december 1999
DIE WELT WAR dem ewigen Untergang so nahe, dass Morticia ihn am Horizont sehen konnte. So nah, dass sie die Hand des Todes erblicken konnte, die einen eisernen Pakt mit dem Chaos schloss, und die Öffnung des vierten Siegels bevorstand.
Der dritte Reiter hatte sein Ungetüm getrieben, Hunger und Tod hatten die Welt in Besitz genommen, und nun war der letzte der vier bereit zu nehmen. Auf seinem fahlen Ross würde er reiten und mit seinem Schwert töten und richten, während sie alle nur warten und dulden konnten.
Der dunkle Lord wollte mehr und mehr. Und wenn alles genommen war und er versuchte, selbst das Beständige zu nehmen, würde er die Kontrolle verlieren und sie alle mit sich reißen in die Verwirklichung der Offenbarung.
So viel Kummer und Grauen weilte unter der Menschheit und Morticias Hilfe war nicht ausreichend. Sie starrte aus dem Fenster und wünschte sich ein Ende. War es zu viel Frieden zu wollen? War es zu viel zu erwarten, dass Gott seine Kinder mit Durchblick segnete? Bald würde sie mehr helfen können, dachte sie sich. Bald würde sie helfen können diesen Krieg zu beenden.
Morticia drückte die Bücher enger an ihre Brust und wandte ihren Blick von den verschneiten Bäumen des Verbotenen Waldes ab, der in der Ferne in der weißen Welt beinahe unterging. Es fehlten Fußabdrücke im Schnee und Schneebälle, die Kinder aufeinander warfen; die Leichtigkeit der Winterzeit.
Hogwarts hat sich verändert, war mit jedem Jahr etwas kühler geworden, bis es die Gesellschaft widerspiegelte, die unter dem dunklen Lord zu etwas Königlichen geworden war. Ungerechtigkeit für die Niedergeborenen; prachtvolle Feiern für die Hochgeboren, bis das Wort königlich etwas dysphemistisches hatte.
Die Schüler waren von Glück verlassen und die, die noch ein Lächeln auf ihren Lippen besaßen, hatten ihre Seele verkauft, um dieses zu erlangen, und mussten nun als ewige Sklaven in diesem Krieg kämpfen.
Morticia war gefangen in einem Konflikt. Sie wollte helfen, weiter warten und ihre Seele vor dem Untergang retten, aber sie wartete auch auf ihren Tod, wie ein Kind auf die Geschenke des Christkinds.
Sie wartete auf ihren Tod, während die Menschen um sie diesen fürchteten.
Selbstmörder kommen nicht in den Himmel. Morticia glaubte, niemand auf dieser Welt würde in den Himmel kommen und das Reich Gottes würde leer verbleiben. Jeder Sterbliche musste Sünden über sein Herz bringen, um zu überleben oder die Menschen zu schützen, die er liebte.
Träge Schritte führen sie aus der Bibliothek. Mit trägen Blicken beobachtete sie, wie die Schule, die einst so magisch gewesen war, zu etwas Düsterem wurde und sich nun mehr Rivalitäten und Ungleichheit bildete. Die Schüler wurden zu Beginn ihres zweiten Jahres nach ihren Begabungen eingeteilt, um darauf vorbereitet zu werden, dem britischen Reich bei seiner Errichtung zu dienen.
Es klang verzückend, wenn die Ministerin es aussprach und die Betonungen an die falschen Stellen setzte. Es klang nachvollziehbar, wenn sie es sagte und die Hand auf den Bauch legte, der irgendwann den Erben des Schicksals tragen würde und die Sympathie in den Müttern des Landes weckte.
Man sah der blassen Schönheit mit dem silbernen Haar nicht an, dass sie die Marionette des dunklen Lords war und vielleicht war sie dies auch nicht. Vielleicht führte sie ihren eigenen Krieg und war nur die rechte Hand Satans, um Schlimmeres zu verhindern.
Das Abzeichen der Heiler prangte auf Morticias Brust, stellte ihr Hauswappen in den Schatten und trotz seiner Schönheit war es ein Abzeichen des Schams. Da ihre Magie kaum ausreichend war um eine Kerze zu entzünden und ihre Statur unpassen war, um in den Kampf zu ziehen, war sie eine Heilerin.
Heiler konnten nichts. Heiler durften nichts.
Neville Longbottom war einmal ein Heiler gewesen und war gezwungen, die Menschen zu heilen, die seine Freunde umbrachten, bevor man ihn für Verrat und Rebellion hingerichtet hatte. Morticia würde seinem Andenken folgen, so schaffte sie es nicht, auf eine andere Weise den Tod zu finden.
Morticia bog um die Ecke und verwirrt verengte sie ihre Augenbrauen, als sie einen jungen Schüler entdeckte, der aus der Dunkelheit so herausstach. Der Hufflepuff mit braunem Haar, seine Haut von jeglicher Farbe verlassen, stand an die Wand gepresst und legte die Hand auf seinen Mund, als müsse er sich selbst von einem angsterfüllten Schrei abhalten.
Sie war bereits einen Schritt weitergegangen, wollte ihm helfen, denn er schien nicht älter als zwölf Jahre zu sein, aber da bemerkte er sie und sah sie mit Augen voller Angst an. Morticia kannte Angst in den Augen der Menschen, aber die Furcht des Jungen war eine, die ihn das Leben zu kosten schien.
»Renn.«, flüsterte er hauchzart, aber da war es bereits zu spät und Morticia verfluchte sich, dass sie es nicht eher bemerkt hatte. Der Korridor schien sich mit Dunkelheit zu fühlen, da das seichte Licht der Sonne sich ebenfalls vor ihm fürchtete, und während ihr Herz unberührt blieb; sie nichts fühlte von der Aura der Macht, verriet ihr Verstand was geschah.
Der kleine Junge musste sterben vor Angst, gepeinigt durch die schwarze Macht, für welche Morticia blind war. In ihr wurde der Wunsch wach, zu dem Jungen zu gehen, ihn zu schützen, aber da stand er schon da und sie konnte sich nicht rühren.
Mörder. Henker. Schwert der Ministerin. Lügner. Verräter.
Ihre Glieder sind erfroren und nicht einmal ihr Herz schlug, während er sie mit seinen blauen Augen fixierte und Erinnerungen wie Geister der Vergangenheit sie heimsuchten. Der Geschmack der Sünde sie heimsuchte.
Morticia trat einen Schritt zurück, und die Gestalt mit dem dunklen Umhang trat einen Schritt vor, woraufhin sie zu dem kleinen Jungen im Schatten blickte, der zitternd zu Boden gesunken war, aus verbreitete Angst, durch die Hand des gefallenen Engels den Tod zu finden.
War das die Reaktion, die sie in Lucifers Nähe haben sollte?
Schnell löste sie den Blick und ging einen weiteren Schritt zurück, lockte Lucifer von dem Kind weg, damit es fliehen und der Angst entkommen konnte. Sie konnte mit ihm mitempfinden und wollte ihn retten, so gut sie konnte. »Craigh.«, ertönte ihr Name von den Lippen Lestranges und seine Aufmerksamkeit war so auf sie gerichtet, dass er keine Gefahr darstellte.
Kaum wahrnehmbar nickte sie, und der kleine Junge kam aus seinem Versteck im Schatten, rannte hinter Lucifer den Gang entlang und verschwand. Dieser rührte sich jedoch nicht und sie bemerkte, dass er bereits wusste, wer sich versteckt hatte. Natürlich wusste er es, wurde zum Krieger erzogen und befehle den Krieg, wenn die Ministerin verhindert war.
Lucifer streifte die Kapuze vom Kopf, und wieder klangen ihr die Gerüchte in den Ohren, die die verliebten Mädchen über den Serienmörder flüsterten. Eine Schönheit, die nur von einer Veela stammen konnte. Das Böse war immer wunderschön, und allein sein Anblick erinnerte sie daran, dass er mehrere Stunden lang nur ihr gewesen war.
Erst jetzt tat sie das, was der Hufflepuff von ihr verlangt hatte, und sie riss sich von seinem Anblick weg, kehrte Lestrange ihren Rücken zu. Die Bücher eng an ihre Brust gepresst, lief sie los und wollte nie mehr zurückschauen.
Rannte sie davon wegen den Sünden, die sie wegen ihm gegangen hat oder wegen seines Verschwindens, nachdem sie ihm alles gegeben hatte?
»Morticia«, rief er ihr mit dieser paradox himmlischen Stimme nach, wobei etwas Düsteres in seinem Ton lag, und noch nie hatte sie den sonst so humorvollen Lestrange Erben so ernst erlebt. Vielleicht sollte es sie beunruhigen, aber er war ihr aus dem Weg gegangen, und nun würde sie dasselbe mit ihm tun.
Seine schweren Schritte hallten hinter ihr durch den Gang und beinahe hatte sie die Kreuzung der Korridore erreicht, als ihr Arm gepackt wurde. Mit festem Griff zog Lucifer sie zu sich und wirbelte sie herum; zwang sie mit seiner anderen Hand unter ihrem Kinn, ihn anzusehen. »Wieso rennst du?«
»Verschwinde.«, zischte sie mit starrer Stimme und ihre Brust schwoll nur so vor Eigenstolz an, da sie bei Verstand blieb und sich nicht vor Sehnsucht in seine Arme fallen ließ. Aber ihr Atem wurde keuchend und ihre Wangen erröteten, und als Lestrange dies bemerkte, erschien ein teuflisches Schmunzeln auf seinen Lippen.
»Ich will mit dir reden.«
»Tja, ich nicht mit dir.« Es überraschte sie, dass sie es tatsächlich schaffte, sich aus seinem Griff zu lösen und bevor er sich umentscheiden konnte, ergriff sie erneut die Flucht. Eine Lüge war über ihre Lippen gekommen. Natürlich wollte sie mit ihm reden und ihm ihre Gefühle entgegen schreien. Hoffte, es über ihr Herz bringen zu können, ihm zu sagen, dass der Moment in der Kirche vor einem Monat ein Fehler war, den sie nur noch nicht aus ihrem Kopf bekam.
So oft hatte sie vor ihrem Spiegel gestanden und die Worte wiederholt, die ihr jedesmal die Tränen in die Augen getrieben haben. So oft hatte sie den Zeitungsartikel gelesen und die Briefe, die ihre Eltern ihr geschrieben haben; hat so oft an die Zeit gedacht, in der er sie ignoriert hat, um den Hass in ihrem Herzen zu schüren.
»Morticia, renn nicht wieder weg.«, stöhnte Lucifer hinter ihr genervt, doch würde sie ihm nicht gehorchen. »Verfolg mich nicht und ich renne nicht!«
»Ich höre auf dich zu verfolgen, wenn du stehen bleibst, damit wir reden können!«
»Ich will nicht mit dir reden!«
»Ich aber mit dir!«
Sie antwortete ihm nicht mehr, hob ihr Kinn und hatte für einen törichten Moment seines Schweigens die Hoffnung, dass sie ihn abgehängt hat. Doch als sie die Haupthalle betrat und die Reaktionen ihrer Mitschüler erkannte, wurde ihr bewusst, dass Lucifer sie verfolgte wie ein Schatten.
Nun hatte sie die Befürchtung, dass er ihr so lange hinterherlaufen würde, bis sie zu müde zum Gehen war, oder dass er sie einfach nehmen und über die Schulter werfen würde, wenn er die Geduld verlor.
Gerade als sie sich umdrehen wollte und Lucifer bitten wollte, zu verschwinden, da seine Anwesenheit zu viel Aufmerksamkeit auf sie zog, hörte sie bereits die familiäre Stimme und sie verharrte in ihren Bewegungen.
»Geh bitte, Lucifer.«, flüsterte sie ihm schnell zu, doch es war zu spät. Fraser hatte sie bereits entdeckt.
Duncan Fraser kam aus einer nichtigen Familie, doch hatte sein Vater sich aufgrund seines Talentes als Todesser bewährt gemacht und lebte nun mit seiner Familie wie Adlige. Duncan war der Auffassung seines Vaters Erfolge wären seine eigenen und lief so durch die Schule; war einer der Tyrannen in Morticias Leben.
»Morticia! Bist du endlich aus deinem Loch gekrochen?«, lachte er bei ihrem Anblick und erst jetzt entdeckte er Lestrange hinter ihr stehend, dessen Anspannung sie nicht übersehen konnte, Duncan jedoch tat. »An die lange Leine gelassen, Lestrange? Vermisst unsere gute Ministerin dich nicht?«
Unauffällig ließ Morticia ihre Finger über Lestranges Hand gleiten, als versuche sie, ihn wie ein Kind abzulenken und ihn nicht wie den Krieger zu behandeln, der er war. Lestrange löste seinen Blick von Morticias Gestalt und sah Duncan an, ein kaum freundliches Lächeln auf seinen Lippen.
»Vergiss nicht, wer dich an einer Leine hat, Fraser. Alleine für diese Aussage könnte ich deine gesamte Blutlinie hinrichten lassen.« Kaum eine Warnung, mehr ein Versprechen. Duncan hob seine Hände mit einem Lachen, während seine Freunde sein Selbstbewusstsein nicht teilten, aber sein Lachen verschwand langsam, als er den verwirrenden Umstand bemerkte.
Morticia und Lestrange.
»Ich dachte, unsere süße Morticia sei Riddles Hure und er würde nicht teilen?«, fragte er verwirrt und Morticia konnte nur zu Boden blicken und hoffen, dass er aufhörte zu reden. Riddles Hure. Riddles Hure.
Morticia besaß nichts, was Mattheo von Vorteil sein konnte und als sie Freunde wurden, trotz ihrer Familie, begann Hogwarts zu reden und zu flüstern. Riddles Hure. Riddles Hure. Sie wurde nie gemocht, ihr wurde nie Respekt zuteil, doch war ihr Ruf damals besser gewesen als heute.
»Bekommst du etwa auch einen Ritt, Lestrange? Wenn Riddle seinen Höllenhund unter ihren Rock lässt, dann bestimmt auch mich.«
Er lachte und lachte, aber sie war gewohnt und sah nur auf die leicht zerbrochenen Fließe zu ihren Füßen. Sie konnte den schändlichen Aussagen nicht entkommen, rannte um die Welt und würde dieselben Worte immer und immer wieder hören. Mattheo Riddles Hure.
»Wie schmeckt ihre kleine Fotze? Nach der verfickten Verrät–«
Morticia hatte über ihre Schulter geschaut und in dem Moment gewusst, dass es zu spät war. Sie wusste, dass es zu spät war, als sie den Blick in Lucifers Augen erblickte. Aber bei der Realisation kam kein Schrei über ihre Lippen, sondern sie starrte ihn nur an, als er seinen Zauberstab hob und den mächtigen Fluch sprach.
Sie betete im Stillen vor sich hin, während Duncans Schreie die Haupthalle durchdrangen und die ihrer Mitschüler, die sich vor Angst oder vielleicht auch vor dem betörenden Anblick der Grausamkeit nicht von der Stelle rühren konnten. Sie betete für ihre Seele und für die Seelen Lucifers, als er Duncan befahl, sich das Herz herauszureißen.
Der dunkle Zauberer empfand keine Reue, schien es nur zu genießen und sie fürchtete sich so sehr, weil sie wusste, dass er es für sie tat. Weil sie wusste, was er alles bereits für sie getan hat.
»Morticia Craigh steht unter dem Schutz des dunklen Sohnes. Verunreinigt ihren Namen, ihr Ansehen, fasst ihr sie auch nur an und euer Schicksal wird schlimmer sein als das Duncan Frasers.«, bellte Lucifer mit dunkler Stimme die restlichen Schüler an und Morticia zitterte am ganzen Leib.
Seine Worte, die eines Herrschers und des Todes selbst, hallten in ihrem Kopf wieder und wieder. Sie mochte es nicht und zuckte von ihm, als er seine Hand ausstreckte. Morticia hatte immer gewusst, wer er war, doch hasste sie der Wahrheit nicht aus dem Weg gehen zu können.
»Oh nein, denk nicht einmal daran. Wir reden jetzt.«, befahl er, als Morticia einen Schritt zurückging und ein Keuchen entkam ihren Lippen, als er ihren Arm packte und sie mit sich zog. Beinahe wären ihr ihre Bücher aus der Hand gerutscht und bei dem Versuch, diese zu retten, fielen ihre Augen zu Boden.
Sie wollte nicht mehr sehen können. Hatte den Wunsch, sich ihre Augen auszukratzen, denn als sie es tat und auf die blutige Gestalt schaute, die auf dem Boden lag, wurde ihr übel. Ein Mann sollte nicht in der Lage sein, so etwas zu tun.
Duncan Fraser hatte sich nicht nur sein eigenes Herz ausgerissen; sich mit seinen eigenen Nägel durch sein Brustkorb gekratzt, bis nur noch Blut und Innereien, zerbrochene Knochen zu sehen waren, sondern unter leblosen Haut schien noch etwas zu Leben und sein Herz schien noch in seiner Hand zu schlagen.
Lucifer zog sie von dem Springbrunnen der Haupthalle davon, die Treppe hinab, während sie keine Worte über ihre Lippen bringen konnte. Er ließ ihren Arm erst los, als sie bei dem verlassenen Zaubertrank Klassenzimmer angekommen waren und er die Tür hinter ihnen mit einem Zauber verschloss.
Kaum hatte er sie angesehen, hob sie schon ihr Kräuterkunde Buch an und schleuderte es auf ihn.
Ein gotteslästerlicher Fluch entfuhr seinen Lippen, als er dem Buch geschickt ausweichen konnte, aber da hatte sie schon ein zweites geworfen und ihn an der Brust getroffen. Die Provokation von Lestrange konnte für andere tödlich enden, doch funkelte er sie nur gefährlich an. »Könntest du es bitte unterlassen, mich mit Büchern zu bewerfen?«
»Du bist geisteskrank, mieses Arschloch!«, schrie sie ihn an und machte sich bereit, ihr drittes und letztes Buch nach ihm zu werfen, doch kam sie nicht so weit. Schon stand Lucifer vor ihr und packte mit festem Griff ihr Handgelenk. Ihr Herz hämmerte vor Wut in ihrem Brustkorb, und der verstörende Anblick von Frasers Leichnam hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.
»Wir müssen reden.«
»Reden? Du hast es offensichtlich gemacht, dass du nur einen kurzen... eine kurze Ablenkung gebracht hast. Du hättest mit mir sprechen können, doch bestimmt nicht einen Monat später.«
Mit einem Mal schien ihre Wut von der Trauer und der Bloßstellung erstickt zu werden, die sie seit ihrem sündigen Moment mit Lucifer empfand. Als sie ihren Blick hob und ihn ansah, war es nicht Lucifer Lestrange, der gerade vor ihren Augen einen Menschen getötet hatte oder bereit war, weitere Leben zu nehmen.
Überrumpelt von seiner plötzlichen Zuneigung, die nach Jahren der Verachtung kam, schluckte sie. Tatsächlich war er so wunderschön wie der Engel, nach dem er benannt wurde, wenn er sie so betrachtete.
»Ich verdiene deine Vergeben nicht, doch lass es mich erklären.«
»Du hast—« Sie erstickte an ihren eigenen Worten und ging einen Schritt zurück. Er ließ ihre Handgelenke los und sie ging noch einen weiteren Schritt zurück. »Du hast die Kirche abgebrannt und...« Und die Männer und Frauen getötet, die ich nicht töten konnte.
Sie brauchte ihn nicht zu fragen, ob er es war, denn sie kannte ihn. Morticia las die Zeitungsartikel und die aufgelösten Briefe ihrer Eltern, eine Woche nachdem sie Lucifer zum letzten Mal gesehen hatte.
Ihr erster Gedanke war, dass Lucifer es bereute und sein Vergehen mit Feuer verschwinden lassen wollte. Dann starben die anderen und sie wusste, dass Lucifer alles herausgefunden hat.
»Wieso? Wieso tust du mir so etwas an?«, fragte sie ihn mit zittriger Stimme. »Hasst du mich so sehr, Lucifer? Hasst du mich so sehr, dass du mir alles nehmen musst? Reicht es dir nicht, dass du mich zu dieser grausamen Sünderin gemacht hast?«
Tränen stiegen in ihre Augen und Lucifer hob seine Hand, um diese wegzuwischen. Ohne ihn auch nur in die Nähe von ihr zu lassen, wich sie ihm aus. Geschlagen ließ Lestrange seine Hand wieder sinken. »Ich habe das nicht getan, um dich zu verletzen, sondern weil du dich nicht rächen kannst ohne Konsequenzen zu leiden.«
»Wag es nicht. Wag es nicht, mein Grund zu deinem eigenen zu machen!«
Lucifer aber schien nicht auszusehen, als wollte er sich entschuldigen. »Es hat eine Woche gebraucht, bis ich herausgefunden habe, warum du diesen verfickten Priester umgebracht hast. Du warst ein Kind, wieso denkst du—«
»Hör auf.« Ihre Stimme schlug durch den Kerkerraum, wie eine Peitsche. »Du hast keine Ahnung wovon du redest und was mir passiert ist. Was ich war—was ich bin, hat es verdient. Ich war kein Kind, ich war ein Monster. Eine Missgeburt! Ich kann niemals gut machen, was ich bin, aber... Du kannst dich nicht in meinem Namen rächen für etwas, das keine Rache verdient hat.«
Die Worte verließen ihren Mund und Lucifer sah sie an, als sei sie geisteskrank, und zum ersten Mal schien es für ihn etwas Schlimmes zu sein. Er umfasste ihr Gesicht und sie wollte ihn nicht ansehen, als sie zerbrach. »Mit dir ist nichts falsch... Hör auf dich für etwas zu bestrafen, das keine Bestrafung verdient.«
Morticia wünschte, er würde die Wahrheit sagen und das Gefühl in ihrem Körper würde aufhören, die Stimme in ihrem Kopf endlich schweigen. Sie wünschte sich, dass sie ebenfalls so von sich denken könnte und nicht ihren eigenen Blick im Spiel auswich oder zu weinen anfing, wenn sie gezwungen war, Magie zu nutzen.
Aber er log.
»Ich hätte dich gebraucht. Ich hätte dich gebraucht, um meine Gefühle zu verstehen, aber du bist gegangen. Du bist gegangen, nachdem du mir alles genommen hast, was mir noch übrig war.«, flüsterte sie mit schwacher Stimme und Lucifer lehnte seine Stirn gegen ihre, beruhigte ihr schmerzendes Herz, als seine Hand die ihre umfasste.
»Es tut mir leid. Bitte verstehe, dass ich dich nicht noch einmal verlassen werde. Ich hatte keine Wahl, ich—«
»Du wirst mich wieder verlassen, weil ich es will. Ich brauche nicht so jemanden wie dich in meinem Leben. Du hast Duncan getötet, für etwas, das nichts mehr als ein dummer Witz war. Du hast so viele Leben genommen, ich kann dich nicht ansehen. Was du mir ange—Was ich wollte, dass du mir antust... Es war ein Fehler und mein Leben lang, werde ich versuchen ihn wieder gutzumachen.«
Der Daum, der über ihre linke Hand gefahren war, um sie zu beruhigen, stoppte inmitten seiner Bewegung und Morticias Herz zerbrach in tausende Teile, da sie sich bewusst war, was sie nun tun musste.
Sie kannte nur die Worte, die Mattheo ein Dolch rammte und hoffte, dass sie Lucifer ebenso verletzen.
Er lehnte sich zurück und sie brachte wieder Abstand zwischen die beiden. »Du bist ein Monster, Lucifer. Ich seh dich an und sehe nur etwas, was ich hasse. Ich will dich nicht in meinem Leben haben, geschweige von jemals wieder von dir berührt zu werden...«
Ich will nicht, dass du wegen mir den Tod findest, da du Dinge machst, die du nicht machen solltest. Ich will nicht, dass du wegen mir leidest, also verletze ich dich. Ich will nicht, dass ich dich liebe, obwohl ich es tue. Ich will nicht in deiner Nähe sein, weil ich dein Leben über meinen Wunsch des Friedens stellen würde.
Der Moment war ruhig und sie glaubte, in der Ferne Stimmen zu hören oder das Brodeln eines Kessels neben sich, während ein lautes Piepen ihr den Verstand raubte. Lucifer sah ihr tief in die Augen und Morticia war es, als würden seine Augen wässrig werden.
»Ich will dich in meinem Leben haben. Ich will, dass du mir gehörst und ich dir.«, erklärte er leise und schien nichts zu verstehen. Wieso wollte er es nicht einfach verstehen?
»Dann ist dein Wunsch, der eines Narren. Mattheo schenkte mir Freiheit von einem Mann, ich werde sie mir nicht von jemandem wie dir nehmen lassen. Du hattest mich für eine Nacht und hast dich dazu entschieden zu gehen. Ich werde niemals dein sein. Versprich mir, dass du verstehst.«, flüsterte sie, doch seine Augen verdunkelten sich.
Ihre Haut fühlte sich falsch auf ihrem Körper an und ihr wurde übel vor all dem Kummer, der sich in die Mitte ihres Herzen frass.
»Mattheo kann dir keine Freiheit schenken, wenn er selbst nicht einmal über sein Leben entscheiden kann. Du hältst an einer Lüge fest, lass mich dich—«
»Nein. Versprich mir, dass ich niemals jemandem gehören werde. Bitte. Ich will nicht dein sein, weil dein sein bedeutet, alles zu verraten, was ich liebe.«
Er sah wie rot ihre Augen waren und wie oft sie blinzeln musste, damit sie trotz der Tränen etwas sehen konnte und sie erwartete, dass er ihren Blick entgegnete, ihre Worte von der Nacht in der Kirche wiederholte, dass niemand frei sei und sie alle die Untertanen des dunklen Lord waren; dass selbst eine Ehe nicht der Gebundenheit nah kam, mit der sie alle belastet worden.
Aber er ging nur zu ihr und zog sie in seine sicheren Arme, küsste sie endlich wieder. Ließ sie endlich wieder frei atmen. Und obwohl sie ihn wegstoßen und ihn anschreien wollte, für all die Dinge, für die er nichts konnte, zog sie ihn näher an sich und schmeckte das Salz ihrer Tränen.
Ihre Hand vergrub sich in dem schwarzen Umhang und seine fand ihren Weg in ihr langes Haar, während er sie verschlang, wie die Gläubigen des Heilige verschlingen wollten. Sehnsucht machte grausame Dinge mit einem Menschen und Morticia schien dem Drang der Menschen unterlegen zu sein, sehnte sich so sehr nach dem Mann, der ihr Herz bereits gebrochen hat.
Sie zog ihn näher zu sich heran, als würde sie ohne seine Nähe ersticken, aber er löste keuchend seine Lippen, und sein Gesicht verzerrte sich, als würde ihm der Rückzug von ihren Lippen Schmerzen bereiten, die selbst dieser Krieger nicht ertragen konnte.
Lucifer strich ihre Tränen weg und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn, als würde dies alles besser machen und sie zu anderen Personen. »Was dir angetan wurde, war nicht deine Schuld, Morticia. Und wenn dein einziges Verbrechen war, als Hexe geboren zu werden, dann ist dein Gott böse.«
Ihre Hand löste sich nicht von seinem Umhang, da sie ohne seinen Halt auf die Knie fallen würde. »Aber ich habe dich gewählt, obwohl ich meinen Glauben hätte wählen sollen. Ich habe dich gewählt, obwohl ich wusste, dass es falsch war.«
»Es tut mir leid, dass ich gegangen bin. Ich hatte keine Wahl.«
»Meine Entscheidung ändert sich nicht, Luc. Ich kann dich nicht noch einmal wählen.« Morticia wusste nicht, wie sie es schaffte, sich von ihm zu lösen, und erst, als sie den Tisch in ihrem Rücken hatte, bemerkte sie, wie weit sie gekommen war.
Lucifer sah sie verständnislos an und vielleicht auch etwas verloren, da sie zum Greifen nah gewesen und ihm entglitten war. »Ich verstehe nicht, wovor du solche Angst hast!«
»Vor allem!« Ihre Tränen fielen auf das Hemd, und die gelb-schwarze Krawatte, die zuvor locker um ihren Hals gehangen hatte, schlang sich nun enger um sie, drohte sie zu ersticken. »Vor allem. Vor mir. Vor Gott. Vor dem dunklen Lord. Vor der Ministerin. Vor dieser Welt. Vor dir. Vor meinen Gefühlen. Was ist, wenn ich dich wähle und du mich wieder verlässt? Wenn ich alles riskiere, aber du nicht das fühlst, was ich fühle? Wenn wir einander lieben auf einer Art, wie wir nicht sollten und es herauskommt und wir beide dafür hingerichtet werden? Ich kann es nicht riskieren.«
»Ich gehe nicht noch einmal und wenn, dann komme ich zu dir zurück.«, sagte Lucifer mit leichter Verzweiflung, doch Morticia wandte ihren Blick mit Misstrauen ab und schüttelte den Kopf, als er wieder zu ihr kommen wollte. »Sieh mich an, Morticia.«
Sie tat es, weil er es von ihr verlangte und sie alles für ihn tun würde.
»Ich liebe dich, Morticia.«, hauchte Lucifer ihr die letzte Wahrheit in einer Welt aus Lügen und vergessener wahren Liebe zu. Ihr Herz hatte bereits aufgehört zu schlagen, als sie ihn unberührt ansah und stumme Tränen über ihr Gesicht strömten.
»Du liebst eine Lüge, Lucifer. Du und ich... Wir können nicht. Du liebst einen Traum, der niemals Wirklichkeit werden kann.«
»Dann mache ich diesen Traum zu unserer Wirklichkeit. Ich habe auch Angst. Nicht vor jemandem, sondern um jemanden. Ich liebe dich, Morticia, und auch wenn ich weiß, dass du mich ebenfalls liebst, zwinge ich dich nicht, es zu sagen. Ich hoffe du weißt jedenfalls, dass ich dich nie wieder gehen lassen werde. Ich liebe dich und ich werde dich vor all den Dingen, vor den du Angst hast, beschützen. Schrei mich an und schick mich weg, aber ich bleibe bei dir. Vielleicht habe ich den Himmel nicht verdient und dein verfickter Gott hasst mich, denn ich habe seit dem Sex in der Kirche Kopfschmerzen, aber ich liebe dich mehr als all diese Dinge. Du bist meine Absolution..«
Er trat zu ihr und nahm ihre Hand, legte sie auf sein Herz, das wild gegen ihre Berührung pochte. »Es schlägt nur für dich, denn mein Herz gehört dir und wenn du meine Seele willst, dann gehört sie ebenfalls dir. Nenn mich Monster, nenn mich grausam, aber denk nicht, dass ich dich jemals wieder verlassen werde. Selbst wenn meine Zeit gekommen ist, kann kein Grab und keine Hölle mich davon abhalten, wieder zu dir zurückzukehren. Ich liebe dich.«
»I-Ich... Ich hasse dich.«, schwor sie mit zerbrochener Stimme eine Lüge und Lucifer schnalzte grinsend mit der Zunge, legte seine Arme um ihre Mitte und zog sie zu sich. Ihre Hände blieben auf seiner Brust liegen, während sich ihre Finger in seinen Umhang krallten. »Gute Christen hassen nicht. Oh mein wunderschöner Traum.«
Zart strich er das schwarze Haar aus ihrem Gesicht und küsste ihre Stirn. »Gute Christen verlieben sich nicht auch in den Teufel.«, erinnerte Morticia ihn und Lucifer winkte nur ab. »Du kannst auch nicht komplett perfekt sein.«
Seine Worte konnte sie nur durch die Tränen lachen lassen und sie legte ihre Wand auf seine Wange. Das erste Mal seit Jahren besaß sie wieder Hoffnung und erkannte einen Sinn in ihrem Leben. Das erste Mal war sie nicht mehr einsam. »Du bist verrückt, wenn du glaubst, es wird funktionieren, Luc.«
»Ich bin verrückt? Erinnere mich daran, wer noch einmal die Stimme Gottes hört, die ihr befohlen hat einen Mord zu begehen. Ich bin vielleicht wahnsinnig, aber du hast vieles an dem wir arbeiten müssen.«
Sie schlug ihm auf die Schulter, bevor er sie in seine Arme hob und sie küsste, obwohl sie es nicht sollten.
Dieses Mal ging er nicht und blieb bei ihr.
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