Kapitel 4
Die restliche Woche ist wie eine stetige Wiederholung des Montags. Ich wache auf mit einer Erinnerung vor Augen, die ich still ausharrend durchleben muss, bis mein Wecker mir die Chance gibt in die Gegenwart zurückzukehren. Dann gebe ich mein Bestes alles in die hinterste und dunkelste Ecke meines Verstandes zu sperren und konzentriere mich darauf durch den Alltag zu kommen. Lächeln, mit den richtigen Leuten ein paar Worte wechseln und niemals auch nur den Hauch von Schwäche zeigen.
Jeden Morgen hole ich mir meinen Kaffee bei Matt, flirte genau so viel, dass ich mir sicher sein kann auch am nächsten Tag an der Schlange vorbeilaufen zu können, und breche dann das Gespräch genau an dem Punkt ab, bevor er genug Mut haben könnte, um etwas so Dummes zu machen wie mich nach einem Date zu fragen. Jede Mittagspause trete ich mit einem eisernen Lächeln in die Cafeteria und laufe zu dem Tisch der Sportler, als gäbe es für mich nichts Normaleres als mich zu Row und den Eishockeyspielern zu setzen.
Manchmal kommt mir der Gedanke wie ironisch das Ganze ist, nachdem sich Row schon seit unserem ersten Tag am College geweigert hat mit mir in die Cafeteria zu kommen. Erst als der Vorschlag von Gray kam, damit sie sich trotz der straffen Zeitpläne von beiden sehen können, war sie mit einem Mal einverstanden damit. Und dann sehe ich wie glücklich meine beste Freundin ist und schäme mich dafür. Als Entschädigung bemühe ich mich an solchen Tagen besonders stark an den Gesprächen der anderen teilzunehmen, so wie das jeder andere normale Mensch tun würde. Ohne Flirten, ohne die Unnahbare zu spielen oder andauernd Anspielungen fallen zu lassen. Allerdings bin ich nicht gut darin. Ich habe nun Mal nichts Interessantes zu sagen. Ich bin weder so belesen wie Row noch so lustig wie Gray. Ich habe keine besonderen Interessen oder könnte zu einem Thema etwas Relevantes beitragen. Ich bin nur eine Hülle und froh darüber, wenn ich mit Oberflächlichkeiten durchs Leben komme.
Diese Gedanken füttern das große schwarze Loch in mir, sodass es Tag für Tag schwerer wird sich über Wasser zu halten und nicht in dem Sumpf meiner Wertlosigkeit zu versinken. So ist das jede Woche. Aber ich halte tapfer durch und bewahre die Haltung. Ich gehe aufrecht, weiche keinem Blick aus und spreche mit einer Selbstüberzeugung, als würde ich denken mein Wort wäre Gold wert. Denn solange ich es schaffe die Menschen um mich zu täuschen, werden sie mich auch so behandeln als wäre ich eine von den Gewinnerinnen. Die, die alles haben können was sie wollen. Die unantastbar sind und die von den Leuten beneidet werden.
Alles reiner Schein, aber es funktioniert. Ich werde allein bis Mittwoch noch von drei Gruppen fürs Wochenende eingeladen und einige der Optionen hören sich nach viel mehr Spaß an als die Moonlight Bar. Eine Aussicht die Erleichterung verspricht. Denn im Feiern gehen bin ich gut. Wenn es nur darum geht gut auszusehen und die Illusion zu erschaffen, dass ich genau das bin, was ein Mann diese Nacht haben will. Das ist das Einzige, was ich kann. Und zumindest für ein paar Stunden lässt mich das Wissen, dass ich begehrenswert bin, vergessen, dass ich eigentlich immer noch genauso wertlos wie das fette Mädchen von früher bin.
Trotzdem ist die alltägliche Scharade, die ich spiele, anstrengend, genauso wie es anstrengend ist die Truhe mit meiner Vergangenheit verschlossen zu halten. Umso wichtiger ist es für mich jeden Tag ins Fitnessstudio zu kommen. Das ist genauso Teil meiner Routine wie mein morgendlicher Kaffee und wahrscheinlich die einzige Zeit, in der es kein Kampf ist gegen meine eigenen Gedanken anzukommen. Denn während ich laufe, denke ich nicht.
Allerdings ist eine Sache auch so wie am Montag: Sean, der in dem abgetrennten Bereich seine Übungen macht. Mal sehe ich ihn nur kurz, wenn er schon fast fertig ist und ich erst gerade beginne. Mal kommt er, wenn ich gehe. Aber jeden Tag der Woche sehe ich ihn dort. An dem Ort, der eigentlich als Auszeit für mich gedacht ist. Und jedes Mal, wenn uns nichts trennt als die Glaswand, während ich auf dem Laufband stehe und er seine Muskelkraft wieder aufbaut, spüre ich seinen Blick und wie er mich daran hindert in den geistleeren Zustand zu kommen, den ich mir doch so sehr herbeisehne.
Ich weiß nicht was er von mir will, aber inzwischen macht mich seine Anwesenheit mehr wütend, als dass sie mich irritiert. Jedes Mal, wenn ich seinem Blick mit trotzig vorgeschobenem Kinn begegne, lässt er sich davon kein bisschen beeindrucken. Einmal meine ich sogar, dass seine linke Augenbraue spöttisch nach oben wandert. Eine Herausforderung, die sich so lange niemand mehr gegenüber mir geleistet hat, dass sie mich fast zum Stolpern gebracht hätte. Ein peinlicher Fehler, der mir sofort die Zornesröte ins Gesicht steigen lässt. Zorn auf mich selbst, dass ich mich aus der Fassung bringen lasse, von nichts anderem als einer verdammten Augenbraue!
Dieser Foppa – diese Schwäche! – verfolgt mich noch mein gesamtes Training, sodass ich eher frustriert als erleichtert am frühen Abend das Fitnessstudio verlasse. Sean ist zum Glück schon vor einer halben Stunde gegangen, sodass keine Gefahr besteht, dass ich ihm auf dem Parkplatz begegnen könnte. Wenn er denn mit dem Auto herkommt. Kann er mit seiner Verletzung denn inzwischen wieder fahren?
Ich schüttle den Kopf und schnaube. Eigentlich kann es mir doch komplett egal sein. Ich bin froh, wenn ich ihn nicht sehen muss. Von mir aus dürfte er auch gerne nie wieder hier her kommen. Es stört mich einfach. Er stört mich einfach! Das hier ist mein Reich. Und da brauche ich keine Eindringlinge. Erst recht keine, die mich an Dinge erinnern, die ich nur vergessen will.
Ich knirsche mit den Zähnen, als ich mich in meinen Ford setze und versuche nicht an die Nacht zu denken, als Sean, Lee und Bas mich nach dem Show Down mit Carly nach Hause gebracht haben. Und alles was mit dieser Nacht verbunden ist. Die Verletzlichkeit. Die Mutlosigkeit. Die Verzweiflung, die mich noch wochenlang verfolgt hat. Aber ich weiß, dass ich nicht sonderlich erfolgreich bin. Die Gefühle schwappen in mir hoch, ohne dass ich viel dagegen tun kann. Und die Möglichkeit der Betäubung mit Alkohol und bedeutungslosem Sex ist mit zwei Tagen noch viel zu weit weg.
Sobald ich im Auto sitze, drehe ich das Radio auf volle Lautstärke auf. Allerdings scheint die Musik dieses Mal nicht genug zu sein, um die Gedanken zu übertönen. Es ist nicht Mal, dass die drei Jungs etwas falsch gemacht hätten. Sie waren freundlich, hilfsbereit und haben mir die Ruhe gegeben, die ich gebraucht habe. Es ist nur die Art wie ich mich in der Situation gefühlt habe...
Wie ich mich so klein wie möglich gemacht habe auf dem äußersten Rand des Sitzes. Mein Kopf liegt an der Fensterscheibe und ich schaue krampfhaft raus auf die vorbeifliegende Straße, nur um auf keinen Fall einem anderen Blick hier im Auto zu begegnen. Ich fühle mich völlig entblößt, spüre selbst jetzt noch die Tränen in meinen Augen brennen und weiß, dass ich nur einen Gedanken davon entfernt bin, dass sie mir über die Wangen kullern. Ich hasse es schwach vor anderen zu sein, aber so sehr ich mich auch bemühe, ich schaffe es nicht mich zusammenzureißen. Am liebsten würde ich mich vor der ganzen Welt verstecken, wie früher auf den Schultoiletten, wenn ich es nicht mehr geschafft habe meinen Mobbern ins Gesicht zu schauen. Aber ich weiß, dass das gar nichts bringt. Die fiesen Sprüche, die Hänseleien und am schlimmsten von allem die Worte und Anschuldigungen, die tatsächlich wahr sind, würden mir in den Ohren nachhallen, egal wo ich bin. Also klammere ich mich einfach weiter an mir selbst fest und versuche zumindest noch so lange stark zu bleiben, bis drei der beliebtesten Jungs des Colleges nicht mehr sehen können, wie ich komplett zusammenbreche. Beinahe hätte ich ironisch geschnauft. Na gut, zumindest mussten sie ja nicht noch mehr mitbekommen, als sie eh schon hatten. Gott, wem mache ich eigentlich was vor? Ich habe mein Gesicht schon längst verloren. Allerdings ist mein Stolz alles was mich noch aufrecht hält, also lasse ich mir die Illusion, noch etwas von meiner Würde bewahren zu können. Meine Muskeln fangen an zu zittern, weil sie seit Minuten angespannt in einer Position ausharren müssen. Trotzdem ist das besser als die Arme runterzunehmen. Ich versuche möglichst mit meiner Jacke zu verbergen wie freizügig mein Outfit ist. Ich will nicht, dass irgendjemand gerade auch nur einen Zentimeter nackter Haut von mir sieht. Am liebsten würde ich mich in den größten Pulli verkriechen, den ich in meinem Schrank finden kann. Carly hat recht. Ich bin billig. Ich bin eine Schlampe. Und momentan bin ich nicht einmal eine Schlampe mit Selbstbewusstsein. Ich spüre den Blick, der sich über den Rückspiegel in mich brennt. Es ist Sean. Ein eher ruhiger, mysteriöser Typ. Wir haben noch nie wirklich miteinander gesprochen, was die Situation nur noch unangenehmer für mich macht. Ich weiß nicht, wieso er darauf beharrt hat, mich mitzunehmen. Keiner kann mir sagen, dass er diese Autofahrt gerade als angenehm empfindet. Genauso wenig kann ich mir erklären, weshalb er mich jetzt weiterhin anstarrt, als würde er irgendetwas von mir erwarten. Ich werde es uns allen schon ersparen hier vor ihnen in Tränen auszubrechen. Darum sollte er sich keine Sorgen machen. Niemand muss mich trösten und einen auf Freund machen. Ich will einfach nur heim und bis dahin meine Ruhe haben. Aber ich werde auch den Teufel tun und zu ihm schauen. Dafür habe ich nicht die Stärke. Genauso wenig wie dafür, etwas zu sein was ich nicht bin. Alles was man momentan in meinen Augen sehen würde wären Scham und Selbsthass.
Ich schüttle den Kopf, um die Bilder loszuwerden, weiß aber gleichzeitig, dass ich allein nicht dagegen ankomme. Ich muss mich irgendwie ablenken oder der Tag endet damit, dass ich mich unter die Bettdecke verkrieche und stundenlang in die Dunkelheit starre, während Szenen vor meinem Auge ablaufen, die ich nur ertragen kann indem ich alles in mir abtöte. Also schnappe ich mir, ohne lange nachzudenken, mein Handy und schreibe der einzigen Person, mit der ich in solchen Situationen überhaupt zusammen sein kann. Ich kenne Row lang genug, um zu wissen, dass ich nicht auf eine Antwort zu warten brauche. Ich kann von Glück reden, wenn sie die Haustürklingel hört... und wenn sie nicht bei Gray ist.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, als mir Mal wieder bewusstwird, dass es nicht mehr so wie früher ist. Dann wäre ich einfach zu ihrer Wohnung gefahren und hätte sicher sein können, dass sie dort ist. Über ihren Büchern brütet und so in einer anderen Welt versunken ist, dass sie selbst das Klingeln nicht hört. Jetzt könnte sie genauso gut bei Gray sein. Könnte ihr Glück und die Zweisamkeit genießen. Während ich vor ihrer Tür warte und hoffe, dass sie mich mal wieder rettet, weil ich ohne sie vollends verloren bin. Ich fühle mich schäbig deswegen. Ich will nicht die bedauernswerte Freundin sein und doch weiß ich nicht, wie ich aus dieser Rolle herauskommen soll. Wahrscheinlich, indem ich mit dem ganzen Mist in meinem Kopf selbst zurechtkomme, anstatt zu Row zu kriechen. Aber ich bin nun Mal nicht die Starke von uns. Also fahre ich zu ihr und hoffe einfach, dass Gray heute Abend keine Zeit hatte.
Vor Rows Apartmentkomplex schaue ich noch einmal auf mein Handy, doch sie hat auf meine Nachricht noch nicht geantwortet. Das könnte sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Zeichen sein, also steige ich mit einem Seufzen aus meinem warmen Auto in die kalte Abendluft. Da ich für die kurze Strecke nicht meine Jacke zumachen will, schlinge ich stattdessen einfach meine Arme um mich. Ich bin absolut kein Wintermensch und meine Füße bleiben auch keine Sekunde ruhig stehen, nachdem ich die Klingel für Rows Apartment betätigt habe und auf eine Antwort warte. Von mir aus dürfte es gerne das ganze Jahr über warm bleiben. Mir kommt es immer so vor, als würde man mit der Kälte nicht nur sich in schwere Wintermäntel einpacken, sondern gleichzeitig auch noch ein paar Extrakilos Sorgen aufgelastet bekommen. Im Sommer gibt es immer genug Ablenkung. Alles fühlt sich viel sorgloser an. Aber jetzt im Februar ist es schon um sechs Uhr stockdunkel und ich will eigentlich nichts lieber, als mich mit meiner besten Freundin ins Bett zu kuscheln und mich mit einer schnulzigen Liebesromanze auf andere Gedanken bringen.
„Hallo, wer ist da?"
Als die Gegensprechanlage anspringt ist es wie meistens nicht Rows Stimme, die erklingt, sondern die ihrer Mitbewohnerin Mary. Um ehrlich zu sein habe ich mich dafür, dass Row inzwischen schon eineinhalb Jahre mit zwei Mädchen in dieser Wohnung wohnt, noch viel zu wenig mit ihren Mitbewohnerinnen beschäftigt. Mary und Cass, die Dritte im Bunde, erscheinen mir einfach zu... normal. Und das meine ich nicht abwertend, sondern eher bewundernd. Sie sind von dieser Welt noch nicht so verbraucht wie ich und das macht mir irgendwie Angst. Eliza und Heather sind genauso wie ich. Irgendwie etwas... kaputt. Wir verbergen es hinter Partys, Alkohol und Männern, aber jeder von uns hat eigentlich eine zerbrochene Seele. Darüber reden wir untereinander zwar nicht, aber ich merke es. Deswegen habe ich mich den Zweien auch von Anfang an angeschlossen. Sie waren auf der Suche nach genau dem Gleichen wie ich: Zerstreuung.
Mary und Cass im Gegensatz sind Mädchen, die mehr vom Leben wollen. Sie haben Träume und Ziele und einen Selbstwert, der nicht nur von der Bewunderung schmieriger Kerle abhängt. Das schüchtert mich ein, macht es einen doch unweigerlich klar wie verloren man selbst eigentlich ist.
„Hi, hier ist Alexis. Ist Row zu Hause?"
„Oh hey! Ja sie ist gerade heimgekommen. Komm rein!"
Die Tür summt und ich kann sie aufdrücken. Gleichzeitig kommt mir ein erleichtertes Seufzen über die Lippen, weil ich den Abend nicht allein verbringen muss. Wahrscheinlich ist es von außen betrachtet ziemlich ironisch. Obwohl ich diejenige von uns beiden bin, die mehr Kontakte hat, ist Row diejenige, mit mehr Bezugspersonen. Wenn es ihr schlecht geht, könnte sie genauso gut zu ihren Mitbewohnerinnen, Gray oder Elisabeth, einer Kommilitonin, mit der sie sich die letzten Monate angefreundet hat, gehen. Ich halte vielleicht mit der Hälfte des Colleges Smalltalk, doch Freundschaften habe ich eigentlich nur eine.
Es sind ein paar Stockwerke bis zu Rows Wohnung hoch und nach dem Beintraining heute fühlen sich meine Muskeln dabei ziemlich zittrig an. Von meinem Kaffee und dem üblichen Salat mittags abgesehen habe ich auch noch nichts gegessen, wie mir der kleine Schwindelanfall nur zu deutlich macht, als ich endlich oben aufkomme. Aber ich lächle trotzdem einfach nur in die Richtung, wo ich Rows Mitbewohnerin verschwommen ausmachen kann, und halte mich kurz am Geländer fest, bis ich wieder auf sicheren Füßen stehe.
„Hi."
Meine Begrüßung ist ziemlich lahm, aber ich weiß auch nicht was ich anderes sagen soll und bin ganz froh, als mich Mary einfach nur reinwinkt.
„Du weißt ja, wo du Row findest."
Damit und mit einem freundlichen Lächeln lässt mich der zierliche Rotschopf allein und zieht sich auf die Couch im Wohnzimmer zurück, wo ein großer schlaksiger Kerl bereits seine Arme offenhält, damit sie sich hineinkuscheln kann. Bei dem Anblick fühle ich mich sofort unbehaglich und wende schnell den Blick ab, bevor ich mit einem gemurmelten Danke in Richtung von Rows Zimmer verschwinde. Die Tür ist zu und bei dem Gedanken, sie gleich wie so oft an ihrem Schreibtisch vorzufinden, zupft ein kleines Lächeln an meinem Mund. Allerdings sitzt sie dort gar nicht, als ich ohne ein Klopfen eintrete. Stattdessen steht sie mit einem breiten Lächeln mitten im Zimmer und scheint gerade damit beschäftigt zu sein, jemandem auf ihrem Handy zu antworten. Und bei dem glücklichen Gesichtsausdruck ist dieser jemand bestimmt Gray. Aus irgendeinem Grund gefriert mir mein Lächeln schlagartig auf den Lippen.
„Oh, hey."
Es hat bestimmt fast eine Minute gedauert, bis Row mich in ihrer Tür bemerkt hat, wo ich wie zur Salzsäule erstarrt stehe. Aber sie scheint darüber nicht wirklich verwundert, sondern strahlt mich nur auf eine Art und Weise an, die ich noch immer nicht gewohnt bin. Es ist ihre ganze Erscheinung, die sich irgendwie verändert hat. Das ist nicht mehr das Mädchen, das sich hinter Büchern versteckt und für die meisten Menschen nur einen abschätzigen Blick übrighat. Diese Frau vor mir leuchtet gerade zu. Sie ist zufrieden mit sich selbst und ihrem Leben und irgendwie habe ich fast Angst, dass wenn ich ihr zu nahe komme meine Dunkelheit dieses Licht einfach wieder frisst.
...Oder dass meine Dunkelheit neben diesem Licht nichts mehr zu suchen hat.
Kaum ist der Gedanke in mir aufgekommen, wäre ich am liebsten sofort wieder auf den Fersen umgedreht und gegangen. Aber ich zwinge mich stehen zu bleiben und ein gekrächztes „Hi" aus meinem Hals zu zwängen. Danach wird es unbehaglich still.
Ich kann geradezu vor meinem inneren Auge sehen wie mein Ich von vor drei Monaten ganz entspannt in das Zimmer gelaufen wäre und sich ohne zu Fragen auf das Bett geschmissen hätte. Row hätte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zu mir umgedreht und gesagt, dass sie da noch kurz was fertig machen muss und ich schon mal einen Film raussuchen solle. Jetzt jedoch starren wir uns einfach nur an und ich spüre wie mir das Herz bis zum Hals zu schlagen beginnt. So ist das immer kurz bevor ich in Panik einfach wild um mich schlage. Es ist als wüsste ich für eine Sekunde nicht mehr, wie ich mich gegenüber meiner besten Freundin verhalten soll. Aber Row ist jetzt diejenige mit den Zügeln in der Hand. Da wo ich früher selbstbewusst war, ist sie nun noch um ein zehnfaches souveräner. Denn bei ihr ist es nicht nur vorgespielt. Also übernimmt sie einfach die Situation und lässt sich mit einem noch immer breiten Lächeln auf ihr Bett fallen.
„Filmeabend?"
Das ist genau, wofür ich hierhergekommen bin, und es beruhigt mich zumindest ein bisschen, wie wir noch immer in stillem Einvernehmen wissen, was der andere will. Trotzdem fühlt es sich nicht ganz richtig an, als ich mich mit einem Nicken neben sie setze. Row zieht ihren Laptop zu uns heran, doch bevor sie ihn aufklappt, schaut sie mich eine Sekunde fragend an. Ich weiß was sie da macht. Sie gibt mir die Chance ihr zu erzählen was mir auf der Seele liegt. Aber meine Zunge ist wie an meinen Gaumen festgeklebt. Was sollte ich auch schon sagen? Dass ich mir wünsche alles wäre wie früher? Dass ich in Kauf nehmen würde, dass sie wieder unglücklich ist, nur damit ich mich in meinem Loch nicht mehr so einsam fühle? Mir wird übel, wenn ich auch nur daran denke diese Worte auszusprechen. Ich würde es nicht überleben auch noch Row zu verlieren, nur weil ich so eine schlechte Freundin bin. Weil ich so ein schlechter Mensch bin.
Also schlucke ich alles herunter, lächle unbeschwert und kuschle mich an sie, als wäre alles gut. Ich kann das. Wenn ich nur alle davon überzeuge, dass alles gut ist, dann wird es das auch irgendwann wieder sein.
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