Kapitel 54 - The returned Owl


Die folgenden eineinhalb Wochen waren geprägt von heller Aufregung und bedrückender Unruhe. Seinen Anfang hatte alles am nächsten Morgen genommen: Trotz Wehklagen wurden wir dazu verdonnert uns um kleine Wesen namens „Doxys" zu kümmern, die in den uralten Vorhängen dieses mindestens genauso uralten Hauses wohnten. Sie waren wahrlich kein sonderlich angenehmer Anblick gewesen. Eine fehlgeratene Kombination aus winzigen Feen und Insekten. Hermine hatte sogleich die Gelegenheit genutzt ihr Wissen kundzugeben und uns einen langatmigen Vortrag über diese Viecher gehalten, während mir hingegen der Gedanke, dass Voldemort womöglich nach mir oder meinen Eltern suchte, mit unerträglichem Gewicht auf den Schultern gelastet war. Jeden zweiten Tag löcherte ich die Ordensmitglieder mit dutzenden Fragen über meine Eltern: Wie ging es ihnen? Waren sie sicher? Gab es irgendwelche Vorkommnisse? Das Prozedere fand erst sein Ende, als Kingsley Shacklebolt mich eines Tages zur Seite holte und wir ein langes Gespräch darüber führten, dass er selbst und ein paar weitere Ordensmitglieder täglich vor dem Haus meiner Eltern wachten und sie alles taten, um meine Familie zu beschützen. Er erklärte mir, dass sie das Haus mit zahlreichen Zaubern geschützt hätten und es für Voldemort, selbst wenn er wollte, kein einfaches wäre meine Eltern aufzuspüren, geschweige denn ihnen etwas anzuhaben, zumal sie sofort zur Stelle wären. Nach diesem Gespräch fühlte es sich an, als hätte ich einen kleinen Funken Hoffnung und Ruhe wieder gefunden und war Shacklebolt zugleich ungemein dankbar gewesen, dass er sich mir angenommen hatte. Es schien mir, als wäre er der Einzige, dem wirklich etwas daran lag, meine Familie zu schützen.

Indes war Harrys Anhörung mit jedem Tag näher gerückt. Für Harry stand alles auf dem Spiel, denn dort sollte sich entscheiden, ob es ihm weiterhin möglich wäre Hogwarts zu besuchen. Die Tage vergingen so schnell, dass ich das Gefühl hatte, dass alles nur auf diesen 12. August, den Tag der Verhandlung zusteuerte.

In der Zwischenzeit brachten wir ebenso das Haus auf Vordermann und retteten all jenes, was noch irgendwie zu retten war. Also nicht sonderlich vieles, um ehrlich zu sein. Weitere Vorhänge wurden von Doxys befreit und alte Regale entstaubt, die voll von gruseligem, ekelerregendem Zeug waren, was mich schon nach wenigen Tagen missmutig stimmte. Schließlich saß ich hier fest und putzte ein verdrecktes Haus, dessen Besitzer mich offensichtlich nicht leiden konnte. Sirius mied weiterhin jegliches Gespräch mit mir, doch ich erwischte ihn immer wieder, wie er mich aus der Ferne beobachtete und sich mit eiserner Miene abwandte, sobald sich unsere Blicke trafen. Auch Hallows anhaltende Abwesenheit ließ den Klumpen an angesammelten Sorgen in meinem Magen immer größer werden. Seit meiner Abreise von Zuhause, nachdem ich ihn wenige Stunden zuvor losgeschickt hatte, um einen Brief auszutragen, war er nicht wieder aufgetaucht.

Bestand mein ungeliebter Klumpen mehrheitlich aus Sorgen, so handelte es sich bei dem der Gryffindors um eine unheilvolle Mischung aus Anspannung und Nervosität. Besonders bei Harry. Ich hatte mein Bestes versucht ihn abzulenken, doch seine Stimmung war immer weiter in den Keller gewandert. Ebenso die von Ron und Hermine. Gerade Hermine entpuppte sich in dieser Konstellation als besonders nervtötend, nachdem ich in ihr Zimmer und dem von Ginny gezogen war, da Ron unbedingt zu Harry tauschen wollte. Angeblich hatten ihm die Zwillinge einen üblen Streich gespielt. Zumindest hatte er mir das erzählt, um mich umzustimmen und ihm mein Bett zu überlassen. Offensichtlich hatte es funktioniert, worüber – im Übrigen – nur einer glücklich war.

Im Laufe der Zeit war ich zu den Mahlzeiten immer öfters mit anderen Ordensmitgliedern in Gespräche verwickelt worden und wie sich zeigte, schien der Großteil von ihnen sehr in Ordnung zu sein. Langsam aber doch konnte ich das Gefühl hier eine Außenseiterin zu sein, immer weiter abstreifen, wenngleich mit Sirius Verhalten stets eine gewisse Präsenz desselben gegeben war. Snape war kein einziges Mal zum Essen geblieben, zumeist hatte ich ihn nur ins Besprechungszimmer huschen gesehen. Dumbledore war sogar zu einem Geist geworden, hatte ihn die ganze Zeit über kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Zum Glück ereigneten sich keine weiteren Zwischenfälle, bei denen ich die Kontrolle verlor. Ich gab mir größte Mühe ruhig zu bleiben, meine Wut und meine Trauer zu verarbeiten und nicht allzu viel über das Geschehene nachzudenken. Auch Tonks zeigte mir einige gute Übungen, die mir helfen würden, mich schnell zu beruhigen. Wer nun Spannendes erwartete, würde eine herbe Enttäuschung erleiden. Denn es handelte sich dabei, plump gesagt, um einfache Atemübungen. Doch sie funktionierten.

Mitte August fand Harrys Anhörung ein glückliches Ende und zum selben Zeitpunkt kehrte wieder etwas mehr von der gewohnten Ruhe und dem üblichen Frieden ein. Harrys Optimismus für das kommende Schuljahr hielt sich zwar in Grenzen, doch seine Stimmung besserte sich erheblich und auch Hermine war wieder etwas erträglicher. Etwas...

So hatte eine Woche die nächste gejagt. Und so weiter und so fort.

Bis zum heutigen Tage. Den 31. August, den letzten Ferientag.

Und noch immer keine Spur von Hallow.

Dafür erreichten uns Briefe aus Hogwarts. Ausnahmsweise auch mich, worüber ich mich tatsächlich mehr freute, als ich zugeben mochte. Hermine und ich waren gerade auf unserem Zimmer, als die Türe mit einem Ruck aufgerissen wurde, ein verdächtiges Knirschen von sich gebend, sodass ich das Holz bereits zersplittern sah. Stattdessen kam Ginnys Sommersprossen überzogenes Gesicht zum Vorschein.

„... dabei solltest du wirklich darauf aufpassen, dass sie --"

„Seht mal! Unsere Briefe sind da!" rief die jüngste Weasley mit einem Grinsen, das von einer Wange bis zur anderen reichte und unterbrach dabei Hermines Geschwafel, dem ich seit einigen Minuten schon kein Gehör mehr geschenkt hatte. In den letzten Tagen hatte sie mich gefühlte drei Mal über eine magische Pflanze namens „Flussgras" vollgeschwafelt und nunmehr war ihr vierter Versuch gescheitert. Mittlerweile hatte ich verstanden, dass man sie nur bei Vollmond pflücken durfte, wollte man beispielsweise einen wirksamen Vielsafttrank brauen. Was ich im Übrigen NICHT wollte.

„Endlich!" Hermine sprang auf. „Die sind ziemlich spät dran. Welche Bücher wir wohl dieses Jahr brauchen? Wir müssen heute noch alles kaufen, am besten wir gehen sofort in die Winkelgasse!"

„Mum sagt, wir können ihr später die Bücherlisten mitgeben. Sie besorgt heute noch alles was wir benötigen."

Ginny ein leises „Danke" zuflüsternd, nahm auch ich meinen Brief an mich und öffnete behutsam den Briefumschlag. Meine Finger kribbelten, als sie über das glatte Papier strichen und es langsam auffalteten. Hätte es sich damals ähnlich anfühlen sollen?

Bald schon wäre ich wieder an Hogwarts und noch immer ging mit so vieles durch den Kopf. Wollte ich wieder zurück an diesen Ort? Wo war Hallow? Ich konnte unmöglich ohne ihn abreisen...

„Oh... nur zwei neue Bücher." bemerkte Hermine enttäuscht, während ich meinen Blick über die Liste schweifen ließ und nachdenklich meinen Mund verzog.

Lehrbuch für Zaubersprüche, Band 5 von Miranda Habicht und Theorie magischer Verteidigung von Wilbert Slinkhard. Hörte sich beides ganz passabel an.

„Oh, was ist das denn?" murmelte Hermine. „K-Kann das sein?" Röte schoss ihr Gesicht.

„Was ist denn los?" fragte ich eher aus Höflichkeit als aus Interesse.

Doch die war bereits aus dem Zimmer gestürmt, begleitet von einem hohen Freudenschrei, der in den Ohren schmerzte. Sie polterte die Treppen hoch und in der nächsten Sekunde hörte man aufgeregte Stimmen aus Harrys und nunmehr auch Rons Zimmer dröhnen.

„Was hat die denn gestochen?" wandte ich mich stirnrunzelnd an Ginny, die bloß mit den Schultern zuckte.

„Die Doxys können wohl nicht schuld sein, die haben wir alle erwischt." erwiderte sie. „Ich gehe gleich mal zu meiner Mum. Soll ich deine Bücherliste mitnehmen?"

Nickend reichte ich ihr die Liste, wollte den Briefumschlag auf mein Bett werfen, als ich plötzlich eine kleine Wölbung unter meinen Fingerkuppen wahrnahm. Etwas flog aus dem Umschlag. Ein grün-silbernes Abzeichen, direkt auf den Boden vor meinen Füßen, wo es unter dem Schein des künstlichen Lichts glänzte. Ein großes V prangerte über der Schlange von Slytherin. Als ich in die Hocke ging, um es aufzuheben, hörte ich Ginny, die sich gerade eben zum Gehen gewandt hatte, laut nach Luft schnappen.

„Alicia, das ist ein Vertrauensschülerabzeichen! Du bist Vertrauensschülerin!" trällerte sie aufgeregt.

„Vertrauensschülerin?" wiederholte ich ihre Worte, ohne darüber nachzudenken. „Ich?"

Oh nein...

Das Abzeichen fühlte sich kalt und fremd an.

War Dumbledore denn von allen guten Geistern verlassen? Warum sollte man ausgerechnet mich zur Vertrauensschülerin ernennen? Warum bürdete man mir diese Aufgabe auf, gerade jetzt, nach allem was geschehen war? Derjenigen, die gerade erstmal ein Jahr an Hogwarts verbracht und weniger Ahnung von diesem Ort hatte als irgendjemand sonst an dieser Schule. Mein Rachen wurde plötzlich ganz trocken.

„Du freust dich doch gar nicht... Die geben das Abzeichen nicht einfach so her, Alicia. In unserer Familie war fast jeder Vertrauensschüler, mit Ausnahme von Fred und George."

Warum bloß? ging es mir durch den Kopf, ehe mir mit einem Mal schlagartig bewusst wurde, weshalb Hermine wohl gerade so hastig aus dem Zimmer gestürmt war.

„Ich bringe die Listen mal schnell zu Mum." sagte Ginny und wir gingen gemeinsam aus dem Zimmer. Die jüngste Weasley nahm die Treppen nach unten, während ich mich zu Harry, Ron und Hermine gesellte, unsicher darüber, ob ich ihnen diese Neuigkeiten mitteilen sollte, doch früher oder später würden sie es ohnehin herausfinden. Die Türe stand offen und ich lehnte mich belustigt gegen den Türrahmen, als ich sah, dass Hermines Kopf die Farbe einer Tomate angenommen hatte.

„Ich.... nun... irre! Toll, Ron! Das ist wirklich –"

„Unerwartet." vollendete einer der Zwillinge den Satz, die ebenso beide anwesend waren.

„Oh, kleines Hexchen. Rate mal wer Vertrauensschüler geworden ist." bemerkten sie breit grinsend und ich sah instinktiv zu Ron, obwohl mir mein Hausverstand sagte, dass Harry wohl viel eher in Frage käme, doch Hermines Reaktion war ja wohl kaum zu übersehen gewesen. „Putzi-Putzie-Ronnie ist Vertrauensschüler!" spotteten die Zwillinge, während sich Rons Gesichtsfarbe der von Hermine annäherte. .

„Was, Ron? Ich war mir sicher, dass Harry Vertrauensschüler werden würde." meinte ich, meine Arme vor der Brust verschränkt, aber ein eiliges „Glückwunsch, Ron. Und dir natürlich auch, Hermine." anfügend, als ich sah, wie Rons Ohren nun in ein Tiefrot übergingen. Harrys Blick und der meinige trafen sich und ich konnte so klar und deutlich in seinen Augen erkennen, dass er dasselbe gedachte hatte. Er war enttäuscht.

Der Umschlag in meiner Hand zerknüllte, und die Kälte des Abzeichens brannte unangenehm an meinem Handballen, verschränkte beide Arme mit einem Mal hinter meinem Rücken.

„Mum wird ausflippen." Fred verdrehte die Augen.

„Was hast du denn da?" bemerkte George plötzlich, mit dem Blick auf meine Arme gerichtet und kam grinsend auf mich zu.

„Nichts." Etwas zu eilig trat ich einen Schritt zurück.

„Komm, kleines Hexchen. Uns kannst du es schon zeigen. Und sei es selbst eine Zeichnung deiner verruchtesten Träume."

„Oder einen Tagebucheintrag über deinen Schwarm."

„Ha-ha-ha." äffte ich „Entschuldigt, dass ich euch nicht schon längst von meinen Träumen über Malfoy erzählt habe."

„Erspar uns lieber die Details." grinste George, während Fred bereits einen Arm nach mir ausgestreckt hatte, der sich in Windeseile um mein Handgelenk schloss und mich festhielt.

„Na komm, gib schon her. Fred, hilf mir einmal."

„Mit Vergnügen." summte dieser und nahm meinen anderen Arm.

„Nein, lasst das!"

„Ein Liebesbrief?" trällerten beide synchron.

„ICH MEINE ES ERNST!"

In jenem Augenblick, als ich ihrem Griff gefangen war, schnürte sich meine Brust von der einen auf die andere Sekunde zu. Ich schnappte nach Atem, doch da war kein Sauerstoff, nur dieses eine altbekannte aber zugleich so grauenvolle Gefühl der Hilfslosigkeit. Eine derart intensive Hitze übermannte mich, dass ich glaubte, mein Blut begänne zu kochen. Es passierte alles so schlagartig. Dumpfe Stimmen drangen an mein Trommelfell. Meine Sicht verschwamm und meine Knie gaben nach. Das Licht der Hängelampe flackerte, konnte nur schemenhaft erkennen, dass alle drei Gryffindors plötzlich hoch an die Decke starrten. Feiner Staub rieselte davon herab, als hätte jemand im oberen Stockwerk aufgestampft.

Man ließ mich los und ich stolperte nach vorne, schlug ich mit meinen Knien auf dem alten Holzboden auf.

„Was war das?" hörte ich Ron murmeln.

Ein seltsames Piepsen dehnte sich in meinem Gehörgang aus.

„Alicia? Alles in Ordnung?" fragte mich einer der Zwillinge, der mir hoch half. Energisch entriss ich mich seinem Griff.

Wieder schnappte ich nach Luft. Meine Lungen füllten sich.

„Tut das nie wieder!" Eine scharfe Kälte schwang in meiner Stimme mit.

Dann blinzelte ich, starrte in ihre vor Überraschung weit aufgerissenen Augen. „Ich meine... Ich wollte nicht, dass ihr das seht, okay?"

Die Hitze flachte genauso schnell ab, wie sie gekommen war.

Die Zwillinge wechselten einen Blick. „Tut uns leid. Wir wussten nicht, dass es dir so ernst damit ist." - „Gerade bei dir hatten wir ja noch Hoffnung." seufzte Fred theatralisch. Das silberne Abzeichen lag in seiner geöffneten Hand.

„Du auch, Alicia?" fragte Hermine ungläubig. Harry drehte sich zur Seite.

„Wie konntest du bloß?" meinten die Zwillinge wie aus einem Mund.

„Ist nicht so, als hätte ich es mir ausgesucht." Dabei zuckte ich mit den Schultern und zugleich streifte mich der Gedanke, wer wohl der zweite Vertrauensschüler Slytherins geworden war.

Auch Cedric war Vertrauensschüler gewesen und ich konnte nicht anders, als mich plötzlich mit ihm zu vergleichen und so viele Makel und Gründe zu finden, weshalb dieses Abzeichen so ganz und gar nicht zu mir passen wollte. Als Hermine anschließend ein Gespräch über die Aufgaben der Vertrauensschüler und deren Wichtigkeit ins Rollen bringen wollte, grätschte ich ihr gar etwas unverhohlen dazwischen und begann darüber zu sprechen, wer dieses Jahr womöglich den Posten als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste innehaben könnte, Harry im Augenwinkel beobachtend, dessen Enttäuschung man zunehmend besser erkennen konnte.

Etwas später, nachdem Molly aus der Winkelgasse mit unseren Einkäufen zurückgekehrt war, wurden wir alle zum Abendessen gerufen. Unser letzter gemeinsamer Abend im Orden, bevor es wieder nach Hogwarts ging und um ehrlich zu sein, war ich mir inzwischen nicht mehr ganz so sicher, wo ich mich lieber aufhielt und welcher Ort von beiden das kleinere Übel darstelle. Jedes Mal, wenn sich das gigantische Schloss vor meinem inneren Auge abbildete, verspürte ich einen kleinen Stich in meiner Magengegend und eine Flutwelle von Wut und Enttäuschung über mich hereinbrechen, die jedoch zugleich auch so viele gute Erinnerungen beherbergte. Etwas Schönes, an das zwangsweise Schmerzen gekoppelt waren.

Als wir nacheinander die Treppe hinunterpolterten, machten wir alle an selber Stelle Halt, nachdem wir die Küche betreten hatten. Ein riesengroßes Band prangerte über den Tisch, auf dem in großen, leuchtenden Buchstaben ein "Herzlichen Glückwunsch den neuen Vertrauensschülern Ron, Hermine und Alicia" zu lesen war.

Die Nachrichten hatten sich ja rasant verbreitet.

Molly war in absolut bester Stimmung. Summend und strahlend spazierte sie hin und her, tischte uns Köstlichkeiten auf, von denen ich noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Dabei schien sie regelrecht schon über den alten Holzboden zu schweben. Ganz im Gegenteil zu Harry, der neben mir saß, schaufelte ich mir eine Nachspeise nach der nächsten hinein, probierte von allem ein wenig und lehnte schlussendlich mit vollem Bauch und ausgestreckten Beinen am Stuhl.

„Bist du gar nicht hungrig?"

Harry schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich."

„Du hast gar nichts vom Schokomousse probiert. Es ist wirklich fabelhaft, Molly hat sich selbst übertroffen. Hier." Ich gab ihm etwas davon in eine Schüssel und stellte es ihm vor die Nase. Mit abwesendem Blick starrte er darauf, ohne sie jedoch anzurühren.

„Harry?"

Er antwortete nicht, weshalb ich ihm leicht mit dem Ellbogen anstupste.

„Harry? Ist es wegen diesem ganzen Vertrauensschülerunsinn?" Meine Stimme hatte einen Flüsterton angenommen, sodass ich mir sicher, dass uns niemand sonst am Tisch belauschen konnte, zumal Sturgis Podmore im selben Augenblick eine Geschichte über ein einstiges Rendezvous mit einer Sabberhexe erzählte und nicht nur die restlichen Gryffindors sondern der gesamte Orden gebannt an seinen Lippen hing.

„Es ist wirklich nichts Großartiges. Ich würde dir ja mein Abzeichen geben, aber..." Meine Nasenflügel plusterten sich auf, als ich scharf die Luft ausstieß. „Sieh's positiv: Du hast mehr Zeit um dich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Die ZAG's beispielsweise."

„Darum geht es gar nicht."

„Sondern?"

„Eher darum, dass mir Dumbledore anscheinend nicht genug vertraut."

„So ein Unsinn. Und das weißt du auch."

Harry schien nicht gänzlich überzeugt, hüllte sich in kurzes Schweigen, bevor er ein leises „Ich wünschte bloß, ich könnte mich etwas mehr für Ron freuen." murmelte.

Mein Blick ruhte auf ihm, betrachtete seine grünen Augen, die verwuschelten Haare und seine Brille, deren Gläser dringend gereinigt gehörten. In diesem Moment konnte ich besser als irgendjemand sonst auf dieser Welt verstehen, wie er sich fühlte.

„Du wärst die bessere Wahl gewesen."

„Das ist gemein von dir, Alicia."

„Es ist aber die Wahrheit." Ich drehte mich von ihm weg.

„Nun, ich denke, ein Toast wäre angebracht." hallte Mr. Weasleys Stimme über den langen Tisch und hob seinen Kelch an. „Auf Ron und Hermine, die neuen Vertrauensschüler von Gryffindor. Und auf Alicia, die neue Vertrauensschülerin von Slytherin."

Während Ron und Hermine um die Wette strahlten, wanderten meine Mundwinkel bloß ein unechtes Stück weit nach oben. Kurzzeitig fühlte ich Sirius Blick an mir haften und selbst aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass es ebenso kein Lächeln war, das er trug.

Alle tranken auf unser Wohl und ein lauter Applaus füllte die staubigen Ecken dieses Hauses und während noch das Geräusch klatschender Hände in meinen Ohren summte, breitete sich allmählich doch ein wohliges Gefühl in mir aus. Es war ein Gefühl von plötzlicher Dazugehörigkeit, woran auch Sirius helles, an mir haftendes Augenpaar nichts zu ändern vermochte.

Nach dem Essen ließ Molly die schmutzigen Teller mit einem einfachen Schwebezauber in die Spüle gleiten, während sich der Rest erhob und sich fortan in kleineren Grüppchen unterhielt.

„Hab' ich dir zu viel vom Schokomousse versprochen?"

„Nein, es war wirklich gu---"

„Alles in Ordnung mit dir, Potter?" ertönte es auf einmal hinter uns. Mad Eye Moody kam in unsere Richtung gehumpelt.

„Ja." erwiderte Harry, dem man seine Lüge jedoch anerkannte.

„Oh, Hastings." wandte er sich kurz an mich. „Glückwunsch nochmals."

„Danke."

„So, schaut mal, ich hab was, was euch vielleicht interessieren wird. Besonders dich, Harry." fuhr er fort, ehe ich noch etwas nachlegen konnte.

Moody zog aus der Innentasche seines Umhangs ein stark zerknittertes, altes Zaubererfoto.

„Das Original des Ordens des Phönix." brummte er. „Hab's gestern Nacht gefunden, als ich nach meinem zweiten Tarnumhang gesucht hab, dieser Podmore hat ja nicht mal den Anstand, mit meinen besten zurückzubringen... Nun und ich dachte, die Leute würden es gerne sehen."

Neugierig lugte ich vorbei an Harrys Schulter, doch von meinem Standort konnte ich kaum etwas auf dem Foto erkennen.

„Das bin ich." murmelte Moody und tippte mit seinem Finger auf eine Figur. „Das neben mir ist Dumbledore, auf der anderen Seite Dädalus Diggel. Das ist Marlene McKinnon, sie wurde zwei Wochen nach dieser Aufnahme umgebracht, die haben ihre ganze Familie ausgelöscht. Das sind Alice und Frank Longbottom. Arme Teufel. Besser der Tod als das, was mit ihnen geschehen ist."

Hellhörig spitzte ich meine Ohren und mein Blick wanderte zu Harry, der sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Handelte es sich dabei um Neville Longbottoms Eltern? Ich stellte mich auf Zehenspitzen, beugte mich weiter nach vor, konnte aber dennoch kaum etwas erkennen. Gerade als ich mich an die andere Seite von Moody gesellen wollte, um nun endlich einen Blick auf das alte Foto zu erhaschen, vernahm ich ein Räuspern hinter mir.

Lupin hatte den Raum betreten und sah mich an. „Alicia, würdest du bitte mit mir kommen?"

Nickend setzte ich mich hinter Moodys Rücken in Bewegung, die Augenbrauen leicht in der Mitte angezogen. Die Art und Weise, wie er diese Worte ausgesprochen hatte, versetzte mich in Unruhe. War etwas geschehen? Saß ich in Schwierigkeiten?

„Das ist Edgar Bones... Bruder von Amelia Bones, ihn und seine Familie haben sie auch erwischt, war ein großartiger Zauberer. Sturgis Podmore, verdammt, sieht er hier jung aus. Caradoc Dearborn, sechs Monate später verschwunden, wir haben seine Leiche nie gefunden." Mein Blick glitt über meine Schulter zurück zu Moody und Harry, wie sie eng beieinander standen, beide mit geneigten Köpfen. „Das ist Hagrid, sieht natürlich aus wie immer. Elphias Doge, den hast du ebenfalls schon kennengelernt, Harry, hatte ganz vergessen, dass er immer diesen blöden Hut trug. Gideon Prewett, fünf Todesser waren nötig ihn und seinen Bruder Fabian zu töten, sie haben gekämpft wie Helden."

Gekämpft wie Helden... hallte es in meinem Kopf, während ich gemeinsam mit Lupin den Raum verließ.

„Leider sind nicht alle damaligen Mitglieder auf dem Foto." waren Moodys letzte Worte, die ich noch zu Ohren bekam, bevor sämtliche Stimmen verschluckt wurden, als Lupin hinter mir die Türe schloss.

„Was gibt's denn?" fragte ich, doch Lupin deutete bloß mit einer Hand den Flur entlang, wo niemand geringeres als Albus Dumbledore höchstpersönlich stand. Seine schillernde violette Robe ließen die abgekratzten Holzwände noch intensiver für sich wirken, während er mich über seine halbmondförmige Brille hinweg mit gütigem Blick betrachtete.

„Professor Dumbledore..." kam es mir überrascht über die Lippen und erst als ein schrilles Gekreische von den hohen Wänden echote, bemerkte ich die Eule, die auf dem Treppengeländer saß und mich mit ihren großen Augen wie ihre Beute fixiert hatte.

„Hallow!"

Die Eule segelte zu mir herab, landete auf meiner Schulter und pikte nach meinem blonden Haar. „Du hast mir eine Heidenangst eingejagt, weißt du das?" Ich strich ihm über sein schwarzes Gefieder, was ihn augenblicklich dazu veranlasste, nach meinen Fingern zu schnappen.

„Hallo, Alicia." Dumbledore kam ein paar Schritte auf mich zu und der Klang seiner Worte war so sanft und vertraut, dass ich innehielt. „Wie du siehst, habe ich dir jemanden mitgebracht."

„Wo haben Sie ihn gefunden?"

„Er saß auf einem der Dächer nahe dem Orden. Du weißt, dass jeglicher Briefverkehr während deines Aufenthalts hier verboten ist?"

Lupin verschränkte dir Arme vor der Brust und ich nickte. „Ja, Professor. Ich hatte den Brief bereits vor meiner Ankunft durch Hallow verschickt."

Eine eigenartige Regung wanderte über Dumbledores Gesicht. Seine Brauen, die sich kurz zusammenzogen, seine Stirn, die sich für den Bruchteil einer Sekunde in Falten legte, ehe sie sich wieder glättete und dieselbe Güte von vorhin zeigten.

„Nun, Alicia, deine Eule hatte auch einen Brief für dich dabei."

Mein Herz begann wie wild zu hämmern. Hämmerte so stark gegen meinen Brustkorb, dass es schmerzte. Es war tatsächlich geschehen.

Dumbledore zog aus seiner Robe einen weißen Briefumschlag, wendete ihn in seinen Händen. „Von einer gewissen Margret. Deine Verwandtschaft?" Sein Blick wanderte von dem Umschlag schlagartig zu mir hoch und etwas funkelte in seinen blauen Augen.

„Ja." sagte ich wie ferngesteuert. „Meine Tante."

Ein sachtes Lächeln kräuselte sich auf seinen schmalen Lippen und er reichte mir den Brief. Jede meiner Bewegungen war kontrolliert, streckte nur langsam die Hand danach aus, darauf bedacht, nicht zu hastig zu agieren. Dumbledore wusste ja nicht, was er da in Händen hielt... Oder doch?

Gerade als ich das glatte Weiß betrachtete und mein Blick die leicht geschnörkelte und in Tinte geschriebene Schrift nachfuhr, wurde hinter uns plötzlich die Küchentüre aufgerissen und Harry stürmte die Treppen hoch, ohne jemandem von uns Beachtung zu schenken.

War es wegen des Fotos? Fragend hatte ich meinen Kopf angehoben und sah ihm nach, mein Herz schlug noch immer wie verrückt.

„Ich denke, du hast einige Fragen an mich, nicht wahr?" fuhr Dumbledore fort und mein Atem stockte.

„Fragen?"

„Zum Beispiel, weshalb ich dich hierherbringen ließ und warum ich für deine Ernennung zur Vertrauensschülerin stimmte." meinte er und ich bemerkte das belustigte Funkeln hinter seinen Brillengläsern.

Meine Gedanken rasten, während ich mit leicht zittrigen Fingern den Briefumschlag in meine Hosentasche steckte.

„Ja." sagte ich knapp. „Ich meine, Sie haben mich vermutlich hierher bringen lassen, wegen dem, was mit Cedric geschah und ich eine enge Freundin von Harry bin, nicht wahr?"

„Nicht ganz." schmunzelte der Schulleiter. „Du hast nicht Unrecht, alles, was du soeben erwähnt hast, waren ebenso Gründe, weshalb du dich hier befindest. Alicia, ich möchte ehrlich mit dir sein, damit du auch ehrlich zu mir sein kannst."

Ich nickte, fühlte, wie sich Hallow von meiner Schulter abstieß und wieder an seinem vorigen Platz auf dem Treppengeländer landete. Meine Schläfen begannen zu pulsieren.

Er weiß es... Er weiß es...

„Es ist mir nicht verborgen geblieben, dass der falsche Mad Eye Moody, besser bekannt als Barty Crouch Jr. ein ganz besonderes Auge auf dich hatte. Leider war ich geblendet und habe nicht bemerkt, dass ich ihm genau das gab, was er wollte: Mehr Zeit mit dir. Den Unterricht, den du bei ihm genossen hast, den habe ich angeordnet und war haargenau das, was er beabsichtigt hatte." Dumbledore verschränkte seine Arme hinter seinem Rücken, hatte begonnen nachdenklich den Flur auf und ab zu schreiten. „Nun meine erste Frage an dich, Alicia. Hat dir Barty Crouch Jr. während deines Unterrichts bei ihm, jemals schwarze Magie beigebracht?" Sein Blick fixierte mich.

„Nein." erwiderte ich wahrheitsgemäß und Dumbledore nickte, so als hätte er keine Zweifel, dass ich die Wahrheit sprach. Doch nun erinnerte ich mich wieder an Barty Crouch Jr.'s Worte. Darüber, dass Dumbledore nicht wollte, dass ich stärker wurde, dass ich meine Magie zu gut zu bändigen wusste. Hatte auch er die Wahrheit damals gesagt? Hatte Dumbledore etwa Angst, dass ich meine Magie für etwas... Falsches einsetzte?

„Weiters stellt sich mir die Frage, weshalb er genau auf dich ein Auge haben sollte, Alicia. Zu welchem Zweck? Er nahm ausgerechnet dich und Harry mit in sein Büro, wohlwissend, dass seine Maske dabei war zu zerbrechen. Gab es etwas, das Barty Coruch Jr. mit dir besprochen hat? Etwas, dass du wissen solltest?"

Das Nicken meines Kopfes vollzog sich nur in Zeitlupe. „Er wollte, dass ich weiß, dass Voldemort wieder zurückgekehrt war."

„Was noch?"

„Nichts." sagte ich, schluckte dabei den dicken Kloß meiner Lüge hinunter.

Auf einmal ertönte ein fürchterlicher Schrei von Molly aus dem Salon, ließ mich so heftig zusammenzucken, dass selbst Hallow kurzzeitig aufkreischte und seine Flügel ausbreitete.

„Ich sehe, was los ist." sagte Lupin, der die ganze Zeit über neben uns gestanden war und sich nicht gerührt hatte. Eiliges Getrappel war zu hören, als Lupin die Treppen hochpreschte, gefolgt von Sirius und Moody.

Einige Sekunden lang starrte mich Dumbledore an, bevor sich seine Haltung entspannte und er nickte. „Gut."

„Denken Sie, Voldemort steckte hinter all dem?" fragte ich zögerlich.

„Ja, das denke ich, Alicia. Und das ist auch der wichtigste Grund, weshalb du hier bist. Aber ich denke auch, es steckte etwas mehr dahinter. Beziehungsweise noch jemand."

Ich musste dem Impuls widerstehen, meine Hand an den Brief in meiner Hosentasche gleiten zu lassen.

„Voldemort weiß, dass deine Magie äußerst mächtig ist, Alicia. Und ich weiß nicht, woher er dieses Wissen hat. Er wird womöglich versuchen, dich auf seine Seite zu ziehen, sobald er stärker wird. Darauf solltest du gefasst sein."

Wieder ein Nicken meinerseits und ein kräftiges Schlagen meines Herzens.

„Er hat Cedric töten lassen. Peter Pettigrew hat ihn getötet. Ich---" Meine Stimme brach. Bemerkte, dass dieser Hass und dieser Groll wie Galle in mir hochstiegen, doch sie war hauptsächlich gerichtet gegen... Pettigrew. Als mich diese Erkenntnis traf, sog ich scharf die Luft ein. Befürchtete Dumbledore, ich könnte wirklich zur dunklen Seite wechseln?

Ich presste meine Lippen fest aufeinander. „Wenn Voldemort erstmals erfährt, dass ich meine Magie nicht einsetzen kann, wird er sowieso kein Interesse mehr an mir haben." Meine Worte waren nicht mehr als ein Murmeln, kamen wie von selbst über meine Lippen. „Ich - Ich verliere die Kontrolle, Professor. Beinahe hätte ich---"

„Lupin hat mich über den Vorfall unterrichtet." sagte er sanftmütig. Seine Stimme klang verständnisvoll. „Starke Emotionen können auch starke und unkontrollierbare Magie hervorrufen. Es wäre das Beste, wenn du deine Trauer aufarbeitest und deinen Gefühlen Einhalt gebietest."

„Sie verstehen nicht... Es ist mehr als das."

„Derartiges gab es schon immer, Alicia. Der Unterschied ist, dass deine Magie womöglich dadurch, dass du sie jahrelang nicht gebraucht hast, wie andere in deinem Alter, unkontrollierbarer entfesselt wird."

Ich schüttelte den Kopf. Nein, es war etwas Anderes. Da war etwas Anderes! Ich wusste es doch...

„Es ist etwas in mir, Professor. Eine Hitze, die mich überkommt, als würde etwas tief in mir drin schlummern und wüten."

Dumbledores Brillengläser blitzten im Schein der Fackeln, die mit einem Mal entzündet wurden.

„Das reicht jetzt, Alicia." Seine klare, mächtige Stimme echote durch das Treppenhaus und verschaffte mir eine Gänsehaut. Überrascht von dieser plötzlichen Intensität, hob sich mein Kopf.

Hörte er mir denn überhaupt zu? Wollte er denn nichts unternehmen, bevor ich außer Kontrolle geriet? Hatte Barty Crouch Jr. Recht gehabt mit allem, was er gesagt hatte? Fürchtete Dumbledore, ich könnte zu stark sein? Fürchtete er... mich?

„Haben Sie mich deshalb zur Vertrauensschülerin gewählt? Weil Sie mir Verantwortung übertragen wollten? Weil Sie denken, dass mich das Hogwarts und den anderen Schülern näherbringt und mich Cedric vergessen lässt?"

Seine Gesichtszüge glätteten sich. „Ich habe dich zur Vertrauensschülerin gemacht, weil ich denke, dass du dieser Aufgabe gewachsen bist und das auch vor den anderen unter Beweis stellen kannst."

Eine Seitentüre ging auf und Lupin kam zum Vorschein.

„Was ist passiert?" fragte ich.

„Ein Irrwicht. Nichts Beunruhigendes. Wir haben uns bereits um alles gekümmert, also mach dir keine Sorgen." Erstmals seit Tagen ein leichtes, freundliches Lächeln in meine Richtung und ich versuchte ihm angesichts des Gesprächs mit Dumbledore gleichzutun.

„Das ist alles, Alicia. Ich wünsche dir für morgen einen schönen Start in ein weiteres Jahr an Hogwarts."

Damit trat er an mir vorbei und ließ mir zum Abschied noch ein Nicken, begleitet von einem nunmehr sanften Lächeln zukommen.

In meinem Kopf rotierte indes alles und als ich fühlte, wie der Briefumschlag gegen meinen Oberschenkel drückte, begann das Blut in meinen Ohren zu rauschen. Eilig ließ ich Lupin hinter mir, schlenderte an ihm vorbei die Treppen hoch, stürzte regelrecht ins Zimmer. Hermine und Ginny waren noch nicht wieder zurückgekehrt, so sperrte ich die Tür hinter mir ab und ließ mich aufs Bett sinken, gerade noch rechtzeitig, nachdem meine Knie ganz weich geworden waren.

Wusste Dumbledore, dass ich etwas im Schilde führte?

Behutsam zog ich den Umschlag hervor und betrachtete einmal mehr die Schrift. Er war noch versiegelt.

War das möglich? Hatte es tatsächlich funktioniert?

Meine Finger zitterten, als ich den Kleber löste und das Papier Stück für Stück auffaltete. Tiefschwarze Tinte auf dem hellen Papier. So konträr.

Meine Augen wanderten darüber. Über dieses einfache Blatt Papier, das zugleich meine Welt auf den Kopf stellte.

Ich wusste, du würdest es herausfinden.

Leider kann ich dir nicht sagen, wer ich bin. Es ist nicht sicher. Schreib mir erst, wenn du wieder in Hogwarts bist. Hallow wird mich finden.

Vertraue niemandem.

Eines Tages werden wir uns wiedersehen. Ich hoffe, es ist bald.

Aber sei dir bis dahin gewiss: Du bist nicht allein.

Mein Körper erhob sich wie von selbst, meine Beine setzten sich in Bewegung, steuerten die Türe an, die ich hinter mir speerangelweit offenließ. Sie trugen mich die Treppen hinunter, an der Küche vorbei, einen Ganz entlang, dann rechts, links, nochmals rechts. Meine Gedanken wanderten und wanderten, und so tat ich es. Mein Körper zitterte bei jedem Schritt, den ich machte. Ich blieb stehen, starrte an eine Zimmertür. Wir hatten den Raum vor wenigen Wochen entstaubt und nur allzu gut konnte ich mich an diesen Raum erinnern, der früher als Wohn- oder Gästezimmer gedient hatte. Auf den Regalen waren Gläser mit undefinierbarem Inhalt gestanden. Totenköpfe mit abgebrannten Kerzen- und leere Schmuckschatullen.

Noch kräftigeres Zittern.

Ich setzte meinen Weg fort, bog nochmals ab, als ich ruckartig Halt machte. Zwei bekannte Stimmen drangen aus dem nächsten Gang. Eine hörbar aufgeregt im zischenden Ton, die andere ruhig, aber belehrend.

„Sie ist es, das ist doch offensichtlich. Sehen Sie sie doch an! Sie ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Und wir beide wissen nur allzu genau, dass sie eine kleine Tochter hatte!" knurrte Sirius.

„Sie ist tot. Sie beide sind es, Sirius." erwiderte Dumbledore im sanften Tonfall.

Eine kurze Pause folgte.

„Denken Sie wirklich, dass das alles ein Zufall sei? Selbst das Bild meiner abscheulichen Mutter hat sie erkannt. Zuerst kommt sie wie aus dem Nichts und dann ---"

„Sirius, ihre Leichen wurden damals gefunden. Beide. Man hat sie ohne Platz für Zweifel identifiziert. Ich habe sie selbst mit eigenen Augen gesehen. Wollen Sie mir weiß machen, dass sie von den Toten zurückgekehrt ist?" versuchte Dumbledore ihn zu beschwichtigen.

„Sie muss es sein..." zischte er.

„Denken Sie, er hätte Sie nicht längst geholt, wenn dem so wäre?"

„Was, wenn er dahintersteckt? Sie haben es damals selbst --."

„Sollten Sie Hoffnung haben, dass sie noch am Leben ist, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Sie einem Geist hinterherjagen, Sirius."

Das Gespräch schien beendet. Leise Schritte, die in den Gängen versiegten, bis sich eine ungewöhnliche Art von Stille über das Haus legte.

Wie in Trance sank ich auf den Boden, zog meine Beine eng an meinen Oberkörper, während ich mir das makellose Schriftstück ein weiteres Mal vor Augen führte. Die Nachricht darauf war verschwunden, so wie auch schon damals in meinem Zimmer. Mein Atem ging flach. Eine Haarsträhne kitzelte an meiner Nase.

Von wem auch immer sie gesprochen hatten, er hatte mich schon längst gefunden. Hatte er von Anfang an. Er war nie fort gewesen.

Und er hatte Recht gehabt, ich konnte niemandem hier vertrauen.

Doch konnte ich ihm vertrauen?

Mein Kopf hob sich an, meine eisblauen Augen starrten ins Nichts.

Ich musste ihn finden. Er war mein einziger Anhaltspunkt. Der Schlüssel zu meiner Vergangenheit und womöglich auch zu meiner Zukunft. 

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