Kapitel 13


Am Mittwochmorgen sitze ich mal wieder in einer Vorlesung und schlürfe an Matts neustem koffeinhaltigen Geniestreich. Es ist ein Traum aus Vanille, Kaffee und aufgeschlagener Milch, der mich in ganz andere Welten katapultiert... naja, das oder es sind die Erinnerungen an gestern, die mich jede zwei Sekunden von dem Vortrag meines Dozenten ablenken.

Auch jetzt schleicht sich wieder ein Grinsen auf mein Gesicht, dass ich versuche hinter dem Kaffeebecher zu verstecken. Seans Gesichtsausdruck, als er zurück an den Tisch gekehrt war, war einfach zu köstlich gewesen. Schwer beherrscht und grimmig, als wäre er auf den Toiletten der härtesten Defense der ganzen Eishockeywelt begegnet. Dabei war es nur meine bescheidene Persönlichkeit von 1,69m, die sich ihm in den Weg gestellt hat. Nichts im Vergleich zu den Hünen, gegen die er sonst auf dem Eis antreten muss. Aber den angespannten Muskeln nach, als ich ihn auf seinen Platz neben mich gelassen habe, war ich wohl trotzdem kein Gegner, den man unterschätzen sollte. Gut so.

Den anderen war gar nicht aufgefallen wie geladen Sean zurückgekommen war, weil er sich wie immer eher im Hintergrund gehalten hatte. Während sich das Eishockeyteam weiter einen reingesoffen hatte und Row haushoch das Pub Quiz für uns entschied, saß Sean nur stumm da. Wie eine Raubkatze, die auf den richtigen Moment wartete, um hervorzuspringen. Denn genau das hatte sein Blick verkündet, auch wenn ich wohl als einzige mir dessen bewusst gewesen war. Ein Versprechen, dass mir selbst jetzt noch einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Das Spiel hat begonnen.

Oh ja, und wie es das hatte. Ich kann nicht mehr aufzählen, wie oft unsere Knie sich unter dem Tisch ausversehen berührt hatten. Und wie oft mir das einen Schlag durch den ganzen Körper gejagt hat. Zwei Stunden saßen wir nebeneinander, haben so getan als hätten wir noch nie mehr als zwei Worte miteinander gewechselt, während ich ihm am liebsten das Shirt von der Brust gerissen hätte. Und diese Geheimnistuerei hat das Ganze nur noch elektrisierender gemacht. Ich bin mir selten jeder einzelnen Bewegung einer Person bewusst gewesen. Aber Sean hätte gestern nur mit dem kleinen Finger zucken können und mir wären alle Haare zu Berge gestanden. Und ich weiß, dass es ihm auch nicht besser ergangen war. Zumindest sah er ziemlich angespannt aus, als mir meine Servierte heruntergefallen war und sich beim Aufheben ein guter Ausblick in meinen Ausschnitt geboten hat. Natürlich auch alles nur ein Versehen.

Vielleicht bin ich nicht auf dem besten Weg Profisportler zu werden, aber diese Art von Spiel kenne ich. Und ich habe nicht vor die Verliererin zu sein. Allerdings ist Sean jetzt am Zug und ich kann nur darauf warten was er als nächstes tut. Angriff oder doch nur ein Pass?

Ich weiß es nicht, kann ihn wie immer nicht einschätzen. Aber um ehrlich zu sein steigert das nur noch mehr meine Neugierde. Es ist aufregend, was Neues... Ablenkung. Und alles was mich ablenkt und mich aus der Abwärtsspirale meines Lebens reißt, ist mir recht. Deswegen maßregele ich mich auch nicht selbst, als meine Füße mich schneller als gewohnt zu meinem Auto tragen, nachdem ich auch den letzten Nachmittagskurs hinter mich gebracht habe. Meine Sporttasche habe ich wie immer schon fertig gepackt dabei. Doch dieses Mal sind nicht nur wahllos Sportklamotten hineingeworfen. Ich habe einer meiner besten Kombis rausgesucht – ein fliederfarbenes Set, langärmlig, aber bauchfrei. Ich liebe die Farbe und den Schnitt, was ein extra Push für meine gute Laune ist. Ich schwebe schon fast ins Fitnessstudio, kann die Füße kaum stillhalten. Und anders als am Montag werde ich dieses Mal nicht enttäuscht.

Ich mache mir nicht die Mühe auf desinteressiert zu tun und erst nach einigen Minuten den Blick zum Reha-Raum zu riskieren. Aber das wäre mir auch kaum möglich gewesen, denn kaum dass ich den großen Saal mit den Geräten betrete, spüre ich wie er mich ansieht. Unsere Augen verfangen sich ineinander und auch wenn ich dieses Mal nicht fast stolpere oder ähnlich aus der Bahn gerate, sind meine Gedanken sofort wo ganz anders. Und ganz sicher nicht mehr jugendfrei.

Sean sieht gut aus. Leicht verschwitzt, die Armmuskeln angespannt, während er sich abstützt, um eine Kraftübung für sein verletztes Bein zu machen. Vielleicht hat er dabei Schmerzen und sieht deswegen so wild und ungezügelt aus... oder es hat etwas mit mir zu tun. Aber an die Option sollte ich besser nicht denken, wenn ich noch normal trainieren will.

Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass mein Mund bei dem Anblick ganz trocken wird und ich mit der Zunge einmal über meine Lippen fahre, um sie zu befeuchten. Ich habe es fast zu meinem Laufband geschafft ohne peinlichen Fehltritt, obwohl ich meinen Blick keine Sekunde von ihm gelöst habe. Aber als sich als Antwort einer seiner Mundwinkel hochzieht und Sean damit einen verwegenen Ausdruck gibt, der ihm viel zu gut steht, entschlüpft mir ohne dass ich es verhindern kann ein kleines Stöhnen. Gut also, dass er mich von dem separaten Raum aus nur sehen und nicht hören kann.

Ich stelle meine Flasche an ihren üblichen Platz und nutze die kurze Pause, in der ich nicht direkt zu Sean blicke, um einmal tief durchzuatmen. Ich bin nicht nervös oder so. Meine Güte, letztendlich ist er auch einfach nur ein Mann und mit denen habe ich wohl schon mehr als genug Übung, um nicht mehr nervös zu sein. Aber es ist selten so... prickelnd, elektrisierend, atemberaubend, wie auch immer man es nennen will. Ich weiß, dass das auch schnell genug verfliegen wird. Wie wenn man ein neues Handy kauft und sich die ersten Tage kaum traut es in die Hand zu nehmen. Nach einer gewissen Zeit wird es einfach normal und genauso wird das mit der Spannung zwischen Sean und mir sein. Aber bis es so weit ist, habe ich vor jedes Quäntchen davon auszukosten.

Deswegen löse ich den Pferdeschwanz, zudem ich meine Haare gebunden habe, als ich mich aufrichte, um ihn dann in aller Ruhe neu zu binden. Da ich dafür die Arme heben muss rutscht mein Oberteil ein, zwei Zentimeter hoch und enthüllt damit noch mehr meines Bauches. Dieses Mal halte ich den Blick doch absichtlich gesenkt, so als wäre ich ganz in meine Handlung vertieft und würde das Ganze nicht aus reinem Kalkül machen. Das macht es nur umso wirkungsvoller als ich mit einem Augenaufschlag wieder in Seans Richtung schaue.

Seine Kiefer sind mal wieder so fest aufeinandergebissen, dass ein Muskel an seiner Wange verräterisch zuckt. Hm, das scheint irgendwie ein Tic von ihm zu sein. Dazu ist sein Blick fest auf mich gerichtet und mit der sich abzeichnenden Falte auf seiner Stirn sieht er fast so aus, als wäre ich für ihn ein unlösbares Rätsel. Dabei kann ich es wohl kaum noch offensichtlicher machen. Dieses Mal ist es mein Mundwinkel, der zuckt. Manchmal muss man nun mal zu härteren Mitteln greifen, um die Maus aus ihrem Versteck zu locken.

Aber er ist immer noch am Zug, also belasse ich es dabei und mache mich daran mit meinem Training anzufangen. Meine Beine finden schnell das passende Tempo und so laufe ich wie beflügelt, ohne zu merken, wie die Zeit vergeht. Das habe ich immer, wenn mich die Musik einfach davonträgt. Mein Kopf wird frei, schwebt in eine andere Welt und schenkt mir Frieden, während meine Lunge mehr und mehr Saugerstoff in mich pumpt. Ich laufe bis ich nicht mehr in diesem Fitnessstudio, dieser Stadt oder auch nur auf diesem Planeten bin. Aber heute... ist es anders. Obwohl ich ein Runners-High habe, ist mein Geist fest im Hier und Jetzt verankert. Bei einem Paar grünen Augen, die mich einfach nicht loslassen.

Ich halte den Blick nicht dauerhaft auf Sean gerichtet, trotzdem merke ich wie er immer wieder zu ihm gleitet. Sean selbst ist inzwischen wieder völlig in sein Reha-Training eingestiegen. Er spricht gerade mit Trix, der zierlichen Elfe, die seine Personaltrainerin ist, und scheint ganz vertieft in das Gespräch zu sein. Das ist gut so. Immerhin geht es bei der Reha um seine Karriere. Trotzdem fährt mir kurz ein lächerlicher Stich durch mein Herz, weil es nicht die Aufmerksamkeit bekommt, welche es sich ersehnt. Ich schnaube leise und schellte mich selbst dafür. Ich kann ja akzeptieren, dass ich moralisch ein fragwürdiger Mensch bin, aber das ist selbst für mich ein Schritt zu weit. Sean ist nicht mehr als eine kurze Bekanntschaft, die zugegebenermaßen bisher sehr interessant war. Aber wir sind so weit von dem Punkt entfernt, wo es mir was ausmachen darf, wenn er mir den Rücken zuwendet, dass ich vorher schon eher auf Row eifersüchtig sein dürfte, dass sie jetzt einen Freund hat.

Also mache ich mir selbst und allem voran meiner Libido klar, dass es sich mal wieder entspannen soll. Scheint eh so als wäre Sean für heute fertig. Zumindest packt er gerade seine Sachen zusammen. Damit war es das dann auch mit dem Flirt für heute und das ist völlig in Ordnung. Ich habe andere Dinge, auf die ich mich hier fokussieren sollte. Zum Beispiel das Bauchmuskeltraining, welches heute auf meinem Plan steht, und für das ich so langsam in einen anderen Teil des Fitnessstudios muss. Daher schnappe ich mir meine Sachen und verschwinde mit einem letzten Blick zu Sean, welcher sich noch immer ernst mit Trix unterhält, nach hinten zum freien Übungsbereich.

Eine Stunde später verlasse ich frischgeduscht das Fitnessstudio. Tatsächlich ist heute einer der wenigen Tage, wo sich die Sonne herausgetraut hat, und das warme Gefühl auf meinem Gesicht lässt mich einen Moment genießerisch innehalten. Ich fühle mich erstaunlich friedlich. Auf eine gute Art ausgepowert und trotzdem noch voller Energie. Das Training war perfekt und dass Sean wie gedacht nach meinem Workout bereits gegangen war, hat mir auch nichts ausgemacht. Na gut, etwas enttäuscht war ich vielleicht schon. Aber vor allem, weil ich nochmal das Knistern habe spüren wollen, dass immer aufkommt, wenn ich diesem Kerl zu nahe komme.

Mit einem Kopfschütteln streife ich den Gedanken ab und mache mich Richtung meines Autos auf. Der Parkplatz ist rappelvoll, was kein Wunder ist, da jetzt die typische Feierabendzeit ist. Trotzdem finde ich meinen Ford sofort und lasse mich dankbar auf den Fahrersitz fallen. Es ist Gewohnheit, dass ich meine Handgelenke einmal umgreife, um festzustellen, ob die Spanne von Zeigefinger zu Daumen dafür reicht, bevor ich den Motor starten will. Das ist einer meiner Rituale, die inzwischen so fest in mir verankert sind, dass es mir schon fast nicht möglich ist sie bewusst zu verweigern. Es ist der Beweis, den ich brauche, um mir sicher zu sein, dass ich über Nacht nicht doch wieder das fette Kind geworden bin. Und es ist, so lächerlich es sich auch anhören mag, ein objektiveres Maß als der Blick in den Spiegel. Ich weiß, dass meine Körperwahrnehmung verzerrt ist. An einem guten Tag schaue ich mich selbst an und weiß, dass meine Figur top ist. Ein Tag später bin ich nicht mehr so gut drauf und sehe die fette Kuh im Spiegel, die mich so anekelt. Der Griff um mein Handgelenk ändert sich nicht von dem einen auf den anderen Tag. Es ist ein Sicherheitsverhalten, dass mir zumindest für kurze Zeit Gewissheit geben kann.

Mit einem tiefen Atemzug lasse ich mein Handgelenk los und will gerade den Schlüssel in der Zündung umdrehen, als mein Blick mit einem Mal an einem kleinen weißen Zettel, der unter meiner Windschutzscheibe klemmt, hängen bleibt. Ich runzle die Stirn und beuge mich vor, um das Zettelchen genauer zu betrachten. Ist das Werbung? Aber dafür sind die Ränder zu rau. Es sieht mehr danach aus, als wäre der Zettel in Eile wo herausgerissen worden. Neugierig geworden steige ich wieder aus und ziehe den Zettel unter dem Scheibenwischer hervor. Tatsächlich ist er handbeschrieben, aber das wirft für mich nur noch mehr Fragen auf.

Heimspiel: Akinstreet 15, 19 Uhr.
Oder bist du die Spaßbremse?

Meine Augen fliegen immer wieder über die Zeilen, während sich langsam ein Lächeln auf meinen Lippen breit macht. Ich hätte bei Sean mit vielem gerechnet, aber damit sicherlich nicht. Er scheint immer so ernst und irgendwie... eingefahren zu sein. Aber das hier ist frech, herausfordernd, unerwartet. Unbewusst kaue ich auf meiner Unterlippe, während ich die Nachricht nochmal lese.

Heimspiel. Also ist das wohl seine Adresse. Ich weiß zwar nicht, wo die Akinstreet liegt, aber sicherlich nicht auf dem Campus. Wirklich wundern tut mich das allerdings nicht. Sean scheint mir nicht der Typ zu sein, der in einem Verbindungshaus oder im Wohnheim lebt. Seinen eigenen kleinen Rückzugsort zu haben, passt viel besser zu ihm. Und ich halte gerade die Einladung dazu in der Hand.

Ohne dass ich es verhindern kann, verziehen sich meine Mundwinkel zu einem breiten Lächeln. Obwohl ich noch keinen konkreten Entschluss gefasst habe, steige ich wieder ins Auto und hole mein Handy hervor, um die Adresse einzugeben. Es ist nicht weit von hier, zehn Minuten mit dem Auto. Wenn ich aber wirklich um 19 Uhr da sein will, muss ich trotzdem direkt von hier aus losfahren. Es ist bereits zwanzig vor und so lange würde ich allein brauchen, um zurück zum Wohnheim zu kommen.

Unentschlossen kaue ich erneut auf meiner Unterlippe. Ich kenne Sean kaum. Zu ihm nach Hause zu fahren, ohne auch nur einer Menschenseele Bescheid zu sagen, wohin ich gehe, ist leichtsinnig. Auch wenn ich stark bezweifle, dass er ein Kettensägenmörder ist. Aber wem soll ich schreiben? Row? Die würde aus allen Wolken fallen. Zumal ich gar nicht wüsste was ich ihr sagen soll: „Hi Row, ich fahre zu Sean für einen kleinen Quickie. Wie es dazu gekommen ist? Ach, das erzähl ich dir mal wann anders, aber mach dir keine Sorgen. Außer ich melde mich bis in drei Stunden nicht, dann liege ich wahrscheinlich vergraben im Wald."

Mein Handy würde keine Sekunde mehr still bleiben, bis ich Row jede Einzelheit erzählt habe. Eigentlich hätte ich ihr eh schon längst von der Nacht mit Sean berichten sollen. Nicht nur weil ihr Freund und Sean im gleichen Eishockeyteam spielen und es nur eine Frage der Zeit ist, bis das rauskommt. Sondern vor allem, weil ich früher Row alles brandheiß erzählt hätte. Ich weiß nicht, wie oft ich sie schon mitten in der Nacht rausgeklingelt habe, wegen viel unbedeutenderen Sachen. Nur ist jetzt nun mal nicht mehr damals. Vielleicht hätte ich gestern meinen Mund aufbekommen sollen, bevor wir zu Gray in den Wagen gestiegen sind. Allerdings war Sean da das letzte gewesen, worüber ich überhaupt reden wollte, und ansonsten war ich kein einziges Mal völlig allein mit Row gewesen.

Und auch jetzt steht mir nicht der Sinn danach, meine beste Freundin anzurufen. Ich weiß, womit das enden würde. Row würde sich sorgen machen, ich müsste mich für mein Verhalten rechtfertigen und der Spaß mit Sean wäre gestrichen. Darauf habe ich keine Lust und um ehrlich zu sein... ich will zu Sean fahren. Ohne mir Gedanken machen zu müssen, dass das vielleicht unverantwortlich ist oder erklären zu müssen, was das zwischen uns ist. Ich habe ja selbst keine Ahnung was es ist. Aber es ist aufregend und gibt mir einen Kick, wie sonst nichts anderes. Ich fühle mich richtig lebendig, und das ist etwas, dass ich mir nicht nehmen lassen will.

Also atme ich einmal tief durch starte den Motor und folge den Anweisungen meines Handys, bis ich vor einem Apartmentkomplex etwas außerhalb der Stadt parke. Mir ist es irgendwie gelungen, tatsächlich alle Stimmen aus meinem Kopf zu verbannen, und mich einfach auf das Prickeln in meinem Bauch zu konzentrieren. Vielleicht bin ich inzwischen doch etwas nervös, egal wie viele Erfahrungen ich mit One-Night-Stands schon habe. Das hier ist was anderes als ein Flirt im Club, der in mehr endet. Am Wochenende war alles zwischen Sean und mir aus dem Affekt heraus geschehen. Es gab keine Zeit zum Nachdenken, sondern nur seine Lippen auf meinen und das Feuer zwischen uns. Jetzt sitze ich in meinem Auto und starre das Gebäude an, in dem Sean aller Wahrscheinlichkeit nach schon wartet. Ich entscheide mich bewusst hierfür und für einen kurzen Moment macht mir dieser Gedanke Angst.

Aber dann schüttle ich den Kopf und hole mich selbst zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich mache aus dem Ganzen gerade mehr als es ist. Es geht um Spaß. Ein Spiel zwischen uns beiden, das niemand verlieren will. Mehr nicht. Ich sage hier nicht „Ja" zu einem Heiratsantrag. Also presse ich die Lippen aufeinander und schalte den Kopf ab. Einfach aussteigen, klingeln und geschehen lassen, was auch immer kommt.

Allerdings stellt sich mein Plan bereits vor der Haustür als nichtig heraus, denn... wie in Gottes Namen lautet Seans Nachname überhaupt? Überfordert lasse ich meinen Blick über die gut zwanzig Klingelschilder gleiten, aber bei keinem der Namen will mir ein Licht aufgehen. Oh Mann, der Kerl ist Eishockeyspieler, wie kann es sein, dass ich seinen Nachnamen nicht kenne? Aber Tatsache ist, egal wie lange ich auch die Klingelschilder anstarre, es ändert nichts. Ich müsste auf gut Glück raten und das scheint mir keine gute Idee zu sein. Ich kann mir das Gespräch nur zu gut vorstellen.

„Hallo wer ist da?"

„Oh Entschuldigung, sind Sie zufällig der heiße Sportler, den ich flachlegen will?"

Irgendwas sagt mir die Polizei wäre schneller hier als ich alle Klingeln durchprobieren könnte. Frustriert seufze ich. Toll, und jetzt? Seans Handynummer habe ich auch nicht. Soll ich einfach weiter hier herumstehen, in der Hoffnung, dass er irgendwann aus dem Fenster schaut und mich sieht? Das hört sich dann doch etwas zu erbärmlich an. Ich werde mich hier sicherlich nicht zum Affen machen. Trotzdem bleibe ich wie angewurzelt stehen und werde mir erst nach einer Zeit klar, dass ich wieder mein Handgelenk umklammert habe.

Irritiert lasse ich die Hände fallen und schaffe es endlich einen Schritt zurückzutreten. Das hier ist falsch. Ich fange schon jetzt an mir viel zu viele Gedanken über etwas zu machen, dass eigentlich eine einfache Nummer sein sollte. Damit darf ich erst gar nicht anfangen. Sonst stecke ich schneller als ich „sei vorsichtig" sagen kann in etwas drin, dass mich mehr kostet als dass es mir bringt.

Fest entschlossen zu gehen und das Ganze einfach aus meinem Kopf zu streichen, will ich mich gerade umdrehen, als eine Stimme mich zusammenfahren lässt.

„Willst du noch länger unentschlossen hier herumstehen oder lieber mit hochkommen?"

Erschrocken wirbele ich herum und sehe mich Sean gegenüber, der mich über eine Einkaufstüte hinweg amüsiert anlächelt. Mein Puls ist sofort auf 180 und auch wenn ich es gerne nur auf den Schrecken zurückgeführt hätte, weiß ich, dass es zumindest zum Teil auch einfach an Sean liegt. Und seiner unfassbaren Fähigkeit mich immer wieder aus dem Konzept zu bringen.

Auch jetzt kann ich ihn erstmal nur dümmlich anstarren, bis seine Worte weit genug in mein Gehirn einsickern, um dann doch mal verarbeitet zu werden. Aus Reflex heraus hätte ich beinahe herausgeschossen, was er denn hier macht. Aber die Frage wäre so hirnrissig, dass ich sie mir im letzten Moment doch noch verkneifen kann. Nicht nur weil er hier wohnt und die Frage daher eher lauten sollte, was ich hier mache – und die Antwort darauf wäre: mich ziemlich peinlich und dumm aufführen – sondern weil auch offensichtlich ist woher er kommt, mit der prall gefüllten Einkaufstüte, die er vor sich hält.

Also entweicht mir anstelle von Worten einfach nur Luft in Form eines Schnaubens und ich fasse mir an die Brust.

„Verdammt, hast du mich erschreckt."

Sean legt den Kopf leicht schräg und mustert mich einen Moment lang nachdenklich. Irgendwie habe ich das Gefühl, das er das bei mir öfter macht als bei anderen Menschen. Ich weiß nur nicht, ob das ein Kompliment ist.

„Sorry, das wollte ich nicht. Kommst du jetzt mit rein?"

Als gäbe es zu dieser Situation nicht mehr zu sagen, geht Sean an mir vorbei und holt einen Haustürschlüssel aus seiner Hosentasche hervor. Er ist eingepackt in eine dicke Winterjacke, die jedoch den Blick auf seinen Knackarsch absolut nicht behindert. Und diese Aussicht lenkt mich für einen Moment ab. Mein Gott, kann nicht jeder Mann Eishockey spielen? Die Welt wäre so viel schöner.

„Alexis?"

Aus meiner Schwärmerei gerissen blinzle ich kurz verwirrt, bevor mir seine Frage wieder einfällt. Mein Blick wandert kurz zurück zu meinem Auto und dann wieder zu Sean, der mich völlig entspannt anschaut. Er sieht nicht wirklich so aus als würde ihm viel daran liegen, ob ich mit hochkomme oder einfach wieder gehe. Eher so als würde es ihn nicht wirklich betreffen. Als würde es für ihn keinen Unterschied machen.

Wieder einmal versuche ich in seinen Augen zu lesen und zu verstehen was diesem Kerl im Kopf herumgeht. Immerhin hat er mir diesen Zettel zugesteckt, mich herausgefordert hier her zu kommen. Also wieso scheint es ihm jetzt bereits wieder so egal zu sein? Ich weiß einfach nicht, ob für ihn die gleiche Spannung zwischen uns liegt wie für mich. Normalerweise durchschaue ich Männer. Weiß, dass sie mich wollen, wenn auch nur für das eine. Aber Sean... es ist als würde ich auf einen tiefen ruhigen See blicken und mich entscheiden müssen, ob ich reinspringen will oder nicht. Das Problem ist nur, dass ich nicht sicher sein kann, was unter der Oberfläche lauert.

Unentschlossen balle ich die Fäuste und öffne sie wieder. Eigentlich war mein Entschluss doch schon gefallen. Ich wollte gehen. Wieso also rühren sich meine Füße jetzt nicht?

Obwohl sich meine Antwort schon viel zu lange rauszögert, hat Sean sich noch kein einziges Mal gerührt. Er wartet einfach. Und das macht mich vollkommen verrückt. Ich will wieder das Feuer in seinen Augen sehen. Die Begierde. Ich will, dass er die Kontrolle verliert und mir beweist, dass er nicht so unberührt ist, wie er tut. Und ich will das Prickeln zurück. Die Aufregung, die meinen Aufmerksamkeitsfokus auf eine einzige Sache beengt: Sean. Wenn er genauso brennt wie ich, ist alles andere vergessen. Dann herrscht für einige wundervolle Momente Frieden in meinem Kopf. Und das ist genau was mich hier hält.

Ich bin viel zu neugierig, um es einfach bei dem zu belassen, was bisher zwischen uns gelaufen ist. Sean ist eine wandelnde Herausforderung für mich und es liegt nicht in meinem Blut so etwas einfach zu ignorieren. Ich will ihn in diesem Spiel schlagen. Und das heißt in diesem Fall, dass er mich wollen soll. Er soll betteln, anstatt mich mit dieser Neutralität anzuschauen. Denn ich will ihn. Oder besser gesagt, was er mir geben kann.

Also ignoriere ich die leise Stimme in meinem Hinterkopf, die mir zuraunt, dass das hier nicht gesund ist. Dass es nur nach hinten losgehen kann. Ich setze mein unbekümmertes Lächeln auf, tue so als wüssten wir nicht beide, welchen Kampf ich gerade ausgefochten habe, und antworte: „Klar."

Auch Sean sagt nichts dazu, wie lange ich für meine Entscheidung gebraucht habe. Stattdessen öffnet er nur die Tür und lässt mich als erstes eintreten. Allerdings lässt er mir so wenig Platz, dass mir im Vorbeigehen gar nichts anderes übrig bleibt als ihn zu berühren. Ich weiß nicht genau was es ist, dass mir alle Haare zu berge stehen lässt. Dieser Kontakt, seine tiefe Stimme, die kaum hörbar „Gut" murmelt... oder mein Urinstinkt, der mich davor warnt in eine Falle zu laufen.



Und was denkt ihr... richtige Entscheidung von Alexis? 

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