Kapitel 83 - The Prophecies



Die Thestrale preschten durch die Lüfte. Ihre riesigen Flügel spannten sich gegen den Wind, trugen uns mit einer Geschwindigkeit voran, die mir den Atem raubte. Der Himmel um uns war ein tiefes Schwarz, während die Welt unter uns zu einem flüchtigen Muster aus Licht und Schatten verschwamm. Die Dörfer unter uns wirkten wie Spielzeuglandschaften, winzige Punkte auf dem Erdboden, ihre Straßen wie feine Linien, die sich durch die endlosen Weiten schlängelten.

Die eisige Luft schnitt mir ins Gesicht und zwang mich, die Augen zusammenzukneifen, doch ich konnte den Blick nicht abwenden. Ich grub meine Finger tiefer in die samtige, schwarze Mähne des Thestrals, während das Buch in der Innentasche meines Mantels wie ein pochender Herzschlag Wärme gegen meine Brust abgab, das Gröbste erträglich machend.

Zeit und Raum schienen in dieser unendlichen Schwärze jede Bedeutung verloren zu haben. Wie lange wir flogen, konnte ich nicht sagen. Die Welt unter uns war bloß eine ferne Abstraktion, bis die Thestrale schließlich begannen, sich abwärts zu neigen. Erst da kehrte die Realität zurück, als die schier endlose Dunkelheit von einem Gewirr aus glitzernden Lichtern durchzogen wurde. London. Die Stadt erstreckte sich unter uns wie ein pulsierender Organismus, ihre unzähligen Straßen und Gebäude erleuchtet von Laternen und Fenstern, die in der Ferne wie Glühwürmchen schimmerten. Mein Blick wanderte über die unzähligen Gebäude, über das London Eye, über den Green Park und hielt inne, als ich das Viertel erkannte, in dem mein Zuhause lag. Dort, in einem der Einfamilienhäuser, saßen meine Eltern vermutlich gerade beim Abendessen oder sahen die Nachrichten, nichts ahnend von meiner Nähe. Sehnsucht nach Zuhause, nach meinen eigenen vier Wänden und der zärtlichen Umarmung meiner Eltern, die mir zuflüsterten, dass alles gut werden würde, ergriff mich. Doch dem war nicht so. Das wusste ich.

Dann waren da noch Daphne und Adrian, die in diesem Augenblick vermutlich am Slytherintisch zusammensaßen und sich wohl fragten, wo ich sein mochte. Ob Draco den anderen erzählt hatte, was geschehen war?

Ich schüttelte den Gedanken ab, umschlang noch fester den Hals des Thestrals. Es gab kein Zurück, nicht jetzt. Der Thestral senkte seinen Flug weiter, schoss mit einem eleganten Schwung in Richtung der pulsierenden Stadt. Mein Herz schlug kräftig gegen meinen Brustkorb, während der Wind mich umschlang und der Gedanke aufkam, dass ich jeden Moment in hundert eisige Splitter zerbersten würde. Doch der Thestral bewegte sich so präzise und kontrolliert, kam sanfter als jedes Flugzeug auf. So sanft, dass man noch nicht einmal einen Ruck verspürte. Ich stieg ab, meine Beine wankten, mehr vor Anspannung als wegen des Fluges. Um mich herum landeten die anderen Thestrale, ihre großen, knochigen Gestalten schimmerten unheimlich im fahlen Licht der Laternen. Als ich mich umsah, erkannte ich, dass wir uns in einer der unzähligen anonymen Gassen Londons befanden. Es gab keinen Hinweis darauf, dass dieser Ort anders war als irgendein anderer in der Stadt.

„Und wohin jetzt?" fragte ich, meine Stimme durschnitt unangenehm die Luft, zitterte noch von der Kälte.

„Dort rüber." sagte Harry und deutete mit einem knappen Kopfnicken auf eine demolierte Telefonzelle. Ohne eine weitere Erklärung ging er voraus, sein Gang drängend. Trotz meiner Verwunderung folgte ich ihm, ohne weitere Fragen zu stellen und quetschte mich samt den anderen in die kleine Zelle, die bereits bessere Tage gesehen hatte. Es gab keine Zeit zu verlieren. Die Wände waren zerkratzt, und der Geruch von abgestandener Luft mischte sich mit einem Hauch von Metall.

„Wählt sechs, zwei, vier, vier, drei." fuhr er fort und als Ron, der dem Hörer am nächsten stand, die letzte Ziffer eingegeben hatte, ertönte eine Frauenstimme.

„Willkommen im Zaubereiministerium. Bitte nennen Sie Ihren Namen und Ihr Anliegen."

„Harry Potter, Ron Weasley, Hermine Granger, Ginny Weasley, Neville Longbottom, Luna Lovegood, Alicia Hastings. Wir sind hier, um jemanden zu retten, es sei denn, Ihrem Ministerium gelingt das noch vor uns." Harrys Stimme überschlug sich regelreecht.

„Vielen Dank." ertönte die Frauenstimme und forderte uns auf Plaketten an unseren Umhängen anzubringen. Der Boden der Telefonzelle begann zu zittern, setze sich wenig später in Bewegung. Die Wände schienen näher zu kommen, während wir mit einem sanften Ruck nach unten glitten. Es fühlte sich an, als würde uns die Erde selbst verschlingen, nur kurz darauf regelrecht aus der Telefonzelle zu purzeln. Doch kaum hatte ich einen Schritt gemacht, blieb ich wie angewurzelt stehen.

Das Zaubereiministerium erstreckten sich vor uns, doch es war still, viel zu still. Die gewaltige Eingangshalle, die ich mir immer voller Menschen vorgestellt hatte, war leer. Keine geschäftigen Ministeriumsangestellten, keine Auroren, nicht einmal die unruhigen Geräusche, die ein solch riesiger Ort hätte erzeugen müssen. Nur wir. Mein Blick blieb an dem großen Brunnen in der Mitte hängen. Die goldenen Figuren darin schienen seltsam vertraut, als hätte ich sie schon einmal gesehen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, doch ich konnte den Gedanken nicht festhalten, so als würde man sich an einen Traum erinnern wollen, der im Morgengrauen verblasst. Wir folgten Harry zu einem der Aufzüge. Die Gittertüren glitten mit einem metallischen Kreischen auf und wieder zu. Mit einem weiteren Ruck setzten wir uns in Bewegung, die Etagenanzeige bewegte sich langsam nach unten, bis wir im neunten Stock ankamen. Es ratterte und die Türen öffnete sich, begleitet von derselben Frauenstimme von vorhin: „Mysteriumsabteilung" . Harry zögerte nicht. Er führte uns zielstrebig durch einen langen Korridor, bis wir vor einer großen, schwarzen Tür standen.

„Einer von uns sollte hierbleiben, um sicherzugehen, dass—"

„Nein." unterbrach ich ihn, noch bevor er den Satz beenden konnte. „Wir gehen zusammen. Niemand bleibt zurück."

Die anderen nickten, ihre Gesichter entschlossen. Harry sah uns an, und ich spürte den inneren Konflikt, der in ihm tobte. Wir wussten, was uns bevorstand. Dass es heute um Leben und Tod ging. Nicht nur um das Leben von Sirius. Voldemort musste ganz in der Nähe sein und dieser scheute nicht davor jeden umzubringen, der ihm im Weg stand.... Oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Ein Feuer keimte in mir auf, als ich den tödlichen, grünen Lichtblitz genau vor meinen Augen aufflammen sah. Den Friedhof, Pettigrews in Grün getauchtes Gesicht, als er den Todesfluch abfeuerte. Mein Herz klopfte gegen meinen Brustkorb.

Doch unsere Entscheidung war in dem Moment gefallen, als wir auf die Rücken der Thestrale geklettert und in die Lüfte emporgestiegen waren. Es gab kein Zurück.

„Alicia?" fragte Harry und auch die Blicke der anderen waren nun auf mich gerichtet. Ohne es zu bemerken, hatte Harry die schwarze Tür geöffnet und nur ich allein stand auf der anderen Seite des Flurs.

„Ja." sagte ich eilig. „J Ja, ich komme schon." Dann trat ich durch die Tür. Als sie hinter mir mit einem Klick ins Schloss fiel, begannen sich die Wände, glatt und dunkel wie poliertes Obsidian, zu drehen, als ob ein unsichtbarer Mechanismus sie in Bewegung setzte. Ungläubig beobachtete ich das bizarre Schauspiel. Dutzende Türen tauchten auf, jede gleich und doch anderes.

„Und nun?" murmelte ich.

Harry wandte sich zu uns um, sein Gesicht angespannt. „Ich weiß nicht," sagte er ehrlich. „In meinen Träumen bin ich immer durch den Raum auf die gegenüberliegende Tür zugegangen. Wir sollten die Räume durchsuchen. Ich erkenne den richtigen, wenn ich ihn sehe."

Es gab keine Diskussion. Wir hatten keine Zeit dafür. Ohne ein weiteres Wort gingen wir durch die erste Tür, und eine Gänsehaut überzog meine Arme, als ich sah, was dahinter lag. In dem Raum befanden sich zahlreiche schwebende Gehirne, die sich langsam durch die Luft bewegten, als hätten sie ein eigenes Bewusstsein. Ihre pulsierenden, durchscheinenden Oberflächen schienen uns zu beobachten, obwohl sie keine Augen hatten.

„Das... ist krank," murmelte Ron, seine Stimme ein Flüstern, das sich dennoch in der stillen, bedrückenden Atmosphäre des Raumes verlor.

„Ich will nicht wissen, warum das Ministerium Gehirne besitzt," sagte ich leise, während wir zurückgingen, ohne jedoch diese Dinge aus den Augen zu lassen. „Und erst recht nicht, was sie damit machen."

Hermine, die kühler und fokussierter wirkte als der Rest von uns, zog ihren Zauberstab und markierte die Tür mit einem leuchtenden, feurigen Kreuz, bevor die Wände sich erneut in Bewegung setzten. Der Raum drehte sich, die Türen verschwammen vor unseren Augen, bis der Mechanismus anhielt.

Die nächste Tür führte uns in einen noch unheimlicheren Raum. Ein steinerner Bogen ragte in der Mitte des Zimmers auf, alt und abgenutzt, als hätte er Jahrhunderte überdauert. In dem Bogen war ein schwarzer Schleier gespannt, der im unsichtbaren Wind flatterte. Ein Geräusch... nein, Stimmen drangen daraus. Sie waren leise, kaum mehr als ein Flüstern. Es war, als würden sie nach uns rufen.

„Gehen wir. Sofort," sagte ich und wandte mich ab, meine Hände zitterten leicht, während ich die Kälte des Raumes auf meiner Haut spürte. Ich wollte nicht länger bleiben, wollte diese Stimmen nicht hören, die wie Schatten aus einer Welt klangen, die ich nie betreten wollte.

Die nächste Tür, die wir versuchten, war verschlossen. Harry fluchte leise, und wir suchten weiter, bis wir schließlich einen weiteren Zugang fanden.

Dieses Mal schien Harry sich sicherer. „Hier entlang!" rief er und wir rannten ihm hinterher. Wir folgten ihm in einen Raum, der seltsam und doch faszinierend war. Blasse Lichter bewegten sich in der Luft. Sie schwebten und flackerten, als wären sie lebendig... und überall waren Uhren. Große Standuhren, kleine Taschenuhren, Uhren, die an den Wänden hingen oder in der Luft schwebten. Jede tickte in einem anderen Rhythmus.

Wir eilten durch den Raum, unsere Schritte hallten auf dem kalten Boden wider. Am Ende des Ganges wartete eine weitere Tür, einfach und unscheinbar.

„Das ist es." keuchte Harry und aus dem Augenwinkel bemerkte ich das flüchtige Funkeln in seinen Augen. Die Tür schwang auf und dahinter kam ein Raum zum Vorschein, erfüllt von einer unnatürlichen Stille. Endlose Reihen von hohen, schmalen Regalen erstreckten sich ins Nichts, und als ich den Kopf in den Nacken legte, konnte ich keine Decke erkennen, nur schwarze, unendliche Leere. Die Regale waren dicht an dicht mit Glaskugeln gefüllt. Jede schien ihr eigenes, geheimnisvolles Licht auszustrahlen, manche sanft flimmernd, andere trübe und leblos. Unter jeder Kugel war ein kleines Schild angebracht, mit vergilbten, verblassenden Buchstaben. Die Kälte, die in diesem Raum herrschte, war nicht nur physisch – sie kroch in meine Knochen, hinterließ ein Gefühl von Unbehagen und Beklemmung.

„Wir müssen zur Reihe siebenundneunzig." sagte Harry leise, aber die Entschlossenheit in seiner Stimme war unverkennbar.

<unsere Schritte hallten dumpf auf dem kalten Steinboden wider, vorbei an Regalreihen mit kryptischen Beschriftungen. Ich versuchte, die Worte auf den kleinen Schildern unter den Glaskugeln zu entziffern, aber unser Tempo ließ es nicht zu.

Als wir schließlich bei Reihe 97 ankamen, hielten wir inne. Der Gang vor uns war leer. Kein Laut, kein Sirius, kein Voldemort. Nur die seltsame, bedrückende Stille.

„Sirius muss hier sein. Er ist ganz am Ende." wisperte Harry, doch der Zweifel in seiner Stimme war unverkennbar. Seine Schritte wurden ungestüm, seine Körperhaltung veränderten sich.

„Hier ist niemand, Harry." flüsterte ich.

„Doch! Er ist hier!" schrie er fast schon, was mich kurzzeitig zum Verstummen brachte.

„Vielleicht hat ihn Voldemort woanders hingebracht." wagte Hermine leise einzuwenden.

Harry antwortete nicht, stattdessen war es Rons Stimme, die uns alle zum Stillstrand brachte. „Harry?" Er stand reglos vor einem der Regale. Sein Blick war starr auf eine der Glaskugeln gerichtet.

Was?" bellte er.

Ron deutete mit zitternder Hand auf das Regal. „Da – da steht dein Name drauf."

Die Worte ließen die Luft um uns schlagartig schwer werden. Wir alle drängten uns zu der Stelle, lasen die Schrift auf dem vergilbten Schild der Glaskugel.

S.P.T. an A.P.W.B.D.

Dunkler Lord
und (?) Harry Potter

„Wer sind S.P.T und A.P.W.B.D.?" fragte ich, während mein Blick an den vergilbten Buchstaben haftete. Niemand konnte meine Frage beantworten. Harrys Hand schwebte über der Kugel.

„Harry, lass das lieber." flüsterte Neville.

Harry zögerte, aber meine Aufmerksamkeit wanderte weiter. Irgendetwas zog mich in diesem düsteren Labyrinth in seinen Bann, ließ mich weitergehen. Mein Blick glitt an den Regalen entlang, streifte eine Kugel nach der anderen. Die meisten waren trüb, leer. Kein Glimmer, bloß ein Nebel aus Nichts... wie verlorene Erinnerungen, die keinen Halt gefunden hatten.

Dann stoppte ich.

Bläuliches Licht bohrte sich in meine Netzhaut, so rein und klar, genau wie die, die Harrys Namen trug. Mein Herz begann zu rasen, hämmerte mit solch einer Wucht gegen meine Rippen, dass ich kaum atmen konnte. Das Schild... Dieselben Initialen wie schon zuvor und noch weitere: S.P.T. an A.P.W.B.D. und C.M.D. Doch es war nicht Harrys Name, der darauf geschrieben stand. Es war ein anderer. Einer, den ich kannte.

Das Blut rauschte in meinen Ohren. Es war... meiner.

Ich streckte meine Hand danach aus, ohne darüber nachzudenken. Es war reiner Instinkt. Meine Fingerkuppen berührten das kalte Glas, strichen sanft darüber. Sie war wunderschön, so rein. Vorsichtig nahm ich sie an mich, zog sie an mich heran.

Die Glaskugel war nun auf gleicher Höhe mit dem Buch, das noch immer eine angenehme Wärme abgab.

Das Buch...

Das Licht einer weiteren Glaskugel ließ mich erneut den Kopf anheben. Derselbe Name, mein Name, aber andere Initialen.

„Sehr gut, Potter." Die Stimme zerschnitt die Luft in zwei. Ich riss den Kopf hoch, sah, wie Harry die Kugel in Händen hielt.

Lucius Malfoy trat aus dem Schatten, seinen Zauberstab auf uns gerichtet.

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