Kapitel 35 - Devil may care
„Es ist schlimmer als wir befürchtet hatten, nicht wahr, Severus?"
Dumbledores Stimme war von Besorgnis durchtränkt, während er mit zwei zügigen Schritten zu seinem Denkarium eilte. Der Schulleiter von Hogwarts beugte sich über die große, flache Steinschale und schien darin ins Nichts zu blicken. So als würde er vergeblich versuchen an etwas darin festzuhalten. Ein zartes, harmonisches Gesicht kam wenige Sekunden später zum Vorschein. Severus musste nicht näher hinsehen, um zu wissen, um wen es sich dabei handelte. Zu oft sah er es selbst in seinen Erinnerungen.
„Ja..." bestätigte Severus in leisem Tonfall „...aber ihre Beherrschung hat sich verbessert. Moody sollte den Unterricht bei ihr fortsetzen. Sie hat gute Chancen eines Tages --"
„Eines Tages zu erfahren, dass nichts so ist, wie es scheint?"
In Dumbledores Büro wurde es augenblicklich mucksmäuschen still. Jeder schwelgte in seinen Gedanken, dachte über das Vorgefallene nach und war darauf bedacht, irgendwie eine Lösung und vor allem eine Erklärung für all diese Ereignisse zu finden. Erst Fawkes, der seine Flügel weit ausbreitete und ein unruhiges Gekreische von sich gab, erweckte die beiden Männer wieder zum Leben.
Im Büro des Schulleiters sah es etwas unordentlicher als gewöhnlich aus. Es waren nur Kleinigkeiten, wie Pergamente, die nicht in geordneter Lage vorzufinden waren. Oder die leere Schüssel, welche ansonsten immer vor Zitronenbonbons überzugehen schien, die diese eigenartigen Veränderungen hervorriefen.
„Sind Sie denn sicher, dass es sich----" setzte Snape an, doch der Schulleiter kam ihm mit einem kurzen, aber eindringlichen Nicken zuvor.
„Inzwischen habe ich fast keine Zweifel mehr. Es wäre fahrlässig von uns zu denken, dass es einen anderen Grund dafür geben könnte."
Kurzzeitig legte sich Schweigen über die beiden. Keiner von ihnen bewegte sich, doch nur Snape wirkte wie eine gemeißelte Statue, die keinerlei Gefühlsregungen zeigte. Dumbledore hingegen schien angespannt, gar etwas besorgt zu sein. Seine alten blauen Augen waren trübe.
„Sie haben den Sarg gesehen. Die Leiche des Mädchens..."
„Ich habe sie gesehen." Dumbledore blickte hoch." Genauso, wie Sie sie und jeder andere gesehen haben." Sein langer, grauer Bart spiegelte sich nunmehr an der glatten Oberfläche des Denkariums.
„Denken Sie, dass Aracus Derwent irgendetwas damit zu tun hat?" Die Stimme des Zaubertrankprofessors war kühl.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, Severus. Möglich wäre es, doch weshalb sollte er sein eigenes Gedächtnis löschen und sich solch einer Gefahr aussetzen?" Snape folgte Dumbledore ruhig mit seinem Blick, als dieser nachdenklich hinter seinem Schreibtisch auf und ab schritt. „Der Zeitpunkt, an dem der Brief aufgetaucht ist, die seltsamen Vorfälle..."
Dumbledore drehte sich so ruckartig um, dass Fawkes in Form von wildem Flügelschlagen aufschreckte. Sie sahen einander an und wussten augenblicklich, dass sie den gleichen Gedanken verfolgten. Die gleiche Geschichte. Das gleiche Schicksal.
„Nein..." sagte Dumbledore und die Worte kamen ihm dabei unbeabsichtigt wie ein leises, heiseres Flüstern über die Lippen, während er leicht seinen Kopf hin und her wog und dabei zeitgleich die Frage beantwortete, die beiden so schwer auf der Zunge gelegen hatte.
„Was, wenn doch?" setzte Snape an und sah den alten Zauberer eindringlich an.
„Das ist nicht möglich, Severus. Das wissen wir beide. Die Vergangenheit muss ruhen. Ein für alle Mal!"
*****
"Hast du Angst?" Ich lehnte an der Steinmauer, meine Hände hinter meinem Rücken verschränkt. Lautes Eulengekreische machte es Harry und mir beinahe unmöglich sich in normaler Lautstärke zu unterhalten. Obwohl meine Worte gerade eben nicht sehr viel lauter als ein starkes Flüstern gewesen war, hatte Harry sie zur Kenntnis genommen und sah mich nun mit gemischten Gefühlen an. Den gesamten Vormittag hatten wir zu viert damit verbracht, unsere Hausaufgaben zu erledigen und hin und wieder war dabei eine hitzige Diskussion über mein Duell mit Flitwick und Snape entbrannt. Während Hermine darüber empört war und noch immer nicht glauben konnte, dass ich es irgendwie geschafft hatte Flitwick zu entwaffnen, war Ron davon begeistert und hatte in all den Monaten, in denen wir nun bereits so halb im Zwiespalt über den jeweils anderen lebten, erstmals wieder etwas Freundlichkeit und Begeisterung mir gegenüber gezeigt. Nachdem mir all die Erklärungen samt Hausaufgaben zu viel geworden waren, hatten Harry und ich uns dazu entschlossen für heute aufzuhören. Die Richtung war nicht von mir bestimmt geworden, ganz im Gegenteil. Harry war sogleich losgestürmt und ich ihm wie ein Entenküken hinterher gewatschelt. Ich wusste nicht weshalb, doch gelandet waren wir in der Eulerei und somit standen wir nun schon geschlagene 20 Minuten hier herum, in denen er die ganze Zeit über aus dem Fenster nach draußen starrte, so als würde er vergebens darauf warten, dass Hedwig zurückkommen würde, welch wichtige Post auch immer er erwarten mochte.
Mittlerweile war ich tierisch genervt von all dem lauten Vogelgekreische, mal abgesehen davon, dass Harry nicht wirklich viel gesprochen hatte, seitdem wir hier waren. Aber da war dieses Funkeln in seinen Augen, das ich nur allzu gut kannte. In meinem Fall war es der Brief meiner Eltern gewesen, auf den ich damals, nachdem mich Igor Karkaroff bedroht hatte, sehnlichst gewartet hatte. Meine Eltern fehlten mir. Ich vermisste sie unheimlich. Ihr Lachen, die Flachwitze meines Vaters, das Gefühl, wenn mich meine Mutter in den Arm nahm, wenn es mir schlecht ging. Rund 4 Monate waren vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Ich war es nicht gewohnt solange von ihnen getrennt zu sein und nur über Briefe zu kommunizieren. Vor allem deshalb, weil wir das letzte Mal im Streit auseinander gegangen waren. Inzwischen hatte sich alles wieder eingependelt. Ihre Briefe hatte ich allesamt beantwortet, ihnen geschrieben, dass ich ihnen verziehen hatte und es kaum erwarten konnte, sie wiederzusehen, wenngleich ich trotzdem Antworten auf so viele meiner Fragen haben wollte. In den letzten Wochen waren jedoch nicht viele Briefe zurückgekommen. Die beiden mussten bestimmt viel zu tun haben. Bestimmt... Außerdem war mein Dad noch immer kein Eulenfreund und anscheinend besaß er ein Talent dafür meine Eule Hallow solange zu provozieren, bis sie ohne eine Antwort wieder zu mir zurückkehrte. Gut, Hallow war vielleicht auch etwas eigen, wenn man sie nicht anständig mit Eulenkeksen versorgte, doch die beiden schienen sich wohl nicht sehr gut leiden zu können. Morgen begannen die Osterferien, dann würde ich sie wiedersehen und wir könnten über alles sprechen. Außerdem liebte ich meine Eltern. Sie würden nie etwas tun, das mich verletzen könnte.
Kurzzeitig dachte ich an Cedric, an unseren Kuss und gleichzeitig daran, dass mir allein das wackelige Knie und Schmetterlinge im Bauch bescherte. In den letzten Tagen hatten wir uns nicht sonderlich oft gesehen. Es war nicht so, dass wir uns gegenseitig aus dem Weg gehen würden, ganz und gar nicht, sondern einfach, dass wir wahnsinnig viel zu tun hatten. Ich wusste, dass bei ihm die Vorbereitungen für die 3. Aufgabe des trimagischen Turniers bereits im vollen Gange waren und dass er eine Menge übte und nebenbei auch noch lernen musste. Zweimal hatte er Daphne nach mir gefragt, doch wir hatten uns stets aus diversen, gar etwas banalen Gründen verpasst.
„Ja..." erwiderte Harry auf meine Frage hin und holte mich somit wieder endgültig in die Realität zurück. Er senkte für einen kurzen Moment seinen Blick, ehe er wieder nach draußen starrte.
„Egal, was im dritten Wettstreit des trimagischen Turniers auch auf dich zukommen mag, wir stehen alle hinter dir, Harry, vergiss das nicht." Ein feines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, ehe ich mich von der Wand abstieß und hinüber zu meiner Eule Hallow ging, die, im Gegensatz zum Rest, ziemlich still da saß und mich mit ihren großen, dunklen Augen musterte.
„Hast du zufällig ein paar Eulenkekse dabei?" fragte ich Harry, der mir daraufhin zunickte und sogleich danach in seiner Umhangtasche herumwühlte.
„Danke."
Sie waren ein klein wenig zerbröselt und machten den Eindruck, als hätte er sie bereits mehrere Wochen in seinem Umhang umhergetragen. Doch so wie ich Hallow kannte, würde er sie trotzdem gierig verschlingen. Vorsichtig legte ich die Kekse neben meiner Eule ab und zog sogleich meine Hand weg, denn das letzte Mal als ich ihm solche Leckereien überreicht hatte, hatten sich nicht die Kekse, sondern mein rechter Zeigefinger und Daumen in seinem Schnabel befunden und ich beabsichtigte nicht noch einmal als Vogeldessert enden. Außerdem lernte man aus Fehlern.
Wie erwartet krallte er sich sofort die Kekse, warf den Kopf in den Nacken und ließ einen nach dem anderen in seinem Rachen verschwinden. Im Anschluss breitete er seine Flügel aus und schlug einige Male aus, so als würde er mich auffordern, ihm noch mehr davon zu geben. Im sicheren Abstand zeigte ich ihm meine leeren Hände, woraufhin er seinen Kopf schräg legte und sich anschließend schmollend umdrehte, mit dem Kopf in Richtung Wand. Grinsend verdrehte ich die Augen. Ich hatte meine Eule eindeutig zu sehr verwöhnt... oder einfach die vorherigen Besitzer, wo auch immer er vor mir untergebracht gewesen war. Schließlich hatte ich Hallow am Anfang meines Sommers vom Ministerium geschenkt bekommen, kurz nachdem damals mein Brief dort aufgetaucht und ich über meine magischen Fähigkeiten in Kenntnis gesetzt worden war.
Langsam näherte ich mich Harry und das Stroh unter meinen Füßen knirschte bei jedem Schritt unangenehm. Als ich hinter ihm stand, blickte ich über seine Schulter hinweg ebenfalls nach draußen und erkannte Hagrids Hütte nahe dem verbotenen Wald. Draußen lag alles still. Kein einziger Schüler war zu sehen und selbst von Hagrid war weit und breit keine Spur.
„Harry? Es ist Zeit. Die anderen warten bestimmt schon auf uns." sprach ich vorsichtig aus.
„Können wir noch zwei Minuten bleiben?"
„Natürlich..." antwortete ich verständnisvoll „...auf wessen Post wartest du?"
Er drehte sich zu mir um und sah mich an, doch an seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er nicht sonderlich gewillt war etwas preiszugeben.
„Du musst es mir nicht sagen. Mir ist schon bewusst, dass ihr drei Geheimnisse vor mir habt und das ist auch okay so. Ich mache mir bloß Sorgen."
„Das hast du mitbekommen?"
„Ich bin nicht blind." Mir entwich ein amüsierter Seufzer. „Außerdem habe ich euch am letzten Hogsmeade Wochenende beobachtet, wie ihr in den Verbotenen Wald geschlichen seid."
Harry verstummte kurzzeitig, schien darüber nachzudenken, wie viel er nun, wo er enttarnt worden war, preisgeben sollte. „Tut mir leid. Ich will nicht, dass du dich ausgeschlossen fühlst. Aber je weniger du weißt, umso besser." antwortete er, wobei er sich schwer tat mir in die Augen zu sehen.
„Das tue ich nicht. Zumindest nicht immer." Dabei zuckte ich mit den Schultern. Selbstverständlich war es ab und zu unangenehm, wenn sie über irgendetwas tuschelten, was nicht für meine Ohren bestimmt war. Doch nach alldem, was die drei bereits gemeinsam durchgemacht hatten, waren sie bereits ein eingeschweißtes Team. Ich verstand mich gut mit Harry und auch mit Hermine, selbst wenn ich sie in letzter Zeit meist nur zum Lernen traf. Ron und ich hatten unsere Differenzen, besonders seit unserem Streit nach dem Weihnachtsball war unser Verhältnis etwas in Mitleidenschaft gezogen worden. Doch es war nicht so, dass ich ihn nicht leiden konnte. Vielleicht war es ja sogar besser von ihrer Geheimniskrämerei nicht allzu viel mitzubekommen, schließlich erzählte ich ihnen auch nicht alles. Außerdem – und das war es, was wirklich für mich zählte – wusste ich, dass Harry mir voll und ganz vertraute. Er war mein bester Freund. Man verstand sich auch ohne Worte, so wie es insbesondere auch zwischen Poliakoff und... Ich stieß die Luft laut durch die Nase aus. Poliakoff...
Er hatte Recht gehabt. Mit allem. Es war besser, dass wir momentan keinen Kontakt zueinander hatten, zu seiner eigenen Sicherheit. Wenn Karkaroff mir gegenüber bereits derart bedrohlich gegenübergetreten war, wollte ich nicht wissen, welche Methoden er es bei einem seiner eigenen Schüler anwenden würde. Bei dem Gedanken an sein Valentinstagskärtchen wurde mir ganz warm ums Herz. Ich vermisste ihn...
„Ich hoffe, Ron kommt irgendwann darüber hinweg, dass du eine Slytherin geworden bist. Weißt du, ich denke, er mochte dich gerne, als du in den Sommerferien bei ihnen gewohnt hast. Es war wohl irgendwie ein Schock für ihn, dass du dann in unser verfeindetes Haus gekommen bist." sagte Harry plötzlich aus dem Nichts, als hätte er einen Teil meiner Gedanken mitangehört.
„Das glaube ich eigentlich kaum. Wir hatten schon von Anfang an keinen sonderlichen Draht zueinander, verstehst du? Ich meine, wir haben uns trotzdem verstanden, den gesamten Sommer über, aber ich hatte nie das Gefühl, dass wir jemals sehr gute Freunde geworden wären."
„Gib ihm einfach ein wenig Zeit, Cici. Er wird sich schon einkriegen."
Ein Schmunzeln bildete sich kurzzeitig auf meinen Lippen, als er mich nach langer Zeit wieder mit seinem eigens kreierten Spitznamen für mich ansprach, den ich bereits längst wieder vergessen hatte. Nach wie vor war ich mir einig darüber, dass er ganz fürchterlich klang. Einerseits war er liebevoll und persönlich, andererseits hörte er sich ja doch so ein klein wenig kindisch an.
„Vielleicht, wer weiß." antwortete ich nicht ganz überzeugt. „Ich war nicht diejenige, die sich ihm gegenüber anders verhalten hat, nachdem ich nach Slytherin gekommen bin. Glaubt er denn wirklich, ein Haus macht so viel aus? Natürlich... Slytherin hat die meisten Schwarzmagier und Todesser in der Geschichte hervorgebracht. Aber das heißt nicht, dass wir alle gleich sind und außerdem haben das andere Häuser genauso."
Harry betrachtete mich stumm, gar etwas nachdenklich. „Du hast Recht." sagte er und nickte. „Ich halte dich nicht für einen schlechten Menschen, Alicia. Das weißt du."
„Ich weiß, Harry." Ein Lächeln schlängelte sich unweigerlich auf meine Lippen, seine Worte berührten mich irgendwie und außerdem hatte er dieses Mal meinen vollen Namen gesagt. Doch... war ich denn so viel besser als die restlichen Slytherins? Oder besser gesagt: Waren die restlichen Slytherins überhaupt schlecht? Gut, Malfoy konnte schon ein ziemlicher Idiot sein. So hochnäsig wie Filch gruselig. Mal ganz zu schweigen von Pansy Parkinson. Die beiden würden wirklich gut zueinander passen. Bei dem Gedanken schnaubte ich innerlich. Aber jedes Haus hatte Schüler, die alles andere als einen Vorzeigecharakter aufwiesen. Klar, Slytherin spielte nicht immer mit fairen Mitteln, um ihren Ehrgeiz durchzusetzen. Doch was war so verkehrt daran nach etwas Höherem zu streben?
Ich mochte Slytherin, egal was die anderen sagen mochten. Ich fühlte mich hier wohl, es war irgendwie mein Zuhause, auch wenn es durch meine Vorgeschichte nicht immer ganz einfach war.
Aber abgesehen von all dem, fragte ich mich eines: Hatte mich Ron jemals richtig kennengelernt? Und wenn er das getan hätte, würde er mich zumindest dann wirklich mögen? Oder wäre alles beim Alten?
Mein Blick hatte sich unbeabsichtigt erneut auf die stillliegenden Geländer Hogwarts gelegt. Ein Vogelschwarm zog über die große Brücke hinweg, von dem ich allerdings kaum Notiz nahm. Erst als Hagrid die schwere Holztüre seiner Hütte aufschlug, regte ich mich wieder.
„Lass uns gehen." brach Harry daraufhin das Schweigen und ich stimmte ihm mit einem knappen Nicken zu.
*****
Noch am selben Abend packte ich meine Sachen, damit ich morgen früh länger schlafen konnte, wenn es zurück nach Hause ging.
„Was hast du eigentlich in den Ferien vor?" fragte mich Daphne, die sich auf ihren vor Kleidung übergehenden Koffer gesetzt hatte und sich extra schwer machte, um den Reißverschluss noch zuzubekommen. „Kannst du mir schnell helfen? Ich... argh.... Krieg dieses dumme Teil nicht zu."
Breit grinsend eilte ich ihr zu Hilfe. „Die paar letzten Schokomuffins erfüllen bei dir auch nicht ihren Zweck, hm?"
„Ha – ha." grummelte sie, blickte dann aber auf ihren Bauch hinab. „Sieht man's etwa?"
„Solangs Montague nicht stört." kicherte ich, woraufhin ich einen finsteren Blick erntete und gerade noch rechtzeitig auswich, als sie mir leicht mit dem Ellbogen in die Rippen boxen wollte.
„Selbst wenn, wäre es sein Problem." Daphne verschränkte die Arme vor der Brust und hob ihr Kinn an. „Außerdem ist er derjenige, der mich immer mit diesem ganzen Zeugs abspeist. Und es... schmeckt so gut." Sie seufzte und pustete sich dabei eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Also von wegen Montague wäre nichts für dich, hm? Läuft doch gut zwischen euch."
„Sei lieber still und hilft mir." murmelte Daphne, was mich unweigerlich dazu veranlasste zu schmunzeln.
Mit aller Kraft versuchte ich den Reißverschluss ihres Koffers zuzuziehen, doch in den ersten Sekunden regte sich gar nichts. Mir wurde ganz heiß, als ich mit größer Müh und mit beiden Händen daran zog. Dann, ganz plötzlich, bewegte er sich mit einem kräftigen Ruck, sodass ich über meine eigenen Füße stolperte und rückwärts umfiel. Begleitet von einem dumpfen Knall landete ich auf meinem Rücken und blieb an Ort und Stelle liegen. Daphne sprang augenblicklich auf, bückte sich über mich und vergewisserte sich, dass ich noch lebte.
„Alles in Ordnung?"
„Jaja, lass mich nur hier liegen... Vielleicht übernachte ich hier auch gleich."
Daphne hob ihre Brauen an. „Übertreib mal nicht so." Dabei streckte sie mir ihre Hand entgegen und half mir hoch. Ein stechender Schmerz zog sich von meinem Allerwertesten bis hinauf zum Schulterblatt, was mich mein Gesicht verziehen ließ.
„Und?" sagte ich „Nennen Montague und du es nun schon offiziell ‚Beziehung'?"
„Vielleicht hätte ich dich doch lieber liegen lassen sollen." Sie drehte sich schmunzelnd aber Augen verdrehend von mir weg und stellte ihren fertig gepackten Koffer in die Ecke, der so aussah, als würde er jeden Augenblick aus allen Nähten platzen. „Also, zurück zum eigentlichen Thema. Was hast du nun in den Ferien vor?"
Während ich selbst weiterhin mein Zeugs zusammensuchte, erzählte ich Daphne von meinen Plänen in den Ferien. Darüber, dass ich mich unheimlich freute meine Eltern wiederzusehen, noch einiges lernen wollte und sogar vorhatte Cedric zu besuchen, sofern seine Einladung noch stehen sollte. Selbstverständlich fragte mich Daphne danach aus, immerhin hatte sie mitbekommen, dass Cedric öfters nach mir gefragt hatte und der Besuch in den Osterferien stellte sozusagen die Kirsche auf dem Sahnehäubchen dar. Von unserem Kuss hatte ich ihr nichts erzählt. Nicht, weil ich ihr nicht vertraute, sondern weil es einfach irgendwie nur etwas zwischen Cedric und mir war und ich Zeit zum Nachdenken brauchte. Über was? Naja, über alles, wenn man es genau nahm.
Als ich geendet hatte, seufzte Daphne. „Ihr seid irgendwie, keine Ahnung..." Sie zuckte mit den Schultern, ehe sie mir ein Paar Schuhe von mir reichte, die ich noch einpacken wollte. „... auf irgendeine Art und Weise zieht ihr euch magisch an."
Ich musste leicht lachen. Daphne hatte schon irgendwie recht damit.
Dann ließ sie sich mit ausgestreckten Armen rücklings auf ihr Bett fallen, gefolgt von dem lauten Knarren ihres Betts.
Noch bevor ich den Schlafsaal verließ, konnte ich ihr geseufztes „Keine Muffings mehr." hören.
„Wohin so schnell, Hastings?" Draco saß inmitten auf dem Sofa unseres Gemeinschaftsraums, ein Buch in den Händen haltend. Über den Rand des Einbands hinweg, funkelte er mich mit seinen grauen Augen an. Sein weißblondes Haar glänzte im Schein der grünen Fackeln.
Ich machte Halt, betrachtete ihn ruhig und für wenige Sekunden schien ein kurzer Starrwettbewerb zwischen uns ausgebrochen zu sein.
„Warum interessiert dich das?"
„Vielleicht tut es das ja gar nicht." sagte er und eine gewisse Gleichgültigkeit schwang in seiner Stimme mit.
Ohne den genauen Grund dafür nennen zu können, qualmte so plötzlich Ärger in mir auf und ein Kloß sammelte sich in meinem Hals an. Ob seine Worte soeben stark an meinem Ego oder sogar an Gefühlen gekratzt hatten? Möglich. Aber unlogisch.
„Warum fragst du dann?" blaffte ich zornig. Es schien ihm ziemlich zu gefallen, mich damit verärgert zu haben, denn so plötzlich grinste er arrogant vor sich hin, womit er es tatsächlich schaffte mich noch wütender zu machen.
„Eventuell wollte ich ja nur kurzen Smalltalk führen."
„Eventuell solltest du mich in Zukunft nicht mehr danach fragen." schnaubend und die Augen verdrehend, wollte ich mich bereits von ihm abwenden und weitergehen, doch ehe ich dazu kam, fuhr er räuspernd fort.
„Also?"
„Also was?"
Eine seiner Brauen hob sich an, was seinem Gesicht einen noch überheblicheren Eindruck verlieh. „Ich habe dich vorhin gefragt, wohin du gehst, Hastings."
„Ich treffe mich mit---"
„... Diggory." beendete er meinen Satz so plötzlich und schlug dabei sein Buch mit einem kurzen, rasanten Schlag zu, sodass man Staub im fahlen Licht aufwirbeln sah. In den Kellergemäuern war es abermals still geworden und Draco richtete sich so plötzlich auf, sah fast etwas verkrampft aus. Die Arroganz in seinem Gesicht war um eine Spur gewichen und hatte Platz für etwas Anderes geschaffen. „Wie du ihm hinterherdackelst. Wie ein dreckiger Hauself seinem Meister."
Überrascht über seine Worte, zogen sich meine Brauen in der Mitte meiner Stirn zusammen. „Wovon sprichst du. Ich dackel ihm nicht hinter--"
„Doch tust du, nur leider bist du auch zu dämlich, um es zu erkennen, Hastings." Seine Mimik war düster und ein Schatten, der von tiefer Abneigung zeugte, huschte kurzzeitig darüber. Er klappte sein Buch wieder auf, ließ seinen Daumen sanft über die Seiten gleiten, bis er wieder dort angelangt war, wo er aufgehört hatte.
Ein schwermütiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich konnte nicht sagen, ob es Zorn über seine Worte oder über etwas Anderes war. Einige Sekunden lang stand ich einfach da und betrachtete ihn. Sogar lange danach noch, als er bereits längst seinen Blick von mir genommen hatte. Eine eigenartige Unruhe, begleitet von Ruhe hatte Einzug genommen. Nur das Knistern im Kamin war zu hören und das leise Geräusch das Draco verursachte, als er zur nächsten Seite blätterte.
„Was weißt du schon darüber, jemanden gerne zu haben." sagte ich, zerriss diese seltsame Stille unnatürlich in zwei. Draco sah augenblicklich zu mir hoch. Niemandem von uns kam mehr ein Wort über die Lippen. Das Feuer flackerte auf, ein Zischen ertönte aus dem Kamin. Einen Moment lang sahen wir nur einander an... dann drehte ich mich abrupt um und ging davon. Meine Hände hatten sich zu Fäusten verkrampft. So fest, dass meine Knöchel weiß hervorgetreten waren und meine Finger schmerzten. Eilig schlüpfte ich durch die Tür, die vom Gemeinschaftsraum in den Keller führte.
Meine Wut über Malfoys Worte hatte sich unweigerlich in meinem Kopf manifestiert und ich spürte, wie sie mir sogar die Tränen in die Augen treiben wollte. Warum sagte er so etwas? Gefühlsschübe überrollten mich, machten es mir bereits wenige Meter, nachdem ich den Gemeinschaftsraum zurückgelassen hatte, schwer weiterzugehen.
Dieses hochnäsige, arrogante... Platinblondie ging es mir zornentbrannt durch den Kopf. Wie konnte er es bloß wagen, so mit mir zu sprechen? Als wäre ich ein... ein Nichts. Ein Niemand. Niemanden, den man zu respektieren brauchte.
Meine Zähne knirschten, aber dann holte ich erstmal tief Luft. Und noch einmal... und noch siebtes und achtes Mal. Malfoy war ein Niemand, nicht ich. Warum kümmerte es mich, was er sagte? Er konnte mir nichts anhaben, ich war besser als er. Um so vieles besser... Eigentlich konnte er mir doch leidtun. Bestimmt hatte er nie jemanden in seinem Leben gehabt, der sich wirklich für ihn interessant hatte. Wie traurig...
Als ich bei den Treppen angelangt war, sah ich Cedric gegen die Wand lehnen. Ein breites Lächeln legte sich um seine Lippen, als er mich erblickte und sobald ich in seine Augen sah, war jeglicher Zorn von vorhin wie weggeblasen. Noch mehr: Dieses schwermütige Gefühl von Abscheu verblasste, meine Miene hellte sich auf. Sein Anblick vertrieb wortwörtlich die angesammelte Dunkelheit in mir.
Cedric war der beste Mensch, den ich je getroffen hatte. Er war aufrichtig, wohlwollend... so gut, wie ein Mensch nur sein konnte. Und ich? Ich war vieles... nur nicht so wie er, selbst wenn ich mir manchmal wünschte, ich wäre es. Doch eines war ich ganz bestimmt: Bedingungslos und unsterblich in ihn verliebt.
Als er auf mich zukam, dachte ich, er würde Halt machen und mir einige Worte zukommen lassen, doch das tat er nicht. Stattdessen legte er seine Lippen auf meine und begrüßte mich mit einem Kuss. Er war nur kurz, aber intensiv und sein süßlicher Geschmack verschaffte mir eine prickelnde Gänsehaut. Obwohl ich völlig überrumpelt war, erwiderte ich ihn. Was denn sonst... eine bessere Begrüßung hätte ich mir ohnehin nicht wünschen können. Einige Schüler gingen zeitgleich an uns vorbei und musterten uns mit großen Augen. Es war mir nicht unangenehm, im Gegenteil: Es fühlte sich irgendwie richtig an. Aber war das Ganze nicht irgendwie... voreilig? Überstürzt? Möglicherweise war es das, möglicherweise auch nicht. Das Einzige, das ich wusste, war, dass ich glücklich war und das war alles, was zählte.
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