Kapitel 19

Sean

Ich weiß nicht, ob ich gut oder schlecht geschlafen habe.

Der ganze Abend, einschließlich der Nacht, war so verrückt, dass ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Es hat seine Gründe gehabt, weshalb ich nicht Alexis' Telefonnummer genutzt habe, um sie zu kontaktieren. Und die meisten davon haben etwas mit dem Telefonat mit meiner Mom zu tun. Oder besser gesagt damit, woran mich das Telefonat erinnert hat. Ich bin mir unsicher, ob ich Alexis in meinem Leben haben will. Selbst für eine lockere Sache. Oder noch besser gesagt, ich weiß, dass ich ihr nicht näherkommen sollte, aber gewisse Körperteile von mir kann ich davon bisher nicht überzeugen.

Und diese haben heftig gegen meinen Kopf rebelliert, als sie in diesen gottverdammten Jeans und einem Oberteil, das kaum mehr als eine Bahn Stoff ist, vor mir stand. Irgendwie hat sie es erneut geschafft, all meine Bedenken über Bord zu werfen. Bis zu dem kleinen Orangensaft-Debakel, das mir vor Augen geführt hat, wie schlimm es um Alexis tatsächlich steht. Sie hat das Glas angeschaut, als würde es sich um Tabasco-Sauce handeln, die sie pur trinken soll. Ich will mich nicht in Alexis Dinge einmischen. Wenn sie nur Wasser trinken will, soll sie das machen. Und doch waren mir die Worte rausgerutscht, bevor ich es verhindern konnte. Und noch viel schlimmer: Trotzdem hatte es mich in dem Moment interessiert.

Keine Ahnung, ob es besser oder schlimmer dadurch wurde, dass sich Alexis letztendlich dazu überwunden hat, einen Schluck zu nehmen, aber meine Lust war mir danach auf jeden Fall vergangen, während meine Gedanken Kettenkarussell fuhren. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist wie ich zwanghaft versucht habe nicht an Alexis zu denken, während ich gleichzeitig nicht die Augen von ihrer schlafenden Silhouette im Fernseherlicht nehmen konnte. Sie sah so verletzlich und einsam aus, wie sie mit so viel Abstand wie möglich sich zusammengekauert hatte.

Als ich am Morgen aufwache fühle ich mich jedoch erstaunlich ausgeruht... und Alexis ist nicht mehr allein. Denn ich habe mich wie ein gottverdammter Oktopus von hinten um sie geschlungen und hülle sie mit meinem Körper ein. Sobald ich mir darüber klar werde, verkrampft sich jeder meiner Muskeln. Zumindest bis ich bemerke, dass ihre viel kleinere Hand sich vertrauensvoll über meine gelegt hat, die auf ihrem Bauch ruht. Absolut nicht verarbeitungsfähig starre ich unsere Hände an, bis sich die zierliche Gestalt in meinen Armen zu rühren beginnt.

Es wäre viel zu auffällig, und um ehrlich zu sein lächerlich, mich von ihr zu lösen und zu tun als wäre nichts gewesen. Wir befinden uns hier immerhin nicht in einer Teenie-Drama-Serie. Also bleibe ich einfach ruhig liegen und begrüße Alexis mit einem schrägen Lächeln, als sie sich streckt und blinzelnd die Augen öffnet.

„Guten Morgen Dornröschen."

Sichtlich verwirrt schaut sich Alexis um und braucht einen Moment um die Situation – und meine Worte – zu erfassen. Doch dann zieht sich ihre Augenbraue in einem verschlafenen Abklatsch zu sonst hoch. „Guten Morgen Kuschelbär."

Touché. Meine Mundwinkel zucken kurz, doch dann mache ich mich daran meinem neuen Spitznamen Lügen zu strafen und mich von ihr zu lösen.

„Reiner Selbsterhaltungstrieb. Du hast mir die ganze Nacht die Decke geklaut. Was blieb mir anderes übrig, wenn ich nicht erfrieren wollte?"

Ein schnaubendes Lachen folgt mir bis zum Kleiderschrank, aus dem ich ein Shirt ziehe.

„Rede es dir ruhig ein, aber ich habe gemerkt wie du dich im Schlaf an mich gekuschelt hast. Deine Nase muss schrecklich gefroren haben, so wie du sie an meinem Hals vergraben hast."

Mist. Da ich absolut keine Erinnerungen daran habe, kann ich Alexis nicht widersprechen. Also tue ich das erst Beste, um dieses Gespräch zu beenden, bevor es richtig peinlich wird, und werfe ihr das Shirt zu. Verdutzt fängt sie es auf, bevor es in ihrem Gesicht landen kann.

„Was ist das?"

Natürlich ist mir klar, wie die Frage gemeint ist, trotzdem kann ich mir die Chance nicht entgehen lassen, genauso spöttisch wie sie zuvor eine Augenbraue hochzuziehen. „Ein Shirt. Du schlüpfst unten rein und steckst Kopf, Arme und Beine durch die jeweiligen Löcher."

Anstatt einer genervten Antwort reißt Alexis gespielt überrascht die Augen auf. „Oh was?! Dafür sind die da? Gott, jetzt macht die Welt so viel mehr Sinn!"

Meine Mundwinkel zucken und ich greife erneut in meinen Schrank, um auch mir ein Shirt herauszuholen. „Ich helfe immer gerne."

Da ich mich wieder zum Schrank gedreht habe, sehe ich nicht wie Alexis aus dem Bett steigt und auf mich zukommt. Ich bemerke sie erst, als eine warme Hand meinen nackten Rücken hochfährt und mir eine Gänsehaut beschert. Und meine Haare sind nicht das Einzige was sich aufrichtet.

„Wow, mein Held." Alexis Worte sind nicht mehr als ein heißeres Hauchen an meinem Ohr und die Art, wie ihre Brüste sich durch den dünnen Stoff des Shirts, das sie sich übergezogen hat, an mich drücken, treibt mich in den Wahnsinn.

„Gefährliches Terrain, Süße." Eine andere Warnung wird Alexis nicht mehr bekommen, aber das scheint sie auch nicht sonderlich zu interessieren.

„Wieso? Ich habe gedacht wir spielen."

Das stimmt. Die Frage ist, bin ich Gewinner oder Verlierer, als ich mich mit einem Knurren umdrehe und Alexis wieder ins Bett befördere?

Eine Stunde später wage ich Anlauf Nummer zwei mit dem Aufstehen. Alexis liegt angekuschelt auf meiner Brust und schlummert, aber wenn ich noch länger mit ihr liegen bleibe, kann ich gleich bis morgen früh im Bett bleiben. Sanft stupse ich sie an und bekomme als Antwort ein Grummeln, dass sich zufrieden und genervt zu gleich anhört. Ich lächle.

„He, du missbrauchst mich schon wieder als menschliches Kissen."

„Na und? Deine Schuld, dass dein ganzes Bett auf dein Single Dasein ausgerichtet ist." Da hat sie recht. Sowohl von Kopfkissen als auch Bettdecke besitze ich nur ein Exemplar. Normalerweise ist das mehr als ausreichend.

Leicht zupfe ich an Alexis Haaren, was mir dieses Mal ein definitiv genervtes Grummeln einbringt, bevor sie, ohne aufzublicken, nach meiner Hand schlägt. Lachend lasse ich ihre Haare in Ruhe und streiche eine Strähne zurück, die bei meinem kleinen Angriff in ihr Gesicht gefallen ist.

„Na komm. Kann ich dich mit einem Frühstück locken?" Keine Reaktion. „Oder einem Kaffee?"

Blinzelnd öffnet sich eins von Alexis' Augen und sie betrachtet mich misstrauisch. „Guten Kaffee? Oder so ein wässriger Abklatsch?"

Wieder schmunzle ich. „Guter Kaffee, versprochen."

Damit habe ich Alexis anscheinend, denn nach einem Seufzen richtet sie sich auf und streckt sich in dem Shirt, das sie noch immer von mir anhat. Sie sieht gut darin aus. Generell steht ihr dieser verstrubbelte Look. Von ihrem Makeup ist nicht mehr viel zu sehen, da sie sich gestern Nacht mit dem was ich ihr bieten konnte so gut wie möglich abgeschminkt hat. Ihre Haare sind zu einem unordentlichen Dutt hochgebunden und so natürlich, fällt mir zum ersten Mal ihre kleine Stupsnase und das herzförmige Gesicht auf. Sie sieht richtig... süß aus. Als könnte sie keiner Fliege etwas zu Leide tun.

Aber Alexis gehört nicht zu diesen Unschuldslammen, für die alles Rosarot im Leben ist. Davon sprechen ihre Augen, selbst als sie mir ein kurzes Lächeln zu wirft. Da sind diese Schatten in ihnen, die nie ganz zu verschwinden scheinen.

„Überzeugt. Ich gehe mal noch kurz für kleine Spaßbremsen."

Ich bringe keine Antwort raus, während ich ihr hinterherblicke. Und das liegt nicht an Alexis hübschen Hintern, auch wenn dieser ein wirklich sehr lohnender Anblick ist. Diese Seite an ihr, die natürliche, schlagfertige Alexis, ist gefährlich. Gefährlicher als jedes Outfit, das sie im Petto hat. Denn es lässt mich darüber nachdenken, wer sie eigentlich wirklich ist. Und was sie zu der Person gemacht hat, die sie jedem vorspielt. Und das sind Gedanken, die ich nicht zulassen darf. Das hier ist Spaß, nicht mehr. Und ich möchte mich nicht in Probleme verwickeln, die gar nicht meine sind. Ich kann es nicht.

Also nutze ich die Chance aus dem Bett zu kommen und schlüpfe in eine Jogginghose. Dann mache ich mich auf den Weg zur Kaffeemaschine und stelle sie gute fünf Stunden später an, als das sonst an einem Sonntag der Fall ist. Gott verdammt, wir haben schon nach Mittag. Mit einem Seufzen fahre ich mir über das Gesicht.

Bis Alexis mir folgt habe ich bereits zwei dampfende Tassen in der Hand und allein der Geruch nach frischem Kaffee, erweckt die Lebensgeister in mir. Ich fühle mich, als hätte ich die Nacht durchgefeiert, nur ohne Kater. Oder als hätte ich einen Sexmarathon hinter mir, was wohl eher der Wahrheit entspricht. Auf jeden Fall hätte ich nichts dagegen, mich auf die Couch zu fläzen und den restlichen Tag Netflix zu schauen. Am besten mit einem warmen Körper dicht an mich gekuschelt. Nur, dass das normaler Weise so gar nicht mir entspricht.

„He, ist nicht gut so viel die Stirn zu runzeln. Oder willst du in zwei Jahren schon deine ersten Falten haben?"

Alexis tippt mir so beiläufig gegen die Stirn, während sie mir eine Kaffeetasse aus der Hand nimmt, dass ich einen Moment brauche, bis ich merke, wie ich finster die Augenbrauen zusammengezogen habe. Sofort entspanne ich die Muskeln.

„Sorry. Sicher das du nicht was frühstücken willst?"

Darauf bedacht ihr nicht zu nahe zu kommen, schiebe ich mich an Alexis vorbei und gehe auf den Kühlschrank zu, um in der kleinen Küche trotzdem etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Den verwirrten Blick, den mir das beschert, bemerke ich nur aus dem Augenwinkel.

„Nein danke, ich bin nicht so die Frühstückerin."

Ich verkneife mir jeglichen Kommentar dazu, dass es inzwischen wohl auch als Mittagessen durchgehen würde. Das ist nicht mein Problem.

„Na dann hoffe ich, macht es dir nichts aus, dass ich mir etwas zu essen mache. Ich bin am Verhungern."

„Nein, klar. Mach ruhig."

Ich schaue Alexis nicht an, trotzdem meine ich etwas wie Unsicherheit in ihrer Stimme zu hören. Oder ich bilde es mir nur ein, damit ich mir einreden kann, dass nicht nur ich die Situation unbehaglich finde. Egal wie, es lässt mich etwas tun, das ich eigentlich nicht vorgehabt habe. Anstatt direkt nach dem Eierkarton zu greifen und mir ein richtig leckeres Omelette zu machen, greift meine Hand nach der Orangensaftflasche. Und ehe ich mich versehe, stelle ich so beiläufig wie möglich ein gefülltes Glas auf dem Tresen ab, an dem Alexis lehnt. Ich schaue ihr dabei nicht in die Augen oder zeige mit sonst einer Geste, dass das Glas für sie gedacht ist. Wahrscheinlich ist die Aktion auch so schon bescheuert genug. Aber es beruhigt den kleinen Quengelgeist in mir, dass Alexis etwas zu sich nehmen muss.

Dann wende ich mich dem Herd und meinem Omelette zu und es bleibt vom Zischen der Pfanne abgesehen still in der Küche. Ich bin so darauf konzentriert Alexis auszublenden, dass ich tatsächlich überrascht zusammenzucke, als ihre Stimme plötzlich neben mir erklingt.

„Ich pack's dann mal. Danke für... äh alles."

Um eine neutrale Miene bedacht drehe ich mich um und blicke der Alexis von gestern Abend wieder entgegen. Sie hat vielleicht noch immer kein Makeup drauf, doch sie steckt wieder in diesem lächerlich kurzen Top, von dem ich inzwischen weiß, dass ein kurzer Zug an der Schleife an ihrem Rücken reicht, um es herunterfallen zu lassen. Und auch das Halblächeln, das einen immer zu verspotten scheint, ist auf ihr Gesicht zurückgekehrt. Die Fassade ist wieder errichtet und um ehrlich zu sein, bin ich dankbar dafür. Denn so fällt es mir um einiges leichter, in ihr nur eine heiße Nacht zu sehen. Ohne mir Gedanken über die Person dahinter zu machen.

Anstatt also meine Überraschung darüber zu zeigen, wie plötzlich sie nun aufbricht, lasse ich die Erleichterung darüber zu, gleich wieder für mich allein zu sein. „Alles klar. Hast du alles?"

Die Frage ist ziemlich lächerlich, immerhin hatte sie auf der Party nicht mehr dabei, als das was sie am Körper trägt. Das ist auch Alexis klar und das Lächeln auf ihrem Gesicht wird breiter.

„Ja. Also dann, man sieht sich."

Und ehe ich mich versehe, ist sie mit einem letzten Winken aus meiner Haustür verschwunden. Eine Sekunde stehe ich noch da und schaue ihr hinterher, dann bringt mich ein Zischen der Pfanne dazu, mich meinem Omelette zuzuwenden, bevor es verbrennt. Ich rette es schnell auf einen Teller und erst als ich am Tresen sitze und zu essen beginne, kommt mir ein komisches Bachgefühl auf. War es unhöflich Alexis direkt gehen zu lassen? Aber der Gedanke ist bescheuert. Ich habe ihr sogar etwas zu frühstücken angeboten und letztendlich haben wir klar definiert, was das zwischen uns ist. Also schiebe ich das komische Gefühl beiseite und konzentriere mich auf meine Tagesplanung. Wahrscheinlich zocke ich ein paar Runden und erledige dann alles für meine Kurse. Hört sich nach keinem schlechten Plan an, wenn man bedenkt, dass ich so wohlig schläfrig bin, dass ich am liebsten gar nichts getan hätte.

Als ich mit dem Essen fertig bin, räume ich dasGeschirr weg. Erst dabei fällt mir auf, dass Alexis' ihren Kaffee kaum berührthat, während das Orangensaftglas leer ist.

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