23. Discovery

Nach dem Gespräch mit Isabel wollte ich so schnell wie nur möglich ein Treffen mit Lizzy vereinbaren. Es lag mir am Herzen, ihr ein wenig über die Kugeln zu berichten. Aber es war nicht nur das. Ich wollte wissen, was sie in den letzten dreißig Jahren alles erlebt hatte. Immerhin verdankte sie mir ihr Leben und ich war nun neugierig, wie sich dieses nach dem Jahr 1983 entwickelt hatte. Darüber hatten wir noch nicht wirklich gesprochen.

Also schickte ich ihr eine SMS mit der Frage, wann wir uns wieder sehen könnten. Ein bisschen komisch war das ja schon, die Mutter seiner Freundin um ein Treffen zu bitten. Aber ich sah Lizzy nicht nur als die Mutter meiner Freundin, jedenfalls nicht ausschließlich.

Unmotiviert zappte ich an diesem Nachmittag durch die Fernsehkanäle, bis ich wie immer beim Sportsender hängen blieb. Da mich das Fußballspiel jedoch nicht sonderlich interessierte, warf ich hin und wieder einen Blick auf mein Handy, um zu schauen, ob Lizzy bereits geantwortet hatte. Da dies noch nicht der Fall war, suchte ich die Küche auf, um eine große Packung Schokoladeneis aus dem Gefrierfach des Kühlschranks zu holen. Gerade als ich beginnen wollte, das Eis zu löffeln, meldete sich mein Handy. Es war Lizzy, die mit mir sprechen wollte.

„Hey, Liz, hast du meine SMS bekommen?", fragte ich sogleich.

„Ja, habe ich und ich wollte dich fragen, ob du vielleicht morgen Nachmittag Zeit hättest, mich zu besuchen."

Das war eine Frage ganz nach meinem Geschmack und so antwortete ich sofort: „Morgen Nachmittag klingt gut. Um welche Uhrzeit denn?"

„Sagen wir gegen drei?"

„Ok, aber nur, wenn Phil nicht wieder früher nach Hause kommt. Ich habe keine Lust, mich schon wieder in deinem Kleiderschrank zu verstecken", zog ich sie auf.

Daraufhin begann Lizzy schallend zu lachen. „Keine Sorge, Niall, das wird nicht passieren. Phil fliegt morgen früh nach Paris und er wird nicht vor neun Uhr abends zurückkehren."

„Dann bin ich ja beruhigt."

Es fühlte sich zwar komisch an, dass wir darauf achten mussten, dass Phil uns nicht in die Quere kam, doch auch daran musste ich mich gewöhnen. Jedenfalls freute ich mich auf das Treffen mit Lizzy. Dass wir uns viel zu erzählen hatten, lag klar auf der Hand.

„Musst du denn nicht arbeiten?", erkundigte ich mich plötzlich. Schließlich konnte sie nicht immer Urlaub haben.

„Ich arbeite nur noch auf Teilzeitbasis und habe den Nachmittag zu meiner freien Verfügung", erwiderte sie.

Phil verdiente als Immobilienmakler bestimmt genügend Geld, damit sie sich das Haus leisten konnten und ich gönnte es Lizzy, dass sie ein bisschen Zeit für sich hatte.

„So gut hätte ich es auch gerne mal", erwiderte ich lachend.

„Und das sagt mit jemand, der drei Monate am Stück frei hat", konterte sie.

„Ja, drei Monate nach drei Jahren. Das ist doch fair, oder?"

„Auf jeden Fall!"

„Gut, dann sehen wir uns morgen. Ich freue mich schon. Soll ich irgendetwas mitbringen? Kuchen vielleicht?", fragte ich nach.

„Nein, ich habe selbst welchen gebacken."

Da Lizzys Backkünste sich durchaus sehen lassen konnten, freute mich noch mehr auf den morgigen Tag.

„Was machst du denn heute noch Schönes?", erkundigte sie sich.

„Sammy kommt nachher vorbei und bleibt über Nacht", gab ich zur Antwort.

Im Prinzip hatte ich ihr gerade zu verstehen gegeben, dass ich nachher mit ihrer Tochter Sex haben würde, holy shit!

Mein Leben war in dieser Beziehung echt kompliziert, denn jeder andere Typ würde gar nicht darüber nachdenken, wenn er das der Mutter seiner Freundin erzählen würde. Ich hingegen schon. Ich machte mir Gedanken darüber, dass ich Lizzy vielleicht verletzten könnte, was natürlich völlig absurd war.

Als ich sie sagen hörte: „Das ist schön und pass gut auf Sammy auf", wurde mir bewusst, wie sehr sie mir vertraute, was Sammy anging.

Ich spürte immer wieder, dass Lizzy ihre Tochter über alles liebte und dass es ihr sehr nahe gegangen sein musste, als dieser Typ, dessen Name und Adresse ich Gott sei Dank nicht kannte, Sammy so verletzt hatte, indem er sie mit ihrer Freundin betrog. Sie war mein kleiner blonder Engel, auf den ich immer aufpassen würde. Und genau das gab ich Lizzy auch zu verstehen.

„Keine Angst, Liz, Sammy ist bei mir immer in Sicherheit."

„Das weiß ich", kam es von ihr.

Wir beendeten unser Telefongespräch, weil ich Sammy nach Hause kommen hörte. Blitzschnell sprang ich von der Couch und rannte ihr förmlich entgegen.

„Hey, mein Engel, geht es dir gut?"

Wir umarmten uns und ich küsst sie auf den Mund, was sie sofort erwiderte. Ihre Arme legten sich dabei automatisch um meinen Nacken, während meine an ihren Hüften lagen. Sie presste ihren Körper leicht gegen meinen, was ich zum Anlass nahm, sie einfach hochzuheben und zum Sofa zu tragen, wo wir uns dann auch sogleich niederließen.

„Erzähl, wie wir dein Tag in der Uni?", erkundigte ich mich, als sie auf meinem Schoß saß.

„Super! Ich habe heute ein Lob von einem meiner Professoren erhalten!", erklärte sie voller Stolz.

„Das freut mich, Süße".

Grinsend stupste ich ihre süße kleine Nase an, was Sammy zum Lachen animierte.

„Ich würde so gerne heute Abend mit dir ausgehen", sagte sie nun.

„Und was hält uns davon ab?", fragte ich.

„Na ja, ich weiß nicht, ob du unbedingt Lust hast, Billard spielen zu gehen."

„Nur wir beide?"

Ihr schelmisches Grinsen ließ mich wissen, dass dies nicht der Fall sein würde.

„Ok, Süße, wem soll ich vorgestellt werden? Raus mit der Sprache!", forderte ich nun.

„Meinen drei Cousins."

Zuerst musste ich laut lachen, dann jedoch sagte ich: „Ich nehme die Herausforderung an."

„Fein, dann schreibe ich Riley gleich eine Nachricht."

Während Sammy die Textnachricht an ihren Cousin schrieb, holte ich einen zweiten Löffel aus der Küche, damit wir uns gemeinsam über das Schokoladeneis hermachen konnten. Ich musste richtig drum kämpfen, damit Sammy mir nicht alles wegaß. Es war einfach unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit sie das Eis in sich hineinschaufelte. Ich musste grinsen, als ich weinig später auf ihren mit Schokoladeneis beschmierten Mund starrte.

„Ist irgendwas?", fragte sie mit einem wahren Unschuldsblick.

Statt eine Antwort darauf zu geben, begann ich sie zu küssen. „Du schmeckst nach Schokoladeneis", sagte ich dann.

„Ich hab mich bestimmt wieder eingesaut", kam es erschrocken von Sammy.

„Du sagst es."

Eine Stunde später machten wir uns auf den Weg in ein Pub, wo garantiert keine Paparazzi verkehrten. Dieses lag nämlich weit entfernt von ihrer Schusslinie, wie ich erfreut feststellte. Dort angekommen, warteten bereits Sammys Cousins vor der Tür, die mich nun begrüßten aber auch sehr genau beäugten. In diesem Fall nahmen sie wohl den Platz der großen Brüder ein, die Sammy nicht hatte und die sich ihren neuen Freund genau anschauen wollten.

Irgendwie fand ich das sehr fürsorglich und da alle drei coole Jungs waren, verstanden wir uns auf Anhieb. Tyler war genauso alt wie ich, Riley ein Jahr älter und Noah war gerade fünfundzwanzig geworden. Wir hatten unglaublichen Spaß beim Billard und auch beim Trinken. Da Sammy sich mal wieder dazu bereit erklärt hatte, meinen Wagen zu fahren, konnte ich mir das auch erlauben. Nach vier Spielen und etlichen Bieren waren wir schon richtig warm miteinander geworden.

„Du hast Glück, Niall, dass wir heute nur zu dritt aufgekreuzt sind", meinte Riley, der Vorlauteste von den Dreien.

„Wieso?", fragte ich und nahm dann einen großen Schluck von meinem Bier.

„Weil Sammy fünf Cousins hat", mischte sich Noah ein.

„Ach, wenn die genauso locker sind wie ihr, wäre das doch gar kein Problem geworden", erwiderte ich grinsend.

„Das sind sie", gab Tyler zur Antwort. „Einer von ihnen ist mein großer Bruder."

Mein Blick ging nun zu Sammy. „Sag mal, wie viele Geschwister hat dein Vater eigentlich?"

„Drei. Und alle haben Kinder aber nur Jungs. Ich bin das einzige Mädchen und darauf bin ich stolz", erwiderte Sammy mit einem Augenzwinkern.

„Das kannst du auch sein, Süße", meinte Noah und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Du bist nämlich genauso hübsch wie deine Mum."

Hatte Noah gerade gesagt, dass er Lizzy hübsch fand?

„Du findest Elizabeth also hübsch", bemerkte ich nun.

„Weißt du Niall, ich habe drei Tanten und Lizzy ist mit Abstand die heißeste von ihnen. Das sage ich ihr jedes Mal, wenn wir uns mal sehen."

Mir fiel fast das Pint aus der Hand, als Noah das von sich gab. Er war nur fünf Jahre älter als ich, er fand Elizabeth heiß und verheimlichte es nicht! Was sollte ich jetzt dazu sagen? Am besten gar nichts, denn es konnte ja nur falsch sein und womöglich in einer Katastrophe enden.

„Wie sieht es aus? Trinken wir noch eine Runde?", meinte Riley plötzlich und rettete damit unbewusst die Situation.

„Na klar", kam es sofort von mir, „Sammy fährt ja."

Unser Treffen endete, als das Pub seine Pforten schloss, um kurz nach elf. Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, stiegen Sammy und ich in meinen Range Rover und fuhren nach Hause. Ich war zwar betrunken aber nicht so, dass ich zu nichts mehr fähig war und so kam ich in dieser Nacht mal wieder voll auf meine Kosten, was meine hübsche Freundin anging. Es war toll, die Liebe und Leidenschaft zwischen uns zu spüren. Aber das war nicht das Einzige, was mich immer wieder zu ihr hinzog. Ich fühlte mich in Sammys Gegenwart einfach wohl, denn ich musste mich nicht verstellen. Sie nahm mich so, wie ich war und sie mochte Niall, den Iren aus Mullingar, das war das Wichtigste an der ganzen Sache.

Als sie in dieser Nacht in meinem Arm einschlief, stellte ich mir die Frage, wo wir beide wohl in fünf Jahren sein würden. Ob wir dann immer noch so verliebt sein würden? Noch niemals hatte ich über so etwas nachgedacht aber mit Sammy an meiner Seite konnte ich mir das gut vorstellen, eben weil wir so perfekt miteinander harmonierten. Und da sich die Sache mit Lizzy auch relativ gut eingerenkt hatte, sah ich für die Zukunft keinerlei Probleme auf mich zukommen, was das betraf.

Der nächste Tag begann für mich mit leichten Kopfschmerzen, die jedoch nach dem Frühstück verschwanden. Sammy war bereits zur Uni gefahren und so konnte ich in aller Ruhe überlegen, was ich bis drei Uhr nachmittags anstellen sollte.

Da es in Strömen regnete, entschied ich mich dazu, keinen Außenaktivitäten nachzugehen. Ich zog es vor, mich auf dem großen Sofa zu lümmeln und eine Sendung im TV zu schauen. Richtig konzentrieren konnte ich mich jedoch dabei nicht. Ständig gingen meine Gedanken zu Lizzy und auch zu Noahs Spruch, welchen er am gestrigen Abend losgelassen hatte.

Was sie wohl davon hielt, wenn ein junger Typ und noch dazu ihr Neffe, ihr so etwas sagte? Ob ihr das wohl peinlich war, oder ob sie es eher gut fand, konnte ich nicht beurteilen.

Als die Uhr zwanzig vor drei zeigte, machte ich mich langsam auf den Weg zu Lizzy. Wie so oft war ich gezwungen, meinen Wagen um die Ecke zu parken, denn es gab in der Straße mal wieder keinen freien Parkplatz. Nachdem ich das letzte Stück bis zum Haus zu Fuß zurückgelegt hatte, betätigte ich die Klingel.

Lizzy lächelte, als sie die Tür öffnete und begrüßte mich freundlich.

„Hallo, Niall, schön, dass du gekommen bist. Geht es dir gut?"

„Natürlich und dir hoffentlich auch."

Lizzy ging voran und ich folgte ihr umgehend. Der Kuchen stand schon auf dem großen Esstisch, was sofort ein Hungergefühl in meinem Magen hervorrief. Wir saßen uns gegenüber, als wir zu essen und zu reden begannen.

Zuerst erzählte ich natürlich von dem Gespräch mit Isabel und was ich, bezüglich der Zeitreisen, in Erfahrung hatte bringen können. Wie immer hörte Lizzy sehr aufmerksam zu, stellte einige Zwischenfragen und kam schließlich zu dem Entschluss, dass alles zwar sehr interessant aber gleichzeitig auch unfassbar klang. Damit konnte ich ihr nur Recht geben. Niemand, der dies nicht selbst erlebt hatte, würde das alles so einfach hinnehmen. Doch Lizzy glaubte mir, denn sie wusste, dass wir uns wirklich im Jahr 1983 begegnet waren.

„Was hast du eigentlich die letzten dreißig Jahre so gemacht?", wollte ich plötzlich wissen.

Lizzy begann daraufhin zu lachen und meinte: „Das Wichtigste weißt du ja. Ich habe Phil geheiratet und Sammy zur Welt gebracht."

Schmunzelnd erwiderte ich: „Wann genau hast du ihn denn kennengelernt?"

„Als ich fünfundzwanzig war. Ich hatte gerade mein Studium beendet und einen guten Job gefunden. Phil und ich sind uns in einem Pub über den Weg gelaufen. Zwei Wochen später hatten wir unser erstes Date, zu dem er prompt zu spät erschienen ist, weil eine U-Bahn Störung herrschte. Er konnte mir auch nicht Bescheid sagen. Du kennst ja das Problem, es gab keine Handys."

Lachend erwiderte ich: „Auch nicht, als du fünfundzwanzig warst?"

Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich hatte mein erstes Handy mit dreißig, als ich mit Sammy schwanger war. Phil bestand darauf, damit ich ihn immer erreichen konnte und auch für ihn immer erreichbar war, egal wo ich mich aufhielt."

Er schien ein sehr fürsorglicher Ehemann zu sein, was mir durchaus gefiel.

„Hast du dich sofort in ihn verliebt?", wollte ich nun wissen.

„Na ja, lass es mich mal so ausdrücken. Wir waren uns sofort sympathisch und haben auch recht schnell gemerkt, dass da tiefere Gefühle sind."

„Wie bei mir und Sammy", sprudelte es aus mir hervor.

Sofort fühlte ich Lizzys Blick auf mir. „Kann ich dich etwas fragen, Niall?"

„Natürlich." Als ich in ihre blauen Augen schaute, wusste ich, was jetzt kommen würde.

„Liebst du Sammy?"

Ich brauchte nicht zu überlegen, denn meine Antwort kam aus der Tiefe meines Herzens. „Ja, ich liebe sie."

Lizzy nickte, lächelte zufrieden und griff plötzlich nach einem Fotoalbum, welches auf dem Tisch lag und das ich erst jetzt bemerkte.

„Willst du Babybilder von Sammy sehen?", fragte sie grinsend.

„Und ob ich das will!"

Ich erhob mich kurz, um mich auf den freien Stuhl neben sie zu setzen, damit ich die Bilder besser anschauen konnte.

Mein kleiner blonder Engel war schon immer süß gewesen, vom ersten Tag an, das stellte ich sofort fest. Aber als sie geboren wurde, besaß sie dunkle Haare. Lizzy erklärte mir, dass die meisten Babys, die mit Haaren zur Welt kamen, diese erst einmal verloren und das Haar, welches später nachwuchs, oftmals eine andere Farbe besaß.

Doch ich betrachtete nicht nur Sammy auf den Bildern, sondern auch Lizzy. Sie war eine hübsche, junge Mutter gewesen, vom Aussehen her fast so, wie ich sie mit zwanzig in Erinnerung hatte. Langes, dunkles Haar, strahlendblaue Augen, eine super Figur und ein hübsches Lächeln im Gesicht.

Ein Lächeln, das sie heute noch besaß und das sie Sammy vererbt hatte. Aber Sammy besaß mindestens ebenso viel von Phil. Seine blonden Haare, zwar nicht die Farbe aber die Form seiner Augen und seine Lippen. Der Rest war eindeutig Lizzy. Blaue Augen, eine süße Stupsnase, die Form des Gesichts und eben dieses Lächeln.

„Sammy ist eine perfekte Mischung zwischen euch beiden", stellte ich fest.

„Ja, das stimmt allerdings", ließ Lizzy sich vernehmen.

Dann seufzte sie kurz, um zu sagen: „Wo ist die Zeit nur hin? Sammy ist schon zwanzig aber wenn ich diese Bilder sehe, denke ich immer, es war gestern, als sie noch so klein war."

„Zeit ist immer relativ, Liz."

Mit diesen Worten holte ich mein Handy hervor und öffnete die Fotogalerie.

„Ich will dir was zeigen", sagte ich leise, während ich nach den Fotos scrollte, welche im Jahr 1983 aufgenommen wurden. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, diese zu löschen, dafür bedeuteten sie mir zu viel.

„Oh mein Gott! Bin ich das?!" Überrascht starrte Lizzy auf ihr jugendliches Antlitz.

„Ja, das bist du."

Wie gerne hätte ich ihr in diesem Augenblick gesagt, wie wunderschön sie gewesen war, doch ich konnte es nicht. Und erst recht nicht, dass ich in sie verliebt gewesen war. Stattdessen scrollte ich weiter. Zum Vorschein kam nun das Bild, welches ich von uns beiden aufgenommen hatte. Ich spürte, wie ich zu innerlich zu zittern begann, als ich ihre Stimme hörte.

„Du hast diese Bilder nicht gelöscht? Wieso?"

Nun musste ich aufpassen, was ich antwortete, denn die Wahrheit sagen, kam nicht in Frage.

„Weil ich mich immer an das Mädchen erinnern wollte, dessen Leben ich gerettet habe", sagte ich nun. Ein klein wenig stolz war ich ja schon auf meine gut durchdachte Formulierung.

„Wenn du möchtest, kann ich dir die Bilder auf dein Handy schicken. Damals ging es ja nicht", meinte ich dann.

Sie lächelte nur und sagte: „Dann schick mal."

Kaum waren die Fotos auf ihrem Handy angekommen, erhob sie sich und murmelte, bevor sie aus dem Zimmer ging: „Du hast mich gerade an etwas erinnert, was ich dir zeigen wollte."

Kurze Zeit später kehrte sie mit einem weißen Blatt Papier in der Hand zurück. Als sie dieses jedoch umdrehte, erkannte ich die Zeichnung, welche Zayn damals von uns angefertigt hatte.

„Du hast unsere Zeichnung aufbewahrt?" Ich war vollkommen verwundert. Aber eigentlich hätte mir das klar sein müssen, denn sie hatte auch den Zettel mit meiner Handynummer und der Adresse aufgehoben.

Meine Augen glitten über die Kohlezeichnung, während sich mein Herz an diesen einzigartigen Moment erinnerte. Er würde nie wieder zurückkehren.

Aber soweit ich Lizzy verstanden hatten, war ich sowieso nur eine Affäre für sie gewesen. Jemand, den sie zwar gemocht hatte aber der keine große Bedeutung mehr in ihrem Leben hatte, nachdem er verschwunden war. Komisch, dass sie trotzdem diese Zeichnung auch meine Handynummer aufbewahrt hatte.

„Wieso hasst du es nicht weggeworfen?", fragte ich plötzlich.

„Was?" Lizzy schaute mich an, als hätte ich etwas total Unpassendes von mir gegeben. „Niall, das sind Jugenderinnerungen. So etwas entsorgt man nicht! Aber das wirst du später auch noch feststellen", lautete ihre leicht entrüstete Antwort.

Damit gab ich mich schließlich zufrieden. Die Signatur Zayn Malik, 19.12.1983 stach mir plötzlich ins Auge.

„Weißt du eigentlich, was diese Zeichnung für einen Wert besitzt?", fragte ich grinsend.

„Ja, mittlerweile weiß ich das", kam es von Lizzy. „Zwar nicht so viel wie ein echter Picasso aber sie würde mit Sicherheit in Ebay gutes Geld abwerfen", setzte sie noch hinzu.

„Da kann ich dir nicht widersprechen."

Kaum hatte ich diesen Satz von mir gegeben, hörten wir, wie jemand die Haustür öffnete und durch den Flur rief: „Mum, bist du zuhause?"

„Scheiße! Das ist Sammy!", entfuhr es mir.

Blitzschnell steckte ich mein Handy in die Hosentasche, griff nach meiner Jacke, bekam von Lizzy die Zeichnung in die Hand gedrückt und hörte sie wispern: „Los, versteck dich im Kleiderschrank! Den Weg kennst du ja!"

Allerdings kannte ich diesen Weg! Keine Sekunde zu früh betrat ich das Schlafzimmer und rannte zum Schrank, dessen Schiebetür noch geöffnet war. Lizzy musste die Zeichnung dort aufbewahrt haben.

Als ich mich in den Schrank quetschte, erblickte ich eine Holzschachtel von der Größe eines Schuhkartons. Allerdings besaß diese ein Schloss, welches man wohl abschließen konnte. Schnell ließ ich die Schiebetür hinter mir zugleiten und setzte mich zunächst auf den Boden des Schranks.

Mein Handy stellte ich auf lautlos, gleichzeitig schaltete ich die Beleuchtung ein. Bevor ich dazu kam, die Zeichnung in die Holzschachtel zu legen, vibrierte mein Handy. Eine SMS von Sammy, wie sollte es auch anders sein?

„Wo steckst du denn? Ich würde dich jetzt gerne küssen!"

Ich entschied mich dafür, ein Spiel mit dem Feuer zu veranstalten und schrieb zurück. „Ich sitze mal wieder im Kleiderschrank deiner Mutter. Komm vorbei und du kannst mich küssen!"

Als sich eine Minute später die Schlafzimmertür öffnete, gefror mir das Blut in den Adern. Mit klopfendem Herzen und trockener Kehle vernahm ich Schritte, welche sich dem Kleiderschrank näherten. Jetzt war ich wohl geliefert. Ich saß in der Falle, konnte nicht verschwinden und musste mir eine ziemlich gute Ausrede einfallen lassen.

Sekunden später wurde die Schiebetür geöffnet und mit kleinen Schweißperlen auf der Stirn, blickte ich in Lizzys amüsiertes Gesicht. Sie brachte mir eine Dose Cola vorbei.

„Hier, nimm das. Es kann länger dauern. Und wenn du das nächste Mal eine SMS an Sammy schickst, überlege genau, was du schreibst."

Mit einem Seufzer der Erleichterung nahm ich die Cola Dose entgegen.

„Ich werde beim nächsten Mal genau überlegen, versprochen", flüsterte ich.

„Gut. Sie hat übrigens sehr darüber gelacht und gesagt, dass sie deinen Humor über alles liebt", wisperte Lizzy.

Anschließend zog sie die Schiebetür wieder zu und ich machte es mir weiterhin im Schrank gemütlich. Ich musste nicht verdursten und konnte endlich die Zeichnung dorthin zurücklegen, wo sie hingehörte.

Vorsichtig hob ich den Deckel der Holzschachtel an, welcher nur lose obendrauf lag, um dann von der Neugierde gepackt zu werden. Ich war unheimlich gespannt, was Lizzy noch so alles aus ihrer Jugendzeit aufbewahrt hatte.

Als ich mit der Lampe meines Handys in die Box hineinleuchtete, erkannte ich, dass sich darin ein Briefumschlag befand. Zögernd holte ich diesen nun hervor und blickte auf die Adresse. Die Überraschung war ganz auf meiner Seite und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, ich den Namen des Empfängers las.

Niall Horan, 124 Ardleigh Vale, Mullingar, County Westmeath, Ireland

Direkt daneben prangte ein großer Stempel, mit den Worten: Retoure, Empfänger unbekannt.

Als ich auf den Absender schaute, erblickte ich Lizzys Namen mit ihrer Londoner Adresse aus dem Jahr 1983, die mir durchaus noch geläufig war. Der Poststempel auf der Briefmarke war schwer zu entziffern, doch die Zahl 1983 konnte ich trotzdem erkennen.

Lizzy hatte mir also vor dreißig Jahren einen Brief geschrieben. Sollte ich jetzt einen Blick darauf werfen oder nicht? Er war an mich gerichtet und somit hatte ich eigentlich das Recht dazu.

Mit klopfendem Herzen holte ich nun den Brief aus dem Umschlag hervor und begann zu lesen. Doch mit jedem Wort und mit jeder Zeile, welche meine Augen erfassten, schnürte sich meine Kehle immer enger zu und ich spürte, wie Tränen meine Wangen hinunter liefen.

Mit zitternden Fingern verstaute ich den Brief, als ich ihn zu Ende gelesen hatte, in meiner Jacke. Anschließend öffnete ich die Schiebetür des Kleiderschranks und flüchtete durch das Schlafzimmerfenster nach draußen. Es waren zu viele Emotionen, die ich nicht verkraften konnte.

Ich wollte nur noch weg.

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Peng! Das was nie hätte geschehen dürfen, ist passiert. Niall hat den Brief gefunden und gelesen.

Wie was wohl ausgeht? Und keine Sorge, ihr bekommt den Inhalt schon noch mitgeteilt.

Ich freue mich schon auf eure Kommentare und bedanke mich für die letzten Feedbacks.

Die Adresse ist übrigens nicht Nialls richtige Adresse.

LG, Ambi xxx

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