Kapitel 28


Sean

Nie wieder.

Das ist der einzige Gedanke, der mich auf der Heimfahrt am Samstagabend begleitet. Eine Heimfahrt, die ich eigentlich einen Tag später geplant hatte. Aber keine zehn Pferde hätten mich noch länger bei meiner Mom gehalten. Bei all den Erinnerungen an Mia.

Die Stimmung war schon angespannt als ich am Freitag eintraf. Doch zumindest war es schön Mal wieder meine Mom und meine Schwester zu sehen. Da ich es meide nach Hause zu fahren, kommt das nur zu Feiertagen und Geburtstagen vor, was besonders meiner Mom nicht leicht fällt. Also haben wir alle außen vor gelassen, was der Anlass unseres Zusammentreffens ist, und einen Abend lang auf normale Familie gemacht.

Spätestens heute Morgen war das jedoch für mich nicht mehr möglich. Ich bin selten nervös oder unsicher. Mein Wesen ist eher durchdacht und ruhig. Aber als ich heute morgen ein Hemd angezogen und mich für Mias Geburtstagsessen fertig gemacht habe, war ich so nervös, dass ich kaum die Knöpfe zubekommen habe.

Wir sind zu dritt zu dem kleinen Einfamilienhaus nicht unweit unseres Hofes gefahren, während kein Wort gefallen ist. Wahrscheinlich hat jeder seinen eigenen Gedanken nachgehangen. Ich für meinen Teil zumindest konnte mich wie jedes Jahr an diesem Tag den Erinnerungen nicht verwehren. Alles was ich sonst immer verdränge und versuche von mir zu schieben, schwappte auf dieser Autofahrt hoch. Begonnen mit Mias Geburtstag vor drei Jahren.

Wir waren damals seit fünf Monaten offiziell zusammen und ich gab mein bestes ihr eine Unterstützung zu sein. Ich rief sie täglich an, besuchte sie so oft es ging und war jede Sekunde für sie da. Ich dachte damit zu helfen, weil ich damals nie auch nur auf die Idee gekommen wäre, dass es vielleicht nicht das richtige ist. Dass sie nicht jemanden braucht, der ihr andauernd schreibt und sie andauernd fragt wie es ihr geht. Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass es Mia unter Druck setzen könnte.

In meinem Eifer wollte ich ihr den besten Geburtstag aller Zeiten bescheren. Nachdem sie sich im letzten Jahr immer mehr sozial zurückgezogen hatte, wollte ich ihr die Möglichkeit geben endlich Mal wieder all ihre Freunde zu sehen und zu merken, wie viel Spaß man zusammen haben kann. Also habe ich eine Überraschungsparty in unserer Scheune organisiert. Mit Fotowand, Buffet und jeder Menge Alkohol, welchen ich über einen älteren Freund organisiert hatte. Ich war mir sicher, dass es die Party des Jahres werden würde, von der jeder an der Schule sprechen würde. Und auf eine gewisse Weise habe ich damit auch Recht behalten. Nur nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Ich weiß noch, dass Mia schon den ganzen Tag über angespannt gewesen war. Sie hat zwar bei allem gelächelt und das Familienessen über sich ergehen lassen, aber ich kannte sie damals viel zu gut, um auf das halbherzige Lächeln hereinzufallen. Allerdings bin ich in meiner Naivität davon ausgegangen, dass es vor allem an ihren Eltern lag und Mia wie jeder unserer Freunde mehr Lust hatte zu feiern, anstatt mit den Großeltern Kaffee und Kuchen zu essen. Als ich sie abends zu unserer Scheune gelockt und die Gäste sie mit einem Ständchen überrascht haben, wirkte es auch erstmal so als wäre Mia glücklich. Sie redete mit alten Freundinnen, machte Fotos und für einen Moment dachte ich meine fröhliche, immer lächelnde Mia zurückzuhaben. Im Nachhinein ist mir klar, dass ich nur gesehen habe, was ich sehen wollte.

Im Laufe des Abends floß immer mehr Alkohol und die Stimmung wurde ausgelassener. Nachdem ich Mia für Stunden überall hin begleitet hatte, hatte ich den Eindruck sie allein lassen zu können, als sie in ein Gespräch mit einer Freundin vertieft war. Ich bin zu meinen Freunden gegangen, habe mit ihnen getrunken und herumgealbert, bis ein erschrockener Schrei mich aus meinem Rausch rausgerissen hat. Ich weiß noch, dass ich wusste, es muss etwas richtig Schlimmes passiert sein, bevor ich mich umgedreht hatte.

Und da stand Mia. Ganz oben auf den aufgestapelten Heuballen. Über ihr Gesicht liefen schwarze Tränen, von dem dunklen Augenmakeup, das sie aufgelegt hatte, und sie wirkte fast wie ein Racheengel, der auf uns alle herabblickte. Ein Racheengel mit einem Feuerzeug in der Hand und einer Zigarette im Mundwinkel. Ich bin sofort zu ihr geeilt, wollte sie von dem Heuhaufen runterholen, aber sie hat völlig durch mich hindurch geblickt. Einfach nur in die Menge gestarrt, bis ein freudloses Lachen aus ihrer Kehle entfloh.

„Ihr seid alle solche Heuchler. Heuchler, die ihre eigenen Missetaten mit Alkohol herunterspülen wollen. Keiner von euch traut sich doch genau hinzuschauen. Keiner!"

Ihr Zippo ist aufgeschnalzt und die entsetzte Stille wurde von ersten Schreien unterbrochen. Aber Mia hat sich nur in aller Ruhe ihre Zigarette angezündet, während glimmende Asche auf das Heu hinuntersegelte und gerade rechtzeitig erlosch. Selbst die Erinnerung bringt mein Herz noch zum Rasen, doch in meinem Kopf spuhlen sich weiter die Bilder ab. In dem Versuch zu ihr nach oben zu kommen, versuchte ich die Heuhaufen hochzuklettern, doch kurz bevor ich es geschafft hatte, trafen sich Mias und mein Blick. Und was ich darin sah, riss mir den Boden unter den Füßen weg.

„Wieso? Wieso zwingst du mich hierzu?"

An schlechten Tagen rätsle ich noch heute, was sie damit gemeint hat. Die Party? Oder dass sie das Feuerzeug fallen ließ, gerade als ich neben ihr stand.

Danach ist alles verschwommen. Die meisten Dinge weiß ich aus Berichten, nicht weil ich mich selbst noch daran erinnern kann. Irgendwie muss ich es geschafft haben Mia schnell genug von dem Heuhaufen, der sofort lichterloh brannte, zu ziehen, so dass keinem von uns beiden etwas passierte. Die Gäste waren alle panisch rausgerannt und ich habe die zappelnde und weinende Mia ebenfalls rausgetragen. Glücklicher Weise war meine Mom zu Hause und hatte den Tumult schnell mitbekommen, dadurch war die Feuerwehr da, bevor das Feuer von der Scheune auf andere Gebäude übergreifen konnte. Trotzdem war der Schaden erheblich, vor allem da wir keine Klage erheben wollten. Nicht gegen Mia, auch wenn wir selbst das Geld nicht hatten.

Mia war danach am Boden zerstört. Ich konnte sie nur einmal zu Hause besuchen, bevor sie in eine Klinik eingewiesen wurde, bei der nur Familienangehörige Besuchsrecht hatten. Aber das eine Mal hat gereicht, damit Mia mir unmissverständlich klar machen konnte, dass ich ihr nicht mehr zu nah kommen soll. Dass sie meine Hilfe nicht will. Sie hat mich angestarrt wie der Feind und dieser Blick verfolgt mich noch bis heute.

Ich schüttle den Kopf und konzentriere mich wieder auf die Fahrbahn vor mir. Ich brauche noch eine gute Stunde bis zu meiner Wohnung und muss definitiv an einer Tankstelle halten. Denn ohne Alkohol schaffe ich diesen Abend nicht.

Ich habe mir ein Jahr lang den Kopf darüber zerbrochen, was ich damals falsch gemacht habe. Ob ich Anzeichen hätte bemerken müssen und ob es eine Möglichkeit gegeben hätte, all das zu verhindern. Letztendlich ist mir bewusst geworden, dass ich einfach nicht der richtige war um Mia zu helfen. Dass sie nicht meine überfürsorgliche Art gebraucht hätte und ich so eingebildet gewesen war zu denken, ich könnte sie alleine retten. Dabei hätte ich schon viel früher Mias Eltern von den Veränderungen an ihr erzählen sollen. Ich wollte Gutes tun und habe dabei alles schlimmer gemacht. Und diesen Vorwurf sehe ich jedes Mal in Mias Gesicht wenn wir uns treffen.

Damit wären wir bei dem Geburtstagsessen des heutigen Tages angekommen. Eine dumme Tradition aus unbehaglichen Schweigen und peinlichen Gesprächsversuchen. Als wir ankamen haben Mias und meine Mom wie immer auf Friede Freude Eierkuchen gemacht, als hätten sie sich nicht Monate lang über die Finanzen gestritten, um die Scheune wieder aufzubauen. Mias Vater hat sich wie immer eher im Hintergrund gehalten und Mia... Mia sah gut aus. Gesünder als die Jahre zuvor. Ihre Haare waren an den Spitzen pink gefärbt, aber von dem früheren Schwarz war nichts mehr zu sehen. Sie hat verhalten gelächelt und sich wie die brave Tochter gegeben. Auch wenn ihr die Situation sichtlich unangenehm war, wirkte sie nicht mehr so getrieben.

Ich weiß, dass sie nach mehreren Monaten Klinik in eine ambulante Therapie übergegangen ist. Und auch wenn es seine Zeit gebraucht hat, scheint die professionelle Hilfe so langsam anzuschlagen. Mia hat sich sogar mit meiner Schwester unterhalten, mit ihr gelacht und einen Teil ihrer alten Freundschaft wieder auferblühen lassen. Nur mich hat sie mit keinem Blick bedacht. Ich war wie Luft. Luft, die sie finster die Augenbrauen zusammenziehen ließ, sobald ich etwas gesagt habe.

Ich war der unangenehme Fremdkörper in der Konstellation und irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich konnte nicht länger dasitzen und Mia sehen, während ich weiß, dass ich für sie der Böse bin. Also habe ich mich unter irgendeinem lächerlichen Aufwand verabschiedet, um so schnell wie möglich aus diesem Haus zu kommen. Womit ich jedoch nicht gerechnet habe, war von einer altvertrauten Stimme aufgehalten zu werden.

Mir ist das Blut in den Adern gefroren, als mir Mia nachlief und mich mit einem Wort zum innehalten brachte.

„Warte!"

Bis in den letzten Muskel angespannt habe ich mich umgedreht und seit gefühlten Ewigkeiten direkt in ihre braunen Augen geschaut. Sie sah hin und her gerissen aus, als wäre sie am liebsten wo völlig anders gewesen und würde sich doch zwingen hier mit mir zu sprechen.

„Sean, ich... es tut mir leid."

Es ist schon traurig wie vieldeutig Worte sein können. Für einen Moment habe ich tatsächlich geglaubt, die Vergangenheit könnte sich endlich in Luft auflösen. Dass wir mit einer Entschuldigung die Steine zwischen uns aufräumen können. Und dann hat Mia weiter gesprochen.

„Es tut mir wirklich so leid, aber ich kann dich einfach nicht sehen. Ich kann deine Anwesenheit einfach nicht aushalten. Es ist unfair gegenüber dir, aber ich muss darauf hören was mir gut tut und du..."

Ihre Stimme ist gebrochen und in meinem Körper hat sich Taubheit ausgebreitet.

„Und du bist so unweigerlich mit allem verbunden, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist, dass ich endlich loslassen muss."

Einen Moment lang haben wir uns einfach nur angestarrt und in ihren Augen hat alles gestanden, was sie nicht auszusprechen gewagt hat. Also habe ich mich mit einem „Alles klar" abgewandt und bin gegangen.

Seitdem bin ich auf Autopilot. Ich habe meine Mom und meine Schwester eine Stunde später von dem Essen abgeholt und bin direkt danach aufgebrochen. Die Fahrt ist lang und gibt viel zu viel Zeit zum Nachdenken, aber tatsächlich fühlt sich alles wie in Watte gepackt an. Der sonstige Schmerz ist weg und das einzige was ich vor Augen habe, ist mich heute Abend so richtig abzufüllen.

Von daher bin ich mehr als froh, zu Hause angekommen zu lesen, dass die Jungs eine Hausparty veranstalten. Ich habe den ganzen Tag nicht aufs Handy geschaut, doch das ist genau was ich jetzt brauche. Ich mache mir nicht Mal die Mühe das Hemd zu wechseln, sondern fahre sofort weiter. Trotzdem ist es bereits elf als ich ankomme und die Party schon im vollen Gange.

Ich dränge mich durch die Menschenmenge im Wohnzimmer, die wie immer bei den Hauspartys zur Tanzfläche umfunktioniert wurde. Aber ich bin nicht interessiert am Tanzen oder aufgetakelten Mädchen. Alles was ich will ist einen guten Jacky Cola. Ich bin so in meinem Film, dass ich meine Teamkollegen erst bemerke, als Caleb von der Seite kommt und mir einen Arm um die Schulter legt.

„He, da ist ja unser Vize-Trainer! Wir haben dich auf dem Spiel vermisst, Mann. Aber keine Sorge, ich hab die Truppe beisammen gehalten."

Der Tag war wirklich anstrengend genug. Das letzte was ich jetzt brauchen kann ist einen betrunkenen Caleb, der mir ein Ohr abkaut. Ich bin mir auch sicher, dass das mein Blick aussagt, aber es wundert mich nicht, dass dem jüngeren Eishockeyspieler der Sinn dafür fehlt. Von daher kann er wohl von Glück reden, dass Bas im nächsten Moment aus der Menge auftaucht und die Situation schnell erfasst. Meine düstere Miene quittet er mit einer hochgezogen Augenbraue, bevor er an Caleb gewandt meint: „He Caleb, willst du nicht lieber Mal was zu trinken holen anstatt zu schwatzen? So wie ich Sean kenne am besten einen Jacky Cola."

Ich bin beeindruckt, dass Caleb mit nur ein wenig Murren der Aufforderung nachkommt. Bis mir die verlorene Wette einfällt, die Caleb mit Bas Anfang des Jahres abgeschlossen hat. Ein kurzes Schmunzeln huscht über mein Gesicht.

„Behalt lieber das Lächeln bei, Bruder. Du siehst aus als könntest du jemanden den Kopf abreißen." Bas klopft mir aufmunternd auf den Rücken und sorgt damit erst Recht, dass der fröhliche Ausdruck wieder von meinem Gesicht verschwindet.

„Danke für den Tipp, aber ich glaube ich bleibe lieber bei der düsteren Miene."

Bas kneift die Augen zusammen und mustert mich genau. Er ist sowas wie die Mom in unserem Team, daher ist es nicht verwunderlich als er anbietet: „Willst du darüber reden?"

Bei Gott, das ist das letzte was ich will. Allerdings bin ich nicht so schlecht drauf, um das Angebot so unhöflich abzulehnen. Also schüttle ich nur den Kopf und bin ausnahmsweise froh Caleb zu sehen. Oder den Jacky Cola in seiner Hand, das ist Interpretationssache.

Mit einem kurzen Danke nehme ich den Becher entgegen, bevor Caleb erneut in sein Geschwafel übergeht. Bas verdreht die Augen und ich wäre am liebsten einfach weggegangen. Aber dann lässt mich etwas mitten in der Bewegung einfrieren.

Alexis. Sie steht zusammen mit Kayla und Row beim Eishockeyteam und ich weiß gar nicht, wie sie mir bisher entgehen konnte. Verdammt.

Ein Schwall Gefühle wallt in mir hoch, die ich allesamt nicht fühlen möchte. Es wäre so einfach zu ihr hinüber zu gehen. Mich mit ihr zu unterhalten und dann irgendwann zu mir nach Hause zu verschwinden. Aber es wäre auch so falsch.

Denn Alexis war nicht nur eine gute Ablenkung in den letzten Wochen. Von Anfang an hat sie mich an Mia erinnert. Mit ihrer taffen Art unter der sich ein verletztes Mädchen versteckt. Und egal wie sehr ich das Ganze nur auf etwas körperliches reduzieren wollte, ich bin kläglich gescheitert. Keine Ahnung, ob ich mit ihr etwas aus meiner Vergangenheit kompensieren wollte. Oder ob ich einfach auf den Typ zerbrochenes Mädchen stehe. Ist aber auch egal, denn es ist mehr als nur Zeit einen Schlussstrich zu ziehen. Wenn mir die heutige Begegnung mit Mia eins wieder bewusst gemacht hat, dann das ich mit all dem nichts zu tun haben will. Für mein und Alexis' Wohlergehen.

Also stopfe ich alle Gefühle zurück in mein Herz und genieße die kalte Taubheit, die sich in meinem Körper breitmacht. Keine Sekunde zu früh. Denn fast als hätte sie gespürt, dass sich etwas verändert hat, dreht sich Alexis genau in diesem Moment zu uns um. Ihr Blick bleibt überrascht an mir hängen, bevor sich ein zögerliches Lächeln auf ihrem Gesicht breitmacht. Ich ziehe kurz einen Mundwinkel hoch, um nicht unhöflich zu sein, und wende mich dann Caleb zu. Vielleicht kann ich die Sache zwischen uns einfach auslaufen lassen. Ohne Drama. Dafür ertrage ich sogar Calebs Geschwätz.

Die Geste war wohl eindeutig genug, denn Alexis kommt nicht zu uns herüber und ich exe über die nächste Stunde einen Jacky nach dem anderen. Das macht die Unterhaltung mit Caleb erträglicher. Zumindest rede ich mir ein, dass ich deswegen den Alkohol brauche. Es ist aber durchaus auch ein Vorteil, dass die Welt insgesamt immer dumpfer und unwirklicher wird. Irgendwann streife ich durch die Menge, stelle mich mal hier mal dort mit dazu, ohne mich jedoch an den Gesprächen zu beteiligen. Stattdessen höre ich den dummen Späßen meiner Teamkollegen zu und gröhle mit, wenn jemand exen soll. Ich lasse mich einfach davon schwemmen und versuche nicht darauf zu achten, was Alexis tut, außer vielleicht, um ihr nicht zu begegnen. Aber irgendwann ist mein Glück vorbei.

Ich stehe gerade am Rande der Küche, quasi an einem ruhigen Fleck, wenn es sowas überhaupt noch irgendwo in diesem Haus gibt. Eigentlich bin ich auch nur hier, um mich an der Menge vorbei zu den Getränken zu zwängen. Dass ich mich damit selbst in eine Zwickmühle gesteuert habe, wird mir erst bewusst, als mich eine Hand an der Schulter zurückhält.

„Hey Sean." Alexis' Stimme jagt mir wie ein Elektroschock durch den Körper und lässt alle Alarmsierenen aufheulen. Mit einer ruppigen Bewegung entziehe ich mich dem Körperkontakt, muss mich dadurch aber Alexis zuwenden, die nicht so aussieht, als würde sie die Geste als das verstehen, was sie war. Eine Abweisung. Aber um ehrlich zu sein, sieht Alexis generell nicht so aus, als würde sie noch viel verstehen.

Die Augen verhangen schwankt sie unter der raschen Bewegung, mit der ich ihre Hand abgeschüttelt habe. Doch nach ein paar Sekunden fasst sie sich wieder und runzelt die Stirn in der Bemühung sich zu fokussieren.

„Endlich erwische ich dich. Ich versuche schon den ganzen Abend zu dir zu kommen, aber es ist fast so als würdest du vor mir fliehen." Alexis' Worten folgt ein betrunkenes Kichern und ich bin mir sicher, sie ist sich nicht bewusst, wie nah sie damit an der Wahrheit liegt. Kurz flammt ein schlechtes Gewissen in mir auf. Doch es wird schnell von der Taubheit ersetzt, die ich mir wie einen Schutzmantel übergestreift habe.

„Sorry, war keine Absicht." Bevor ich der Lüge auch noch eine Ausrede anhängen kann, weshalb ich weitermuss, unterbricht mich Alexis mit einer wegwerfenden Handbewegung.

„Ist ja auch nicht schlimm, jetzt hab ich dich ja." Sie tippt mich an, als würden wir fangen spielen und etwas an dieser Geste und ihrem Lächeln lässt mich böses ahnen. Denn das ist nicht nur eine betrunkene Alexis. Die kenne ich und die hat mich noch nie so offen und... vertrauensselig angeschaut. Als hätte sie beschlossen alles auf eine Karte zu setzen und die letzten Schutzmauern fallen zu lassen.

„Außerdem hatte ich so genug Zeit mir Mut anzutrinken. Auch wenn ich glaube, dass es fast etwas zu viel war." Wie um ihre Worte zu unterstreichen, gerät Alexis ins Schwanken und aus Reflex strecke ich eine Hand aus, um sie zu stützen. Als sich darauf ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitet, lasse ich die Hand fallen, als hätte ich mich verbrannt. Verdammt, ich muss hier weg.

„Das glaube ich auch. Lass uns doch lieber wann anders reden, wenn du..."

„Nein, auf keinen Fall! Ich will jetzt reden, ich will..." Als mich Alexis verwirrt anschaut, als könne sie selbst nicht ganz verstehen, was sie eigentlich will oder was sie fühlt, sieht sie so verletzlich aus, dass es mich wohl an jedem anderen Tag einknicken gelassen hätte. Ich hätte Alexis an die frische Luft geführt, so wie man das macht, wenn jemand zu viel getrunken hat, und wäre für sie dagewesen. Wahrscheinlich hätte ich sie sogar mit zu mir nach Hause genommen, weil es sich inzwischen fast normal anfühlt das zu tun. Aber heute wandelt sich diese Zuneigung in Schmerz um, kaum dass sie aufkommt. Der Schmerz sitzt wie ein hässliches Geschwür in meiner Brust und ich will ihn einfach nur aus mir entfernen. Ich will mir keine Gedanken über Alexis' Wohlbefinden machen, will nicht die Sorgen ausstehen, wenn ich genau weiß, dass es ihr nicht gut geht. Ich will nicht in Schmerz versinken, wenn zwangsläufig alles schief geht.

Zu sehr in meine Gedanken versunken, verpasse ich den Moment, um Alexis zu unterbrechen. Sie von ihren nächsten Worten abzuhalten. Stattdessen verspanne ich mich, mit jeder Silbe, die über ihre Lippen kommt.

„Ich will verstehen, was das zwischen uns ist. Wieso ich mich bei dir so anders fühle. Du lässt mich alles andere vergessen, meine Gedanken kreisen eigentlich ausschließlich nur noch um dich. Und obwohl ich nicht gedacht habe, dass ich dazu überhaupt in der Lage bin, glaube ich habe ich mich in dich verliebt." Als wären die Worte eine Erleichterung, nimmt Alexis einen tiefen Atemzug, und als sie mir darauf in die Augen blickt, sprechen ihre von Hoffnung und Gefühlen, die mir den Magen umdrehen. „Und ich will wissen, ob es dir auch so geht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass nur ich diese Anziehung zwischen uns spüre."

Entsetzt starre ich sie an, unfähig ein Wort zu sagen. Dabei hätte ich gerne so einiges gesagt. Ich hätte sie am liebsten geschüttelt und sie gefragt, wie sie so verrückt sein kann sich ausgerechnet gegenüber mir zu öffnen. Oder wieso sie ausgerechnet heute den Mut finden muss, diese Worte auszusprechen. Ein kleiner Teil von mir hätte sie sogar gerne in den Arm genommen und ihr in Ruhe erklärt, dass ich dafür nicht der Richtige bin. Aber was letztendlich aus mir rauskommt hört sich gefühllos und mechanisch an.

„Ich habe dir doch von Anfang an gesagt, dass es nie mehr als etwas Körperliches sein wird."

Die Worte dringen erst mit Verzögerung zu Alexis durch. Ich sehe sie blinzeln. Einmal. Zweimal. Dann erst breitet sich Verwunderung und schließlich Schmerz auf ihrem Gesicht aus. Sie weicht zurück und auch wenn es absolut arschlochmäßig ist, bin ich erleichtert, das Gespräch beendet zu haben.

Ich will mich gerade schon umdrehen, da blitzt auf einmal etwas anderes in Alexis' Augen auf. Widerwille. Entschlossenheit.

„Nein. Das glaube ich dir nicht. Vielleicht hast du das gesagt. Aber du hast mir auch Frühstück gemacht. Und du trainierst mit mir zusammen. Wieso solltest du das tun, wenn es nur um Spaß geht?"

Da ist dieser herausfordernde Ton in ihrer Stimme, der mich schon das ein oder andere Mal verrückt gemacht hat. Doch anstatt wie sonst das Feuer zwischen uns zu entzünden, stößt Alexis' hitziges Temperament heute nur auf Kälte bei mir. Ich will das nicht mehr. Ich will nicht mehr auf Alexis anspringen, ich will ihre Gegenwart nicht mehr genießen, ich will meine Fehler aus der Vergangenheit nicht noch einmal wiederholen. Von daher mag mein Tonfall von außen betrachtet zu hart wirken, aber in diesem Moment ist mir alles egal, außer so schnell wie möglich aus dieser Situation zu kommen.

„Alexis, das war nichts besonderes. Ich wollte nur freundlich sein. Aber hätte ich gewusst, dass das zu dem hier führt, hätte ich es gelassen."

Die Worte treffen Alexis wie ein Schlag ins Gesicht. Ihre Entschlossenheit zerbröselt und darunter kommt eine so tiefe Verzweiflung zum Vorschein, dass sie nicht nur auf den wenigen Wochen zwischen uns beruhen kann. In Alexis' Blick liegt all der Schmerz, all die Zurückweisung, die sie ihr Leben lang erfahren hat. Aber ich bin nicht die Person, sie aus diesem Sumpf zu ziehen.

„Sean bitte..."

„Alexis, ich bin nicht dafür verantwortlich deine Scherben aufzusammeln. Und jetzt geh bitte."




Hallo ihr Lieben!

Ich weiß das ist ein ganz fieser Cut vom Kapitel, deswegen wird euch das folgende wohl umso mehr freuen :D

1. Darf ich verkünden, dass Alexis' Geschichte Rows folgen wird und ebenfalls bei Piper veröffentlicht wird! Das Buch wird den Titel "Play for my Heart" tragen und ich bin so gespannt was ihr zu dem Cover sagt 😍

2. Wird es heute zur Feier des Tages einen Lesemarathon geben, sodass ihr nicht auf die Folter gespannt werdet. Leider wird damit auch Alexis' Geschichte zu Ende gehen... Aber ich verspreche mcih bald mit was neuem zu melden! Jetzt wünsche ich euch aber erstmal ganz viel Spaß beim Lesen ❤


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