Kapitel 42 - A silent Guard


Schwermütig stützte ich meinen Kopf in meiner Hand ab, ließ meinen Blick über die dicht beschriebenen Zeilen des Zaubertrankbuches schweifen, ohne Notiz von den Worten zu nehmen. Die Nase rümpfend, als mich ein Haar daran unangenehm kitzelte, entwich mir unweigerlich ein langer Seufzer. Das Licht fiel angenehm durch das große Fenster in der Bibliothek, erleuchtete den Lernplatz optimal, doch nichts davon trug dazu bei, mich nun endlich auf die Unmengen an Prüfungsstoff zu fokussieren.

Hermine ließ ihr Buch vor ihrem Gesicht leicht sinken und lugte über den Rand hinweg in meine Richtung. „Was ist los? Du bist heute bereits den gesamten Nachmittag nicht bei der Sache. Dabei drängt die Zeit."

Mein Blick suchte den ihren und für den Bruchteil einer Sekunde fühlte ich, wie ich mich über ihre Worte ärgerte, weil sie mir damit einmal mehr verdeutlichte, wie nah die Prüfungen inzwischen bereits angerückt waren. Auch in der Bibliothek tummelten sich die Schüler. Kaum ein Tisch war nicht besetzt und kaum jemand befand sich bei diesem herrlichen Wetter draußen auf den Geländern Hogwarts'.

„Naja, es ist... wegen dieser einen Sache die mir Harry erzählt hat. Du weißt schon..." murmelte ich mit gesenkter Stimme. Zum Glück waren zwei Regalreihen vor und hinter uns keine weiteren Tische aufgestellt, sodass wir nicht unbedingt befürchten mussten von anderen büffelnden Schülern belauscht zu werden.

Hermine nickte. Sie wusste natürlich sofort, dass ich über das Verschwinden von Mr. Crouch, sowie über Karkaroff und Snape sprach. Darüber, dass Harry herausgefunden hatte, dass letztere Todesser gewesen waren. Besonders Karkaroff bereitete mir Magenschmerzen und das trimagische Turnier rückte in unmittelbare Nähe, während es in Hogwarts nicht sicher zu sein schien. All das überschlug sich in meinem Kopf und hielt keinen Platz für Vielsafttränke und Bezoare frei. Im selben Moment fragte ich mich, wie Hermine es schaffte all diese Dinge beiseitezuschieben und so gelassen zu lernen. Nun gut, sie war auch nicht diejenige gewesen, die von Karkaroff am eigenen Leib bedroht worden war und ebenso wenig wusste sie über diesen Vorfall Bescheid. Mich hingegen beunruhigte es zutiefst, dass es nun feststand, dass Karkaroff einst ein Todesser gewesen war und es ihn anscheinend zunehmend nervöser machte, dass Voldemort stärker wurde. Denn das bedeutete, dass er ebenso unberechenbarer werden konnte. Auch damals, als er mir gedroht hatte, hatte man es so klar und deutlich sehen können: Er fühlte sich in die Ecke gedrängt und das war es, was ihn nun umso gefährlicher machte.

„Solange Dumbledore in Hogwarts ist, haben wir nichts zu befürchten, Alicia."

„Dumbledore war in Hogwarts, als Mr. Crouch verschwunden ist, Hermine." brummte ich. „Irgendetwas stimmt hier nicht und du hast es doch selbst von Harry gehört... ER wird stärker."

Kurzzeitig wurde es ruhig zwischen uns und Hermine wandte ihren Blick von mir ab.

„Ich weiß." meinte sie nach einer Weile. „Ich meine bloß, dass wir uns nun auf unsere Prüfungen konzentrieren sollten. Es gibt nichts, was wir momentan tun könnten, außer wachsam zu sein. Dein viertes Jahr an Hogwarts zu wiederholen, würde nichts hier an Hogwarts sicherer machen."

Erst jetzt bemerkte ich, dass sich meine Schultern angezogen hatten, etwas beleidigt über ihre Worte. Doch dann ließ ich sie langsam wieder sinken und holte tief Luft. „Du hast Recht." Selbst wenn mir der Gedanke nicht gefiel. Hier konnte ich wohl kaum etwas ausrichten und anstatt meine Prüfungen zu versemmeln, war es eine bessere Idee Augen und Ohren steif zu halten.

„Schnapp etwas frische Luft oder mach einen kurzen Spaziergang durchs Schloss, um den Kopf etwas freizubekommen, Alicia. Das bewirkt manchmal Wunder. Ich warte solange hier auf dich, in Ordnung?" sagte Hermine.

Irgendwie wollte ich nicht noch ein zweites Mal aussprechen müssen, dass sie recht hatte, also nickte ich bloß und murmelte ein leises „In Ordnung.".

Unter dem hereinfallenden Licht sah man ganz besonders die Abnutzungen meines Buches, als ich es zuschlug und vor mir ablegte. Abgenutzte Ecken, Seiten, über die ausgesprochen oft geblättert worden war. Zügig erhob ich mich und ließ Regal nach Regal hinter mir. Einige davon wirkten leerer als sonst. Als ich mich dem Ausgang näherte, der hinaus auf die Flure des vierten Stocks führte, spürte ich einen stechenden Blick auf mir ruhen. Marietta Edgecombe. Sie saß direkt in der Ecke gegenüber dem Ausgang, gemeinsam mit zwei weiteren Ravenclaw Mädchen, deren Namen ich nicht kannte. Edgecombe war die beste Freundin von Cho Chang und ich konnte mich noch sehr gut daran erinnern, wie sie mich angesehen hatte, nachdem bekannt geworden war, dass Cedric und ich miteinander ausgingen.

Als ich ihren Blick erwiderte, blähten sich ihre Nasenflügel auf. Die Feindseligkeit, die sich in ihren grünen Augen spiegelte, verschaffte mir ein ungutes Gefühl. Sie wirkte, als würde sie innerlich brodeln. Um ehrlich zu sein, kannte ich sie nicht, doch ich hatte den Eindruck, dass sie sich mehr für mich interessierte, als mir lieb war.

Eilig wandte ich mich ab, ließ die Bibliothek hinter mir und fühlte mich schlagartig etwas besser, als ich die gewohnte Kälte der Flure auf meiner Haut spürte.

Wann immer ich mit Hermine lernte, fühlte ich mich etwas mehr unter Druck gesetzt als ansonsten. Zum einen war es für mich eine gute Option, um etwas schneller und intensiver zu lernen, doch zum anderen fühlte ich mich an Tagen wie diesen, als würde mir alles über den Kopf wachsen. Mit jemandem zu lernen, bei dem man immer das Gefühl hatte, man selbst wüsste nicht halb so viel, war nicht immer einfach. Vor allem, wenn die Zeit knapp war.

Ich streckte meine rechte Hand aus, legte meine Finger an die raue, kühle Steinwand, ließ sie darüber gleiten, während ich langsam den Flur entlang schritt. Das massive Gestein fühlte sich so vertraut und wohltuend unter meinen Fingerkuppen an. Meine Gedanken wanderten zu Cedric und ich fragte mich, woran er wohl in diesem Augenblick denken mochte. Heute Nachmittag verbrachte er damit für das trimagische Turnier zu üben. Noch immer bewunderte ich ihn dafür, wie er es schaffte alles zu meistern: Das Turnier, die Prüfungen... Er wirkte, als hätte er alles bestens im Griff. Nichts konnte ihn aus der Fassung bringen. Ein Boot, das nicht kentern konnte und jedem Sturm trotzte. Manchmal fragte ich mich, wie er das machte. So ruhig zu bleiben, stets einen kühlen Kopf bewahrend, obwohl so viele Dinge um ihn herum geschahen.

Mein Brustkorb hob sich stark an, als seine Worte von heute Morgen unweigerlich in meinem Ohr hallten, als stünde er in diesem Moment genau neben mir. Es hatte keine zwei Minuten gebraucht, bis er erkannt hatte, dass mich etwas beschäftigte, obwohl ich mir größte Mühe gegeben hatte, es zu verbergen.

„Was ist los?" hatte er gefragt, hatte mich in der Eingangshalle in eine Seitennische gezogen und mich mit besorgtem Blick gemustert. Es war schon seltsam, welch mächtige Wirkung ein einziger Blick auf einen haben konnte. So hatte ich es nicht über mich gebracht ihm standzuhalten, sondern stattdessen meine Arme um meinen Körper geschlungen, als wäre mir kalt, meine Lieder ausweichend zu Boden gesenkt. Das Letzte, das ich wollte, war ihn zu beunruhigen, jetzt, wo er selbst mehr als genug zu tun hatte und die dritte Aufgabe des trimagischen Turniers bald schon stattfinden würde.

„Du kannst mit mir über alles reden, Alicia." hatte er hinzugefügt und seine Worte waren so sanft und voller Fürsorge ausgesprochen gewesen, dass ich kräftig die Luft einziehen musste. Dann hatte ich ihm alles erzählt. Alles, was ich von Harry erfahren hatte. Cedric war die ganze Zeit über stumm gegenüber von mir gestanden, hatte aufmerksam meinen Worten gelauscht, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Nachdem ich geendet hatte, hatte ich ihn mit großen Augen betrachtete, fühlte mich schuldig, weil ich ihn mit all diesen Dingen belastete. Dann, völlig unerwartet hatte sich ein warmes Lächeln auf seine Lippen geschlängelt und ich hatte die Welt nicht mehr verstanden. Wie konnte er nach solchen Neuigkeiten lächeln? Hatte er keine Angst? Ein trimagischer Champion war angegriffen worden, Crouch war verschwunden und hier an Hogwarts hielten sich ehemalige Todesser auf! Plötzlich zog er mich an sich, schlang seine Körper schützend um mich, sein Kinn sanft auf meinem Kopf abgelegt. „Ich werde nicht zulassen, dass Karkaroff auch nur in deine Nähe kommt, Alicia."

Und in jenem Moment hatte ich mich so gut und doch zugleich so unsagbar schwer gefühlt. Es ging hier doch gar nicht um mich! Er sollte sich doch keine Sorgen um mich machen. Er war es, der womöglich in Gefahr schwebte.

Mein Kopf schellte hoch, all jene Gedanken waren innerhalb eines Sekundenbruchteils abgeschüttelt, als ich das leise Geräusch von Schritten hinter mir wahrnehmen konnte. Ruckartig drehte ich mich um, meine rechte Hand in meiner Umhangtasche, die das weiche Holz meines Zauberstabs fühlte. Doch der Flur war leergefegt, niemand sonst war hier. Vielleicht wurde ich einfach paranoid, steigerte mich zu sehr in all das hier hinein. Würde Karkaroff es wagen, mich hier in Hogwarts womöglich erneut zu bedrohen? Beziehungsweise seine Drohung wahrzumachen? Hier? Gleich neben Dumbledore und dutzenden anderen Lehrern? Wohl eher nicht, hoffte ich zumindest. Damals, als ich die Spitze seines Zauberstabs in meinem Hals verspürt hatte, hatte ich mich fernab dieser mächtigen Gemäuer, am Rande Hogsmeades befunden. Hermine hatte Recht. Sie musste Recht haben. Hier in Hogwarts war ich sicher... nicht wahr?

Doch da war noch ein anderer Gedanke: Die magische Welt schien so viel mehr Gefahren bereit zu halten als jene, die ich kannte... und ich wusste nicht, was mich womöglich erwarten würde. Wie sollte ich mich dafür wappnen? Wie sollte ich mich zu verteidigen wissen, wenn ich nicht wusste, wer genau der Feind war? Oder wenn... wenn ich womöglich keine Kontrolle über meine Magie hatte? Meine Hand in meiner Umhangtasche verkrampfte sich, als ich an die Begegnung mit Draco unten in den Kerkern dachte. Es war so einfach für ihn gewesen mich zu überrumpeln und mich wehrlos gegen die Wand zu pressen. Ein einziger unachtsamer Moment und alles könnte vorbei sein. Vielleicht hatte Malfoy tatsächlich recht und ich war nicht annähernd so besonders, wie manche wohl glauben mochten. Meine Magie mochte wohl ausgereift sein, in Anbetracht dessen, dass dieses Jahr mein erstes an Hogwarts war. Doch vermutlich auch nur aus dem banalen Grund, weil es bereits Erinnerungen an all das Gelernte gab, doch ich sie nur nicht aktiv abrufen konnte. War ich denn wirklich talentiert, so wie Moody sagte? Oder war es lediglich den Umständen geschuldet? Unkontrollierte Magie mochte wohl stark sein, doch sie war nutzlos, solange man sie nicht beherrschen konnte. Und gefährlich.

Ich machte Halt. Da war ich also angelangt. An jenem Ort, an dem ich mich früher stets mit Poliakoff zum Lernen verabredet hatte. Wie auch sonst lag er still. Doch der Schein trog... mein Bauchgefühl nicht.

Mit Schwung drehte ich mich um. Noch ehe sich unsere Blicke getroffen hatten, wusste ich bereits, um wen es sich bei meinem Verfolger handelte. Jedenfalls nicht Karkaroff. Das zornige Gesicht von Marietta Edgecombe starrte mir entgegen. Ihre Schultern hoben sich ein Stück weit an, als wir einander ansahen und ihre Nasenflügel plusterten abermals sich auf, als sie tief die Luft einzog.

„Warum bist du mir gefolgt?" fragte ich so ruhig wie möglich, strich mir mein blondes Haar, das mir bei der raschen Umdrehung ins Gesicht geflogen war, zurück hinter mein Ohr. Diese Feindseligkeit, die sich mir bei ihrem Anblick bot und mir so klar und deutlich entgegenschlug, bereitete mir ein mulmiges Gefühl.

„Kannst du dir das nicht denken, Hastings?" fragte sie mich bissig und ihre Augen verengten sich.

Natürlich wusste ich es auf eine Art und Weise. Marietta Edgecombe war Cho Changs beste Freundin... und ihre Blicke, insbesondere in der großen Halle damals, hatten mehr als tausend Worte gesprochen. Es war nicht zu übersehen gewesen, wie sehr sie mich verabscheute, als bekannt geworden war, dass Cedric und ich miteinander ausgingen und Cho daraufhin in Tränen ausgebrochen war. Und das Schlimmste von all dem war, dass ich sie sogar ein klein wenig verstand. Für sie musste es so wirken, als hätte ich Cedric Cho ausgespannt, als wäre das Unglück und Leid ihrer besten Freundin meine Schuld.

Zudem hatte ich nicht vergessen, dass sie mir damals ebenso einen Klebefluch auf meine Schulbücher gelegt hatte und ich dazu gezwungen gewesen war, den Krankenflügel aufzusuchen, um die Bücher wieder abzubekommen.

„Was willst du, Marietta?" fragte ich, presste meine Lippen aufeinander und befeuchtete sie dabei mit meiner Zunge. Meine Hand hatte ich in meiner Umhangtasche, meinen Zauberstab umfasst.

„Was ich möchte?" wiederholte die Ravenclaw spöttisch. „Ich möchte, dass du weißt, was man über dich denkt, Hastings." Sie kam einen kleinen Schritt weit auf mich zu. „Dass du ein verlogenes Miststück bist, das ihre Hände nicht bei sich behalten kann. Ein kleines Flittchen, das anderen den Freund ausspannt."

„Cho war nie mit Cedric zusam---."

„Halt deine Klappe, Hastings!" fuhr sie mich an und kam wieder ein Stück weit näher. „Sie waren kurz davor, haben Wochen lang Briefe über die Sommerferien geschrieben. Cho war so glücklich. Und dann..." sie machte eine kurze Pause und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „... kamst du. Einfach aus dem Nichts, wegen eines verschwundenen Briefes. Was findet Cedric Diggory an dir?" Den letzten Satz hätte sie nicht abfälliger klingen lassen können und im selben Moment fühlte ich, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Aber nicht vor Scham, sondern vor Wut. „Du bist nicht einmal halb so hübsch wie Cho und außerdem eine... eine Slytherin." Sie schnaubte.

„Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kram!" presste ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Sag du mir nicht, was ich zu tun habe!" fauchte sie mich an. „Ausgerechnet von DIR lass ich mir bestimmt nichts sagen!"

Meine Hände begannen zu kribbeln und Hitze breitete sich in meinem Körper aus.

„Hast du nichts Besseres zu tun?" brummte ich gedämpft und ich musste mich zurückhalten, konnte fühlen, wie ein gefährliches Feuer, bestehend aus Zorn und Frustration, Besitz von mir ergriff.

Sie runzelte die Stirn. „Du kapierst es nicht, oder? Du gehörst nicht hierher. Du bist keine von uns. Niemand möchte ein verlogenes Miststück, das nur Probleme bereitet, hier behalten. Ein Wunder, dass dich Dumbledore nicht schon von der Schule geworfen hat, nach allem, was du dir bereits erlaubt hast." Jeder Faser ihres Körpers war zu entnehmen, welche Abneigung sie gegen mich empfand.

„Schön. Deine Meinung interessiert mich aber nicht, falls du es noch nicht bemerkt hast!"

Ihr Blick sprühte Funken. „Na dann hast du bestimmt kein Problem damit, jetzt Bescheid zu wissen. Und solltest du Cho auch nur noch einmal, egal auf welche Art und Weise, wehtun, dann hast du es nicht nur mit mir zu tun, Hastings. Das verspreche ich dir." Die Ravenclaw warf mir noch einen weiteren finsteren Blick zu, als sie gerade dabei war, kehrt zu machen.

Meine Schultern verkrampften sich und als ich meine Stimme erhob, hätten meine Worte nicht abfälliger klingen können. „Kein Wunder, dass Cedric kein Interesse an Cho hat, wenn sie sich mit Leuten wie dir abgibt."

Auf einmal, schneller als ich begriff, was vor sich ging, hatte sich Marietta wieder zu mir umgedreht. In der nächsten Sekunde befand ich mich inmitten eines wilden Handgemenges. Sie griff mir mit einer Hand ins Gesicht, mit der anderen zog sie an meinem blonden Haar. Erschrocken japste ich auf, versuchte mit aller Mühe sie von mir wegzudrücken und ihr Handgelenk zu fassen zu bekommen. Ein wütendes Stöhnen drang an mein Ohr, nicht sicher, ob es sich dabei um mein eigenes oder das von Marietta handelte. Mit ihren Fingernägeln kratzte sie mich an meiner Wange, während ich ihr mit meinem Ellbogen einen Schlag in die Rippen versetzte.

„Es wäre besser gewesen, dein Brief wäre nie aufgetaucht und du hättest nie an Hogwarts existiert!" hörte ich sie schmerzerfüllt hervorstoßen.

„Nimm das zurück!"

Plötzlich ließ sie von mir ab und das Handgemenge war genauso schnell wieder vorbei, wie es begonnen hatte. Die Spitze meines Zauberstabes befand sich direkt unter ihrem Kinn, während mir blonde Strähnen ins Gesicht hingen und der Rest meiner Haare wohl wie ein Vogelnest aussehen musste.

„Was hast du vor, Hastings? Bist du jetzt schon völlig übergeschnappt?" fuhr sie mich an. Ihre Augen waren auf die Größe eines Apfels angeschwollen.

„Wer hier von uns beiden übergeschnappt ist." keuchte ich.

„Nimm deinen Zauberstab runter!" Sie klang fast schon hysterisch und in ihrem Blick glitzerte der leichte Anflug von Panik.

Langsam ließ ich ihn ein Stück weit sinken, während Marietta eilig einige Schritte rückwärts stolperte. Doch dann machte die Ravenclaw eine rasche Bewegung und einen Wimpernschlag später hatte sie ihren eigenen Zauberstab auf mich gerichtet.

„Du bist irre, Hastings!" zischte sie, doch ihre Stimme flatterte nervös.

Mein Brustkorb hob und senkte sich stark bei jedem Atemzug. Das Brennen auf meiner Wange wurde stärker. „Ich? Du hast mich angegriffen!"

Sie trat einen weiteren Schritt von mir zurück, jedoch ohne mich eine einzige Sekunde lang aus den Augen zu lassen. „Eine Schande, dass du dich jetzt nicht sehen kannst. Wie eine Irre. Eine Verrückte! Glaubst du, Cedric würde dich noch immer mögen, wenn er dich jetzt so sehen würde, Hastings?"

Mein Mund wurde ganz trocken, meine Augen weiteten sich ein Stück weit und ohne es zu bemerken, ließ ich meine Hand mit meinem Zauberstab zur Seite gleiten, als dieser Gedanke bei mir wie ein Komet einschlug und eine grobe Erschütterung hinterließ.

„Hab' ich's mir doch gedacht." spottete sie und in diesem Moment konnte ich es fühlen. Ich konnte fühlen, wie meine Finger zu kribbeln begannen, wie ich das Bedürfnis verspürte meinen Zauberstab anzuheben und sie für ihre Worte büßen zu lassen. Ich konnte es spüren, so deutlich... das Gefühl, ihr wehtun zu wollen.

Ich war kurz davor es geschehen zu lassen, als mich ein schneller Schatten an der Wand hinter Marietta blinzeln ließ. Im nächsten Moment erkannte ich das Gesicht von Poliakoff, der der Ravenclaw mit einer so gezielten und raschen Bewegung den Stab abgenommen und ihren Arm hinter ihrem Rücken fixiert hatte, dass weder ich noch sie es hatte kommen sehen.

Sie stöhnte überrascht und erschrocken auf. „Spinnst du? Lass mich los! Wer bist du? Was soll das?" tobte sie. „Sie ist diejenige, die man festhalten sollte!" Dabei deutete sie mit ihrem Kinn auf mich, während sie vergebens versuchte, sich aus Poliakoffs Griff zu befreien. Dem Russen hingegen konnte man nicht die leiseste Spur von Mühe gegen ihre Protestversuche aberkennen. Stattdessen beugte er sich leicht nach vor, sodass sich seine Lippen beinahe an ihrem Ohr befanden.

„Nichts macht einen Menschen hässlicher als der eigene Charakter." Poliakoffs Worte waren leise ausgesprochen, doch sie ließen Marietta für einen kurzen Augenblick zu Eis erstarren. Dann ließ er sie mit einem Ruck los, sodass sie nach vor stolperte. Fassungslos blickte sie ihn an, mit offener Kinnlade, geballten Fäusten, während ihr Körper vor Zorn bebte.

Dann streckte er seinen Arm aus und die Ravenclaw zuckte heftig zusammen, bevor sie erkannte, dass er ihr ihren Zauberstab reichte. Noch ein letztes Mal warf sie mir einen Blick zu, der mir eine Gänsehaut verschaffte, bevor sie ihm förmlich den Stab aus der Hand riss und dann mit möglichst großem Abstand an Poliakoff vorbeiging.

„Ihre beide seid Irre!" zischte sie, bevor kaum eine Sekunde später ihre schnellen Schritte, die nahezu im Lauftempo gingen, im hinteren Flur wiederhallten und wenig später verstummten. Erst dann drehte sich Poliakoff in meine Richtung, beide seiner Hände – wie gewohnt - hinter seinem Rücken verschränkt. Langsam ging ich auf ihn zu und ein seltsames Gefühl packte mich, als ich ihn nach so langer Zeit wieder vor mir stehen sah. Wie lange war es her, seitdem wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten? Doch vor allem... wie lange war es her, dass wir uns beide an diesem Ort befanden?

„Danke." säuselte ich. Noch immer überwältigt von diesem unerwarteten Zusammentreffen. Langsam abschwellende Wut durchrieselte meinen Körper, gepaart mit so vielen anderen Gefühlen, dass ich sie nicht an einer Hand hätte abzählen können. Er blickte mich bloß an, blieb an Ort und Stelle stehen. So steif wie eine Statue.

Als er nichts sagte, räusperte ich mich. „Und ich dachte, die fiesesten Personen würden sich in Slytherin befinden." fügte ich hinzu, ein angedeutetes Lächeln auf den Lippen tragend.

Poliakoff sah mich an. „Sie sind überall." sagte er mit seinem russischen Akzent. „Egal in welchem Haus, egal auf welcher Zaubererschule und egal auf welcher Seite."

Kurz verstummte ich mit ihm, spürte einen leichten Luftzug von dem Fenster hinter mir, bevor ich tief einatmete, ehe ich darauf etwas erwiderte, meine Gedanken nun endlich etwas geordnet. „Das hättest du nicht tun sollen. Sie wird herumerzählen, dass du mir geholfen hast, und dann wird Karkaroff davon erfahren."

„Darum bin ich hier."

Verblüfft runzelte ich die Stirn.

„Wegen Karkaroff." fügte er hinzu. „Ich bin gekommen, um dich zu warnen, Alicia." Er trat einen Schritt näher, stand nun direkt im Licht, das durch das große Fenster hereinfiel und die Umgebung so angenehm hell machte. Seine dunklen Augen funkelten. „Er verhält sich eigenartig. Etwas scheint ihn zunehmend zu beunruhigen. Ich denke, er plant zu fliehen."

Das Gespräch zwischen Karkaroff und Snape auf dem Weihnachtsball dröhnte in meinen Ohren.

„Severus, du kannst nicht so tun, als würde es nicht wieder geschehen. Schon seit Monaten, wird es immer deutlicher. Allmählich mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass--"

„Dann flieh."

„Du täuscht mich nicht, Severus. Du hast Angst, ist es nicht so?"

„Ich habe nichts zu befürchten, Igor. Kannst du dasselbe von dir behaupten?"

Ein Kloß sammelte sich in meinem Hals „Wieso sollte er das tun?" brach es daraufhin aus mir hervor. Tausende Gedanken stürzten über mich herein, wie ein Wasserschwall, der mich in einen gefährlichen Strudel riss. Harry hatte mit allem Recht behalten. Zwar hatte ich nie an der Wahrheit seiner Worte gezweifelt, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich so schnell bestätigen würden. Etwas ging hier vor sich...

Poliakoffs Gesichtszüge verrieten genauso wenig wie seine folgenden Worte. „Ich weiß es nicht. Entweder er plant etwas, oder etwas Anderes ist im Gange. Doch er ist nicht mehr er selbst. Nicht mehr der Schulleiter, den ich kenne. Du solltest vorsichtig sein, Alicia."

An seiner Tonlage bemerkte ich, dass das sein Abschied gewesen war, was sich kaum eine Sekunde später bestätigte, indem er sich umdrehte und davonschreiten wollte.

„Warte!" rief ich ihm hinterher. „Was ist mit dir?"

Er machte abrupt halt, sah über seine Schulter zurück zu mir und als sich unsere Blicke trafen und die Sonnenstrahlen gerade noch eine Gesichtshälfte erhellten, konnte ich erkennen, dass seine Züge kurzzeitig etwas an gewohnter Undurchsichtigkeit und Härte verloren. Für einen kurzen Moment standen wir so da, an unserem Platz, an dem wir so viel Zeit miteinander verbracht hatten und es fühlte sich so an, als hätte sich nichts geändert.

„Hör nicht auf dieses Mädchen. Ich habe viele schlechte Menschen gesehen, Alicia." sagte er, etwas in seinen Augen blitzte auf. „Du bist keiner davon."

Dann ging er.

Nachdem er verschwunden und die Laute seiner Schritte verebbt waren, näherte ich mich dem Fenster, ließ meinen Blick über die Geländer Hogwarts' streifen, beobachtete vorbeiziehende Vögel und genoss die warmen Sonnenstrahlen, die auf meiner Nase kribbelte. Als ich anschließend in die Bibliothek zurückkehrte, waren Mariettas Lernsachen verschwunden und ihr Lernplatz, genauso wie der ihrer Freundinnen zeigte keine Hinweise davon, dass sie überhaupt einmal hier gewesen war. Hermine begrüßte mich nichtsahnend mit einem „Hier, ich habe eine kurze Zusammenfassung verfasst." und schob eine vollgeschriebene Seite über die Herstellung von Schrumpftränken über den Tisch in meine Richtung.

Da saß ich nun, in der Bibliothek, meine Nase tief in Lehrbücher vergraben. Stunde um Stunde verging, in denen ich mir bestmöglich Wissen für die bevorstehenden Prüfungen anhäufte. Nach dieser eher aufwühlenden Pause schaffte ich es dennoch, mich zumindest zum Großteil der Zeit zu fokussieren. Doch wann immer ich kurzzeitig abdriftete, und obwohl mir Poliakoffs Worte wie eine schöne, wohlwollende Melodie im Ohr lagen, war es stets dasselbe, was mir durch den Kopf ging und sich einfach nicht stummschalten ließ:

Der Gedanke, ob mich Cedric wirklich noch genauso gerne haben würde, hätte er mich heute so gesehen.

War ich denn gut genug für ihn? 

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