerissen.
Die Wucht des Sturms riss sie auseinander.
In einen Augenblick hing Sayuri schwerelos in der Luft und sah absurderweise Treibholz und Leichen neben sich schweben, dann stürzte sie mit dem Rest dessen, was eben noch das Oberdeck des Schiffes gewesen war, ins Wasser.
Sie konnte Akihiro nicht mehr sehen. Sie konnte überhaupt nichts sehen. Sie sank schnell, hinabgezogen vom Gewicht der Trümmer. Verzweifelt ruderte sie in dem schwarzen Wasser mit den Armen und versuchte, einen Weg nach oben zu finden.
Daein Lichtschimmer zwischen den dicht treibenden Leichen. Ihre Lunge brannte. Sie musste da hoch. Sie trat mit den Füßen, aber irgendetwas hielt sie fest. Sie hatte sich in einer Fahne verheddert, und nasser Stoff war unter Wasser so hart wie Stahl. Panik benebelte ihren Verstand. Je heftiger sie trat, umso mehr verfing sie sich in der Fahne, die sie hinab zum Flussbett zog.
Ruhe. Sie zwang sich, ihren Geist zu leeren. Beruhige dich. Kein Zorn, keine Panik, einfach nur nichts. Sie erlangte eine stille Klarheit, die es ihr ermöglichte zu denken.
Sie war noch nicht ertrunken. Sie hatte immer noch die Kraft, an die Oberfläche zu gelangen. Und der Stoff war nicht hoffnungslos verknotet, er hatte sich nur zweimal um ihr Bein geschlungen. Ein paar schnelle Handgriffe, und sie war frei und schwamm nach oben. Sie zwang sich, nicht in Panik zu geraten, und konzentrierte sich auf den einfachen Vorgang des Aufsteigens, bis ihr Kopf durchs Wasser brach.
Als sie sich an Land schleppte, war Akihiro nirgendwo zu sehen. Sie suchte mit den Augen die Trümmer ab, konnte ihn aber nicht finden. War er überhaupt wieder aufgetaucht? War er quetscht, aufgespießt, ertrunken oder tot?
Nein. Sie musste glauben, dass es ihm gut ging. Er konnte das Wasser beherrschen, es konnte ihn nicht töten.
Oder doch?
Das anhaltende Heulen eines unnatürlichen Windes drang durch den Kanal, nur durchbrochen von dem Splittern von Holz. Oh, Götter.
Sayuri sah nach oben. Der Himmel war hier so dunkel, dass man glauben könnte, es sei später Abend, dabei waren es die Wolken, die von dem Feuernebel der verbrannten Stadt war.
Treibholz und Trümmer wirbelten in einem gefährlichen Kreis um ihn herum. Bei so schnellen Winden konnte jedes dieser Stücke tödlich sein.
Ihr Mund war trocken geworden. Ihre Knie knickten ein. Sie war vor Furcht und Verzweiflung wie gelähmt und wollte nichts lieber als ein Loch finden und sich verstecken.
Sie grub sich die Fingernägel in die Handfläche, bis der Schmerz sie zur Besinnung brachte.
Sie konnte nicht fliehen.
Sie musterte die zwei Schiffe, die gerade anlegen und ein paar der Leute aus der Crew erheben sich. Wir haben keine Chance, dachte Sayuri. Wir sind in der Falle. Der Junge Mann mit der Narbe im Gesicht, beugt ihren Kopf, zieht sie zu sich und zischt:»Wir können uns hier raus holen, und verschwinden, wenn du auf die Klippe gehst, setzte den Pfeil auf die Schiffe und versuche diese Soldaten zu treffen, es wird für etwas Ablenkung sorgen. Du sollst aber aufpassen, nicht selbst getroffen zu werden, wir geben dir Rückendeckung. Nein, Akihiro und der Gott gehen die Rückendeckung.«Ihre Augen blitzen auf.
»Er hat es dir erzählt?«
Er grübelt. »Mach schon.«
Dann wandte sie den Blick zum Tal.
Die Zerstörung dort war gewaltig. Der Palast stand in Flammen, was bedeutete, dass die Truppen der Miliz sich schon vor einiger Zeit einen blutigen Weg durch die Flüchtlingslager geschlagen hatten. Die Soldaten mussten die Menschen aus dem Süden wie Schilf niedergemäht haben.
Entweder im Kanal ertrinken oder in der Stadt verbrennen.
Sie nickt und rennt. Sie war gefallen, ohne es zu merken.
Sie war so nah an den Klippen, dass sie die Crew kämpfen sah und dem Narben jungen winken sehen konnte. »Ich habe es geschafft!«, schrie sie. Sie sah, dass er den Mund bewegte, aber sie konnte ihn nicht verstehen. Er streckte die Hand aus.
Zu spät drehte sie sich um. Ein Speer schoss an ihr vorbei ohne sie zu verletzen. Verdammt. Ihr wurde flau im Magen. Sie geriet ins Trudeln, richtete sich aber wieder auf.
Der nächste Speer traf ihre Schulter.
Für einen Augenblick war sie einfach nur verwirrt. Wo war der Schmerz? Warum hing sie noch in der Luft? Ihr Blut schwebte in dicken, fetten Tropfen um ihr Gesicht, knollenförmige Tropfen, die aus irgendeinem Grund nicht hinabgefallen waren und von denen sie nicht glauben konnte, dass sie von ihr stammten. Dann zogen ihre Flammen sich in ihren Körper zurück. Die Schwerkraft setzte ein. Dann stürzte sie kopfüber in den Fluss.
Ihre Sinne machten beim Aufprall dicht. Sie konnte nicht atmen, nicht hören, nicht sehen. Sie versuchte zu schwimmen, sich nach oben zu treten, aber ihre Arme und Beine wollten ihr nicht gehorchen, und außerdem wusste sie nicht, wo oben war und wo unten. Unwillkürlich musste sie würgen. Wasser strömte ihr in den Mund.
Ich sterbe, dachte sie. Ich sterbe wirklich. Aber war das so schlimm? Die friedliche Stille unter Wasser war herrlich. Sie spürte keinen Schmerz in ihrer Schulter - ihr Körper war gefühllos geworden. Sie entspannte sich und ließ sich Zum Flussbett hinabsinken. Es war einfacher, sich fallen zu lassen und sich nicht mehr zu wehren. Selbst ihre brennende Lunge machte ihr kaum noch zu schaffen. Gleich würde sie den Mund öffnen, und Wasser würde hereinströmen, und das würde das Ende sein.
Eigentlich gar keine schlechte Art zu sterben. Zumindest war es leise.
Sie wurde grob gepackt. Ihre Augen flogen auf. Akihiro zog ihren Kopf zu sich und küsste sie. Eine Luftblase glitt in ihren Mund. Es war nicht viel, aber sie konnte wieder klar sehen, ihre Lunge hörte auf zu brennen und ihr Körper gehorchte langsam wieder ihren Befehlen. Sie brauchte mehr Luft. Sie packte sein Gesicht.
Er stieß sie weg und schüttelte den Kopf. Sie geriet in Panik. Er fasste sie an den Handgelenken und hielt sie fest, bis sie aufhörte, im Wasser wild um sich zu schlagen. Dann legte er sie und zog sie beide nach oben. Er trat nicht mit den Beinen. Er brauchte überhaupt nicht zu schwimmen. Er hielt sie nur an sich gedrückt, während eine warme Strömung sie sanft emportrug.
Gerade als sie durchs die Wasseroberfläche brachen, kreischte etwas über ihnen in der Luft. Ein Speer klatschte einen Meter weiter in den Fluss, Akihiro riss sie zurück in die Tiefe, aber Sayuri trat um sich und wehrte sich. Sie wollte oben bleiben, wollte unbedingt atmen.
Er umfasste mit beiden Händen ihr zartes Gesicht, in welchem sie mehrere Kratzer trug, und einige bluteten. Zu ungeschützt, formte er mit den Lippen.
Sie verstand. Sie mussten neben einem zerstörten Schiff auftauchen, das ihnen Deckung gab. Sie hörte auf, um sich zu schlagen, Akihiro führte sie mehrere Meter weiter flussabwärts. Dann hob die Strömung sie nach oben und brachte sie sicher ans Ufer.
Ihr erster Atemzug war das Beste, was sie je gekostet hatte. Sie krümmte sich, hustete und erbrach Flusswasser, aber das war ihr egal, denn sie atmete.
Sobald sie kein Wasser mehr in der Lunge hatte, legte sie sich auf den Rücken.
Stöhnend rollte sie sich auf die Seite. Ihre rechte Schulter war blutig und zerfetzt. Sie wollte sie nicht ansehen. Mit jeder Bewegung drückte sich etwas Spitzes tiefer in ihre Haut. Sie mühte sich, sich die Vorrichtung vom Leib zu reißen, aber das Metallgeschitt war verdreht und verbogen und gab nicht nach. Sie tastete nach der Stelle über der Hüfte, wo es sich ihr in den Rücken bohrte. Als sie die Finger wegnahm, waren sie blutig.
Sie versuchte, nicht in Panik zu geraten. Irgendetwas steckte fest, das war alles. Sie wusste, dass sie es nicht herausziehen durfte, bevor sie bei einem Arzt war, dass der Gegenstand, der ihr in den Rücken stach, verhinderte, dass ihr Blut herausströmte. Und aus dem Winkel konnte sie nicht gut genug sehen - es wäre dumm, ihn selbst zu entfernen.
Aber sie konnte sich kaum bewegen, ohne dass die Stange sich tiefer in ihren Rücken grub. Am Ende würde sie sich womöglich selbst die Wirbelsäule durchtrennen.
Sie konnte keinen Gedanken fassen, doch sie musste. Sie versuchte es und sie durchstach etwas Hoffnung. Ihre Augen weiterten sich. »Ich habe ein dröhnen gehört. Haben wir Verstärkung? Das war dieselbe Flagge wie deine!«
Akihiro war nicht in der Verfassung, ihr zu helfen. Er lag zitternd auf der Seite und hatte sich klein zusammengerollt, die Arme um die Knie geschlungen. Sie kroch zu ihm hin und versuchte mit ihrem gesunden Arm, ihn in eine sitzende Position zu bringen. »Hey. Hey!« Er reagierte nicht.
Er zuckte am ganzen Leib. Seine Lider flatterten, während er leise wimmernde Geräusche von sich gab. Er hob die Hände und versuchte, die Fingernägel durch die Tätowierung auf seinem Rücken zu ziehen.
Sayuri schaute zum Fluss. Das Wasser bewegte sich jetzt in unheimlichen wechselnden Mustern. Seltsame kleine Wellen liefen gegen die Strömung. Blutgetränkte Säulen erhoben sich hier und da aus dem Fluss. Eine Handvoll davon fiel am Ufer wieder in sich zusammen, aber eine in der Mitte des Flusses wuchs und wurde immer größer.
Sie musste ihn bewusstlos schlagen. Entweder das oder sie musste ihm einen Rausch verpassen – doch diesmal hatte sie kein Opium. Denn eins ist klar, er konnte nicht in dieser Verfassung bleiben. Er hat seinen Gott, der in sich lebt, benutzt, um uns zu retten.
»Ich habe welches mitgebracht«, keuchte er.
»Was?«
Er legte eine zitternde Hand auf seine Tasche. »Hab es gestohlen und hergebracht, nur für den Fall ...«, Sie schob die Hand in seine Tasche und zog ein faustgroßes Päckchen heraus, das fest in mit den eraus, das fest in Burgte bei dem vertrauten, widerlich süßen Geschmack.
Sie nahm vorsichtig sein Rücken, hebt ihn etwas hinauf, damit er es schlucken kann.
Das Wasser beruhigte sich. Die kleinen Wellen versanken. Die Säulen wurden niedriger und legten sich. Sayuri stieß erleichtert die Luft aus.
Dann wich er hustend von ihr zurück. »Nein - nein, nicht so viel ...«Diese Art Medizin, war eine Art Droge. Natürlich sollte es nicht zur Gewohnheit werden. Denn auf dem Schiff hatte er neulich erst auch eine Menge zu sich nehmen müssen.
Sie verstärkte ihren Griff. »Es tut mir leid.«,sagt sie, jedoch in einem unbekümmerten konzentrierten, kühlen Ton.
Er hatte nur wenige Züge geraucht. Die Wirkung würde kaum eine Stunde anhalten. Das genügte nicht. Sie musste dafür sorgen, dass der Gott fortging.
Sie hielt ihm das Opium unter die Nase und legte ihm eine Hand auf den Mund, damit er gezwungen war einzuatmen. Er schlug protestierend um sich, aber er war bereits schwach, und je mehr Rauch er einatmete, desto kraftloser wurde seine Gegenwehr. Schließlich lag er still da.
Sie warf die halb verbrannten Opiumbröckchen auf die Erde. Sie fuhr Akihiro mit der Hand über die Stirn und strich ihm nasse Haarsträhnen aus den Augen.
»Du wirst schon wieder.«, flüsterte sie. »Ich schicke jemanden zu dir.«
»Bleib«, murmelte er.
»Bitte.«
»Es tut mir leid.« Sie küsste ihn sachte auf die Stirn. »Wir müssen eine Schlacht gewinnen.«
Er sprach so leise, dass sie sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen.
»Aber wir haben gewonnen.«er stieß ein verzweifeltes, ersticktes Lachen aus. Er hatte die rennende Stadt nicht gesehen? Er wusste nicht, dass diese Stadt kaum mehr existierte? » Wir haben noch nicht gewonnen.« Er war nicht mehr bei Sinnen.
»Doch...« Er öffnete die Augen und hob mühsam den Arm. Er zeigte auf etwas hinter ihr. »Schau. Da.« Sie drehte den Kopf.
Dort, am Saum des Horizonts, segelte eine gewaltige Flotte von Kriegsschiffen. Manche glitten durchs Wasser, andere schwebten in der Luft. Es waren so viele, dass sie beinahe wie eine Fata Morgana wirkten, endlose Wiederholungen derselben Reihe weiß- schwarzer Segel und Flaggen vor der strahlenden aufgehenden Sonne.
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