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Märchen sind Prosatexte, die von wundersamen Begebenheiten erzählen. Märchen sind eine bedeutsame und sehr alte Textgattung in der mündlichen Überlieferung und treten in allen Kulturkreisen auf.
Jure Grandox auch Giure Grando († 1656) war ein Bauer aus dem Dorf Kringa in Istrien, der Republik Venedig, heute Kroatien genannt. Er gilt als erster schriftlich dokumentierter Vampir. Beängstigend, nicht? Doch diese Wesen existieren nicht. Ich dachte daran mein eigenes Märchen zu schreiben, ein Märchen, dass existiert und zu leben. Auch, wenn das Märchen kein spezieller Roman ist, welcher zum Beispiel mit einer Romanze in tiefer Verbindung gebracht wird. Viele Leser bestehen auf eine tiefe Verbindung. Ein festen Platz. Aber in meinem Märchen hat die Hauptfigur keinen festen Platz. Zumindest keinen für die Türe Verbindung und Handlung der Geschichte des Märchens, wie ein Prinz, der die Prinzessin aus einem Turm rettet, oder die Hexe die Schneewittchen mit einem Apfel vergiftet. Die böse Stiefmutter dem Kind im obersten Stock einsperrt und heimlich einen gläsernen Schuh um Mitternacht verliert.
Nein, diese Geschichte ist weder Dornröschen, noch Schneewittchen oder Aschenputtel.
Damals ahnte der Kaiser noch nicht, dass seine größte Liebe sein Untergang sein würde auch nicht, dass in Gestalt eines kleinen, hilflosen Menschenkindes in Erscheinung treten.
Wie ein Häufchen Elend lag sie verlassen in all der Verwüstung da, die einzige Sterbliche im Umkreis von 100 Meilen, die noch lebte. Die Kleine war mindestens vier Jahre alt, allenfalls acht - schwer zu schätzen, so schmächtig wie sie war, selbst nach menschlichen Maßstäben. Ein schwächliches, kleines Etwas mit glattem schwarzem Haar, das ihr in die großen, grauen Augen hing.
Irgendwo in der Nähe, unter verkohlten Balken und Trümmern lag wahrscheinlich ihre bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Familie begraben. Vielleicht hatte man die geschundenen Körper auch einfach irgendwo liegen lassen und nächtliche Jäger hatten sie sich geholt. Solche wie die, die sich dem kleinen Mädchen gerade näherten und es so aufmerksam ins Visier nahmen wie ein Habicht ein wehrloses Kaninchen.
Mehr waren die Menschen in dieser Welt ja auch nicht nur Beute, Ungeziefer, oder beides zugleich.
Drei Männer kamen ein Stück vor der Kleinen, mit einem Lächeln auf den Lippen angesichts dieses unverhofften Glücksfalls. Sofort versuchte sie sich von den Trümmern zu befreien. Wen sie da vor sich hatte, erkannte sie sofort an der dämonischen Gestalt, den Augen eines Monsters, Blut rot. Vielleicht kannte sie sogar die Uniformen, in sattem Purpurrot, der Farbe des Kaiserreiches, die aus dem
Fabelland, das Nimmernie kamen. Ihre zerrissene Kleidung hatte sich hoffnungslos in den Trümmern verfangen und um die Steinbrocken wegzuschieben, dafür war sie zu schmächtig.
»Was haben wir denn da? Ein kleines Lämmchen.« Die Männer näherten sich. Als einer nach ihr greifen wollte, fauchte die Kleine ihn an und schnappte mit ihren winzigen, stumpfen Zähnchen nach seinen Fingern.
Der Soldat zog mit einem zischenden Laut die Hand zurück, seine beiden Begleiter lachten nur.
»Ein Lämmchen? Wohl eher eine Schlange!«
»Oder eine Natter«, spöttelte der andere.
Der Soldat, den das Mädchen gebissen hatte, rieb sich die Hand und wischte ein paar dunkelrote Tropfen ab. Dann ging er auf die Kleine zu. »Was auch immer«, knurrte er. »Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, ihr Bastarde, ich jedenfalls habe Hunger nach der langen Nacht. Wie wäre es mit einer kleinen Natter?«
In dem Moment senkte sich ein Schatten über die Männer.
Alle drei erstarrten. Mit gesenkten Köpfen verbeugten sie sich ehrfürchtig. Ein kühler Luftzug umwehte ihre in Dunkelheit getauchten Gesichter.
Der Kaiser sagte kein einziges Wort. Das brauchte er auch nicht. Seine Anwesenheit reichte, um die Krieger verstummen zu lassen. Er war nicht der stärkste der Dämonen. Auch nicht der erbittertste
Kämpfer oder der weiseste Gelehrte. Aber wie es hieß, war er von den Göttern des Untergrundes selbst gesegnet, und alle, die ihm jemals begegnet waren, schworen, dass dem so war. Macht strömte aus jeder seiner Poren, und mit jedem seiner Atemzüge blies einem der Tod ins Gesicht. Schweigend sahen seine Soldaten zu, wie er über die Trümmer des kleinen Häuschens stieg.
»Der japanische Kaiser Ishikawa Jimmu und seine Soldaten sind aus dieser Gegend vertrieben worden«, wagte einer der Männer nach einer Weile zu sagen. »Unsere Leute sind nach Norden gezogen und ...«
Der Kaiser hob eine Hand, und sogleich verstummte der dämonische Soldat.
Dann ging er vor der Kleinen in die Hocke. Wütend funkelte sie ihn an. Noch so jung, dachte er. Ihr Leben hatte gerade erst begonnen und war nichts im Vergleich zu den Jahrhunderten seines Daseins. Und dennoch starrte sie ihn voller Wut an, aus Augen, die so hell und silbrig schienen wie der Mond.
»Habt ihr sie hier gefunden?«, fragte der König.
»Jawohl, Sire.«
»Stammt die Wunde an deiner Hand von ihr?«
Kaum verhohlenes Feixen der beiden anderen Soldaten.
»Jawohl, Sire«, lautete die verschämte Antwort.
Offenbar dachten die Soldaten, der König wolle sich über sie lustig machen. Aber nein. Das Ganze hatte rein gar nichts mit ihnen zu tun.
Er streckte die Hand nach der Kleinen aus und sie schnappte nach ihm. Er ließ es geschehen- zog seine Hand nicht zurück, nicht einmal, als sich ihre Zähnchen, so winzig sie auch waren, in seinen knochigen Zeigefinger bohrten.
Ohne mit der Wimper zu zucken, sah sie ihm in die Augen. Mit wachsendem Interesse begegnete er ihrem Blick.
Das war nicht der Blick eines verängstigten Kindes, das keine Ahnung hatte, was es tat.
Es war der Blick eines Wesens, dem bewusst war, dass es den Tod höchstpersönlich vor sich hatte, und das dennoch den Mut besaß, ihm ins Gesicht zu spucken.
»Eine kleine Schlange«, sagte der Kaiser eines Landes, welches voller mystischen, eigenartigen Kreaturen heimgesucht war. Der Gedanke hatte sie schon immer erschrocken, dass es ausser den Menschen, die sie jeden Tag in der Stadt aus ihren Fenster und im Palast zu sehen bekam, noch andere gibt. Andere Wesen, jedoch erschreckte es sie vielmehr, dass Vater sie vor dem, was sich auf der verborgenen Seite befand immer fern halten solle, obwohl sie sich immer gerne in die Bibliothek verkroch, wenn Vater nicht da war, doch das war er die meiste Zeit sowieso nicht. Das sagte der Kaiser mehr zu sich selbst als zu seinen Soldaten. Sie erinnerte ihn für einen Moment an die Schlange aus dem Märchen von dem jungen in dem Dschungel, doch er streitet es schnell wieder aus seinem kopf.
Die Soldaten brachen in Gelächter aus. Doch das ignorierte er. Das hier war alles andere als ein Witz.
»Bist du ganz allein?«, fragte er ruhig.
Das Mädchen antwortete nicht. Solange ihre Zähne in seinem Fleisch vergraben waren, konnte sie ja auch gar nicht sprechen.
»Du brauchst mich nicht zu beißen«, sagte er. »Ich werde dir nichts tun.«
Doch die Kleine hörte nicht auf ihn, sondern blickte ihm weiter in die Augen, während schwarzes Blut von ihrem Kinn tropfte.
Die Mundwinkel des Kaisers verzogen sich zu einem Lächeln. »Richtig so. Du solltest mir nicht trauen.«
Er befreite seinen Finger, dann zog er das um sich schlagende Kind vorsichtig unter den Trümmern hervor. Selbst sein erbitterter Widerstand war stumm. Und erst als er es vom Boden aufhob bei der Göttin, die Kleine war so leicht, dass er sie mit einer Hand hochheben konnte, bemerkte er ihre schweren Verletzungen, die blutgetränkte, zerrissene Kleidung. Der süßliche Duft stieg ihm in die Nase, als er sie an seine Brust drückte. Sie war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, doch auch dagegen wehrte sie sich, stemmte sich mit ihrem ganzen Körper dagegen.
»Ganz ruhig, kleine Schlange. Dir wird nichts geschehen.«
Er strich der Kleinen über die Wange, und sie wollte ihn schon wieder beißen, doch ein Funke von Magie strömte durch seine Fingerspitzen. Gegen den traumlosen Schlaf, der ihr dadurch eingeflüstert wurde, konnte sich selbst dieses kleine Biest nicht wehren.
»Was sollen wir mit ihr machen, Sire?«
Der Kaiser schritt an den Soldaten vorüber. »Nichts. Ich werde sie mitnehmen.«
Sekundenlanges Schweigen. Obwohl die Soldaten hinter ihm standen und er sie nicht sehen konnte, spürte der König geradezu die verwirrten Blicke, die sie einander zuwarfen.
»Wohin denn?«, fragte einer von ihnen schließlich.
»Unser neues Zuhause.«, antwortete der Kaiser eines Landes, nein eines Reiches welches ihm eigentlich völlig genügen sollte, wenn dieses so war, wie man es sich in Märchen sagt. Doch allein die Tatsache, dass dieser Kaiser des Reiches ein anderes Angriff, und schliesslich vernichtet, war alles andere als ein Märchen. Sie sah bloss Monster. Da waren keine Feen oder Elfen, die Goldigen Glanz besassen, keine sprechenden Tiere, die mit ihr sprachen.
Das Kind schlief und hielt mit seiner kleinen Faust den seidenen Stoff des königlichen Gewandes fest umklammert. Selbst im Schlaf kämpfte es noch immer gegen ihn an.
Neues. Zuhause.
Was für eine unverständliche Entscheidung, würden sie einander zuraunen. Warum hat er das getan?
Ja, warum?
Dämonen wissen doch besser als jeder andere, wie wichtig es ist, ihre Herzen zu schützen.
Und Liebe, so muss man wissen, ist schärfer als jede Klinge.
Doch als er sie in den Turm sperrte, verflog die Liebe auf sein Reich, und er wird zu einem Blutrünstigem Monster. Oder war er das schon vorher? Sie vergaß. Ja, das war er.
Schließlich löschte er ihre Erinnerungen.
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