Kapitel 74 - False Roses and Devil's Snares
Valentinstag. Einst hatte ich mir gesagt, dass mir dieser Tag nichts bedeute. Doch nun, wo es soweit war, konnte ich nicht leugnen, dass ich mich selbst wohl belogen haben musste. Im Grunde war es ein ganz gewöhnlicher Tag. Man stand in der Früh auf, schwang seine Beine aus dem Bett, machte sich wie jeden Morgen fertig und ging in die große Halle, um zu frühstücken. Nur mit dem beträchtlichen Unterschied, dass ich heute dieses beklemmende Gefühl in der Brust trug. Eine Art seltsame innere Leere, die schmerzte. Nicht deshalb, weil ich kein Valentinstagsdate hatte. Darüber war ich im Grunde ganz froh, weil es mir viele Unannehmlichkeiten ersparte. Es war jene Sorte von Leere, die einem die Tatsache vor Augen hielt, dass man diesen Tag nicht mit der auserwählten Person verbringen würde. Nicht, weil man eine Absage kassiert oder zurückgewiesen worden war, sondern weil es ganz einfach nicht möglich war. In Wahrheit, so absurd es auch klingen mochte, waren meine Erwartungen, eine stille Hoffnung, enttäuscht worden. In diesem Moment wunderte ich mich einmal mehr, weshalb ich überhaupt Hoffnung in mir trug, ihn eines Tages wiederzusehen. Er war immerhin vor meinen eigenen Augen gestorben. Es war kein Funken Zweifel vorhanden, dass er auch wirklich tot war, und es gab nichts, was ihn wieder zurückholen konnte.
Nicht wahr?
Ich schüttelte den Kopf, um all diese Gedanken loszuwerden, blieb an meinem Bettrand sitzen und starrte Löcher in die Luft.
„Fang jetzt bloß nicht an zu heulen." murmelte ich mir erbost selbst zu, doch da füllten sich meine Augen bereits mit Tränen und eilig tat ich daran, sie mit meinem Handrücken zu trocknen. Die Schnittwunden gruben sich immer noch tief in dunkelroter Farbe in mein Fleisch, doch die Heilung war gut vorangeschritten. Die Wunde begann zu jucken, als sie mit meinen salzigen Tränen benetzt wurde. Die Murtlap Essenz von Snape hatte ich inzwischen vollkommen aufgebraucht, doch um mehr hatte ich ihn nicht gebeten. Snape erst vor wenigen Tagen gesagt, dass mir Narben bleiben würden und ich hatte nur genickt, denn es war mir egal. Ich hatte gewonnen, ich war nicht schwach vor Umbridge geworden und das war alles, was zählte.
Reiß dich zusammen... ging es mir unaufhörlich durch den Kopf, knirschte dabei mit den Zähnen. Hier herumzusitzen und zu trauern, würde ihn nicht zurückbringen und meinen Tag genauso wenig besser machen, das wusste ich. Cedric hätte nicht gewollt mich so zu sehen. Also tat ich das, was ich immer tat, oder vielmehr versuchte: Weitermachen.
Mein Blick wanderte zu meinem Nachtkästchen, öffnete die oberste Schublade und zog das schwarze Buch hervor. Der Einband war ganz warm. Das musste bedeuten, dass er mir geantwortet hatte. Auf meine Frage hin, ob er etwas über den Massenausbruch aus Askaban wüsste. Mit einem Mal verspürte ich eine seltsame Aufregung.
Als ich die Seite aufschlug, kam der mittlerweile vertraute Schriftzug zum Vorschein.
„Du hast nichts zu befürchten. Du bist sicher, das verspreche ich dir."
Das musste bedeuten, dass er etwas darüber wusste, nicht wahr? Konnte ich ihm vertrauen? Wie konnte er mir ein solches Versprechen abliefern, obwohl er noch nicht einmal in meiner Nähe war? Bedeutete das ----
Langsam ließ ich das Buch in meinen Schoß gleiten, schloss es mit einem abrupten Schlag, der dumpf von den Wänden widerhallte und gab es zurück in das Nachtkästchen unter einen Stapel anderer Bücher. Ständig hatte ich in den letzten Wochen versucht, ihm etwas über meinen leiblichen sowie Adoptivvater zu entlocken, doch seine Antwort war stets dieselbe gewesen. Eine, die mir nur allzu vertraut war: Er konnte mir erst dann etwas darüber erzählen, wenn die Zeit reif war.
Zugegeben, hatte mich das ziemlich gekränkt, nach allem, was auch bei mir zuhause geschehen war. Weshalb ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, der vielleicht nie kommen würde? Ich wollte nicht länger warten. Alles, was ich wollte, waren Antworten.
Die große Halle war voll von tuschelnden Schülern. Mädchengruppen standen zusammen und erzählten sich kichernd, wer sie eingeladen hatte und welche Pläne sie heute noch mit ihrem Date hatten. Ohne ihnen zu große Beachtung zu schenken, steuerte ich sofort auf Adrian und Daphne zu.
„Na du Schlafmütze, endlich mal aus den Federn gekommen?" grinste Daphne, doch ihr Lächeln schwand allmählich, als ich mich neben ihr niederließ. „Geht's dir nicht gut? Du siehst so blass aus."
„Alles okay." Ich versuchte mich an einem überzeugenden Lächeln, nahm dann aber etwas Gebäck und begann zu essen und trank einen riesigen Schluck Kürbissaft.
„Also, sagt mal... wohin soll ich meine Verabredung heute in Hogsmeade ausführen?" fragte Adrian nachdem er zuvor abwesend auf sein leeres Teller gestarrt hatte.
„Warum fragst du das ausgerechnet uns?" sprach ich mit vollem Mund.
„Ihr seid Mädchen."
„Das hast du gut erkannt." neckte ihn Daphne.
„Und als Mädchen wisst ihr bekanntlich auch immer alles besser." pfiff er zurück „Ich habe mir überlegt, ob ich mit ihr ins Drei Besen oder in Madam Puddifoot's Café gehen soll."
„Frag sie doch einfach." schmatzte ich weiter, doch da hob Daphne bereits ihren Zeigefinger in die Höhe.
„Also, ich erklär dir das nun mal, Adrian." Sie holte tief Luft. „Das Drei Besen heißt bei Dates so viel wie: ‚Hmm , ja ich verbringe gerne den Tag mit dir und mal schauen was sich daraus entwickelt. Lass uns einfach ein wenig plaudern und Spaß haben und wenn wir morgen wieder getrennte Wege gehen, ist es auch okay.' Doch Madam Puddifoot's Café bedeutet ‚Ich will dich! Komm, lass uns in ner Ecke rumknutschen und gemeinsam aus einer heißen Tasse Liebesschokolade schlürfen, damit wir uns gegenseitig den süßlichen Geschmack von den Lippen lecken können.'" Sie räusperte sich. „Hilft dir das vielleicht weiter?"
Adrian starrte sie mit weit aufgerissenen Augen und gerunzelten Stirnfalten an. „Ich wusste gar nicht, dass du so denkst, Daphne. Irgendwie hat sich mein Bild von dir nun drastisch verändert." Er fing an zu grinsen. „Gefällt mir."
„Kein Kommentar meinerseits, ich setze gerade einen Steckbrief für eine neue beste Freundin auf." sagte ich.
Wir drei mussten unwillkürlich lachen, wobei Daphne etwas von ihrem Kakao verschüttete.
„Und hast du dich nun entschieden, Adrian?" warf sie nach einer Weile nebensächlich ein, während sie sich etwas Obst von der Mitte des Tisches nahm.
„Ja. Das Drei Besen macht's wohl vorerst, aber vielleicht riskiere ich später einen Abstecher ins Café, je nachdem wie es läuft. Und was ist mit dir und Montague?"
„Ich geh natürlich gleich mit ihm in Madam Puddifoot's Café, was denkst du denn?"
Adrian schmunzelte, ehe er sich an mich wandte.
„Was für Pläne hast du für heute?"
„Keine, werde wohl etwas für die ZAG's lernen."
„Ich dachte, du hättest Potter gefragt."
„Ja, aber er ist bereits mit Chang unterwegs."
„Chang?" Daphne und Adrian blickten mich beide mit hochgezogenen Brauen an, woraufhin ich bloß nickte.
„Und das ist in Ordnung für dich? Ich meine, immerhin ist sie mit--" Daphne räusperte sich und starrte dann auf ihren halbleeren Teller vor ihr. Offenbar war es ihr unangenehm, das Thema angesprochen zu haben.
„Mit Cedric ausgegangen." vollendete ich indes den Satz. „Ich weiß. Aber das ist lange her. Wenn er sie gerne hat, will ich ihm nicht im Weg stehen."
Daphne wischte sich mit dem Handrücken über ihre Mundwinkel, wo etwas Milchschaum zurückgeblieben war. „Du bist eine gute Freundin, Alicia." nuschelte sie.
War ich das? Ich wich ihrem Blick aus.
„Hat dich denn niemand gefragt?" Adrian verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein, ich bin Cedric Diggorys ehemalige Freundin und hab kürzlich Pansy einen Klammerfluch auf den Hals gejagt. Natürlich hat mich niemand gefragt. Aber macht euch wegen mir keine Sorge. Es ist gut so, ich wüsste auch nicht, mit wem ich gehen sollte. Genießt diesen Tag mit euren Verabredungen."
Beide nickten, obwohl man ihnen ihr Unbehagen ansehen konnte.
Kurz bevor wir aufbrechen wollten, kam plötzlich eine mausgraue Eule durch das Fenster der großen Halle geflogen.
„Seltsam..." murmelte Adrian, während er sie mit seinem Blick verfolgte. „Die Post ist doch schon gekommen. Will die etwa zu uns?"
Ich zuckte mit den Schultern. Diese Eule hatte ich noch nie zuvor gesehen. Sie kreiste über unseren Köpfen, als sie plötzlich in Richtung des Bodens stürzte und in letzter Sekunde, präzise getaktet, auf meinem leeren Teller landete.
„Ist der etwa für mich?" flüsterte ich und die Eule kam einen Sprung näher, um mir zu signalisieren, ihr den Brief abzunehmen. Vorsichtig nahm ich ihn entgegen und die Eule hob augenblicklich wieder ab. Der dabei entstehende Luftstoß wehte mir die Haare aus dem Gesicht. Verwundert blickte ich ihr nach.
„Na los, mach ihn auf." dränge Daphne, die mir neugierig über die Schulter blickte und auch Adrian war ein Stück näher herangerückt und machte eine auffordernde Bewegung mit seinem Kinn.
„Ihr seid ganz schön neugierig, wisst ihr das?" murmelte ich und nahm wahr, wie sie sich einen belustigten Blick zuwarfen. Aber auch rundherum lagen einige neugierige Blicke von den Nachbartischen auf uns, denen nicht entgangen war, dass ich wohl Sonderpost erhalten hatte.
In jenem Moment, als ich den Umschlag öffnen wollte, machte er sich selbstständig und begann zu schweben.
Bitte kein Heuler... durchfuhr es mich und starrte mit weit aufgerissenen Augen darauf.
Der Umschlag öffnete sich und eine schwarze Karte mit goldenen Rändern kam zum Vorschein. Sie faltete sich auf und eine tiefrot-orange Blume erschien aus dem Papier, als hätte sie jemand in das Papier gegossen. Sie war wunderschön. Ihre Blüten ähnelten der einer Rose, doch sie waren größer und ihr Muster war ein anderes. Der Stängel war frei von Dornen und besaß die Farbe von dunklem Grün.
„Whoa!" konnte ich Daphne neben mir Luft schnappen hören.
Ein himmlischer Duft ging von ihr aus, den ich nicht zuordnen konnte. Doch ich war mir sicher, dass ich noch nie einen derartigen Geruch wahrgenommen hatte.
Sachte landete die Karte vor mir, während ich langsam nach der der Blume griff. Ein wohliges Gefühl schwappte über mich hinweg, als ich sie berührte. Vorsichtig drehte ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger, so als würde es sich um etwas Zartes, Zerbrechliches handeln.
„Wer schickt dir das?" fragte Daphne weiter. Dutzende Augenpaare hatten sich nunmehr auf uns gelegt und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich fühlen, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
Als ich die Karte nahm und sie aufschlug, schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen.
Für dich, Alicia.
Lass deine Gedanken frei und genieß den Tag.
- I.P.
„Wer ist I.P.?" Daphnes Nase befand sich regelrecht schon IN der Karte. „Wer ist das?" Sie blickte zu mir hoch.
„Jemand, dem ich sehr viel zu verdanken habe." sagte ich.
„Häh? Sag schon!" Sie stupste mich an und auch Adrian sah aus, als würde er gleich vor Neugierde platzen.
Ich hätte nicht gedacht, dass Poliakoff an mich denken würde. Ich konnte nicht genau sagen, weshalb, doch in jenem Augenblick fühlte ich mich so glücklich, wie schon lange nicht mehr und all die düsteren Gedanken von vorhin waren wie weggeblasen.
Als ich die Karte in meiner Umhangtasche verschwinden ließ, streifte mein Blick den von Malfoy, der am anderen Tischende saß. Etwa blitzte in seinen Augen auf. Nur kurz, denn keinen Sekundenbruchteil später wandte er seinen Blick abrupt von mir ab, stand auf und stapfte aus der großen Halle. Crabbe und Goyle neben ihm sahen ihm verwundert nach.
Den Vormittag verbrachte ich noch gemeinsam mit Daphne und Adrian, quasselten uns die Lippen wund, während Daphne sicher noch ein halbes Dutzend Mal fragte, wer mein heimlicher Verehrer sei.
„Ich würde ihn nicht Verehrer nennen." antwortete ich schmunzelnd und sehr zur Unzufriedenheit von Daphne, die mir freilich kein Wort glaubte.
Gegen frühen Nachmittag hin machten sich beide auf den Weg und ich blieb im Gemeinschaftsraum auf einer Couch zurück, holte meine Bücher hervor und fing an zu lernen. Ich begann mit Kräuterkunde, in der stillen Hoffnung, womöglich über diese einzigartige Blume zu stoßen, dessen Name mir nicht bekannt war. Schüler kamen und gingen, beachteten mich zum Großteil gar nicht. Die Zeit verstrich, das leise Ticken der Uhr im Hintergrund begleitete mich, als plötzlich ein Schatten auf mich fiel. Jemand war direkt vor mir stehen geblieben. Langsam hob ich den Kopf an.
„Ganz allein hier, Hastings?" fragte Malfoy. „Wo ist deine Teufelsschlinge hin?"
„Das war keine Teufelsschlinge." brummte ich.
„Was auch immer es war... sah nicht besonders schön aus. An deiner Stelle würde ich vorsichtig sein. Hast du nicht gehört, was mit Broderick Bode passiert ist?"
Ich klappte mein Buch zu und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Natürlich habe ich davon gehört."
„Ich mein ja nur, Hastings." Er grinste überheblich.
„Danke für deine Fürsorge, Malfoy. Aber ich weiß schon, was ich damit anfange."
Sein Grinsen kippte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sich räusperte. „Wir wollten gerade nach Hogsmeade aufbrechen."
Ich wandte meinen Kopf nach links und erblickte Crabbe und Goyle beim Ausgang des Gemeinschaftsraumes. Beide, samt Draco, waren in einen dicken Wintermantel gehüllt. Ich blinzelte. Ging er nicht mit Pansy aus?
„Wohl ziemlich kalt draußen, hm?"
„Allerdings." Ein selbstgefälliges Schnauben folgte. „Man sieht sich, Hastings."
Ich nickte bloß. Anschließend vernahm ich, wie sich Malfoys Schritte immer weiter entfernten. Aus irgendeinem Grund verspürte ich leichte Freude in mir aufkeimen, bei dem Gedanken daran, dass er heute offensichtlich nicht mit Pansy unterwegs war. Es sei denn, er würde sie nun in Hogsmeade treffen. Augenblicklich erstickte ich dieses Freude, als mir bewusst wurde, was ich da gerade tat.
Seine Schritte waren verstummt und ich nahm an, dass er bereits verschwunden war, was mir ein Seufzen entlockte.
„Hastings." hallte es durch den Gemeinschaftsraum, genau in jenem Moment, als ich mein Buch aufklappen wollte. Überrascht blickte ich über meine Schulter zu Malfoy der nun neben Crabbe und Goyle stand. „Willst du mit uns kommen?"
„Mit euch?" Meine Augen weiteten sich, doch zeitgleich hob ich eine Braue an, als mein Blick Crabbe und Goyle streifte.
„Ich wollte eigentlich etwas lernen." Noch während ich sprach, merkte ich, wie bescheuert sich das eigentlich anhörte.
Draco kam auf mich zu.
Mein Brustkorb hob sich unweigerlich an, als ich unentschlossen die Luft einsog. Würde ich mit Draco am Valentinstag gesehen werden, dann...
„Ein kleiner Ausflug unter Quidditchkollegen, Hastings, was sagst du?" meinte Draco nachdrücklich. Augenscheinlich hatte er bemerkt, dass ich zögerte.
„Okay, schon gut. Ich hole mir nur schnell meinen Schal und meinen Mantel aus dem Mädchenschlafsaal, dann können wir losgehen." kam es mir wie von selbst über die Lippen, ohne wirklich entschieden zu haben, ob das eine gute Idee war oder nicht. Vermutlich letzteres. Doch die Wahrheit war, dass ich mich einsam fühlte und nicht länger hier sitzen wollte. Nicht heute.
Er nickte.
Schnellen Schrittes eilte ich in mein Zimmer, zog mir meinen Mantel über, schnappte meine Slytherinmütze und legte mir meinen Schal um. Als ich gut verpackt wieder zurück im Gemeinschaftsraum war, stand einzig und allein Malfoy mit verschränkten Armen an die Steinwand gelehnt.
„Wo sind Crabbe und Goyle?" fragte ich verblüfft.
„Sind schon voraus gegangen. Sie warten im Drei Besen auf uns."
„Sie wollten doch gerade noch warten, oder nicht?"
Malfoy zuckte bloß mit den Schultern, woraufhin er einen skeptischen Blick von mir erntete.
„Gut, dann lass uns losgehen." meinte ich und ging an ihm vorbei. Die Steinwand schob sich mit einem Ächzen zur Seite und wir gelangten nach draußen auf die Kerkerflure.
„Und, Quidditchkollege" zog ich ihn auf. „Wofür war der Schnatz, den du mir letztens geschenkt hast?"
„Hast du ihn noch?"
„Klar, weshalb fragst du?"
Er gab mir keine Antwort darauf. „Lediglich ein kleines Trostgeschenk, weil du so unglaublich miserabel gespielt hast." Aus irgendeinem Grund schien er plötzlich in besserer Stimmung zu sein.
Fast schon wollte ich sagen, dass ich ihm dann wohl jedes Mal bei einem Spiel gegen Gryffindor meinen Besen schenken müsste, um seine Niederlage gegen Harry wettzumachen, doch ich verkniff es mir ausnahmsweise.
Ich zuckte bloß mit den Schultern, wohlwissend, dass er recht hatte. „Das nächste Spiel gegen Hufflepuff wird besser. Wenn wir das gewinnen und Gryffindor ein Spiel vermasselt, haben wir noch immer eine Chance auf den Quidditch Pokal."
Er nickte und wenig später marschierten wir bereits aus dem Schloss, den gefrorenen Weg in Richtung Hogsmeade entlang. Die Nachmittagssonne stand hoch oben am Himmel und tauchte die Umgebung in ein friedliches Licht, doch kühler Wind ließ mich meine Mütze tiefer ins Gesicht ziehen. Es war seltsam, ausgerechnet gemeinsam mit Draco nach Hogsmeade zu gehen. Noch dazu allein mit ihm. Jedoch musste ich feststellen, dass mir seine alleinige Gesellschaft nicht so unangenehm war, wie ich vermutet hatte. Er erzählte mir, als wir gerade an Hagrids Hütte vorbei gingen, dass er früher, bevor er nach Hogwarts gekommen war und herausgefunden hatte, dass Hagrid von Riesen abstammte, glaubte, Hagrid wäre in einen Kessel voll Skele-Wachs gefallen. Skele-Wachs war ein Zaubertrank, sozusagen ein magisches Wachstumsmittel, der fehlende Knochen nachwachsen ließ. Diese Geschichte ließ mich lachen.
Wir schritten einen schmalen Weg entlang über plattgedrückten Schnee. Kahle Bäume ragten neben uns auf, die immer weniger wurden, je weiter wir gingen. Ich fröstelte ein wenig, weshalb ich den Schal enger um meinen Hals zog, als ich aus dem Augenwinkel eine alte, schneebedeckte Hütte bemerkte, die etwas entfernter lag. Sie war windschief gebaut und mit den vernagelten Fenstern wirkte sie schon fast ein wenig gespenstisch.
„Warst du schon einmal in der Heulenden Hütte?" fragte Draco, seine Hände beide in seinen Manteltaschen vergraben und mit einem Schmunzeln im Gesicht, als er meinen Blick bemerkte.
„Nein, du etwa?" Augenblicklich erinnerte ich mich daran, dass ich letztes Jahr über die Heulende Hütte gelesen hatte, in „Historische Stätten der Zauberei". Die Heulende Hütte war Cedrics Lieblingskapitel gewesen und obwohl es tatsächlich ziemlich spannend gewesen war, wusste ich noch ganz genau, dass mir beim Lesen ein kalter Schauder über den Rücken gejagt war.
„Noch nicht." sagte er „Kennst du die Geschichten, die man sich davon erzählt."
Ich nickte leicht. „Ich habe etwas darüber gelesen."
Von Harry hatte ich außerdem erfahren, was sie in ihrem dritten Schuljahr darin erlebt hatten. Dass Sirius sie in die Hütte gelockt und er dort die Wahrheit über Sirius Unschuld herausgefunden hatte.
„Anscheinend soll es dort spuken, deshalb trägt sie auch den Namen Heulende Hütte. Mein Vater hat gesagt, dass man dort früher seltsames Geheule und dunkle Schreie hören konnte, als würde darin jemand dem Tod ins Auge blicken." Ein breites Grinsen erschien auf seinen Lippen. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Geister darin hausen sollen, die ihre Opfer foltern und anschließend töten."
„Sag bloß, du bist abergläubisch?" spottete ich herausfordernd, hatte aber nicht gemerkt, dass Draco gar nicht mehr neben mir herging. Gerade als ich mich umdrehen wollte, wurde ich von der Wucht eines Schneeballs an meiner linken Schulter getroffen und zuckte für einen Moment zusammen.
„Angst, Hastings?" meinte Draco amüsiert, während er lässig einen weiteren Schneeball in der Hand auf und ab warf.
„Das hättest du wohl gerne. Aber dafür gibt's eine ganze Menge Strafarbeiten." sagte ich und strich mir den hängengebliebenen Schnee aus meinem blonden Haar.
„Darauf bin ich ja gespannt." höhnte er.
Eilig ging ich die Hocke und formte ebenfalls einen Schneeball, der sich wenige Augenblicke später schon auf dem direkten Weg zu Draco befand und an seinem Mantel in winzige Stücke zerbarst. Dracos Grinsen wurde um eine Spur breiter und ein weiterer Schneeball kam geflogen, dem ich gerade noch so auswich.
Ein paar Wolken schoben sich vor die Sonne und als ich gerade hochblicken wollte, traf mich ein weiterer Schneeball.
„Na warte!" Kurzzeitig entbrach eine wilde Schneeballschlacht, niemand von uns beiden wollte aufhören und somit eine Niederlage einstecken. Ich hörte ihn lachen, als er sich duckte und einen Schneeball nach mir warf, was mich dazu veranlasste, ebenfalls zu lachen. Seinem Lachen wohnte ein angenehmer Klang inne. Um genau zu sein, konnte ich mich nicht erinnern, ihn jemals ehrlich lachen gehört zu haben. Zumindest nicht auf diese Art und Weise. Unzählige Male schon hatte er sich über jemand anderen lustig gemacht und dabei ein Lachen von sich gegeben, doch dieses war anders. Es war aufrichtig. Persönlich.
Mein Blick lag auf ihm, meine Hand schwang in die Höhe, um den Schneeball in hohem Bogen auf ihn zu werfen, doch mitten in der Bewegung erstarrte ich.
Die Sonne kam hinter den Wolken zum Vorschein und eine Flutwelle an Licht brach über das Tal herein. Sonnenstrahlen fielen direkt auf Dracos weißblondes Haar, erhellten seine Gesichtszüge, während das Weiß des Schnees erstaunlich glitzerte. Fast so, als würden tausende, kleine Diamanten darunter vergraben sein. Ein kräftiger Windstoß folgte, wirbelte Schnee auf und unzählig viele Flöckchen in Form von klitzekleinen Sandkörnern schwirrten durch die Luft. Die kahlen Bäume schüttelten sich, ein seltsames Rauschen erfüllte die Umgebung und Dracos graue Augen blitzen im Schein des Lichts auf, das sich seinen Weg wie durch einen Tunnel zu ihm zu bahnen schien. Sein Grau glich wilden Gewitterwolken, die quer von einem Blitz durchzogen wurden. Stürmisch und unbändig.
Der Schneeball in meiner erhobenen Hand löste sich und fiel plump auf den gefrorenen Boden.
„Was?" fragte er, als mein Blick immer noch an ihm klebte.
„Nichts, ich dachte nur dass..."
„Dass?"
Augenblicklich spürte ich, wie meine Wangen ganz heiß wurden und ich drehte mich von ihm weg, wickelte meinen Schal einmal mehr um meinen Hals, um mein Gesicht zu verdecken und stapfte an ihm vorbei den Weg entlang. „Ach nichts. Lass uns weitergehen."
Schon von weitem konnte man das wilde Stimmgewirr aus dem Drei Besen vernehmen. Es war bis zum Rande mit Hogwarts Schülern gefüllt. Da die Türe nicht breit genug war, betrat Draco zuerst den Innenraum und ich folgte ihm. Irgendjemand in der Nähe zog scharf die Luft ein, doch ich sah nicht, um wen es sich dabei handelte. Ein seltsames Gefühl überkam mich. Umgehend verfolgten uns zahlreiche Augenpaare, doch ich vermied es ihre Blicke zu erwidern, denn irgendwie wurde es plötzlich ein wenig stiller. Draco hingegen schien das nicht zu kümmern. Draco und ich, gemeinsam am Valentinstag im Drei Besen. Es musste fast schon so wirken, als hätten wir ein Valentinstags Date – was aber definitiv nicht der Fall war.
Fast schon sehnsüchtig suchte ich das Drei Besen nach Crabbe und Goyle ab, die wohl dieses Mal, ironischerweise, einige Missverständnisse aus dem Weg räumen sollten, um zu signalisieren, dass Draco und ich nicht allein hier waren.
Anstatt von Crabbe und Goyle blieb mein Blick wenige Sekunden später an Harry hängen, der gemeinsam mit Hermine und... Rita Kimmkorn an einem Tisch saß. Meine Stirn legte sich in Falten. Was zum Teufel suchte ausgerechnet diese grauenhafte Reporterin bei den beiden? Gleichzeitig fragte ich mich, ob mich Harry wegen Cho belogen hatte. Waren die beiden doch nicht verabredet gewesen, oder war lediglich ihr Date geplatzt? Mein Blick traf den von Harry, doch ich tat schnell daran, weiter nach Crabbe und Goyle zu suchen, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm das mit Draco erklären sollte, zumal die Stimmung zwischen uns noch immer etwas gedrückt war. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Dennoch. Es war meine Entscheidung mit wem ich hier war und um ehrlich zu sein, bereute ich es bis jetzt nicht.
„Ich habe sie gefunden." meinte Draco und ich folgte ihm, indem ich mich hinter ihm durch die Menschentraube drängte. Ein süßlicher Duft lag in der Luft. Wenig später entdeckte auch ich die beiden Slytherins. Alle zwei saßen lachend am Tisch jeweils ein Glas Butterbier haltend, neben ihnen zwei Plätze, die sie für uns freigehalten hatten.
„Da seid ihr ja." sagte Goyle und schob Draco den Stuhl neben sich hin. „Vorhin wollte uns jemand beide Stühle klauen, hat ne kräftige Lektion erhalten. Der wird sich hier nicht mehr so schnell blicken lassen." lachte er weiter, klatschte mit Crabbe ab und ließ anschließend seine rechten Armmuskeln spielen. Vielleicht fing ich nun an zu bereuen...
Die Kellnerin kam sofort angerauscht und nahm unsere Bestellung auf.
„Ein Butterbier für uns." sagte Draco.
„Eins für euch zwei zusammen oder jeweils ein eigenes?" fragte sie.
„Jeweils ein eigenes." kam es von mir wie aus der Pistole geschossen. Wenig später standen zwei vollgefüllte Gläser vor unserer Nase. Ich liebte den Geruch von Butterbier und noch mehr liebte ich den Geschmack. Als ich daran nippte, konnte ich es mir nicht verkneifen, einen zufriedenen Seufzer auszustoßen.
„Herrlich, dieses Zeugs."
Alle drei stimmten mir zu und nahmen ebenfalls einen kräftigen Zug.
„Hast du's schon gesehen, Draco?" Crabbe deutete mit einem Kopfnicken nach rechts. „Dort hinten sitzt Potter mit diesem Schlammblut Granger und beide unterhalten sich mit Tina Krummkorn. Was meinst du, sollen wir mal zu denen rübergehen und rauskriegen, was vor sich geht?"
„Sie heißt Rita Kimmkorn, du Dummkopf. Manchmal frage ich mich wirklich, wie du es in den fünften Jahrgang schaffen konntest." Draco verdrehte die Augen, doch sein Blick glitt anschließend hinüber zu Harry. „Nein, lassen wir Potter nur machen."
Aufmerksam beobachtete ich ihn und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass Draco das nur sagte, weil ich bei ihm war.
Wir sprachen daraufhin über Quidditch und wie hoch wir unsere Chancen auf den Quidditch Pokal einstuften, da wir alle vier immerhin in unserer Hausmannschaft spielten.
„Ein paar Klatscher von Vinc und mir reichen und wir werden die Huffelpuffs vernichten." brummte Goyle und verschränkte die Arme vor der Brust, während er leicht mit dem Kopf nickte.
„Wenn Malfoy auch dieses Mal den Schnatz fängt, dürfte es eigentlich kein Problem werden." Ich zuckte mit den Schultern. „Unser Problem ist nicht Hufflepuff, sondern Gryffindor. Wenn sie die nächsten beiden Spiele gewinnen, können wir den Pokal vergessen."
„Jetzt, wo Potter und die Weasley Zwillinge Spielverbot haben, sind die keine Gefahr mehr für uns. Vor allem mit Weasley als Hüter. Er ist unser King, schon vergessen?" schmunzelte Draco.
Im Anschluss begannen wir darüber zu diskutieren, wer wohl als erstes von den Professoren von Umbridge entlassen werden würde, doch es blieb unentschieden zwischen Hagrid und Trelawney. Gerade als ich dabei war, ihnen zu erklären, weshalb Trelawney wohl die erste sein würde, schlenderte Pansy Parkinson mit einer Gruppe Mädchen vorbei, die mich allesamt voller Verachtung anblickten. Sogar sie sah mich an, das erste Mal seit unserem Vorfall.
„Und, Hastings? Wie war das Nachsitzen bei Umbridge? Ich hoffe du hattest jede Menge Spaß." ließ sie mir gehässig zukommen.
Sie war inzwischen wohl wieder ganz die alte.
„Jede Menge und jede Sekunde davon wert." meinte ich anmaßend in ihre Richtung, machte eine Handbewegung in Richtung meines Zauberstabs in meiner Manteltasche, was sie augenblicklich drei Schritte zurückweichen und sie mit den Rücken in die anderen Mädchen hinter ihr stolpern ließ. Aus dem Mantel holte ich ein Taschentuch hervor und tupfte mir damit meinen Mundwinkel ab. „Nicht so stürmisch, Pansy." Ich zwinkerte ihr zu, bevor ich mich von ihr abwandte und das Gespräch mit den anderen fortsetzte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie mit hochrotem Kopf davonstapfte. Aus irgendeinem Grund war die Schadenfreude darüber, dass Draco Pansy ganz offensichtlich nicht zum Valentinstag eingeladen hatte, ziemlich stark. Und bei dem Gedanken daran, dass sie mich mit Draco gesehen hatte, wurde sie unweigerlich eine Spur größer.
Wenig später entdeckte ich Adrian auf der anderen Seite des Drei Besen in einer Ecke sitzen, gemeinsam mit einer älteren Schülerin. Sie hatte bis zur Brust reichendes, braunes Haar und etwas weit auseinanderliegende Augen, die ihr schmeichelten. Ich war ihr bereits dutzende Male auf den Gängen Hogwarts begegnet, doch ihren Namen kannte ich nicht. Adrian wirkte nicht allzu begeistert. Andauernd griff er zu seinem Butterbier trank viel zu lange daraus, während sie ohne Punkt und Komma am Reden war. Seinem Gesichtsausdruck nach zu deuten, war er drauf und dran das Weite zu suchen. Das hieß dann wohl so viel wie, dass er Madam Puddifoot's Café heute wennschon nur von außen sehen würde.
Nach einer Weile, als das Gasthaus immer leerer und es draußen immer dunkler und kälter wurde, beschlossen wir den Rückweg nach Hogwarts anzutreten. Ich zog mir meinen Mantel über, knöpfte ihn von oben nach unten zu und war gerade dabei, mir meine Slytherinmütze aufzusetzen, als mich jemand anrempelte und sein halbes Butterbier über meinen Mantel vergoss.
„Pass doch auf, du Idiot." blaffte ihn Draco so laut an, dass sich etliche Gesichter zu uns wandten.
„T-Tut mir leid. Warte, ich mach das wieder weg." Stammelte der Junge, bei dem ich mir sicher war, dass ich ihn stets beim Essen am Hufflepufftisch sitzen sah und wollte bereits seinen Zauberstab hervorholen.
„Verschwinde einfach, bevor ich es mir anders überlege und dir eine ordentliche Portion Strafarbeiten verpasse."
Der Junge duckte sich fast ein wenig und sauste davon.
„Alles okay? Dieser Idiot hat wohl keine Augen im Kopf." meinte Draco, als er sich zu mir drehte und seine grauen Augen zunächst über mein Gesicht und dann über meinen Mantel wanderten.
„Natürlich. War ja schließlich nur ein bisschen Butterbier und kein Gift." meinte ich amüsiert.
Ohne darauf etwas zu erwidern, ging er anschließend an mir vorbei in Richtung Ausgang, wobei er meine Schulter streifte. Vor Crabbe und Goyle, die noch immer damit beschäftigt waren, ihre Mäntel richtig anzuziehen, folgte ich ihm nach draußen, wo er unter dem Vordach des Drei Besen stand, beide Hände tief in seinen Manteltaschen vergraben. Ich gesellte mich zu ihm. Weiße Wölkchen stiegen bei jedem Atemzug vor meinen Augen auf.
„Draco?"
„Was?" Seine Brauen wanderten hoch, drehte seinen Kopf nach links, um mich anzusehen. Offensichtlich überrascht, dass ich ihn mit seinem Vornamen ansprach.
„Ich habe mich geirrt mit dem, was ich damals auf dem Quidditchfeld zu dir gesagt habe..."
„Was?" wiederholte er und seine Brauen wanderten noch höher.
„Dass du das Letzte wärst."
„Hast wohl doch deine Meinung geändert, Hastings, hm?" Sein süffisantes Grinsen erschien augenblicklich und so breit auf seinen Lippen, dass ich blinzeln musste.
„Ja." sagte ich. „Nur das Vorletzte."
Er lächelte.
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