Epilog

Ich hätte nie gedacht mich einmal hier am rechten Platz zu fühlen. Genau genommen weiß ich noch zu gut, wie deplatziert, schwach und erbärmlich ich mir vorkam, als Row mich nach Halloween das erste Mal mit hier her genommen hat. Damals als Carly meine Welt ins Wanken gebracht hat. Und jetzt ein halbes Jahr später stehe ich hier, bin vom College geflogen, habe meinen ersten Herzschmerz erlebt und wohl auch alles andere was man an Mist mitnehmen kann mitgenommen – und fühle mich wohl.

Ich beiße mir auf die Lippen, während Row und ich vor den Umkleiden des Eishockeyteams warten. Heute war das große Finale und die Jungs haben es gerissen. Sie haben von Sekunde eins so viel Dominanz in dem Spiel gezeigt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ein Tor schießen. Und das Tor kam, genauso wie das zweite, dritte und vierte. Letztendlich haben sie 4:2 gewonnen und ich glaube wenn man an Row eine Glühbirne anschließen könnte, würde sie grell leuchten, so hibbelig ist meine beste Freundin. Sie tigert im Gang auf und ab, während ihre Augen vor Freude strahlen. Ich weiß, dass sie es kaum noch aushalten kann, bis Gray aus dieser Tür rauskommt und zum Teil kann ich sie nachvollziehen.

Ich warte vielleicht nicht auf meine große Liebe, aber auf Lee, der sich die letzten Wochen zu einem richtig guten Freund entwickelt hat. Genau dem Freund, den ich gebraucht habe, ohne es zu wissen. Nachdem ich mir auf meinem kleinen Roadtrip bewusst darüber geworden bin, was ich gut kann – und das sind keine Gesetzesparagraphen auswendiglernen – war er es, der mit mir gesucht hat. Nach Physiotherapeuten, Fitnessstudios und Vereinen, allem was auch nur in die Richtung Bewegung und Rehabilitation geht. Dass ich letztendlich bei meinem alten Fitnessstudio gelandet bin, ist wahrscheinlich Ironie des Schicksals. Aber das ist mir herzlich egal, denn ich mag die Arbeit. Ich bin fasziniert von Sport, Ernährung und Grenzen sowie Schäden unseres Körpers. Diese Faszination mag zwar auf meinen eigenen Körper bezogen eher krankhafte Züge angenommen haben, doch ich habe das Gefühl auch darin besser zu werden, seitdem ich mich professionell mit der Materie auseinander setze. Es sind vielleicht nur kleine Schritte, aber es sind die richtigen Schritte. Das merke ich mit jedem Tag, an dem ich aufstehe und meine Zukunft greifbarer erscheint als meine Vergangenheit.

Und dann ist da natürlich auch noch Sean, der jede Sekunde mit den Jungs aus den Umkleiden kommen kann. Ich weiß nicht genau, was ich bei dem Gedanken an ihn empfinde. Wahrscheinlich eine Mischung aus Schmerz und den Schmetterlingen, die zurückgekehrt sind, seitdem wir uns unter der Woche im Fitnessstudio begegnet sind. Seine Geschichte hat mich gerührt. Er hat zwar Recht, es rechtfertigt und entschuldigt nichts, aber Mal von der Hausparty abgesehen hat er sich nie falsch verhalten. Er hat mir gesagt, an was ich bin. Ich war nur zu dumm zu erkennen, dass es nichts mit meiner, sondern mit seiner Vergangenheit zu tun hat. Ich habe gedacht nur attraktiver und besser sein zu müssen, damit er mich so mag wie ich ihn. Dabei war er einfach nicht in der Lebenslage, in der er irgendetwas davon haben wollte. Er konnte seine Grenzen nicht überschreiten und ich habe ihn auf der Party gepusht, genau das zu machen, weil ich nur meine Bedürfnisse gesehen habe.

Ich weiß nicht, ob sich für Sean etwas daran verändert hat. Wir reden nicht über uns und es gab auch keinen Moment, in dem einer von uns versucht hat, dem anderen wieder näher zu kommen. Aber wir schreiben. Und das viel. Nach unserem langen Gespräch bin ich Abends mit einer Nachricht von ihm zu Hause angekommen. Naja, was heißt zu Hause: Rows WG ist momentan so freundlich mich auf ihrer Couch zu beherbergen. Aber es hätte mich wohl deutlich schlimmer treffen können als mit den drei Mädels. Genau genommen ist es sogar ziemlich witzig, seitdem ich mal länger mir Mary und Cass geredet habe. Aber zurück zum Thema: Sean. Er hat angeboten mir Bücher zu Rehabilitation nach Bänderrissen auszuleihen, die er sich am Anfang seiner Verletzung gekauft hat. Und obwohl ich nur mit einem kurzen Satz geantwortet habe, ist er danach nicht verstummt. Stattdessen hat er Fragen gestellt. Zu mir und meinem Leben. Und im Gegenzug durfte ich ihn genauso fragen. So geht das nun schon seit Tagen hin und her und den Sean, den ich inzwischen vor mir sehe, hat nichts mehr mit dem stillen, mysteriösen Mann zu tun, der mich noch vor einigen Wochen verrückt gemacht hat. Stattdessen sehe ich einen Mann mit einem riesigen Herzen, das schon viel Schmerz erleiden musste. Jemand der sich im Hintergrund hält und zuhört, weil er weiß wie viel hinter der Oberfläche der meisten liegt. Er wird mit jeder

Facette, die ich kennenlerne, faszinierender und was auch immer das ist, was sich zwischen uns entwickelt, es fühlt sich gut an, weil es kein Spiel ist. Es ist echt.

Der letzte Monat war die reinste Katastrophe und zugleich mein größtes Glück und mir wird für einen Moment schwindelig, als ich daran denke, was sich alles verändert hat. Es ist nicht so, dass mich nicht immer noch manchmal die Scham überkommt, für alles was ich vermasselt habe. Und mit meinem Dad habe ich schon seit der Abfahrt meiner Eltern nicht mehr geredet. Aber ich versuche mich auf das Positive zu konzentrieren.

Und darin enthalten, sind die Jungs, die mit einem Mal grölend aus ihrer Umkleide stürzten. Es sind nur Gray und Lee, was mich schon verwundert die Augenbrauen zusammenziehen lässt. Aber dann werden wir von den beiden an der Hand gepackt – naja zumindest zieht Lee mich an der Hand, Gray hebt Row hoch und trägt sie trotz ihres Aufkreischens einfach mit sich – und durch die Umkleide aufs Spielfeld hinausgezogen.

Was auch immer ich Lee gerade fragen wollte, es verblasst als ich auf einmal in Mitten des johlenden und singenden Publikums stehe. Einige Teamkollegen von Lee laufen über die Eisfläche und spritzen mit Champagnerflaschen ins Publikum. Die Restlichen haben sich mitten auf dem Feld zu einem Pulk versammelt, während Bas und jemand anderes Elijah samt Pokal auf den Schultern trägt. Es ist das absolute Chaos, während die pulsierende Energie einen sofort in Bann nimmt.

Row und ich sind eine Minute vor Spielschluss losgegangen, um so schnell wie möglich an den Kabinen zu sein. Von dem hier haben wir nichts mitbekommen und da ich noch nie bei einem Eishockeyfinale dabei war, hat mich auch nichts darauf vorbereitet. Ich drehe mich völlig baff einmal um mich, während die Menge, das blitzende Licht und die laute Musik mich gefangen nehmen.

Wow... ich werde aus meiner Faszination gerissen, als Lee mir einen Arm um die Schulter legt und mir eine der Sektflaschen anbietet, die er von irgendwo her hat. „Hast du mein Tor gesehen? Es war grandios! Ach was es war legendär!"

Mit einem Grinsen nehme ich die Flasche entgegen und knuffe meinen neuen besten Freund in die Seite. Aber für heute will ich ihm Mal die Überheblichkeit lassen. „Du warst klasse, Lee. Herzlichen Glückwunsch!"

Ich werde überraschend hochgehoben und einmal herumgewirbelt, aber wie Lee so ist hat er sich bereits von zwei Kollegen ablenken lassen, die die Menge anstacheln, bevor ich mich von meinem Schwindel erholt habe. Dieser Kerl ist so sprunghaft und quirlig... und genau dafür habe ich ihn lieb.

Mit einem Lächeln beobachte ich ihn dabei, wie er im Takt des Liedes auf und ab springt. Darüber merke ich erst verspätet, dass jemand anderes sich zu mir gesellt hat.

Mein Herz nimmt einen Schlag Tempo zu, doch ich lasse mir nichts davon anmerken, als ich mich Sean zu wende. Er sieht gut aus in seiner vollen Montur. Beeindruckend sogar. Und er wirkt viel mehr wie er selbst, frei auf dem Eis, anstatt eingesperrt in den Reha-Raum. Tatsächlich hat er sogar in den letzten Minuten spielen dürfen, als der Sieg schon sicher war. Und auch wenn es nicht lange war, weiß ich wie viel ihm das bedeutet hat.

„Hey du", beginne ich und erhalte dafür ein schräges Lächeln.

„Hey du, zurück. Schön dich hier zu sehen."

Ich schnaube und erwidere: „Row hätte mir kaum eine Chance gelassen." Was nur halb gelogen ist. Ich wollte her. Trotzdem hätte mich Row in jedem Fall hergeschleppt, nachdem Kayla nun nicht mehr mit ihr auf die Spiele geht. Mein Herz sinkt bei dem Gedanken an das einzige Betrübende des Abends. Kayla hat sich letzte Woche von Elijah getrennt. Einen Schritt den ich befürworte, aber trotzdem vermisse ich sie hier.

„Das hat sie gut gemacht."

Der Kommentar lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken und als ich Sean ansehe ist da wieder dieses Kribbeln in meinem Körper, dass nur er mir geben kann. Daran hat sich nach allem nichts geändert.

„Ja, das hier hätte ich nicht verpassen wollen. Du hast dich übrigens toll auf dem Eis gemacht. Das ganze harte Training hat sich gelohnt."

Es kommt selten vor, aber ich meine Verlegenheit in Seans Blick zu sehen, als er schnell den Kopf abwendet. Und das ist bei diesem großen starken Eishockeyspieler wirklich zum zerschmelzen süß.

„Ich konnte es fast nicht glauben, als der Trainer meinen Namen gerufen hat. Ich meine ich habe es gehofft, aber Mann..."

„Das hast du dir wirklich verdient." Ich denke gar nicht nach, als ich meine Hand ausstrecke, um sanft seine zu drücken. Es sollte nur aufmunternd sein, aber erst als Sean erstarrt, wird mir klar, dass es zu gleich viel mehr ist. Wir haben uns nicht mehr berührt seit... nun ja damals. Doch allein dieser kleine Kontakt jagt bereits Blitze durch meinen Körper, die mich fast erschrocken zurückfahren lassen. Aber nur fast. Denn kurz bevor sich meine Finger von seinen lösen können, verschränkt Sean unsere Hände miteinander.

Es ist nur eine kleine Geste und doch so viel intimer als alles was wir zuvor geteilt haben. Ich weiß, dass auch er es spürt, als sich unsere Blicke begegnen. Und obwohl wir in der Mitte einer tobenden Menge stehen, die alle samt den Sieg des Eishockeyteams feiern, existiert in diesem Moment nur er. So wie das schon im Club war und in jedem anderen Moment danach. Es ist schrecklich und angsteinflößend... aber vielleicht auch das schönste was mir jemals passiert ist.

~ Ende ~

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