2. Wer bist du, Wendy Marvell?

Schreiende Menschen rannten aus den schäbigen Gebäuden heraus. Kleine Kinder mussten ihre geliebten Spielsachen, in denen ihre gesamten Kindheitserinnerungen steckten, runterfallen lassen, um dem Feuer zu entkommen. Über zwanzig Alarmanlagen der hier stehenden Fahrzeuge gingen los. Das Chaos verbreitete sich schnell.
Es ertönten mehrere Explosionen, die durch die Benzintanks der Autos ausgelöst wurden. Glas zersprang und schürfte so manchen Leuten die Haut auf. Sie kreischten und flohen, sie holten die Handys und riefen die Polizei und Feuerwehr an.

"Steh auf, Natsu!", forderte Erza von mir, die bereits blutbeschmiert war und Wunden trug.
Wie von der Tarantel gestochen sammelte ich meine Kraft zusammen und versuchte aufzustehen, was auch einigermaßen klappte. Meinem linken Bein ging es jedenfalls nicht sonderlich gut.
Mit Erza als Stütze gingen wir weiter weg von der Explosion, um uns in Sicherheit wiegen zu können. Die anderen, Gajeel, Wendy, Gray, Levy, Lisanna und Gérard standen auch wieder und liefen mit aller Kraft weiter.
Ich hörte schon die Sirenen und Fahrzeuge, die mit Höchstgeschwindigkeit zum Ort des Geschehens fuhren.
Erneut erklingt eine Explosion, doch dieses Mal kann ich deutlich schmerzhafter fühlen, was sie anrichtet. Taumelnd bleibe ich stehen. Es ist unmöglich, mich überhaupt noch weiterzubewegen. Die eisenhaltige Flüssigkeit tritt auf meine Zunge und entweicht durch meinen aufgrund von Schock geöffneten Mund ins Äußere. Langsam fließt das Blut mein Kinn hinunter und tropft in Massen auf das Metallstück, welches meine Magengegend durchbohrt.
"NATSU!"

"Verdammt, Natsu!"
Ich hörte, wie die anderen auf mich zugerannt kamen. Die Stimmen wurden abgedämpft und die Bilder vor meinen Augen verschwommen urplötzlich.
Ich hörte gar nichts mehr, keine Stimmen, kein loderndes Feuer und keine Sirenen.
Auch meine Sehkraft ließ nach und alles leuchtend rote wurde zu einem finsteren Schwarz.
Aber dennoch konnte ich eine einzige Sache sehen.

Meinen Tod.

Diskutierende Menschen standen um meinen toten Körper.
Sie waren laut, es schien ein wichtiges Thema zu sein.
Wie kommt es, dass ich von diesem Wissen Bescheid wusste? Ich war doch tot.
Wie kommt es, dass ich denken kann? Ich war doch tot.
Wie kommt es, dass ich eine plötzliche Hitze an meiner Schulter spürte? Ich war doch tot.

"Denkt ihr, es war wirklich in Ordnung, das auch mit Natsu zu machen...?"
Diese Stimme... Das war die von Gajeel... Seit wann sorgt er sich um mich? Wieso wirkt er so betrübt?
"Wir konnten ihn doch nicht einfach so dem Tod überlassen!"
Levy... Was meinst du damit? Mich dem Tod überlassen...?
"Außerdem hat der Time Catcher es so gewollt." Die strikte und direkte Stimme, zu Erza gehörend, betrachtete meine Lebenserhaltung wohl nicht als klug.
Time Catcher...? Was hat das alles zu bedeuten, was meinen sie damit?
"Was machen wir jetzt eigentlich mit Gray?"
Schlagartig öffnete ich die Augen und achtete rein gar nicht auf die mir fremde Umgebung.
Gray. Mein bester Freund. Bilder spielten sich wieder in meinem Gedächtnis ab. Ein Feuer, wir rannten und stolperten über die Straße, Hauptsache wir könnten entkommen. Dann floss Blut aus meinem Mund... und... Ich bin gestorben.
Angsterfüllt und erschrocken richtete ich mich auf und spürte merkwürdigerweise keinen wirklichen Schmerz, jedenfalls nicht den, der eine tödliche Wunde beinhalten sollte. In der Gegend meines Körpers, an dem das Teil eines Autos reingerammt war, war ein Verband angebracht.
Erst jetzt merkte ich genau, dass die Menschen, deren Stimmen ich hörte, gar nicht im selben Raum wie ich waren.
Dort, wo ich mich befand, war es kühl. Ich spürte keine Wärme, aber auch keine schmerzende Kälte. Das Raumengangement bestand nur aus einer alten Lampe, geformt wie ein fallender Trichter, und der harten Liege, auf der sich mein blasser, fast weißer, Körper befand. Mehr nicht.
Aber wo war Gray...? Was war mit ihm passiert...?

"Dein Name ist Natsu Dragneel. Du starbst am 24. Juni, nachdem ein Metallteil eines explodierten Autos deinen Bauch durchbohrte."

Diese Worte. Wer sagte das...? Im Raum war niemand, kein Mensch. Ich wollte reden, aber kein einziger Laut verließ meine Kehle.

"Deine Leiche wurde jedoch nie gefunden und die Polizei ging davon aus, dass du komplett verbrannt bist."

Weiterhin versuchte ich, zu fragen, was die Stimme damit meinte, aber es schien, als hätte ich vergessen, wie man spricht. Wer war das, was sagte sie da und was hatte das alles zu bedeuten?! Ich kannte diese Stimme... irgendwo her... Diese Stimme war mir so vertraut, ich wusste, wer das sagte... Und dennoch... Wollte mir weder Aussehen noch Name einfallen...

"Die Freunde aber, welche dich begleiteten, haben vor deinem entgültigen Tod deine Seele in das Siegel verschlossen und deinen toten Körper geborgen."

"Wer bist du...? Was sagst du da?", fragte ich, als meine Stimme plötzlich wieder funktionierte.

"Anschließend brachten sie dich in deren Quartier und legten dich hier hin."

"Was willst du von mir?! Und was redest du da?! Sprich endlich richtig mit mir!"

"Sie beschlossen, dir deine Seele zurückzugeben und markierten dich mit dem Zeichen."

Auf einmal brannte meine rechte Schulter gewaltig und ich fasste mit verkrampften Händen dorthin. Langsam entfernte ich die Hand und sah ein blutrotes Zeichen darauf. Es hatte meine Schulter verbrannt und stach, als würde man entlang der Linien tausend Nadeln reinstechen, ohne Rücksicht.
"Was ist das? Und wieso befindet es sich da?! Was redest du da von meinen Freunden?!"

"Nachdem die Rückgabe erfolgt war, ließen sie dich in diesem Zimmer und du wurdest zu einem Timer der bis jetzt 709 vorhandenen."

"WOVON REDEST DU DA?! SAG MIR ENDLICH KLARE WORTE, ICH BIN GESTORBEN UND LEBE PLÖTZLICH, SAG MIR DOCH, WAS PASSIERT IST!" Tränen entwichen meinen Augen und meine Stimme wurde zittrig. Ich verstehe das nicht... Ich bin gerade eben bei einem Feuer umgekommen und dann sagt diese Person mir, dass meine Freunde meine Leiche mitgenommen haben...? Was denkt der sich eigentlich?!

"Als ein Timer wirst du in Zukunft eine tickende Zeitbombe sein. Wann du explodierst-"

"JETZT ANTWORTE MIR DOCH! DU KANNST MIR NICHT EINFACH SAGEN, ICH SEI TOT, WENN ICH DOCH HIER LEBE!"

"- weiß niemand. Nur der Baron aus Alvarez kennt diese Information. Daher musst du mit oberster Vorsicht deinen Weg gehen."

"Was sagst du da... Ich verstehe dich nicht... Wovon sprichst du...", weinte ich jetzt. So etwas kann mir nicht ernsthaft passieren... Ich verstehe das einfach nicht...

"Solltest du eine tickende Uhr in deinem Ohr hören, bedeutet es, dass du innerhalb von zehn Sekunden sterben wirst. Wenn du es fünf Sekunden nach Beginn des Countdowns schaffst, den Körper zu wechseln, kannst du überleben und weder du noch dein vorheriger Körper werden explodieren."

Wieso... wieso sagst du mir so schreckliche Dinge... Es gibt 709 Leute, die so leben...? In der ständigen Angst, zu sterben? Und ich soll jetzt auch einer von ihnen sein?! Willst du mich eigentlich auf den Arm nehmen!?

"Wenn du ein Ticken in deinem Ohr hörst und plötzlich ein Name in deinem Gedächtnis auftaucht, bedeutet das, dass der Timer, der auf diesen Namen hört, explodieren wird. Eine solche Explosion umfasst einen extrem großen Bereich und ist tödlich, was man anhand deines Beispiels sehen kann."

Menschen, die das Leben einer Bombe tragen und nicht einmal wissen, wann sie explodieren. Existieren sie wirklich? Wieso sollte es so etwas geben? Alvarez war nicht immer so gut mit Fiore befreundet, aber einem die Seele nehmen? So etwas übernatürliches geht gar nicht... und, dass ich wieder lebe, geht auch nicht... Was geht hier eigentlich ab...

"Du fragst dich, was es mit all dem auf sich hat, nicht wahr, Natsu?"

Ich drehte mich unfassbar erschrocken um und sah... Wendy.
Wendy Marvell. War sie etwa schon die ganze Zeit hier? Nein... Ich habe sie gar nicht gesehen. Wie ist sie hergekommen? Und wie kommt es, dass mir plötzlich auffiel, dass sie diese komische Stimme war...?

Ich wollte zum reden ansetzen, aber sie lächelte mich an. Es wirkte entschuldigend und schuldig. Wieso siehst du mich so an, kleine Schwester? Du hast doch nichts getan... Und wieso bst du hier? Sieh mich bitte nicht so an...

"Natsu..." Sie lächelte mich unglaublich betrübt und traurig an.
Mein Herz tat weh. Nicht wegen der Wunde, sondern wegen dem Blick, den sie mir schenkte. Es kam etwas schlimmes. Ich wusste es und konnte es trotzdem nicht aufhalten.

"Ich bin nicht deine Schwester."

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